Reaktionen auf die Versorgungsprobleme mit Kaffee (1)
1. September 1977
Weitere Hinweise über Reaktionen der Bevölkerung zu den Maßnahmen des Ministerrates der DDR zur Versorgung mit Kaffee und Kakaoerzeugnissen [Bericht O/48]
Obwohl nach vorliegenden Hinweisen Meinungsäußerungen zur Versorgung mit Kaffee und Kakaoerzeugnissen keine Massenbasis erreichen, halten Diskussionen darüber unter allen Schichten der Bevölkerung in größerem Umfang an.
In den meisten Fällen wird grundsätzlich der Notwendigkeit von Sparmaßnahmen angesichts der Preisentwicklung auf dem Weltmarkt zugestimmt. Dabei zeichnet sich jedoch ab, dass vor allem Qualität und Preis der neuen Kaffeesorte »Kaffee-Mix« von breiten Kreisen der Bevölkerung abgelehnt werden. (Die Bestände im Handel und im Großhandel wachsen gegenwärtig an.) Aus Äußerungen geht hervor, dass von größeren Teilen der Bevölkerung »Kaffee-Mix« ausprobiert, danach jedoch auf teurere Sorten (»Rondo« und »Mona«) ausgewichen wurde.
In diesem Zusammenhang ist Folgendes beachtenswert: Die Abkauftendenz in den bisher einbezogenen Verkaufsstellen und Versorgungseinrichtungen der Betriebe und Verwaltungen (bis 30.8.1977 wurden etappenweise ca. 10 % der Verkaufsstellen und ca. 50 % der Cafés und Gaststätten in den Verkauf bzw. die Versorgung mit »Kaffee-Mix« einbezogen) ist rückläufig. Die Tagesauslieferungen der Produktion betrugen im Monat August 1977 im Durchschnitt – trotz schrittweise erfolgter Erweiterung der einbezogenen Verkaufsstellen – in der 1. Woche 32,0 t, in der 2. Woche 20,6 t, in der 3. Woche 15,9 t, in der 4. Woche 9,6 t. Laut Plan werden bis Jahresende insgesamt 2 500 t Mischkaffee bereitgestellt, wovon bis 30.8.1977 rund 400 t an die Bezirke ausgeliefert wurden. Bei weiterhin andauernder geringer Abkauftendenz könnten größere Überplanbestände entstehen, wobei zu bemerken ist, dass – entsprechend der Zusammensetzung des »Kaffee-Mix« (49 % Surrogate/Roggen und 51 % Kaffee) – dadurch auch beträchtliche Mengen Röstkaffee nicht versorgungswirksam werden.
Die Abnahme von »Kaffee-Mix« durch Großverbraucher (Verwaltungen, Institutionen, Armee, Betriebe, Gaststätten der Preisstufe I – III)1 ist zzt. u. a. deshalb noch gering, da »Kaffee-Mix« in den vorhandenen Kaffeemaschinen und Heißgetränkeautomaten nicht eingesetzt werden kann.
Es ist damit zu rechnen, dass bei Erweiterung des Netzes der Verkaufsstellen, die »Kaffee-Mix« anbieten, die Diskussionen unter der Bevölkerung anwachsen.
Eine Reihe von Argumenten zum Mischkaffee beinhalten gegenwärtig
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Kritik am Preis im Verhältnis zur Dualität (»Obwohl bei ›Kaffee-Mix‹ nur anteilig Bohnenkaffee zum Einsatz kommt, hat sich der Preis gegenüber der aus dem Handel genommenen Sorte ›Kosta‹ – 7,50 M – lediglich um 1,00 M verringert; das sei eine schleichende Preiserhöhung.«)
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kritische Hinweise zum Geschmack;
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Kritik an der nicht gegebenen vollen Filterfähigkeit in Haushaltsmaschinen.
Gleichzeitig wird in letzter Zeit Kritik an der Dualität der Röstkaffeesorte »Rondo« geübt, wobei unterstellt wird, diese Sorte sei ebenfalls mit einer Art Mischkaffee gleichzusetzen. Bemängelt wird, dass mitunter in Verkaufsstellen tagelang lediglich »Kaffee-Mix« im Angebot ist. (Durch Wegfall der Sorten »Kosta« und »Mocca-Fix Silber« ist die Nachfrage stärker auf die Sorten »Rondo« und »Mona« konzentriert; zeitweise tritt eine Verknappung dieses Sortiments auf.)
