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Verhinderter Fluchtversuch nach Westberlin

27. Dezember 1963
Einzelinformation Nr. 803/63 über einen verhinderten Grenzdurchbruch im Raum Kleinziethen – Schönefeld am 26. Dezember 1963

Am 26.12.1963, gegen 4.50 Uhr, versuchten vier Personen an der Bahnlinie Schönefeld – Lichtenrade die Staatsgrenze nach Westberlin zu durchbrechen. Nach Anwendung der Schusswaffe konnte der Grenzdurchbruch verhindert und die beteiligten Personen festgenommen werden. Dabei handelt es sich um:

[Name 1, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1940 in Zerbst, seit 30.10.1963 Rückkehrer im Aufnahmeheim Barby, (von 1958 bis 1960 Angehöriger der NVA), Oktober 1960 bis 1961 AZKW, entlassen wegen Postvergehens. [Name 1] durchbrach bereits am 26.2.1962 im Raum Schönefeld die Grenze und hielt sich anschließend in Mainz auf, wo er als Steinsetzer tätig war, keine Vorstrafen; [Name 2, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1941 in Hildesheim, seit 6.12.1963 im Aufnahmeheim Barby, Erstzuziehender aus Hildesheim, 1960–1962 Bundeswehr in Lüneburg (Gefreiter), keine Vorstrafen; [Name 3, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1941 in Keula, [Kreis] Sondershausen, seit 4.12.1963 Rückkehrer im Aufnahmeheim Barby. Auch [Name 3] hat am 5.11.1960 die DDR illegal verlassen und war anschließend als Matrose bei einem Fischfangunternehmen in Hamburg tätig. Keine Vorstrafen; [Name 4, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1941 in Zerbst, wohnhaft Zerbst, [Straße, Nr.], zuletzt Transportarbeiter im VEB Schraubenwerk Zerbst, 1960 wegen Diebstahl zu zwölf Monaten Gefängnis verurteilt.

In der bisherigen Untersuchung wurde Folgendes festgestellt:

Die drei Erstgenannten [Name 1], [Name 2] und [Name 3] haben am 25.12.1963 gegen 10.30 Uhr unerlaubt das Aufnahmeheim Barby verlassen und mehrere Gaststätten aufgesucht. Im Verlaufe der Gaststättenbesuche kamen [Name 2] und [Name 3] überein, nicht mehr in das Aufnahmeheim zurückzukehren und die DDR illegal zu verlassen. Dabei überredeten sie auch [Name 1], sich an diesem Vorhaben zu beteiligen.

[Name 1] willigte ein und unterbreitete den Vorschlag, die Staatsgrenze im Raum Schönefeld/Berlin zu durchbrechen, da er in diesem Raum mit den Örtlichkeiten an der Staatsgrenze vertraut war. Anschließend fuhren [Name 1], [Name 2] und [Name 3] mit einem Privatwagen, dessen Besitzer sie in einer Gaststätte kennengelernt hatten, nach Zerbst, wo sie wiederum verschiedene Gaststätten aufsuchten.

Gegen 23.30 Uhr bestellten die drei Genannten telefonisch eine Taxe zum Volkspark in Zerbst, die gegen 24.00 Uhr mit dem Fahrer [Name 5, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1937, wohnhaft Zerbst, [Straße, Nr.], am vereinbarten Ort eintraf. (Nach Aussagen des Taxifahrers [Name 5] hatte er die drei Erstgenannten bereits am Nachmittag und in den Abendstunden des 25.12.1963 in Zerbst zu mehreren Gaststätten gefahren. Angeblich wollten sie dabei feststellen, wo »etwas los« sei.)

Anschließend ließen sich [Name 1], [Name 2] und [Name 3] nach Güterglück, [Kreis] Zerbst, fahren. Am Ortsausgang von Güterglück forderten [Name 2] und [Name 3] den Taxifahrer unter Gewaltandrohung auf, nach Potsdam weiterzufahren. Als der Fahrer aufgrund des Verhaltens der drei Personen deren Vorhaben vermutete, versuchte er diese zu überreden, davon Abstand zu nehmen. Die Genannten ließen sich aber nicht darauf ein und bedrohten den Fahrer weiter, sodass dieser das Fahrzeug verlassen wollte. Um dies zu verhindern, schlug [Name 2] mit einer gefüllten Bierflasche auf den Fahrer ein, während [Name 3] und [Name 1] versuchten, den Fahrer vom Steuer weg auf den hinteren Wagensitz zu ziehen. Da der Fahrer trotz seiner Hilferufe keine Unterstützung für sich sah, die Insassen ihn weiter mit Schlägen bedrohten und den Besitz einer Schusswaffe vortäuschten, leistete er keinen weiteren Widerstand und versprach, die Fahrt nach Potsdam zu übernehmen.

Nach dem Überfall fuhren sie zunächst nach Zerbst zurück, wo sie in der Bahnhofstraße den Cousin des [Name 1] – [Name 4, Vorname] – abholten.

Anschließend fuhren sie gemeinsam bei Coswig auf die Autobahn und weiter in Richtung Potsdam/Berlin. Circa 100 Meter vor einer auf der Autobahn befindlichen Kontrollstelle (in Richtung Westberlin) wurde [Name 5] von [Name 1] gezwungen, die Autobahn nach rechts zu verlassen und entsprechend den Weisungen des [Name 1] zu fahren. Dabei wurden gegen 2.30 Uhr die Orte Mahlow und Kleinziethen durchfahren.

In unmittelbarer Nähe von Schönefeld ließen sie das Fahrzeug gegen 4.00 Uhr halten und übergaben [Name 5] die geforderten 156 DM1 Fahrgeld und 50,00 DM »Schmerzensgeld«.

Anschließend begaben sich alle vier Personen zu Fuß in das Grenzgebiet, wo gegen 4.50 Uhr ihre Festnahme erfolgte.

[Name 5] fuhr zunächst zur Autobahn zurück, wo er von der Raststätte Rangsdorf aus die Sicherungsorgane von den Vorkommnissen in Kenntnis setzte.

In der bisherigen Untersuchung konnten die Motive zur Tat noch nicht konkret geklärt werden.

Nach Aussagen des [Name 1] wollte er nach Westdeutschland zurück, weil er sich nicht sicher gewesen sei, ob seine Aufnahme in die DDR genehmigt würde.

[Name 2] gibt an, dass er nicht beabsichtigt hatte, in der DDR zu bleiben, sondern in die Schweiz ausreisen wollte. Auf einen entsprechenden Antrag will er jedoch noch keinen Bescheid erhalten haben.

Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen und werden durch das MfS weitergeführt.

  1. Zum nächsten Dokument Zum Verlauf der Passierscheinerteilung an Westberliner, 8. Bericht

    28. Dezember 1963
    8. Bericht Nr. 806/63 über den Verlauf der Maßnahmen zur Passierscheinerteilung und über die Einreise Westberliner Bürger in das demokratische Berlin

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    27. Dezember 1963
    7. Bericht Nr. 802/63 über den Verlauf der Maßnahmen zur Passierscheinerteilung und über die Einreise Westberliner Bürger in das demokratische Berlin