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Konsultation der Konferenz der Europäischen Kirchen in Österreich

19. April 1977
Information Nr. 230/77 über die Konsultation der Konferenz der Europäischen Kirchen (KEK) zum Thema: »Europa nach Helsinki und die Entwicklungsländer«

Dem MfS wurden Einzelheiten zum Verlauf der Konsultation der Konferenz der Europäischen Kirchen,1 die vom 7. bis 11.3.1977 in Gallneukirchen, Österreich, stattfand, bekannt.

An der Konferenz nahmen 39 Vertreter von Mitgliedskirchen aus 17 europäischen Staaten teil, davon aus der DDR

  • Superintendent Leopold Esselbach, Neuruppin, als Vertreter des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR

  • Gottfried de Haas, Dresden, als Vertreter der evangelisch-reformierten Gemeinden in der DDR

  • Dr. Jens Langer, Berlin, Generalsekretär der Evangelischen Studentengemeinden in der DDR

  • Christoph Magirius, Leipzig, Studentenpfarrer

  • Siegfried Weigel, Zwönitz, Pastor der Evangelisch-Methodistischen Kirche in der DDR

  • Christoph Ziemer, Berlin, Leiter der Theologischen Studienabteilung.

Für die Vorbereitung der Konsultation war KEK-Studiendirektor Prof. Dr. Nagy, VR Ungarn, verantwortlich.

Die Eröffnungsansprache hielt der Generalsekretär der KEK, Dr. Glen Garfield Williams. Er stellte fest, mit Helsinki habe ein feststellbarer Wandel im gespaltenen Europa begonnen, der sich in Belgrad fortsetzen werde. Die Schlussakte von Helsinki sei ein empfindliches Instrument, das richtig angewendet werden müsse. Der besondere Wert der KSZE in Helsinki liege darin, dass dort eine neue Methode zur Regelung internationaler Angelegenheiten in Europa fixiert wurde.2 Helsinki dürfe aber nicht nur auf Europa bezogen bleiben, sondern müsse für die ganze Welt Gültigkeit erlangen, insbesondere für die Entwicklungsländer. Es sei höchste Zeit, dass die europäischen Staaten ihre Haltung gegenüber den Entwicklungsländern neu definieren.

Die Erde gehöre allen, nicht nur den Reichen, seien dies nun Kapitalisten oder Kommunisten. Bei der Mobilisierung der öffentlichen Meinung in dieser Frage habe die Kirche eine große Aufgabe.

Der Tagungsvorsitzende, Prof. Dr. Hans Ruh, vom Schweizer Evangelischen Kirchenbund,3 wies in seiner Ansprache über »die geistlichen, moralischen und praktischen Aufgaben der Kirche« darauf hin, dass die Wirtschaftsstrukturen zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden nur verändert werden könnten von Menschen, die sich mit verändern. Das würde die Überwindung der Gier nach Besitz, des Strebens nach wirtschaftlichem Wachstum und der Überhol-Mentalität bedeuten. Der neue Modus würde erfordern: Fähigkeit zum Teilen, innere Freiheit vom Besitz, kreativen statt passiven Konsum, Bescheidenheit, immaterielle Ziele.

In Bezug auf die moralischen Aufgaben der Kirche sagte Ruh, moralisch sei, wenn Menschen unter gleichen Umständen gleich behandelt würden. Heute würden aber die Menschen im Osten, Süden, Norden und Westen ungleich behandelt. Unterschiede würden vor allem zwischen Nord und Süd bestehen. Von der Konsultation sollten Vorschläge erarbeitet werden, wie solche Ungleichheiten verändert oder zumindest reduziert werden könnten.

Referate zum Tagungsthema hielten:

  • Dr. Julio de Santa Ana (Theologe und Soziologe aus Uruguay), jetzt Studien- und Forschungskoordinator der Kommission des Ökumenischen Rates der Kirchen für Teilnahme der Kirche an der Entwicklung (CCPD),4 Genf,

  • Prof. Dr. sc. Anatoli Kutsenkov, Sowjetunion, Abteilungsleiter im Institut für orientalische Studien der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Moskau,

  • Prof. Dr. Kjell Skjelsbaek, Norwegen, Politologe an der Universität Oslo.

