Bericht über den Tod von Werner Kühl und die Verhaftung von Bernd Langer
26. Juli 1971
Information Nr. 744/71 über einen versuchten ungesetzlichen Grenzübertritt von Westberlin in die Hauptstadt der DDR mit Schusswaffenanwendung und Todesfolge
Am 24.7.1971, gegen 22.40 Uhr, durchbrachen im Grenzabschnitt Berlin-Johannisthal, Höhe Britzer Allee, zwei Personen die Staatsgrenze von Westberlin zur DDR.1
Durch Grenzsicherungskräfte der NVA wurde die Schusswaffe in Anwendung gebracht und die Festnahme der verletzten Grenzverletzer durchgeführt.
Nach Erteilung der Ersten Hilfe erfolgte die sofortige Einlieferung in das VP-Krankenhaus.
Ein Grenzverletzer wurde durch die Schusswaffenanwendung (Brustschuss) tödlich verletzt. Er war nicht im Besitz von Personaldokumenten. Seine Leiche wurde als unbekannte Person dem Gerichtsmedizinischen Institut zur Sektion übergeben.
Der zweite Grenzverletzer erlitt unkomplizierte Schussverletzungen. Er befindet sich im VP-Krankenhaus und ist nach ärztlicher Auskunft außer Lebensgefahr.
Im Ergebnis der bisherigen Untersuchungen der zuständigen Organe des MfS wurde folgender Sachverhalt festgestellt:
Bei den Grenzverletzern handelt es sich um den Langer, Bernd,2 geboren [Tag, Monat] 1948 in Berlin, wohnhaft Westberlin 62, [Straße, Nr.], Beruf: Gärtner, zuletzt Möbeltransportarbeiter bei der Fa. Tiefenbach in Westberlin 37, Berlepschstraße 5, und nach Angaben des L. beim zweiten Grenzverletzer um den Kühl, Werner,3 geboren 10.2.1949 in Berlin, wohnhaft Westberlin 21, [Straße, Nr.], Beruf: Möbeltransportarbeiter bei der Fa. Tiefenbach (w. o.).
Am 19.7.1971 wäre erstmalig von Kühl in Gegenwart einer dem L. angeblich namentlich nicht bekannten Person – es soll sich um einen »Bekannten« des K. gehandelt haben – die Absicht geäußert worden, einen Grenzdurchbruch in die Hauptstadt der DDR durchzuführen, um zu Verwandten in die DDR zu gelangen. Namen und Wohnanschrift dieser »Verwandten« des Kühl wollen dem L. eigenen Angaben zufolge nicht bekannt sein.
Als Motiv des Vorhabens hätte Kühl dem Langer gegenüber geäußert, dass er sich mit seinen Eltern überworfen habe.
Langer selbst will sich diesem Vorhaben des K. angeschlossen haben, weil er mit seinem Vater [Name 1, Vorname 1], geboren [Tag, Monat] 1925, wohnhaft Westberlin 62 (Schöneberg), [Straße, Nr.], tätig als Vermesser beim Westberliner Senat für Bau- und Wohnungswesen, ([Name 1, Vorname 1] hat am 8.2.1958 die DDR ungesetzlich verlassen.) und seiner Stiefmutter persönliche Auseinandersetzungen hatte.
Der Grenzverletzer Langer lebte bis 21.12.1966 in der Hauptstadt der DDR bei seiner Großmutter (väterlicherseits) [Name 1, Vorname 2], verehelichte [Name 2], geboren [Tag, Monat] 1904, wohnhaft Berlin-Baumschulenweg, [Straße, Nr.], und verzog legal nach Westberlin. Bis zu seinem legalen Verzug nach Westberlin war L. Invalidenrentner und im Stadtbezirk Berlin-Treptow [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben] registriert.
L. hatte die Absicht, nach erfolgreichem Grenzdurchbruch in der DDR zu verbleiben und bei dieser Großmutter zu wohnen.
Eigenen Angaben des Langer zufolge habe Kühl am Morgen des 24.7.1971 in der Pension »Heltzel« gegenüber dem L. geäußert, dass der geplante Grenzdurchbruch in den Abendstunden des 24.7.1971 über die Staatsgrenze zur DDR im Abschnitt Berlin-Johannisthal erfolgt.
Langer und Kühl verließen gegen Mittag des 24.7.1971 unter Mitnahme von zwei Schlafdecken die Pension »Heltzel« und fuhren mit der S-Bahn zum Bahnhof Sonnenallee. Von hier aus liefen sie bis zum Britzer Zweigkanal in Höhe der Britzer Allee, wo sie geschlafen haben wollen und anschließend die Dunkelheit abwarteten.
Die Grenzverletzer befürchteten – den Angaben des L. zufolge –, dass ein Grenzdurchbruch am Tage scheitern würde.
Gegen 22.40 Uhr hat Langer als erster den Streckmetallzaun in Richtung DDR überstiegen. Kühl folgte ihm, nachdem er die mitgeführten Schlafdecken über den Zaun geworfen hatte.
Anschließend überwanden sie im Laufschritt weitere Grenzsicherungsanlagen, wobei sie von den im Grenzabschnitt eingesetzten Sicherungskräften der NVA festgestellt und mit dem Ziel der Festnahme unter Beschuss genommen wurden.
Nach der ersten Feuerführung der Grenzsicherungskräfte brach Kühl zusammen, während L. versuchte, wieder nach Westberlin zu gelangen. Im Ergebnis der erneuten notwendigen Feuerführung wurde L. noch vor Erreichen Westberliner Gebietes getroffen.
Insgesamt wurden durch die Grenzsicherungskräfte der NVA 70 Schuss auf die Grenzverletzer abgegeben.
Die sofortige Bergung der Grenzverletzer durch die eingesetzten Grenzsicherungskräfte der NVA wurde von einem in der Nähe des Tatortes auf seinem Gartengrundstück sich in Zivilkleidung aufenthältlichen Offizier des Grenzkommandos Mitte unterstützt, der sich zuerst am Tatort befand.
Zum Zeitpunkt der Feuerführung der Grenzsicherungskräfte der NVA hielten sich auf Westberliner Gebiet in der Nähe des Tatortes zwei Angehörige der Westberliner Schutzpolizei, zwei Zöllner und zwei Zivilpersonen auf.
Gegen 0.50 Uhr erschienen auf Westberliner Seite des Tatortes ein Aufnahmewagen des Fernsehens und mehrere Fotoreporter, die Film- und Fotoaufnahmen mittels Infrarot-Technik und Blitzlicht durchführten. Zu diesem Zeitpunkt waren am Tatort auf DDR-Gebiet die Bergung und der Abtransport der Grenzverletzer bereits abgeschlossen.
Im Verlauf der bisherigen Untersuchungen durch die zuständigen Organe des MfS wurde zweifelsfrei geklärt, dass es sich um einen Grenzdurchbruch von Westberlin in die Hauptstadt der DDR handelt. Die Veröffentlichungen in der Westberliner und westdeutschen Presse über einen angeblichen Fluchtversuch aus der DDR entsprechen nicht den Tatsachen.4
Durch das MfS wird eine diesbezügliche Pressenotiz zur Veröffentlichung vorbereitet.
Die Untersuchungen des MfS zur umfassenden Aufklärung der Ursachen, Motive und Zusammenhänge dieses versuchten Grenzdurchbruches werden fortgeführt.
Der Grenzabschnitt wird durch Grenzsicherungskräfte der NVA verstärkt gesichert. Alle Handlungen des Gegners werden unter Kontrolle gehalten und dokumentiert.