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Gefährdung der Sicherheit der Beschäftigten des RAW Delitzsch

3. Dezember 1964
Einzelinformation Nr. 1079/64 über die Gefährdung der Sicherheit der Beschäftigten des RAW Delitzsch infolge des baulichen Zustandes der Hauptrichthalle

Durch verschiedene Hinweise und durch Überprüfungen des MfS wurde bekannt, dass der bauliche Zustand der Hauptrichthalle im RAW Delitzsch eine ernsthafte Gefahr für das Leben und die Gesundheit der in dieser Halle Beschäftigten der DR darstellt. Die Gefahr des Einsturzes bei einer relativ geringen Erschütterung ist in den letzten Monaten besonders stark angestiegen.

Im Einzelnen ergibt sich gegenwärtig folgende Sachlage: Das RAW Delitzsch ist das einzige Ausbesserungswerk der DR für die Reparatur schnellfahrender Reisezugwagen. Die einsturzgefährdete Hauptrichthalle ist die entscheidende Produktionsstätte des RAW.

Die etwa 1910 erbaute Halle umfasst insgesamt eine Fläche von 29 413 m². Das Dach der Halle besteht aus einer Bimsbetondecke auf Stahlverbundkonstruktion und Stahlstützen. Durch Witterungseinflüsse bedingt und die Eigenart der Konstruktion begünstigt, zeigen sich am Dach Zerfallserscheinungen, die das Stadium einer akuten Gefährdung der in der Hauptrichthalle arbeitenden Werktätigen erreicht haben.

Seit 1956 wurden zunehmend Pfettenbrüche und Korrosionserscheinungen an der Bewehrung des Daches festgestellt, in deren Folge die Dachhaut undicht wurde. Bei Regen ist das Dach wasserdurchlässig. Weitere Schäden am Dach werden durch Schneelast, Frost und Tauwetter erwartet. Das Hallendach ist seit zehn Jahren nicht mehr standsicher. Die Hallenstützen zeigen Abzehrungen und Verformungen, wodurch sich der Zustand der Hauptrichthalle laufend verschlechtert.

In der Hauptrichthalle arbeiten täglich in der Tagesschicht etwa 1 000 Personen, in der Spätschicht 500 Personen und in der Nachtschicht 100 Personen.

Seit 1958 werden bereits laufend Überprüfungen am Hallendach vorgenommen, um die notwendigsten Maßnahmen zur Gewährung der Sicherheit der Werktätigen zu treffen.

Eine eingehende Überprüfung der gesamten Dachkonstruktion durch Experten der Versuchs- und Entwicklungsstelle für Anlagen Magdeburg im März 1964 ergab folgende Einschätzung (Auszug aus einem Gutachten): »Nach gültigen Vorschriften und den anerkannten Regeln der Technik ist die Überdachung nicht mehr ausreichend standsicher. Der Aufenthalt von Menschen unter dieser Dachkonstruktion ist zu verbieten und wirksam zu verhindern.«

Eine statische Untersuchung der gleichen Experten am 24.9.1964 führte u. a. zu folgender Schlussfolgerung: »Der Zustand großer Teile der Dachkonstruktion hat sich seit der ersten Ortsbesichtigung durch den Unterzeichneten erschreckend verschlechtert. Dieses Tempo der Verschlechterung war nicht vorauszusehen.«

Die unter Zuhilfenahme von Isotopen durchgeführte nochmalige Überprüfung ergab weiter, dass der Einsturz des Hallendaches oder einiger Teile bereits durch gelegentlich auftretende Naturerscheinungen, z. B. Sturm, Schneefall bis 5 cm, erfolgen kann. Auf die Möglichkeit des Einsturzes durch Erschütterungen, wie sie beispielsweise beim Überfliegen von Düsenflugzeugen auftreten, wurde ebenfalls hingewiesen.

Die Belegschaft des RAW Delitzsch ist im Allgemeinen nicht über die ernsthaften Gefahren informiert.