De Santa Ana ging insbesondere auf den Nord-Süd-Konflikt ein und betonte, der Unterschied zwischen reichen und armen Nationen werde zunehmend größer, aber auch der Unterschied zwischen Armen und Reichen in den Entwicklungsländern selbst. Die »freie Marktwirtschaft« sei die Wurzel der Ungleichheit in der dritten Welt. Das wichtigste Element für Entwicklung sei soziale Gerechtigkeit. Darum sei Entwicklung nur möglich, wenn es zum Aufbau von Volksdemokratien komme, also zur Teilnahme des ganzen Volkes an der eigenen Entwicklung, wie dies z. B. in Tansania geschehe.

Prof. Dr. Kutsenkov unterstrich die Bedeutung der Schlussakte von Helsinki, deren Verwirklichung Wege zum weltweiten Frieden und universeller Abrüstung eröffne. Die sozialistischen Länder betrachteten die Unterstützung der Entwicklungsländer in ihrem Kampf gegen Imperialismus, Kolonialismus und Neokolonialismus als ein Hauptanliegen ihrer Außenpolitik. Der Erfolg sei aber von der Einigkeit der Entwicklungsländer selbst abhängig. Die strikte Erfüllung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz, wie sie in der Schlussakte von Helsinki formuliert seien, könne die Entwicklungsländer vor Intervention in ihre inneren Angelegenheiten bewahren und ihnen helfen, mit ihrer Rückständigkeit fertig zu werden und Wege der Entwicklung entsprechend ihren Kulturen und Traditionen zu gehen. Das sei vielleicht einer der wichtigsten Aspekte von Helsinki für die Zukunft der dritten Welt.

Prof. Skjelsbaek führte aus, dass ein totaler Krieg zwischen den großen industrialisierten Militärblöcken auch im Interesse der dritten Welt vermieden werden müsse. Die Länder der dritten Welt sollten den Entspannungsprozess unterstützen und von den Partnern im Ost-West-Konflikt einen beträchtlichen Grad an Abrüstung verlangen. Skeptisch äußerte sich Skjelsbaek zu der Frage, ob Abrüstung in der Ost-West-Konfliktlage überhaupt möglich sei. Neben Argumenten wie dem von der Unvereinbarkeit der verschiedenen ideologischen und wirtschaftlichen Interessen und vom ständigen Kampf um das Mächtegleichgewicht, der den Rüstungswettbewerb als zum Konflikt gehörig betrachte, führte Skjelsbaek als relativ neues Argument die Rüstungsdynamik an, die automatische Entwicklung neuer Waffen, die – scheinbar ohne Veränderungen in der internationalen Atmosphäre zu spüren – immer weitergeht, weil

  • es einen Drang zur Erfindung gäbe,

  • Reduzierung der Verteidigungsausgaben beträchtliche Arbeitslosigkeit verursache,

  • sich ein gewisses Muster an Gleichgewicht zwischen Leicht- und Schwerindustrie herauskristallisiert habe,

  • militärisch-technologisches Wissen von anderen Industriezweigen genutzt werde,

  • die Industrien der kleineren NATO-Staaten immer enger mit der militärischen Technologie der größeren verflochten werden,

  • Abkommen über Reduzierung gewisser Waffenarten oft sofort überholt sind, wenn zugleich langfristig betriebene Forschungsarbeit die Produktion neuer Waffen ermöglicht,

  • im Westen Rüstungsaufträge für die Industrie äußerst gewinnbringend seien und auch im Osten die Rüstungsindustrie privilegiert sei,

  • Rüstungskosten bei steigender Produktion sinken,

  • Waffenexport ein Element des Wettbewerbs sei.

Wenn diese Automatik nicht unterbrochen werde, gäbe es auch keine Entspannung. Die gegenwärtigen Abrüstungsverhandlungen würden zu keinerlei Optimismus Anlass geben.

