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Aktivitäten des Westberliner Zolls auf dem Gelände der DR

14. Juli 1976
Information Nr. 518/76 über widerrechtliche Aktivitäten von Angehörigen der Westberliner Zollorgane auf dem Gelände der Deutschen Reichsbahn in Westberlin

Der Beauftragte der Regierung der DDR, Gen[osse] Dr. Mitdank, hat während der Unterredungen mit dem Beauftragten des Westberliner Senats wiederholt, letztmalig in der Unterredung am 14. April 1975, gegen die widerrechtlichen Aktivitäten von Angehörigen der Westberliner Zollorgane auf dem Gelände der Deutschen Reichsbahn in Westberlin,1 gegen im Dienst befindliche Angehörige der Deutschen Reichsbahn, einschließlich der Angehörigen der Bahnpolizei, Protest erhoben.

In den Protesten wurde nachdrücklich betont, dass »die Westberliner Zollorgane keine Zuständigkeit für die Durchführung von Ermittlungshandlungen auf dem Gelände der Deutschen Reichsbahn in Westberlin haben«.

Die Proteste waren stets mit der Forderung an den Westberliner Senat verbunden, unverzüglich geeignete und wirksame Maßnahmen einzuleiten, um das widerrechtliche Vorgehen der Westberliner Zollorgane zu beenden.

Trotz dieser Schritte der DDR ist ein weiteres Ansteigen dieser widerrechtlichen Aktivitäten der Westberliner Zollorgane auf Reichsbahngelände in Westberlin zu verzeichnen.

Wie festgestellt wurde, konzentrieren sich die widerrechtlichen Handlungen der Westberliner Zollorgane in erster Linie (unter dem Vorwand, nach Intershop-Waren2 zu fahnden) auf das Erzwingen der Einsichtnahme in dienstliche Unterlagen der Deutschen Reichsbahn. Dabei scheuen diese Kräfte nicht davor zurück, gewaltsame Handlungen anzudrohen bzw. sogar gegenüber Angehörigen der Deutschen Reichsbahn und Bahnpolizisten Gewalt anzuwenden, wie auch andere strafrechtliche Maßnahmen gegen Angehörige der Deutschen Reichsbahn und gegen die Bahnpolizisten einzuleiten (z. B. Einleitung von Ermittlungsverfahren wegen »Verdachts der Behinderung eines Untersuchungsverfahrens«, Erlass von »Bußbescheiden« durch die Westberliner Oberfinanzdirektion, Durchführung von Sachpfändungen in Wohnungen der betroffenen Westberliner Eisenbahner), in der Absicht, die von den Westberliner Zollorganen geforderten widerrechtlichen Kontrollhandlungen auch durchzusetzen.

Die von den Reichsbahnangehörigen und die von Bahnpolizisten vorgetragenen Proteste und eingelegte Verwahrung gegen solche rechtswidrigen Eingriffe in die Belange der Deutschen Reichsbahn in Westberlin werden von den Westberliner Zollangehörigen permanent ignoriert.

Hierzu folgende Fakten:

Am 1. Oktober 1975 erzwangen Westberliner Zöllner auf dem S-Bahnhof Spandau-West die Kontrolle der Kuriertasche eines Kuriers der Bahnpolizei. Weiterhin forderten sie mit Unterstützung herbeigerufener Angehöriger der Westberliner Polizei die Durchsuchung des Dienstraumes der Aufsicht, in dem sich der Bahnpolizist zeitweilig aufgehalten hatte. Nur durch das offensive und korrekte Auftreten der Bahnpolizisten und Eisenbahner wurden die Durchsuchung des Dienstraumes und die geforderte Herausgabe der Personalien des Kuriers, der Aufsicht und des Dienstvorstehers verhindert. Ein Westberliner Polizist teilte daraufhin mit, dass gegen die Angehörigen der Deutschen Reichsbahn und den Bahnpolizisten Anzeige wegen »Amtsbehinderung bei Angehörigen des Westberliner Zolls« erstattet wird. Infolge der widerrechtlichen Aktivitäten erhielt ein S-Bahn-Zug erhebliche Verspätung.

Am 8. Oktober 1975 wurde der Leiter der Bahnpolizeiwache des S-Bahnhofes Gesundbrunnen von Westberliner Zöllnern aufgefordert, seine Tasche zur Kontrolle zu öffnen. Der Zivilkleidung tragende Wachleiter befand sich auf dem Wege zum Dienst, wies sich jedoch korrekt gegenüber den Zöllnern als Bahnpolizist aus. Trotzdem wurde ihm die Tasche gewaltsam entrissen und geöffnet. In ihr befanden sich lediglich persönliche Gegenstände.

Am 5. März 1976, gegen 13.48 Uhr wurde der Leiter der Bahnpolizeiwache auf dem S-Bahnhof Zoologischer Garten durch mehrere Westberliner Zöllner aufgefordert, seine Tasche zur Kontrolle zu öffnen. Der Wachleiter wies sich als Angehöriger der Bahnpolizei aus und machte darauf aufmerksam, dass sich in seiner Tasche dienstliche Unterlagen befinden. Die Zöllner bestanden jedoch auf ihrer Forderung und entrissen dem Wachleiter gewaltsam die Tasche.

Als eine weitere Steigerung der widerrechtlichen Aktivitäten der Westberliner Zollorgane auf dem Gelände der Deutschen Reichsbahn in Westberlin muss das Vorgehen von Angehörigen des Westberliner Zolls (Dienstmarken-Nr. 1308 und 1323 sowie Dienstbuch-Nr. 601 345) am 12. Juli 1976 gegen eine Reichsbahnangehörige des Bahnhofes Tempelhof auf dem Bahnhof Papestraße gewertet werden.

