Vorkommnisse anlässlich des Deutschlandtreffens
16. Mai 1964
Einzelinformation Nr. 395/64 über Vorkommnisse anlässlich des Deutschlandtreffens
Eine Reihe bekannt gewordener Fälle weist auf ein verstärktes Auftreten geschulter westdeutscher Diskussionsgruppen in der Hauptstadt der DDR hin, wobei besonders die Absicht der negativen politisch-ideologischen Einflussnahme und Kontaktherstellung offensichtlich wurde. Dabei traten bisher besonders Studenten der Westberliner »Freien Universität« und aus Westdeutschland sowie Angehörige kirchlicher Kreise aktiv in Erscheinung, die versuchten, mit gleichen oder ähnlichen Personenkreisen in der Hauptstadt der DDR Kontakte herzustellen. Verschiedentlich wurde dabei auch versucht, Treffen und Zusammenkünfte im demokratischen Berlin zu organisieren.
Als ein hervorzuhebendes Beispiel der versuchten negativen politisch-ideologischen Einflussnahme auf FDJler wird auf das Auftreten von 50 westdeutschen Jugendlichen (überwiegend Studenten) hingewiesen. Diese Jugendlichen meldeten sich am 14.5. im Empfangsbüro des Deutschlandtreffens an und wollten an Foren, Aussprachen usw. teilnehmen, lehnten jedoch eine ständige Teilnahme am Deutschlandtreffen1 ab. Sie hatten bereits am Bahnhof Friedrichstraße versucht, mit FDJ-Lotsen über solche Probleme wie Freiheit, Löhne, Preise und Rolle der Staatsgrenze der DDR zu diskutieren.
Die bereits bekannte zielgerichtete Beeinflussung und politisch-ideologische Vorbereitung westdeutscher Reisegruppen wurde durch vorliegende Originalunterlagen erneut bestätigt. Bei einer Sportgruppe aus dem Raum Köln wurden u. a. das Schulungsprogramm und ein Schreiben des sogenannten Informationszentrums in Westberlin mit der Aufforderung festgestellt, Teilnehmer des Deutschlandtreffens aus der DDR ideologisch zu beeinflussen und die Gespräche im sogenannten Informationszentrum auszuwerten.
Wie aus verschiedenen vorliegenden und übereinstimmenden Informationen hervorgeht, wird der Schulung und Instruierung der westdeutschen und Westberliner Teilnehmer am Deutschlandtreffen bzw. der unter dem Vorwand der Teilnahme einreisenden Personen große Bedeutung beigemessen. Frühere Hinweise über die Schulung insbesondere westdeutscher Mitglieder verschiedener Jugendorganisationen, die ohne Nennung ihrer Organisation in die Hauptstadt der DDR auftreten sollen, wurden inzwischen vielfach bestätigt. Es wurde auch bekannt, dass diese Schulungsteilnehmer dahingehend instruiert werden, Diskussionen über die Verhältnisse in Westdeutschland und über die Rolle Westberlins möglichst aus dem Wege zu gehen und die Gespräche auf innere Probleme und Fragen der DDR zu lenken.
Aus mehreren übereinstimmenden Informationen geht hervor, dass die westdeutschen und Westberliner Grenzkontrollorgane ihre Tätigkeit an den Übergängen an der Staatsgrenze West und in Berlin verstärkt haben. Die Westberliner Polizei habe die Anweisung, ab 15.5. an den Grenzübergängen verstärkt Stichprobenkontrollen durchzuführen, um die Einschleusung von DDR-Propagandamaterial zu verhindern.
Vom westdeutschen Kontrollpunkt Marienborn2 wurde bekannt, dass Jugendliche aus Köln, bei denen eine Aufenthaltsgenehmigung für das demokratische Berlin gefunden wurde, aufgehalten und besonders über Arbeitsstelle und Beruf verhört wurden. Die Duplikate der Aufenthaltsgenehmigung wurden dabei abgetrennt und einbehalten.