Zu diesen Referaten gab es u. a. folgende Diskussionen und Anfragen:

Dr. de Santa Ana stellte fest, es sei gut für die dritte Welt, wenn Europa sich einige. Doch was werde geschehen, wenn aus Europa Unsicherheit exportiert wird? Von 118 Kriegen nach 1945 entfielen 95 %, vom Ost-West-Konflikt verursacht, auf die dritte Welt. Welche realen Schritte seien möglich, um den weiteren Export der Aufrüstung in die dritte Welt zu verhindern?

Dr. Skjelsbaek antwortete darauf, dass die Entwicklungsländer komplizierte Waffen kaufen. Es sei nicht das Problem, ob die Sowjetunion 1 000 Panzer mehr habe, sondern dass immer mehr Nicht-Atom-Mächte über neue Technologien verfügen.

Dr. de Santa Ana meinte dazu, die Kirchen würden leider solche Bedrohung noch nicht als real vorhanden ansehen. Der Kampf um den Frieden sei ein Kampf um die Menschenrechte. Wenn die Kirchen das nicht einsehen, würden auch sie, wie die Länder der dritten Welt, in die neue militärische Weltordnung hineingezogen.

Dr. de Santa Ana stellte danach an Prof. Kutsenkov die Frage nach der Haltung der Sowjetunion zur dritten Welt. Er brachte zum Ausdruck, wenn die Länder der dritten Welt mit der Sowjetunion Handel treiben wollten, weil sie Vorzüge der sozialistischen Welt übernehmen möchten, verlange die Sowjetunion, das Ausmaß des Handels an Goldpreisen auszurichten. Seit 1970 aber sei der Goldpreis ständig gestiegen. Entwicklungsländer, die z. B. 1968 mit der Sowjetunion Verträge abgeschlossen hätten, müssten deshalb jetzt z. T. vier- bis sechsfach höhere Preise zahlen. Das sei furchtbarer und schmerzhafter als Handelsbeziehungen zu kapitalistischen Ländern. Diese Klausel schütze die Sowjetunion wahrscheinlich vor der Inflation, doch nehme sie damit die Position eines beherrschenden Landes gegenüber den Entwicklungsländern ein, im Widerspruch zu der Art der Handelsbeziehungen mit anderen sozialistischen Staaten.

Prof. Kutsenkov entgegnete, die Wirtschaft der Sowjetunion sei nicht unmittelbar mit der internationalen Geldwirtschaft verbunden und habe, um die Handelskosten decken und zugleich die Preisstabilität im eigenen Lande halten zu können, die Goldpreis-Klausel im Außenhandel eingeführt. Das bedeute ein Risiko für beide Partner, je nach Fallen oder Steigen der Goldpreise.

Prof. Kutsenkov richtete im weiteren Verlauf an de Santa Ana die Frage, wie er sich die Veränderung der sozialen Strukturen in der dritten Welt vorstelle und mit welchen Mitteln die Veränderung durchgeführt werden solle.

Dr. de Santa Ana äußerte, dass gewisse Wandlungen von der traditionellen Gesellschaft zur modernen stattgefunden hätten. Die Probleme würden jedoch weiter existieren. Dort, wo der landwirtschaftliche Sektor zugunsten einer Industrialisierung vernachlässigt worden wäre, gebe es weiterhin Unterentwicklung. Hauptvoraussetzung für Entwicklung sei deshalb die Schaffung neuer politischer Strukturen, die ihren Niederschlag in neuen wirtschaftlichen Strukturen fänden. Die politische Alternative werde durch den Sozialismus gegeben, der es ermögliche, die Verhältnisse grundlegend zu verbessern. Viele Menschen in Lateinamerika wünschten aufgrund des positiven Beispiels Kuba den Sozialismus. Doch welche Art von Sozialismus sollte es sein? Da gebe es verschiedene Wege: In der Sowjetunion unter Leitung von Gewerkschaften und Regierung, in Kuba unter großer Teilnahme des Volkes. Kuba sei nicht besser oder schlechter als die Sowjetunion, aber anders, es integriert Elemente der lateinamerikanischen Mentalität.

