Brand bei der 3. Raketenbrigade der NVA in Tautenhain (Gera)
1. März 1976
Information Nr. 171/76 über das Ergebnis der Untersuchung des Brandes vom 31. Oktober 1975 im Technischen Lager der 3. Raketenbrigade der NVA in Tautenhain, Bezirk Gera
Am 31. Oktober 1975 war im Objekt der 3. Raketenbrigade der NVA in Tautenhain, Bezirk Gera, ein Brand ausgebrochen, der die völlige Vernichtung des Technischen Lagers dieser Dienststelle zur Folge hatte. Im Ergebnis der durch das MfS geführten Ermittlungen wurde der Verwalter des zum Technischen Lager gehörenden Kfz-Lagers, Unterfeldwebel [Name], geboren am: [Tag] 1953; zuletzt: Berufsunteroffizier der NVA, wohnhaft: [Adresse], wegen des Verdachtes der Brandstiftung festgenommen und gegen ihn ein Ermittlungsverfahren mit Haft eingeleitet.
Die durch das MfS geführten Untersuchungen ergaben Folgendes:
Am 31. Oktober 1975 begab sich [der Verwalter] gegen 6.50 Uhr in das Kfz-Lager, in dem sich nachweislich an diesem Morgen keine weiteren Personen aufhielten. Trotz des strikten Rauchverbotes zündete sich [der Verwalter] mit einem Feuerzeug eine Zigarette an und setzte unmittelbar danach mit dem Feuerzeug in einem Aschenbecher befindliche Papierabfälle in Brand, die er auf diese Weise gewohnheitsmäßig beseitigen wollte. In bewusster und wiederholter Verletzung der ihm bekannten Brandschutzbestimmungen warf [der Verwalter] die halbgerauchte Zigarette in glimmendem Zustand in einen als Abfallbehälter benutzten Zinkeimer, der neben seinem Arbeitstisch abgestellt war, und entleerte darin außerdem den noch brennenden Inhalt des Aschenbechers. Der Abfalleimer war zu diesem Zeitpunkt bis zur Hälfte mit Papierresten und Kartonagen gefüllt.
Ohne sich um die entstandene Gefahrensituation zu kümmern und darauf vertrauend, dass diese von ihm zuvor des Öfteren vorgenommenen Handlungen wie bisher keine schädlichen Folgen nach sich ziehen, verließ [der Verwalter] gegen 6.55 Uhr das Kfz-Lager, wobei er dasselbe verschloss. Gegen 7.12 Uhr stellte ein Angehöriger des Objektes einen Brand im Bereich des Kfz-Lagers fest, worauf die Alarmierung des Feuerwehrkommandos der Dienststelle sowie von Kräften der Freiwilligen Feuerwehr Hermsdorf erfolgte, die die Brandbekämpfung aufnahmen. Der Brand führte zur totalen Vernichtung des Lagergutes sowie der Lagerhalle.
Der Gesamtschaden beträgt 3 388 174 Mark. Die Höhe der Schadenssumme resultiert vor allem draus, dass neben den im Kfz-Lager befindlichen Materialien sämtliche zur materiell-technischen Sicherstellung der 3. Raketenbrigade in den Bereichen Raketentechnischer, Pioniertechnischer und Chemischer Dienst benötigten Mittel in der Halle gelagert wurden. Im Ergebnis eines Untersuchungsexperimentes wurde gutachterlich nachgewiesen, dass die Entstehung und Übertragung eines Brandes von gleicher Intensität unter den rekonstruierten Bedingungen der Lagerhalle sowie auf die von [dem Verwalter] angegebene Weise möglich ist.
Zum Persönlichkeitsbild des [Verwalters] wurde festgestellt, dass er einer Arbeiterfamilie entstammt und in sozial geordneten Verhältnissen aufwuchs. Seitens seiner Eltern wurde er jedoch nur in geringem Maße zu Selbstständigkeit und Ordnung erzogen, sodass sein Verhalten zu allen ihm obliegenden Aufgaben von Gleichgültigkeit geprägt ist. Nach Abschluss der 10. Klasse nahm er eine Lehre als Kfz-Schlosser auf, die er aufgrund von Desinteresse ohne Facharbeiterabschluss beendete. In der Hoffnung, dennoch eine finanziell vorteilhafte Entwicklung nehmen zu können, verpflichtete sich [der Verwalter] zum Berufsunteroffizier der NVA und wurde am 3. Mai 1973 zur Unteroffiziersschule Zwickau einberufen. Anschließend erfolgte sein Einsatz als Kfz-Gruppenführer im Transportbataillon Erfurt.