Von einem großen Teil westdeutscher Jugendlicher, die am Deutschlandtreffen teilnehmen wollen und mit Fahrzeugen kommen, wird der Wunsch geäußert, nicht über Westberlin, sondern direkt von der Staatsgrenze nach der Hauptstadt der DDR zu kommen. Am 15.5.1964 erschienen an den KPP Chausseestraße und Invalidenstraße vereinzelt Westberliner Bürger, die einen Passierschein für das demokratische Berlin verlangten. Nach ihren Angaben sei in Westberlin verbreitet worden, dass während des Deutschlandtreffens die Einreise für Westberliner Bürger auf Tagespassierscheinen möglich sei. Durch einen Westberliner Journalisten wurde geäußert, dass auch im Westberliner Presseclub3 über ein derartiges Gerücht gesprochen wurde.
Aus verschiedenen vorliegenden Informationen geht hervor, dass z. T. unter Studenten der Humboldt-Universität Berlin Unzufriedenheit über die Verfügung der zentralen FDJ-Leitung der Universität besteht, wonach möglichst alle Studenten am Festival aktiv teilnehmen sollen. Viele Studenten lehnen die Beteiligung ab mit den Begründungen, kein Interesse zu haben, zu »alt« zu sein oder die Feiertage zur Vorbereitung für Prüfungen und notwendige Besuche ihrer Eltern nutzen zu müssen. Einige Studenten erklärten auch, sie kämen sich im Blauhemd4 »albern« vor.
Besonders traten Schwierigkeiten in der Gewinnung der Studenten für Einsätze (z. B. als Ordner oder Gesundheitshelfer) in Erscheinung (u. a. im 2. und 3. Studienjahr der Mediziner/Human-Medizin, unter Studenten der landwirtschaftlichen, der wirtschaftswissenschaftlichen und der juristischen Fakultät). Die Studenten gaben Desinteresse an den Veranstaltungen an und suchten die verschiedensten persönlichen Gründe für eine Ablehnung des Einsatzes vor. Verbreitet sind Auffassungen, der finanzielle Aufwand für das Deutschlandtreffen sei zu groß, die Mittel sollten zweckmäßiger dem wirtschaftlichen Aufbau der DDR zur Verfügung gestellt werden. In der Absicht, weitere Jugendliche für einen Einsatz zu gewinnen, äußerte Prof. Waldeyer5 (Chef der vorklinischen Direktion des anatomischen Instituts, wohnhaft in Westberlin), am 13.5. vor Studenten des 2. und 3. Studienjahres der Mediziner, bei den Einsatzverfügungen handle es sich um eine staatliche Maßnahme. Aus Ablehnung dieser Ausführungen wurde Prof. W. von den Studenten durch Missfallensäußerungen, Pfiffe, Zischen und Füße scharren unterbrochen.
An der am 15.5.1964 im Walter-Ulbricht-Stadion durchgeführten Generalprobe beteiligten sich von 400 von der Humboldt-Universität vorgesehenen Jugendlichen nur 177. Während der Veranstaltung waren von Medizinstudenten Sprechchöre gebildet worden, die den Text schrien: »Uns hamse verkauft«. Gegen Ende der Veranstaltung waren nur noch 58 Studenten anwesend. Die Stimmung unter den Studenten war während der gesamten Veranstaltung als schlecht einzuschätzen, wobei besondere Unzufriedenheit über die langen Wartezeiten während des Programms – teilweise bis zu zehn Stunden – auftraten.
Ähnliche Stimmungen der Ablehnung der Teilnahme am Deutschlandtreffen sind unter Studenten der medizinischen Fakultät der Universität Halle vorhanden. Der überwiegende Teil der Studenten versucht sich mit fadenscheinigen Begründungen einer Teilnahme am Deutschlandtreffen zu entziehen (darunter das Mitglied der Kreisleitung der FDJ [Vorname Name]). Von 1 000 Studenten der medizinischen Fakultät Halle – davon 80 Genossen – konnten nur 15 Jugendliche und fünf FDJ- bzw. Parteifunktionäre für die Teilnahme am Festival gewonnen werden. Die Studenten hatten sich bereits in Vorbereitung des Deutschlandtreffens geweigert, Sammlungen und Plakettenverkäufe durchzuführen. An der juristischen Fakultät der Universität Halle sind ähnliche Stimmungen vorhanden.
Die Unzufriedenheit unter den Studenten der Universität Halle steigerte sich noch nach der Mitteilung, dass ihre Delegation am 16.5. bis acht Stunden von Halle bis Berlin in Güterwagen unterwegs sein soll.