Prof. Kutsenkov antwortete, in der Sowjetunion gebe es bewährte Strukturen einer Beteiligung der Volksmassen an Entscheidungsprozessen: das System der Sowjets vom Dorf- bis zum Obersten Sowjet. Die Art, wie der Sozialismus sich in verschiedenen Ländern entwickle, führe nicht zu unterschiedlichen Sozialismus-Typen, wohl aber zu Formen, die der jeweiligen Mentalität entsprechen.

Prof. Skjelsbaek stellte an Prof. Kutsenkov folgende Frage: 90 % des Handels der dritten Welt entfalle auf die OPEC-Länder; könnten die sozialistischen Länder nicht stärker beteiligt werden. UNCTAD IV5 habe die osteuropäischen Länder kritisiert, weil sie sich nicht stärker an diesem Handel beteiligen. Daneben sei es eine Tatsache, dass osteuropäische Länder heute Technologien und Lizenzen von den multinationalen Konzernen kaufen. Ob sie denn recht zufrieden wären über diesen Handel mit dem Teufel?

Prof. Kutsenkov entgegnete, die multinationalen Konzerne mit ihren Tochtergesellschaften in aller Welt würden Gelder oft auf ungesetzliche Weise missbrauchen (z. B. Lockheed-Skandal).6 In der Sowjetunion sei der Verhandlungspartner der Staat. Deshalb bestehe dort keine Möglichkeit, in den Besitz von Kapital zu gelangen und es durch unterirdische Kanäle außer Landes fließen zu lassen. Deshalb könne die Sowjetunion die Multis nutzen für nationale Interessen.

Prof. Skjelsbaek stellte an Dr. de Santa Ana die Frage, wie man in solchen lateinamerikanischen Ländern, in denen eine soziale Revolution nicht möglich sei, diese vorbereiten helfen könne – gegenüber den Kollaborateuren der jetzigen Systeme.

Dr. de Santa Ana: Das einzige Mittel zur Bekämpfung der »Herodianer« sei die Bewusstseinsbildung der Eliten, wie er sie selbst in Uruguay als Direktor der Kulturabteilung der Universität unter Gewerkschaftsführern betrieben habe, bis diese Abteilung als eine der ersten geschlossen wurde. Jetzt sei es gerade Aufgabe der Kirchen, nicht nur karitative Arbeit zu leisten, sondern zu helfen, ein kritisches Bewusstsein herauszubilden und das Bewusstsein potenzieller Kollaborateure verändern zu helfen.

Pfarrer Hans-Joachim Oeffler, BRD (Vertreter der Christlichen Friedenskonferenz),7 führte aus, es sei der konsequente Kampf der sozialistischen Staaten um Verständigung gewesen, der Helsinki durchgesetzt habe. Er stellte Prof. Kutsenkov folgende Frage: Nach Prof. Skjelsbaek bedeute Rüstung für den Westen Profit und für den Osten Privileg. Müsse man nicht von einem qualitativen Unterschied sprechen?

Prof. Kutsenkov sagte, Wettrüsten sei kein integrierender [sic!] Bestandteil der technologischen Revolution, sondern eine soziale Frage. Der Imperialismus profitiere an [sic!] der Rüstung, an der jedoch im Sozialismus keine gesellschaftliche und wirtschaftliche Kraft interessiert sei. Abrüstung sei das Ideal des Sozialismus.

Superintendent Esselbach, DDR, erklärte, sowohl Dr. de Santa Ana als auch Prof. Kutsenkov hätten betont, das entscheidende Element für eine Verbesserung der Situation der Länder der dritten Welt liege bei diesen selbst, weil dort die Veränderung erfolgen müsse. Diese Äußerungen könnten aber als Widerspruch zur Schlussakte von Helsinki, insbesondere zu den Prinzipien I, VI und VIII (Souveränität, Nichteinmischung, Selbstbestimmungsrecht)8 betrachtet werden, und die Länder der dritten Welt könnten es als Einmischung empfinden, wenn hier über ihre Besserung diskutiert werde.

Prof. Kutsenkov antwortete, die Erfüllung der Prinzipien von Helsinki würde dazu beitragen, das Misstrauen der dritten Welt zur KSZE abzubauen.