In der Argumentation der Bevölkerung wird vielfach betont, die Sparmaßnahmen seien nicht richtig durchdacht, da sie sich nur gegen den »kleinen Mann« richteten. In den Arbeitergaststätten werde nur noch Mischkaffee angeboten; andere, die in den Interhotels2 verkehren, bekämen weiterhin Kaffee.
Häufig, auch in Anlehnung an »Argumente« westlicher Massenmedien, wird geäußert, diese sich auf die Arbeiter auswirkenden Sparmaßnahmen im Kaffeeverbrauch stünden in keinem Verhältnis zu »Repräsentationskosten auf höherer Ebene«, zur »Einfuhr von teuren Westwagen für Funktionäre«, zur Nutzung von Dienstwagen für private Zwecke usw.
Von Arbeitern wird außerdem wiederholt zum Ausdruck gebracht, der »Sparsamkeitsbeschluss« – soweit er den Arbeiter betreffe – hätte vermieden werden können, wenn die Leistungen in den Betrieben nicht durch ungenügende Arbeitsorganisation, mangelhafte Arbeitsproduktivität und Nichteinhaltung der Arbeitszeit beeinträchtigt würden.
Unterstützt wird vielfach das Argument, dass der Kaffeeverbrauch zu hoch sei und zu gesundheitlichen Schäden führt. In diesem Zusammenhang wird darauf verwiesen, der Kaffeeverbrauch in Veranstaltungen und Büros sei sehr hoch. In Büroräumen behördlicher Einrichtungen sei das Kaffeetrinken eine weitverbreitete Unsitte und hinterließe bei Besuchern keinen günstigen Eindruck.
Es zeichne sich ab, dass mit Reduzierung des Kaffee-Angebots in Kantinen der Bestand an Tauchsiedern in Verwaltungsräumen zunehme, womit gleichzeitig gegen Brandschutzverordnungen verstoßen wird.
Vielfach bemängelt wird in Meinungsäußerungen die bisher für die Bevölkerung nicht ausreichende Information über die festgelegten Maßnahmen. (Ähnlich wie bei anderen Anlässen sei die Informationspolitik unbefriedigend.) Auch von Mitgliedern der SED wird geäußert, durch eine entsprechende Veröffentlichung und sachliche Darlegung der Ursachen und Zusammenhänge hätten viele jetzt auftretende abwertende bis negative Äußerungen vermieden werden können; ein »offenes und ehrliches Verhalten gegenüber den Bürgern« sei bisher immer auf Verständnis gestoßen. So werde jedoch die Antwort auf bestimmte Probleme auf [die] untere Ebene »abgeschoben«. Praktische Auswirkungen bestünden z. B. darin, dass in Gaststätten Bedienungspersonal von den vollkommen überrascht mit Mischkaffee bedienten Kunden beschimpft würde, wodurch das Bedienungspersonal veranlasst werde, entweder mitzuschimpfen oder zu kündigen.
Bei solchen in der Öffentlichkeit geführten »Diskussionen« kommt es teilweise zur Verbreitung von »Argumenten« westlicher Massenmedien, u. a.,
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dies sei »Betrug am Arbeiter«;
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Preiserhöhungen gäbe es nicht nur in der BRD, sondern auch in der DDR, wobei es sich hier um »schleichende Preiserhöhungen« handele;
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von einem Arbeiter-und-Bauern-Staat könne nicht mehr die Rede sein; dem Arbeiter werde nicht einmal mehr eine Tasse Kaffee gegönnt;
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die DDR sei »wirtschaftlich am Ende« und »bis zum Hals verschuldet«. (Einzelfälle)
Gegenwärtig werden von der Bevölkerung in zunehmendem Maße Spekulationen angestellt, ob, wann und in welchem Umfang die Preise für Kakaoerzeugnisse, Tabakwaren, Spirituosen und Benzin erhöht werden. (Entsprechende Maßnahmen in der Kakao- und Schokoladenverarbeitung werden ab September 1977 wirksam.)3