Reaktionen des Westberliner Senats auf Freundschaftsvertrag mit UdSSR
22. Juni 1964
Einzelinformation Nr. 504/64 über die Reaktion in Kreisen des Westberliner Senats auf den Freundschaftsvertrag DDR – UdSSR
Aus Kreisen um den Westberliner Senatspressechef Bahr1 wurde intern bekannt, dass am 15. und 16.6 in Westberlin Beratungen über mögliche Auswirkungen des Moskauer Freundschaftsvertrages2 auf die Situation Westberlins und über Fragen eines Passierscheinabkommens geführt wurden. Teilnehmer dieser Beratungen seien u. a. Willy Brandt,3 von Eckardt4 und Senatsrat Korber5 gewesen. Außerdem sei am 15.6. Dr. Dehler6 konsultiert worden.
In diesen Kreisen seien Überlegungen dahingehend angestellt worden, welche neuen Initiativen auf der Verhandlungsebene vom Senat ergriffen werden könnten. Zu diesem Zweck sei eine Konzeption erarbeitet worden, die durch Brandt und Bahr am 16.6. in Bonn mit Bundeskanzler Erhard7 abgestimmt werden sollte. In dieser Konzeption seien folgende mögliche Konsequenzen des Moskauer Freundschaftsvertrages enthalten:
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Der Moskauer Freundschaftsvertrag sei ein Teil der Vorbereitungen der UdSSR und der DDR auf Viermächteverhandlungen. Angeblich besitze der Westen Informationen, wonach die UdSSR die Einberufung des Rates der Außenminister entsprechend den Festlegungen des Potsdamer Abkommens8 anregen werde.
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Durch das zweiseitige militärische Bündnis UdSSR – DDR solle dem Warschauer Vertrag9 ein »zusätzlicher innerer Halt« gegeben werden. Außerdem könne die UdSSR auf möglichen sogenannten Deutschland-Verhandlungen den Austritt der DDR aus dem Warschauer Pakt vorschlagen, zumal die gemeinsame militärische Aktion und die Sicherung der DDR auch in einem solchen Falle durch den Moskauer Freundschaftsvertrag gewährleistet bleiben würde.
Über die Konsequenzen der sogenannten Berlin-Klausel im Moskauer Vertrag halte die Diskussion noch an. Der Westen verfüge angeblich über Informationen, nach denen von DDR-Seite bei den Verhandlungen in Moskau zu dieser Klausel vorgeschlagen worden sei, Westberlin nur als gesondertes Gebiet zu behandeln, aber nicht anzuerkennen. Die Endfassung sei von sowjetischer Seite durchgesetzt worden.
Nach einer Äußerung von Bahr würden, nachdem Klarheit über das Vorgehen auf der Grundlage einer gemeinsamen Konzeption zwischen dem Senat und der Bonner Regierung geschaffen sei, die Passierscheinverhandlungen in eine neue Phase treten. Der Senat werde in der Passierscheinfrage nicht passiv bleiben, sondern schon in den nächsten Tagen neue Möglichkeiten und Vorschläge unterbreiten.
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