Die Konsultation wurde dann in drei Arbeitsgruppen fortgesetzt. Die Arbeitsgruppe I behandelte das Thema: »Die Förderung der Gerechtigkeit unter wissenschaftlich-technischem und kulturellem Aspekt – Förderung der Wissenschaft, der Technik und der eigenen Kultur in den Entwicklungsländern.« Zu diesem Thema referierte Dr. de Santa Ana in ähnlicher Weise wie im Plenum.

Nach einer allgemeinen Diskussion, bei der Pastor Lenders, Belgien, versuchte, die Menschenrechtsfrage in den Vordergrund zu stellen, allerdings ohne offene Polemik gegen die sozialistischen Staaten, wurden folgende »Empfehlungen« erarbeitet und im Plenum vorgetragen:

  • »1.

    Wir sind dadurch beunruhigt, dass gewisse Staaten nur widerwillig Stipendien für naturwissenschaftliche Arbeit ausgeben; darum bitten wir unsere Kirchen, ihren Einfluss bei den maßgeblichen Stellen geltend zu machen, um Studenten aus den Entwicklungsländern den Zugang zu den wissenschaftlichen Studien zu ermöglichen, die unerlässlich sind, um angemessene Technologien zu entwickeln.

  • 2.

    Die Beziehungen zwischen den Kirchen in Europa und den Kirchen in den Entwicklungsländern müssten zu einem Austausch zwischen den Verantwortlichen in den Gemeinden führen, um zu einem besseren Verständnis der Probleme zu kommen, die sich auf lokaler und regionaler Ebene stellen. Auf dieser selben Ebene müssten auch besondere Anstrengungen unternommen werden, damit die Christen aus den wirtschaftlich wohlhabenderen Gebieten Europas ihren Brüdern aus den wirtschaftlich benachteiligten Gebieten Europas begegnen. Die Kirchen könnten z. B. Reiseprogramme zu diesem Zweck organisieren.

  • 3.

    Wir bitten die Gemeinden, ihr ganzes Einfallsvermögen einzusetzen, um konkrete Möglichkeiten zu entwickeln, sich mit den Opfern der sozialen Ungerechtigkeit in ihrer unmittelbaren Umwelt solidarisch zu erweisen. Wir sind uns bewusst, dass all das von unseren Kirchen eine Umkehr verlangt. Wir leben in einer Gesellschaft, die unter dem Zeichen des Habens steht, das es zu erhalten und zu vermehren gilt. In unseren Kirchen müsste die Solidarität mit denen, die nichts besitzen, konkret gelebt werden: Nach dem Vorbild des reichen Jünglings aus dem Evangelium sind sie aufgerufen, auf all das zu verzichten, was dieser Solidarität im Wege steht und die ganze Freude der Seligpreisung erfahren.«

Die Arbeitsgruppe II behandelte das Thema: »Wettrüsten und Förderung der Abrüstung«. Den Vortrag hierzu hielt Prof. Dr. Mihaly Simai, VR Ungarn. Er betonte, dass bereits bei einer 10 %igen Verminderung der Militärausgaben, wie dies von der Sowjetunion vorgeschlagen wurde, die Entwicklungshilfe um 30 bis 40 % jährlich erhöht werden könnte. Fortschritte in der Abrüstung hätten auch eine Verminderung des internationalen Waffenhandels zur Folge. Die Aufforderung in der Schlussakte, die Entwicklungsländer verstärkt zu unterstützen,9 bedeute nicht, dass die verschiedenen Gesellschaftssystemen angehörenden Signatarstaaten von Helsinki eine gesamteuropäische Politik der dritten Welt gegenüber verfolgen sollen. Möglich aber sei, beim Technologietransfer in Entwicklungsländer die Zusammenarbeit zwischen Ost und West zu intensivieren. Dabei gehe es vor allem um Unterstützung jener Kräfte in der dritten Welt, die sich in den Dienst des wirtschaftlichen und sozialen Fortschrittes gestellt haben.

