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Störungen an Reaktoren des Erdölverarbeitungswerks Schwedt

26. August 1964
Einzelinformation Nr. 695/64 über einige Störungen an den Reaktoren 3 und 4 der Reformierungsanlage und einen Brand am Topofen 2 in der Rohöldestillation des EVW Schwedt/Oder

Bei der Aufnahme des Probebetriebes und nach der Inbetriebnahme der Reaktoren 3 und 4 im April/Mai 1964 wurde an den Außenwänden der Reaktoren Temperaturanstieg festgestellt. Untersuchungen über die Ursachen des Temperaturanstiegs ergaben kleinere Haarrisse an der Ausmauerung der Reaktoren.

Die Ausrüstungen der Reaktoren 3 und 4 wurden von der holländischen Maschinenbaufirma Apparate- und Kesselbau Benschop/Den Haag und der Westberliner Handelsfirma Peja-Guen komplett geliefert und montiert. Dazu gehört auch die Ausmauerung in einer Stärke von 200 mm, die gleichfalls von dem genannten holländischen Betrieb vorgenommen wurde. (Für diese Anlagen einschließlich der Ausmauerung wurde eine Garantieleistung von fünf Jahren vereinbart.)

Aufgrund der Haarrisse an der Ausmauerung veranlasste das IZ Böhlen – anhand eigener Erfahrungswerte – an den Reaktoren das zusätzliche Anbringen eines Schutzhemdes aus Metall. Die Haarrisse selbst wurden aufgrund der Garantieleistungen der holländischen Firma beseitigt.

Der Zwischenraum zwischen dem Metallhemd und der Ausmauerung wurde im Einvernehmen mit der IZ Böhlen und der holländischen Firma mit Diatomitmehl als zusätzliches Isoliermaterial ausgefüllt. Das trocken eingefüllte Diatomitmehl sollte durch austretendes Wasser aus der Ausmauerung und die Einwirkung der Hitze abbinden.

Nach diesen Veränderungen arbeiteten die Reaktoren zunächst auch einwandfrei.

In den Monaten Juli/August 1964 stellte sich aber heraus, dass an beiden Reaktoren, zwischen Ein- und Ausgang, ein Druckabfall zu verzeichnen war. Die Reaktoren wurden daraufhin erneut abgefahren und untersucht, wobei festgestellt wurde, dass das Diatomitmehl durch die austretende Feuchtigkeit aus der Ausmauerung nicht abgebunden wurde. Dadurch war es möglich, dass die Reaktionsprodukte das Diatomitmehl durchdringen und zu einem großen Teil auslaufen konnten. Im Reaktor 3 wurde bei diesem Vorgang der eingesetzte Metallmantel zerdrückt. Nach Meinung der holländischen Fachleute wäre es u. U. günstiger gewesen, das Diatomitmehl in angefeuchtetem Zustand einzufüllen. Sie wiesen jedoch darauf hin, ebenfalls über keine nennenswerten Erfahrungen auf diesem Gebiet zu verfügen.

Nach dem Zerdrücken des Metallhemdes des Reaktors 3 wurde das Metallhemd des Reaktors 4 zum Reaktor 3 umgesetzt. Der Zwischenraum zwischen Ausmauerung und Metallhemd wurde in diesem Falle mit einer zementähnlichen Füllung ausgegossen.

Von Experten wurde die neue Mischung als beständig und ausreichend für den Schutz der Ausmauerung eingeschätzt.

Entgegen diesen Einschätzungen wurde aber am 21.8.1964, gegen 17.00 Uhr, nach 10-stündigem Betrieb des Reaktors 3 erneut eine Druckdifferenz zwischen Ein- und Ausgang von 16 atü registriert. Daraufhin wurde die Reformierungsanlage erneut abgefahren und nach Abkühlung des Reaktors eine Untersuchung durchgeführt.

