2. Bericht über den Verlauf der Leipziger Herbstmesse
[Ohne Datum]
Einzelinformation Nr. 802/65 über den Verlauf der Leipziger Herbstmesse 1965 (2. Bericht)
Nach Angaben der Volkspolizei wurden bis zur Schließung der Meldestellen am 7.9.1965 folgende Besucher registriert:
[Herkunftsgebiet] | LHM 1965 | LHM 1964 | Veränderung |
---|---|---|---|
Soz. Staaten | 7 533 | 5 500 | + 2 033 |
Nichtsoz. Staaten | 4 022 | 3 246 | + 776 |
Westberlin | 3 214 | 3 120 | + 94 |
Westdeutschland | 9 401 | 7 757 | + 1 644 |
Im bisherigen Verlauf der Messe wurden keine besonderen Maßnahmen der Bonner Regierung zur Störung der Anreise westdeutscher Messebesucher bekannt. Auch die Kontrollen an den Grenzkontrollpunkten der DDR verlaufen entsprechend den gegebenen Anweisungen.
Mit den führenden westdeutschen Konzernen haben in den letzten Tagen Gespräche über Export-Import-Koordinierungen und andere handelspolitische Fragen stattgefunden.
Die Informationsstände der Konzerne sind zwar nicht mit Vertretern der Vorstände besetzt (wie auch anlässlich der Herbstmesse nicht zu erwarten war)1, jedoch sind durchweg kompetente Vertreter des Einkaufs und des Verkaufs der Konzerne vertreten. Entgegen der auf ersten, noch ungenauen Informationen beruhenden Angaben im 1. Bericht2 sind bei allen Firmen als Standleiter Personen anwesend, die engen Kontakt mit den Handelsorganen der DDR haben. Eine Reihe von leitenden Vertretern der Konzerne hat auf der Durchreise nach Moskau Leipzig besucht. Nach Einschätzung des MAI ist die Anwesenheit der Konzernvertreter in Leipzig im Wesentlichen auf den Verkauf ihrer Erzeugnisse an das AHU Stahl und Metall ausgerichtet. Die westdeutschen Konzerne hatten vor der Messe in Erfahrung gebracht, dass das AHU zur Herbstmesse Verträge für das 1. Halbjahr 1966 abschließen wird.
Nach vorliegenden Angaben hat die Internationale Chemieausstellung in Moskau3 nicht nur Auswirkungen auf die Beteiligung prominenter westdeutscher Konzerne auf der Leipziger Herbstmesse,4 sondern auch auf die internationale Messe in Brno,5 auf der bekannte westdeutsche Firmen in diesem Jahr nicht anwesend sein werden.
Mit den Konzernen haben Verkaufsgespräche über die Lieferung von Werkzeug- und Baumaschinen an die Firma Krupp, von Kaltwalzwerken, Rohrziehanlagen, u. a. an die Firma Hoesch, und von Kranen und Baggern an Phoenix-Rheinrohr6 stattgefunden. Entsprechend dieser Situation gab es keine Voraussetzungen für die Führung von Gesprächen durch Vertreter der DDR auf Ministerebene.
Im Allgemeinen zeigt es sich gegenwärtig, dass die Konzernvertreter in Erwartung der Ergebnisse der Bundestagswahlen7 zurückhaltend hinsichtlich der Prognosen der weiteren Entwicklung des Handels zwischen beiden deutschen Staaten, insbesondere in Bezug auf die Zusatzvereinbarungen zum Berliner Abkommen8 und der Möglichkeiten der Anlagenlieferungen in die DDR sind.9
Verschiedentlich, so von Kuhlmann (Ferrostaal), wird angedeutet, dass die westdeutschen Konzerne bei der Regierung darauf dringen, eine staatliche Absicherung von Krediten zu genehmigen. Feldkamp von Phoenix-Rheinrohr äußerte, dass in Bonn bereits eine Konzeption für die weitere Entwicklung des Handels zwischen beiden deutschen Staaten erarbeitet worden sei, die aber erst nach den Bundestagswahlen veröffentlicht würde. Er bezog sich dabei auf Informationen aus den Spitzen des Bundesministeriums der Wirtschaft.