In der Diskussion wandten sich Pastor Weigel, DDR, Pastor Kulikov, UdSSR, Generalsekretär Dr. Bartho, ČSSR, und Bischof Ottlyk, VR Ungarn, gegen ein falsches Sicherheitsgefühl, weil Entspannung nicht bereits automatisch zur Verringerung der Kriegsgefahr führe.

Von Bedeutung war der Beitrag von Pfarrer Oeffler, BRD, der u. a. ausführte, es sei ein Skandal, dass die militärische Führung der NATO im Dezember 1976 erklärt habe, sie werde nicht auf den Erst-Einsatz von Atomwaffen verzichten.10 In Wiederaufnahme der einstigen massiven Protestbewegung in den Kirchen Europas gegen eine atomare Bewaffnung sei heute die Forderung zu erheben, dass sämtliche Unterzeichnerstaaten von Helsinki gemäß Prinzip II der Schlussakte (Verzicht auf Gewaltanwendung)11 erklären, dass ein Erst-Einsatz von Atomwaffen für sie nicht infrage kommt. Prof. Skjelsbaek erinnerte daran, die USA hätten seit 1945 immer wieder ihre Option einer Erst-Anwendung verteidigt. Oefflers Vorschlag, er sei erst unlängst von den sozialistischen Staaten vorgebracht worden, müsse als wichtiges Anliegen betrachtet werden. Prof. Skjelsbaek und Synodalrat Kovács, VR Ungarn, formulierten im Auftrage der Arbeitsgruppe eine Reihe von Empfehlungen, unter denen die Forderung nach Verzicht auf Erst-Anwendung von Atomwaffen die Spitze bildete.

In einem Alleingang hatte Prof. Ruh, Schweiz, einen eigenen Katalog von Empfehlungen ausgearbeitet, der Oefflers Forderung nicht enthielt, dafür aber solche Postulate wie das Verbot einer Erziehung zum Hass, den Schutz von Wehrdienstgegnern, Einstellung der Rüstungsforschung, den Abbau von Waffentransfers in andere Länder und der Truppenstationierung im Ausland.

Die Arbeitsgruppe formulierte folgende Empfehlungen:

  • »1.

    Den Kirchen wird empfohlen, im Interesse von Entspannung, Abrüstung und Entwicklung Kontakte mit Politikern und Wissenschaftlern zu intensivieren und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln auf die öffentliche Meinung einzuwirken.

  • 2.

    Die im Jahre 1978 bevorstehende Sondersitzung der Vollversammlung der UNO über die Abrüstungsfragen soll von den Kirchen mit größter Aufmerksamkeit und Unterstützung begleitet werden. Die Sondersitzung sollte ein Anlass dazu sein, das Gespräch über die Abrüstung in den breitesten Kreisen von Christen einzuleiten und zu intensivieren. Der Ökumenische Rat der Kirchen soll gebeten werden, bei der NGO-Beratung, die gleichzeitig mit der Sondersitzung der Vollversammlung stattfindet, die nukleare Abrüstung als zentrales Anliegen zu vertreten. Auch die Teilnahme der KEK an der Beratung sollte angestrebt werden.

  • 3.

    Den Kirchen wird empfohlen, als erste Schritte auf dem Wege zur vollständigen nuklearen Abrüstung zu fordern und zu unterstützen, dass

    • a)

      von den Signatarstaaten der KSZE vertraglich auf die Erstanwendung der Kernwaffen verzichtet wird;

    • b)

      die taktischen Kernwaffen von den Grenzgebieten entfernt werden;

    • c)

      besonders inhumane Waffen (Waffen, die unnötige Leiden verursachen – gegenwärtig diskutiert bei der Internationalen Liga der Rotkreuz-Gesellschaften) wirksam verboten werden.

  • 4.

    Den Kirchen wird empfohlen, die Forderung nachdrücklich zu vertreten, dass die Rüstungsausgaben wirksam gemindert und die dadurch freiwerdenden Mittel den Entwicklungsländern zur Verfügung gestellt werden sollen.

  • 5.

