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Verhalten des Schriftstellers Peter Huchel

8. November 1968
Einzelinformation Nr. 1247/68 über das Verhalten des Schriftstellers Peter Huchel im Zusammenhang mit der Verleihung des »Großen Kunstpreises für Literatur« durch das Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen

Am 4.11.1968 erhielt der freischaffende Schriftsteller Huchel, Peter,1 geboren am 3.4.1903 in Berlin, wohnhaft Potsdam-Wilhelmshorst, Hubertusweg 43–45, vom Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen die Mitteilung, dass dieses westdeutsche Land ihm den »Großen Kunstpreis für Literatur« für das Jahr 1968 verliehen hat, der mit einer Geldzuwendung von 25 000 DM verbunden sei. (Wie bekannt wurde, erfolgte die Preisverleihung durch ein Auswahlgremium, dem auch der westdeutsche Schriftsteller Heinrich Böll2 angehörte.)

Die offizielle Preisverleihung war für den 7.11.1968, 10.00 Uhr, in Düsseldorf »Haus der Wissenschaften« angesetzt und Huchel wurde vom Kultusministerium aufgefordert, zur Entgegennahme des Preises nach Westdeutschland zu reisen. Huchel teilte sofort mit, dass er den Preis annimmt. Er sagte zu, alles zu versuchen, um zur Preisverleihung nach Westdeutschland fahren zu können. Er forderte das Kultusministerium Nordrhein-Westfalen auf,

  • die Deutsche Akademie der Künste in Berlin, Robert-Koch-Platz 7, zu benachrichtigen und

  • dafür zu sorgen, dass der Schriftsteller Heinrich Böll (Westdeutschland) ein Telegramm an den Kulturminister der DDR, Klaus Gysi,3 schickt, damit man Huchel nach Westdeutschland fahren lässt.

Am 5.11.1968 beantragte Huchel telegraphisch beim Minister für Kultur der DDR, Klaus Gysi, eine Sofortgenehmigung zu einer kurzfristigen Reise nach Düsseldorf für sich und seine Ehefrau zur Entgegennahme des Literaturpreises. Das Telegramm Huchels ging erst am 6.11.1968 im Ministerium für Kultur ein. Noch am gleichen Tage wurde ihm vom Büro des Ministers für Kultur der DDR mitgeteilt, dass sein Telegramm und ein Telegramm von Heinrich Böll eingegangen seien, der Minister aber zzt. nicht anwesend sei und somit nicht entscheiden könne. Außerdem ist die Annahme westdeutscher Preise bisher noch nie genehmigt worden.

Daraufhin erklärte Huchel sinngemäß:

  • Es handele sich um keinen staatlichen Preis, sondern um einen solchen, der ihm von einer Jury zugesprochen wurde, der auch Heinrich Böll angehörte.

  • Er bezeichnete das Benehmen der staatlichen Stellen der DDR als »empörend und unmenschlich«. Er habe schon vor 13 Monaten einen Antrag auf Aussiedlung eingereicht, aber bis heute noch keinen Bescheid bekommen, obwohl die gesetzliche Frist der Benachrichtigung ein viertel Jahr beträgt.

  • Auch seine Rentnerreise sei ihm abgelehnt worden. Die staatlichen Stellen der DDR würden ihn nicht fortlassen, weil sie vor »ihren eigenen Lügen Angst« hätten.

  • Huchel pochte auf seinen Nationalpreis und bezeichnete die Behandlung seiner Angelegenheiten als »tiefe Beleidigung seiner Person«.

  • Er teilte mit, dass er Genossen Alexander Abusch4 in einem Brief über die Preisverleihung informiert habe.

Von Huchel wurde die Benachrichtigung durch das Büro des Ministers für Kultur der DDR als Ablehnung seiner Reise gewertet. Er ließ daraufhin an das Kultusministerium Nordrhein-Westfalen telegrafieren, dass es ihm nicht möglich ist, »die hohe Ehrung … persönlich aus Ihrer Hand entgegenzunehmen …« und erwähnte dabei gleichzeitig eine angebliche als »Strafe gegen ihn verhängte Isolation« in der DDR.

Huchel hatte auch die Absicht, ein Danktelegramm abzufassen, welches bei der Übergabe des Preises in seinem Namen in Düsseldorf zur Verlesung und anschließend in der westdeutschen Öffentlichkeit publiziert werden sollte.

Huchel bat inzwischen den Schriftsteller Heinrich Böll, den Preis, die Urkunde und das Geld in seinem Namen in Empfang zu nehmen. Das Geld könne er auf einem zu diesem Zweck angelegten Sparkassenbuch in Westdeutschland deponieren. Es sei wichtig, dass alles in Westdeutschland bleibe. Er möchte nicht, dass die Urkunde und das Geld nach der DDR kommen. Er sei 65 Jahre alt und werde sicherlich bald nach Westdeutschland kommen.

Wie dem MfS weiter dazu bekannt wurde, ist die Preisverleihung am 7.11.1968 erfolgt.

Huchel wurde darüber vom Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn,5 in einem Glückwunschschreiben informiert, in dem gleichzeitig mitgeteilt wurde, dass er hoffe, Huchel zu einem »späteren, günstigeren Zeitpunkt« in Düsseldorf willkommen heißen zu können. Die Insignien des Preises wurden von Heinrich Böll entgegengenommen.

  1. Zum nächsten Dokument Herbstsynode der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg (Langfassung)

    8. November 1968
    Einzelinformation Nr. 1248a/68 über die Herbstsynode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg in der Zeit vom 1. bis 5. November 1968 in Berlin-Weißensee, Stephanusstift [Langfassung]

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    6. November 1968
    Einzelinformation Nr. 1235/68 über einige Vorgänge im diplomatischen Dienst der ČSSR, besonders in der ČSSR-Botschaft in Berlin nach dem 9. Plenum des ZK der SED