Es zeigt sich jedoch, dass offensichtlich die Konzernvertreter gegenwärtig nicht beabsichtigen, energischere Vorstöße bei der Bonner Regierung zur Lösung der wichtigsten Handelsfragen zu unternehmen. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass sich im Zusammenhang mit der bevorstehenden Reise des Staatssekretärs Carstens10 nach Moskau11 Illusionen über Möglichkeiten eines Gesprächs zwischen Bonn und Moskau über den Kopf der DDR hinweg verbreiten. Besonders deutlich brachte dies Brannekämper12 von der Bochumer Chemie Imhausen zum Ausdruck, der gegenüber dem Genossen Dengler13 erklärte, dass die Westseite hinsichtlich der Währungsgebietsklausel14 kein Entgegenkommen zeigen werde. Brannekämper äußerte, dass Bonn Chancen habe, die DDR durch eine Einkreisung »fertigzumachen«.15 Brannekämper hatte offensichtlich den Auftrag, dem Genossen Dengler die politischen Aspekte dieser Fragen darzulegen. Die Westseite hofft, dass sich die DDR zu bestimmten Konzessionen veranlasst sehen könnte.
In diesem Zusammenhang ist die Argumentation interessant, die Brannekämper gegenüber dem Genossen Lange16 vom Bereich Handel mit Westdeutschland und Westberlin gebrauchte. Brannekämper beschränke sich hier auf die Darstellung der ökonomischen Möglichkeiten zur Erweiterung des Handels mit der DDR. Er deutete an, dass bei Anlagengeschäften mit der DDR an Kredite bis zu zehn und zwölf Jahren gedacht werden könnte. Brannekämper erklärte Lange, dass er auf Verständnis hoffe, damit beim Anlagengeschäft doch der prinzipielle Standpunkt verlassen werden könnte. Genosse Lange legte ihm nochmals die Positionen der DDR dar und erklärte, dass die Gewährung von Krediten nicht mehr ausreiche, um Anlagengeschäfte zu realisieren.
Mit den Versandhäusern kam es zu ersten Geschäftsanbahnungen. Es zeigt sich dabei deutlich die Konkurrenz zwischen Quelle und Neckermann, die beide stark daran interessiert sind, ein möglichst vollständiges Sortiment von DDR-Waren zu beziehen. Positiv wurde die Verbesserung der Zusammenarbeit mit den Produktionsbetrieben vermerkt. Neckermann sprach in diesem Zusammenhang den Wunsch aus, für bestimmte Einkäufer Dauereinreisegenehmigungen zu erhalten. Die Vertreter von Neckermann sprachen ferner den Wunsch aus, sich in den Reiseverkehr westdeutscher Bürger in die DDR durch Organisierung von Gesellschaftsreisen einzuschalten. Sie wurden dabei auf die Nichtzuständigkeit des Außenhandels hingewiesen.
Aus dem Pressezentrum wird bekannt, dass sich der Pressechef der Hannover-Messe17 Merkelbach18 offiziell zu einem Besuch der Leipziger Messe angemeldet hat. In diesem Zusammenhang gibt es Spekulationen unter westdeutschen Journalisten über mögliche Zusammenarbeit zwischen den Messen von Leipzig und Hannover.
Am 7.9.1965 fand die übliche internationale Pressekonferenz anlässlich der Leipziger Messe statt. Schwerpunkte der Reaktion der westdeutschen Journalisten waren dabei die Angaben der DDR über die Anwesenheit einer Delegation in den USA, die Äußerungen über die Beteiligung von Bundeswehrsoldaten am Krieg in Vietnam und die Stellungnahme der DDR zur Reise Carstens’. Im Allgemeinen wurde eingeschätzt, dass die DDR-Vertreter, insbesondere Genosse Stibi,19 sehr befriedigend aufgetreten seien. Unzufriedenheit gab es zum Auftreten des Genossen Blecha,20 insbesondere zu seiner Reaktion auf die Fragen nach dem Auftreten der Delegation der DDR in den USA21 und auf die Situation in den Passierscheinverhandlungen.