    Die Kirchenleitungen werden gebeten, anlässlich der Belgrader Nachfolgekonferenz12 Fürbittengottesdienste in den Gemeinden anzuregen. Dabei sollte der Hoffnung und dem Wunsch Ausdruck verliehen werden, dass die Entspannung – im Interesse Europas und der ganzen Welt – durch konkrete Abrüstungsmaßnahmen weitergeführt wird.«

(Anmerkung: NGO – nicht-gouvernementale Organisation – Status für Teilnahme an Konferenzen usw.)

In der Arbeitsgruppe III – Thema: »Wirtschaftliche Gerechtigkeit, Energiebedarf und verantwortlicher Gebrauch der Kernenergie« hielt Dr. Jochem, BRD, das Referat. Er brachte zum Ausdruck, dass die Industrieländer keinen größeren Energieverbrauchszuwachs als ihre Bevölkerungsentwicklung ausmachen würde, benötigten. Das Ungleichgewicht im Energieverbrauch zwischen Nord und Süd werde sich noch vergrößern, wenn insbesondere die privaten Haushalte in den Industrieländern nicht sparsamer mit Energie umgehen lernten. Deshalb müsse eine den Gegebenheiten des jeweiligen Landes entsprechende Energietechnologiestruktur gesucht werden. Die bisherige Entwicklungspolitik habe den Entwicklungsländern schwere strukturelle Abhängigkeiten von den Industrienationen und intern politisch labile Verhältnisse gebracht. Die Länder der dritten Welt sollten sich nicht mittelfristig der Kernenergie zuwenden, die ihre Abhängigkeit von den Industrienationen noch vertiefen würde, sondern Wind-, Wasser- und Sonnenenergie nutzen. Aufgabe der Kirchen sei es, den erforderlichen Bewusstseinswandel zusammen mit anderen gesellschaftlichen Gruppen zu fördern.

In dieser Arbeitsgruppe arbeiteten die DDR-Vertreter Ziemer, Esselbach, Magirius und de Haas sowie der polnische Pastor Busse mit. Wie der Mitarbeiter des Evangelischen Pressedienstes der BRD, Gensch, Karlsruhe, zum Ausdruck brachte, habe es in dieser Arbeitsgruppe keinerlei Spannungen gegeben, sondern nur fruchtbare Ergänzungen. Der polnische Pastor Busse habe die westlichen Teilnehmer mit der These »erfreut«, dass die polnische Wirtschaft wegen ihres bewussten Desinteresses an beschleunigtem Wachstum keine Gefahr für die internationale Energie-Verknappung darstelle. Auch die Haltung der DDR-Vertreter sei von den westlichen Teilnehmern begrüßt worden, weil sie erklärten, auch in der DDR-Wirtschaft gebe es Erscheinungen von Verschwendung und Umweltverschmutzung.

Bei der Einbringung des Berichts und der Empfehlungen im Plenum wies die Arbeitsgruppenvorsitzende, Dr. Scharffenorth, BRD, auf die Kontinuität der Aussagen der KEK-Konsultation zu den Ergebnissen der KSZE im Herbst 1976 in Buckow/DDR13 hin.

Im Blick auf die Suche nach einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung plädierte der Bericht u. a. für einen Verzicht der Länder Europas auf volles Ausschöpfen eigener Entwicklungsrechte (Wirtschaftswachstum) zugunsten der Entwicklungsländer. Die Frage friedlicher Kernenergienutzung in Ländern der dritten Welt konnte die Arbeitsgruppe nicht generell mit Ja oder Nein beantworten. Dafür sprach sie sich für drastische Energieeinsparung in Europa aus, allerdings, dem jeweiligen Entwicklungsstand in Ost und West entsprechend, in abgestufter Form.

Die Arbeitsgruppe unterbreitete zwei Empfehlungen:

  • 1.

    Die Konsultation der KEK empfiehlt den Mitgliedskirchen, im Hinblick auf die notwendigen Bewusstseins- und Verhaltensänderungen Studien zur Ethik der Arbeit und zu einem theologisch begründeten Verständnis von Fortschritt anzuregen und zu unterstützen.

  • 2.

    Die Bemühungen von Gruppen, Gemeinden und Kirchen um einen neuen Lebensstil zu fördern.