Am 28. April 1975 wurde [der Verwalter] zur NVA-Dienststelle Tautenhain versetzt. In seiner dortigen Funktion als Verwalter des Kfz-Lagers musste er wiederholt wegen grober Vernachlässigung der Ordnung im Unterkunftsbereich und im Kfz-Lager, Verletzung der Brandschutzbestimmungen sowie unerlaubter Entfernungen disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden. In gesellschaftlicher Hinsicht verhielt sich der [Verwalter] überwiegend passiv.
Im Zusammenhang mit der Aufklärung und Untersuchung des Brandes wurden in der NVA-Dienststelle Tautenhain eine Reihe zum Teil erheblicher begünstigender Bedingungen sowie weitere Unzulänglichkeiten festgestellt. Das betrifft z. B. die mit Wissen und Duldung Vorgesetzter permanente Verletzung elementarster Brandschutzbestimmungen, wie das Verbot des Rauchens, des Umgangs mit offenem Feuer und brennbaren Flüssigkeiten sowie des Benutzens elektrischer Heizgeräte innerhalb des Gefechtsparks sowie im Technischen Lager.
Entgegen der Brandschutzordnung der NVA vom 4. Dezember 1974 sowie der Anordnung 50/74 des Chefs des Militärbezirkes III zur weiteren Verbesserung des militärischen Brandschutzes existierte zum Zeitpunkt des Brandes kein wirksames System des operativen und vorbeugenden Brandschutzes. Das diensthabende, nichtstrukturmäßige Feuerwehrkommando der Dienststelle war nicht ausreichend ausgebildet, um eine erfolgreiche Brandbekämpfung durchzuführen.
Die verantwortlichen Offiziere waren nicht in der Lage, den Einsatz der Kräfte und Mittel bei der Bekämpfung des Lagerbrandes sowie der Rettung von Lagergut richtig zu organisieren. Die Alarmierung zusätzlicher Einsatzkräfte der örtlichen Feuerwehr erfolgte in Unkenntnis der durchzuführenden Maßnahmen seitens des OvD zu spät und unvollständig, was wesentlich als begünstigender Umstand dazu führte, dass kein Lagergut gerettet werden konnte.
Darüber hinaus wurden weitere Mängel und Unzulänglichkeiten, insbesondere hinsichtlich der Durchsetzung von Ordnung und Sicherheit, festgestellt, die vorwiegend auf die mangelhafte Wahrnehmung der Kontrollpflichten und Sicherungsaufgaben durch die dafür Verantwortlichen zurückzuführen sind. Solche Mängel und Unzulänglichkeiten, die zum Teil bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht überwunden sind, bestehen z. B. darin, dass
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die Kontrolle und Nachweisführung über die sich im Gefechtspark der Raketentechnik sowie in den Werkstätten und Lagern des Parks aufhältlichen Personen völlig unzureichend ist,
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die als Kontrolldurchlassposten am Eingang zum Gefechtspark der Raketentechnik eingesetzten NVA-Angehörigen ihren Dienst unbewaffnet versehen,
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die vorhandene hochwertige elektrische Sicherungsanlage, die akustisch das Betreten jeder Halle der Parks anzeigen kann, nicht betriebsfähig ist,
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die durch den Offizier vom Park (OvP) durchzuführenden Kontrollen der Hallen der Parks auf Verschlusssicherheit und Petschierung nur unzureichend und zum Teil gar nicht erfolgen und dass sich im Gebäude des OvP – in dem eine unzulässig hohe Personenbewegung zu verzeichnen ist – mehrere nichtpetschierte Schlüsselkästen befinden, in denen die Schlüssel für die einzelnen Hallen aufbewahrt werden,
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die sich im Objekt befindliche Ölheizanlage und zwei dazugehörige Öltanks – von deren Funktion die Gefechtsbereitschaft der Raketentechnik mit abhängig ist – nicht gesichert werden.
Ich bitte um entsprechende Auswertung.