Drei in Zivilkleidung befindliche Westberliner Zöllner forderten die anhand ihrer Dienstbekleidung bereits als Angehörige der Deutschen Reichsbahn erkennbare Angestellte auf, Einblick in die von ihr mitgeführte Kuriertasche zu gewähren. Daraufhin wies sich die Angehörige der Deutschen Reichsbahn zusätzlich mit ihrem Dienstausweis aus und lehnte mit dem Hinweis, dass sich in der mitgeführten Tasche dienstliche Unterlagen befinden, eine Einsichtnahme durch die Westberliner Zollangehörigen ab.

Nach dieser Erklärung der Angehörigen der Deutschen Reichsbahn wandten die Westberliner Zollangehörigen körperliche Gewalt an und erzwangen auf diese Weise die Einsichtnahme in die Kuriertasche.

Mehrere, in der Nähe sich aufhaltende Angehörige der Deutschen Reichsbahn, die das gewaltsame widerrechtliche Vorgehen der Westberliner Zollorgane unterbinden wollten, wurden von den Westberliner Zollangehörigen ebenfalls körperlich angegriffen. Einem Reichsbahnangehörigen wurden dabei erhebliche Verletzungen zugefügt, sodass er sich in medizinische Behandlung begeben musste.

Wie weiter festgestellt wurde, setzen die Westberliner Zollorgane diese offensichtlich zielgerichteten widerrechtlichen Aktivitäten unter zunehmender Anwendung von Gewalt unvermindert fort.

Vier Westberliner Zollangehörige haben am 14. Juli 1976, gegen 9.00 Uhr auf dem S-Bahnhof Westkreuz drei Angehörige des S-Bahnbetriebswerkes Papestraße unter Anwendung körperlicher Gewalt gezwungen, eine von ihnen mitgeführte Tasche zu öffnen. Es handelte sich um einen Geldtransport von Lohngeldern (27 000 DM) und Buchungsunterlagen von der Kasse der Deutschen Reichsbahn (Bahnhof Bellevue) zum S-Bahnbetriebswerk Papestraße. Trotz des Hinweises, dass es sich ausschließlich um eine Dienstfahrt und die Beförderung dienstlicher Unterlagen der Deutschen Reichsbahn handelt, reagierten die Westberliner Zollangehörigen mit der Androhung von körperlicher Gewalt, einschließlich der Anwendung eines Schlagstockes, falls nicht Einsicht in die mitgeführte Tasche gewährt wird. Nachdem die Reichsbahnangehörigen einen zwischenzeitlich abfahrbereiten S-Bahn-Zug in Richtung S-Bahnhof Papestraße bestiegen hatten, drohten die Westberliner Zollangehörigen mit einer Notbremsung dieses S-Bahn-Zuges, falls die Reichsbahnangehörigen nicht unverzüglich den S-Bahn-Zug wieder verlassen würden.

Einer der Reichsbahnangehörigen verließ – um den ordnungsgemäßen Zugverkehr nicht zu behindern – den S-Bahn-Zug. Die Westberliner Zöllner gingen unverzüglich gegen den Reichsbahnangehörigen gewaltsam vor, entrissen ihm die Tasche und gaben sie erst – nachdem sie von ihnen durchwühlt worden war – zurück.

Um die gegenwärtig von den Westberliner Zollorganen, offensichtlich mit Duldung des Westberliner Senats zielgerichtet vorgetragenen widerrechtlichen Aktivitäten auf dem Gelände der Deutschen Reichsbahn in Westberlin, gegen Reichsbahnangehörige und Bahnpolizei zu unterbinden, wird vorgeschlagen, in geeigneter Form entsprechenden Protest einzulegen mit dem Hinweis, dass bei Fortsetzung dieser widerrechtlichen Handlungen sich die DDR veranlasst sieht, ihrerseits bestimmte Konsequenzen einzuleiten.

Es wird weiter vorgeschlagen, die politisch-ideologische Arbeit unter den Angehörigen der Deutschen Reichsbahn in Westberlin zu verstärken, um den gegenwärtig erkennbaren massiven Druck des Gegners zurückzudrängen, die ständige Einsatz- und Dienstbereitschaft sowie Ordnung und Sicherheit im Eisenbahnbetrieb, der Anlagen und Einrichtungen der Deutschen Reichsbahn in Westberlin umfassend zu gewährleisten.

Es sollte geprüft werden, inwieweit es erforderlich ist, über die Politische Verwaltung der Deutschen Reichsbahn und den Vorstand der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins3 zusätzliche Maßnahmen zur Unterstützung der politisch-ideologischen Arbeit unter den Angehörigen der Deutschen Reichsbahn einzuleiten.

  1. Zum nächsten Dokument Beabsichtigte Ausreise des Schriftstellers Siegmar Faust

    16. Juli 1976
    Information Nr. 521a/76 über die beabsichtigte Übersiedlung des ehemaligen Strafgefangenen Faust aus Heidenau, Kreis Pirna, Bezirk Dresden in die BRD [Erste Fassung – Kurzfassung]

  2. Zum vorherigen Dokument Statistik Einnahmen Mindestumtausch 5.7.–11.7.1976

    14. Juli 1976
    Information Nr. 507/76 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 5. Juli 1976 bis 11. Juli 1976