Am Abend des 8.3.1977 stellten sich [der] Generalsekretär der KEK, Williams, Prof. Nagy, VR Ungarn, und Prof. Ruh, Schweiz, im Linzer Pressezentrum einem Gespräch mit Journalisten. Dabei wurden von den Journalisten u. a. folgende Fragen gestellt:

Frage: Geht das Thema Abrüstung nicht weit über die Kompetenzen der Kirche hinaus?

  • Antwort: (Prof. Ruh) Dies sei ein notwendiger Auftrag der Kirchen.

Frage: Was habe die KEK zur »Charta 77«14 und überhaupt zum Thema Menschenrechte als dem eigentlichen Anliegen von Helsinki zu sagen.

  • Antwort: (Williams) Williams wies auf das unterschiedliche Menschenrechtsverständnis hin. Auch bei Kernwaffen und Waffenlieferungen gehe es um Menschenrechte.

  • (Ruh) Die zehn Prinzipien der KSZE bilden ein einheitliches Ganzes. Wer sich für Menschenrechte einsetze, müsse auch die Sicherheit in Europa bedenken.

  • (Nagy) Die KEK kämpfe für so grundlegende Menschenrechte wie Recht auf Leben, Nahrung, Wohnung, Bildung usw. Die KEK-Konsultation habe die Absicht, den kirchlichen Horizont in dieser Frage mit erweitern zu helfen.

Ein Journalist: Wenn die Menschenrechte so weit verstanden werden, werde sich die KEK wohl auch mit der Ausdehnung der Fischfangzonen beschäftigen müssen.

Journalist (-epd-Genf) fragte Generalsekretär Williams, ob er persönlich etwas gegen Menschenrechtsverletzungen im Bereich der KEK-Mitgliedskirchen unternehme.

  • Antwort: Williams sagte lakonisch, er reise sehr viel und sehe sehr viele Menschen.

Frage: Gibt es öffentliche Erklärungen der KEK zu Menschenrechtsverletzungen?

  • Antwort: (Williams) Es gebe gewisse, mit Geldern gut versorgte Organisationen im Westen, die über Menschenrechtsverletzungen im Osten immer wieder großen Krach machen. Die KEK arbeite anders, auf stille Weise, und diese Art kirchlicher Diplomatie sei nicht ohne Erfolg. Dies habe er erst in der Woche zuvor erfahren können, als ihm auf bestimmte Anfragen eine positive Antwort zuteil geworden sei. Einzelne nationale Kirchen allerdings könnten auch öffentliche Erklärungen abgeben.

  • (Ruh) ergänzte mit Hinweis auf kirchliche Hilfsstellen in der Schweiz und in der BRD für Verfolgte.

Im Anschluss an ein kurzes Informationsgespräch mit einigen österreichischen Journalisten nach Abschluss der KEK-Konsultation am 11.3.1977 gab Williams dem Vertreter einer katholischen Kirchenzeitung in einem Tonband-Interview ebenfalls Antworten zum Thema Menschenrechte, Freizügigkeit für Kirchenvertreter aus sozialistischen Ländern usw. Auf Fragen der Menschenrechte hatte sich auch der niederländische Fernsehjournalist de Ronden spezialisiert, als er Interviews mit Prof. Kutsenkov, Prof. Simai und Generalsekretär Bartho aufnahm.

Die Antworten gingen inhaltlich nicht über das während der Konsultation Gesagte hinaus.

Die Information ist nicht für eine öffentliche Auswertung bestimmt.

  1. Zum nächsten Dokument Flucht eines Grenzsoldaten nach Bayern

    19. April 1977
    Information Nr. 244/77 über die Fahnenflucht eines Unteroffiziers der Grenztruppen der DDR im Bereich des Grenzregiments 10 Plauen, Bezirk Karl-Marx-Stadt, am 17.4.1977 in die BRD

  2. Zum vorherigen Dokument Verhaftung zweier Westberliner Grenzverletzer in Berlin-Mitte

    15. April 1977
    Information Nr. 243/77 über das widerrechtliche Eindringen in die Hauptstadt der DDR durch zwei ständige Einwohner von Westberlin am 14.4.1977