Auf Veranlassung des Werkleiters des RAW Delitzsch fand zur Auswertung des Gutachtens vom März 1964 eine Beratung beim Leiter der Hauptverwaltung Ausbesserungswerke beim Ministerium für Verkehrswesen mit dem Ziel statt, Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahren festzulegen, wie sie im Gutachten enthalten waren. Lösungsmöglichkeiten für eine vollständige Abwendung der Gefahr konnten während dieser Beratung jedoch nicht gefunden werden.

Der Leiter der Staatlichen Bauaufsicht beim Ministerium für Verkehrswesen verfügte aufgrund des Gutachtens vom 24.9.1964 die Sperrung der Halle ab 1.1.1965.

Am 22.9.1964 wurden zwischen dem Leiter der HV Ausbesserungswerke und dem Werkleiter des RAW Delitzsch erneut Maßnahmen zur Absicherung der Hallenkonstruktion festgelegt. Dazu gehören u. a. die tägliche Begehung des Hallendaches und die Ausgabe und das Tragen von Schutzhelmen für die in der Halle arbeitenden Werktätigen. Die gefährdetsten Teile des Daches wurden inzwischen durch Abstützungen gesichert.

Durch Beschluss des MfV vom 24.8.1964 wurde die Erneuerung der Halle als Investvorhaben »Rekonstruktion des RAW Delitzsch« in die Investitionskonzeption 1964/70 des MfV aufgenommen. Für den Neubau der Halle wurden 53 Mio. MDN Investitionsmittel eingeplant, als Baubeginn wurde der 1.7.1966 festgelegt. Das Vorhaben soll bis 1970 fertiggestellt werden.

Zur Sicherung der alten Hauptrichthalle soll eine Abstützkonstruktion geschaffen werden, deren Kosten mit etwa 2,4 Mio. MDN angegeben werden. Die Errichtung der Abstützkonstruktion soll in zwei Abschnitten erfolgen. Der Abschluss dieser Arbeiten wird sich bis Ende 1965 hinziehen, da für einige schwieriger zu erfassende Hallenteile, insbesondere die Kranbahnen, besondere Konstruktionen erforderlich geworden sind.

Der Beginn des Aufbaus dieser Abstützkonstruktion ist noch nicht verbindlich festgelegt. Lediglich die Materialbereitstellung soll ab 30.1.1965 erfolgen.

Letztmalig wurde nach einer Kontrolle des Daches am 5.11.1964 festgestellt, dass es nicht möglich sein wird alle Mängel soweit zu beseitigen, dass die befristete Ausnahmegenehmigung der Staatlichen Bauaufsicht des MfV für die Hauptrichthalle (Termin 1.1.1965) verlängert werden kann.

Vonseiten der verantwortlichen Mitarbeiter der DR und des RAW Delitzsch wird erklärt, dass bei Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Konzeption, die die Fertigstellung der Abstützkonstruktion erst für Ende 1965 vorsieht, kaum Möglichkeiten vorhanden sind, eine einigermaßen zumutbare Sicherheit für die in der Hauptrichthalle arbeitenden Werktätigen zu schaffen.

In Anbetracht dieser Situation schlägt das MfS vor, dieses Problem auf zentraler Ebene umgehend zu beraten und wirksame Sofortmaßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit einzuleiten.

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    3. Dezember 1964
    Einzelinformation Nr. 1081/64 über einen verhinderten Grenzdurchbruch nach Westberlin im Raum Bergfelde am 3. Dezember 1964 mit tödlichem Ausgang für einen der Grenzverletzer

  2. Zum vorherigen Dokument Großbrand in Lack- und Kunstharzfabrik Schönebeck

    3. Dezember 1964
    Einzelinformation Nr. 1078/64 über den Großbrand im VEB Lack- und Kunstharzfabrik Schönebeck, [Bezirk] Magdeburg, am 26. November 1964