In den bisher bekannt gewordenen Stimmungsberichten spielen die Bundestagswahlen eine besondere Rolle. In der überwiegenden Mehrzahl sind die in Leipzig anwesenden westdeutschen Vertreter der Auffassung, dass sich, abgesehen von einem gewissen Stimmengewinn der SPD, am Kräfteverhältnis der Parteien nichts ändern werde. Insbesondere die in Leipzig anwesenden Konzernvertreter rechnen übereinstimmend mit einem Sieg der CDU. In der politischen Diskussion spielen auch der Vietnamkrieg und die Schwierigkeiten im Handel zwischen beiden deutschen Staaten eine Rolle. Der Parteistab Außenhandel schätzt jedoch ein, dass die verantwortlichen Leiter des Außenhandels zu wenig gezielte politische Gespräche führen. Es wurden Maßnahmen eingeleitet, um umfassender über die politische Diskussion informieren zu können.
Nach vorliegenden Informationen wird die Anzahl der Einkaufsdelegationen aus den kapitalistischen Ländern Europas die Vorjahrsbeteiligung weit übertreffen. Bisher sind Einkaufsdelegationen aus Großbritannien, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Finnland, Österreich und Schweden eingetroffen. Weitere Delegationen aus diesen Ländern werden erwartet, so aus England ein Sonderflugzeug mit 88 Personen, darunter auch Einkäufer für die metallverarbeitende Industrie. Auch aus den arabischen Ländern, insbesondere aus dem Irak, Tunesien und Marokko sind Einkäuferdelegationen eingereist. Über die Ankunft kommerzieller Delegationen aus der VAR war bis zum 6.9.1965 noch nichts bekannt. Offensichtlich werden, wie auch zur letzten Herbstmesse 1964, nur im geringen Umfange Ausreisegenehmigungen durch die Regierung der VAR erteilt.
Bis zum 6.9.1965 sind 59 Ehrengäste der Kammer für Außenhandel angereist, davon 10 Journalisten. Durch die Kammer für Außenhandel wurde eine Reihe von wichtigen Gesprächen mit westlichen Einkaufsdelegationen geführt. Hervorzuheben sind Gespräche mit Vertretern der jordanischen Handelskammer, dem Generalsekretär der österreichischen Bundeskammer und Vertretern der türkischen Handelskammer. Mit dem Vertreter der österreichischen Handelskammer wurden erste Sondierungen über die Möglichkeit des Abschlusses eines langfristigen Vertrages für die Jahre 1967 bis 1970 geführt.
Durch das Leipziger Messeamt wurde bekannt, dass verschiedentlich Vertreter amerikanischer Firmen die Möglichkeit der Beteiligung an der Leipziger Frühjahrsmesse sondieren. So führte Präsident Pierson von der Firma G. H. Pierson New York Verhandlungen mit dem Generaldirektor des Leipziger Messeamtes über die Beteiligung verschiedener USA-Firmen an der nächsten Frühjahrsmesse. Es gibt weitere Beispiele dieser Art.
Zahlreiche Außenhandelsunternehmen konnten bereits über umfangreiche Geschäftsanbahnungen und Abschlüsse für das Jahr 1965 berichten. Erfolge gab es insbesondere beim Export von Büromaschinen, darunter Soemtronrechenmaschinen22 nach Frankreich und Belgien. Anbahnungen gibt es über den Export von Salz nach Nigeria und Schweden, für Malimo-Erzeugnisse23 nach Schweden u. a. Für eine Reihe von Erzeugnissen konnten bereits Preiserhöhungen zwischen 5 und 25 % erzielt werden. Das betrifft insbesondere Erzeugnisse der AHU Heimelectric, WMW (Haushaltsartikel) und Transportmaschinen (Fahrräder).