Die vorläufigen Untersuchungsergebnisse besagen, dass in der eingefüllten zementartigen Füllung Staubreste aus Rückständen des Diatomitmehles enthalten sind, die den technologischen Betriebsablauf stören. Das Diatomitmehl sei durch Abdrücken der gesamten Anlage zwar aus den Zwischenschichten herausgespült, aber aus dem Leitungssystem insgesamt nicht restlos entfernt worden. Das Vorhandensein weiterer Rückstände trotz des Abdrückens wird von Experten damit begründet, dass beim Abdrücken der normale Betriebsdruck nicht erreicht worden wäre.

Unmittelbare Sachschäden sind bei der Störung an den Anlagen nicht eingetreten.

Die Anlage soll am 27.8.1964 mit voller Kapazität die Produktion wieder aufnehmen. Der Reaktor 4 wurde noch nicht wieder angefahren, da zunächst erst die Erfahrungen des Reaktors 3 ausgewertet werden sollen und die Neuanfertigung des Metallhemdes vom Leuna-Werk erst angeliefert werden muss.

Am 25.8.1964, gegen 6.00 Uhr, entstand am Topofen der Rohöldestillation durch den Ausfall eines Brenners ein Brand. Die Ursachenermittlung ergab ein Aussetzen des Heizölbrenners, wodurch Heizöl ausdrang, das durch den Rückschlag der Flamme gezündet wurde. Der Brand beschädigte Teile der Mess- und Regelanlagen, die unterhalb der Brennanlage angebracht sind. Wegen dieser Beschädigungen musste die gesamte Rohöldestillation abgefahren werden.

Der eingetretene Sachschaden wird auf etwa 75 bis 100 TMDN geschätzt.

Am 25.8.1964 wurde der Topofen 1 durch Umschalten der Heizölanlage auf Kreisbetrieb wieder in Betrieb genommen und erreichte eine kapazitätsmäßige Auslastung von ca. 60 % (ca. 3 500 t täglich bei täglich 6 200 t voller Leistung).

Nach vorliegenden Hinweisen wird von Fachexperten der Ausfall des Heizölbrenners auf konstruktive Mängel zurückgeführt (Ausfall des elektrischen Überlastungsschalters am Motor, Reißen der Keilriemen am Motor – Keilriemen des Trabant-Motors).

In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass die Brenner bereits wiederholt durch das Rutschen oder Reißen der Keilriemen ausfielen, wobei stets Heizöl auslief. Nur durch das sofortige Erkennen der Situation konnte bisher das Ausbrechen von Bränden verhindert werden.

Wie aus weiteren Informationen hervorgeht, wird von Experten die Konstruktion der Topofenanlage insgesamt als ungenügend eingeschätzt, da eine Reihe internationaler Erfahrungswerte nicht im erforderlichen Ausmaß berücksichtigt worden seien, z. B. die Beseitigung des starken Rußanfalles betreffend. Konstrukteur dieser Anlage ist der Mitarbeiter des VEB IZ Böhlen, [Name], der für diese Arbeit mit dem Titel »Verdienter Erfinder« geehrt wurde. Nach den vorliegenden Hinweisen hat er sich jedoch bisher kaum um die Funktionstüchtigkeit der von ihm konstruierten Topofenanlage bemüht.

Wie dem MfS weiter bekannt wurde, sollen diese Topofenanlagen, ohne Beseitigung der bisher erkannten konstruktiven Mängel, auch in der 2. Anfahrstufe des EVW Schwedt errichtet werden. Damit würde auch für die 2. Anfahrstufe zugleich wieder die Quelle für weiter Havarien und Produktionsstörungen geschaffen.

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    27. August 1964
    Einzelinformation Nr. 698/64 über die Entgleisung eines Transportzuges der NVA auf der Strecke Halle – Sangerhausen

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    26. August 1964
    Einzelinformation Nr. 694/64 über die Modalitäten der Reise von Erzbischof Bengsch zum Vatikanischen Konzil