In einer Reihe von Fragen gibt es Schwierigkeiten, die unsere Exportmöglichkeiten einschränken.
So besteht die Möglichkeit 60 000 Fernsehgeräte nach den sozialistischen Ländern zu exportieren, falls die Industrie nach OIRT-Normen liefern kann.24 Die Industrie hat das bisher abgelehnt. Der Export von Fernsehgeräten in das kapitalistische Ausland ist gegenwärtig nicht möglich, da die DDR keine implosionsgeschützten Bildröhren liefern kann.
Eine Reihe von Schwierigkeiten gibt es beim Export der Kameratypen Praktica25 Nova B und Praktica-mat, die von der Industrie nicht entsprechend dem Absatzvertrag mit dem Außenhandel geliefert werden können. Es entsteht eine Fehlmenge von ca. 8 000 Kameras vom Typ Praktica Nova B und 1 600 Kameras Praktica-mat. Vom Außenhandel wird darauf hingewiesen, dass durch Mängel in der Ausspezifizierung der Exportpläne, insbesondere bei den AHU Stahl-Metall, Chemieausrüstungen und anderen AHU, Exportmöglichkeiten nicht genutzt werden können.
Seitens der sozialistischen Länder gibt es größere Anforderungen für Importe, die von der DDR nur ungenügend befriedigt werden können. Es betrifft insbesondere die Sowjetunion (Dieselgabelstapler), die ČSSR (Textilwaren) und eine Reihe anderer Erzeugnisse.
Aus dem Außenhandel wird bekannt, dass infolge fehlender Valuta-Kontingente die Versorgung der Elektroenergie mit Glimmer gefährdet ist. Der Glimmer wurde bisher aus Indien bezogen. Falls die Mittelzuteilung nicht bis spätestens Oktober 1965 erfolgt, sind Produktionsstörungen bei der gesamten Elektroindustrie der DDR zu erwarten.
Bei einer Analyse des Erfüllungsstandes des Export-Importplanes der DDR per 31.8.1965 durch das MAI wurde festgestellt, dass eine Reihe von Außenhandelsunternehmen, insbesondere Büromaschinenexport, Elektrotechnik und VEB Zeiss Jena, Luftgeschäfte in die Berichterstattung aufgenommen hatten. Dadurch erschien der Erfüllungsstand um 100 Millionen Valuta-Mark überhöht. Gegen die verantwortlichen Generaldirektoren wurden disziplinarische Maßnahmen eingeleitet.
Die Lage im Bezirk Leipzig ist normal. Die bisher vorliegenden Meldungen über Schmuggel, Schiebereien und Ähnliches zeigen keine, gegenüber den vorhergehenden Messen, ansteigenden Tendenzen. Ein österreichischer Messebesucher erhielt wegen Briefmarkenschmuggel eine Zollstrafe und Aufenthaltsverkürzung. Gegen die beteiligten Leipziger Briefmarkenhändler wurde ein kriminalpolizeiliches Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Am 5.9.1965 wurde eine Schleusung durch einen Messebesucher verhindert. Es handelte sich dabei um die in Karl-Marx-Stadt wohnende [Name 1, Vorname], die mit ihrem Kind von ihrem Bruder ausgeschleust werden sollte.
In verstärktem Umfange sind Anträge auf Weiterreisegenehmigungen zu verzeichnen. Dabei wird hervorgehoben, dass die Mehrzahl der Weiterreiseanträge für Kraftfahrzeuge gestellt werden [sic!].
Durch eingeleitete Maßnahmen der DEWAG gelang es in diesem Jahre, die illegale Bezahlung von Handwerkern, die am Aufbau der Messestände beteiligt sind, durch westliche Aussteller mit Valuta weitgehend zu unterbinden. Schwerpunkt der Spekulation mit Westwaren und Valuta sind nach wie vor die Kellner und das übrige Personal der Hotels und Gaststätten.
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