Vorfälle an der Grenze zu Westberlin (Januar bis Juni 1977)
[ohne Datum]
Information Nr. 523/77 über den Umfang und Charakter der von Westberlin aus erfolgten Anschläge gegen die Staatsgrenze der DDR im 1. Halbjahr 1977
Nach dem MfS vorliegenden Informationen wurden von Westberlin aus im 1. Halbjahr 1977 in insgesamt 1 362 Fällen, woran 3 084 Personen beteiligt waren, provokatorische Anschläge und Angriffe gegen die Staatsgrenze der DDR, die zu ihrem Schutz eingesetzten Grenzsicherungskräfte, die Anlagen und Einrichtungen der Grenzsicherung, zivile – in Grenznähe wohnhafte – Personen, Wohnhäuser sowie betriebliche Anlagen und Gebäude verübt. Im Verhältnis zum gleichen Zeitraum des Vorjahres (1 459 Fälle mit 2 134 Personen) ist ein Rückgang um 6,7 % festzustellen, jedoch hat sich die Anzahl der daran beteiligten Personen um 44,5 % erhöht.
Festzustellen ist zugleich eine zunehmende Tendenz der Gefährlichkeit der gegen die Staatsgrenze der DDR gerichteten Angriffe und verübten Anschläge.
So sind z. B. im 1. Halbjahr 1977
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provokatorische Brandlegungen an der Staatsgrenze sowie das Überwerfen von mit brennbaren Flüssigkeiten gefüllten Behältnissen über die Grenzsicherungsanlagen der DDR um 167 %,
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das mit einem rechtswidrigen Eindringen in das Territorium der DDR verbundene gewaltsame Zerstören und Beschädigen der Grenzsicherungsanlagen der DDR mit zum Teil erheblichen Sachschäden um 40 %,
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das unter Verwendung von Luftdruckwaffen und Wurfgeräten erfolgte Zertrümmern von Fensterscheiben und Beschädigen von Gebäudeteilen und Einrichtungen an und in Wohnhäusern von DDR-Bürgern, bei denen im erheblichen Maße Menschenleben gefährdet wurden, um 101 %
angestiegen.
Bei den im 1. Halbjahr 1977 von Westberlin aus gegen die Staatsgrenze der DDR verübten provokatorischen Anschlägen und Angriffen handelte es sich im Wesentlichen um
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das Beschießen von Grenzsicherungskräften und des Territoriums der DDR aus Leuchtpistolen und Luftdruckwaffen bzw. das Bedrohen von Grenzsicherungskräften der DDR mit Handfeuerwaffen (17 Fälle/25 Personen);
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das gewaltsame Zerstören bzw. Beschädigen von Grenzsicherungsanlagen mittels Werkzeugen oder anderen Gegenständen (42 Fälle/41 Personen);
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das provokatorische Legen von Bränden an der Staatsgrenze der DDR und das Werfen von mit brennbaren Flüssigkeiten gefüllten Behältnissen über die Grenzsicherungsanlagen (16/25 Personen);
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das Beschießen aus Luftdruckwaffen und Bewerfen mittels Wurfgeräten von Gebäuden und Einrichtungen von in unmittelbarer Grenznähe wohnhaften Bürgern der DDR, wodurch Leben und Gesundheit von Menschen erheblich gefährdet und hohe Sachschäden verursacht wurden (362 Fälle/702 Personen);
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das rechtswidrige Eindringen von Angehörigen der Westberliner Polizei, des Westberliner Grenzzolldienstes sowie der in Westberlin stationierten Besatzungstruppen der USA, Großbritanniens und Frankreichs in das den Grenzsicherungsanlagen der DDR vorgelagerte Territorium der DDR (282 Fälle/1 030 Personen); in weiteren 643 Fällen drangen insgesamt 1 261 zivile Personen von Westberlin aus gleichfalls widerrechtlich in das den Grenzsicherungsanlagen vorgelagerte Territorium der DDR ein. (Die tatsächliche Anzahl derartiger Grenzverletzungen und der daran beteiligten Personen liegt noch wesentlich höher, da aufgrund fehlender Sichtmöglichkeiten nicht in allen Grenzabschnitten exakte Feststellungen getroffen werden können.);
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das vorsätzliche und rechtswidrige Eindringen von Personen aus Westberlin in das Staatsgebiet der DDR durch Überwinden der Grenzsicherungsanlagen. Im 1. Halbjahr 1977 wurden insgesamt 25 Personen wegen derartiger provokatorischer Handlungen festgenommen und durch die zuständigen Organe der DDR entsprechende Untersuchungen geführt. Zehn dieser Personen wurden nach Abschluss der Untersuchungen zu Freiheitsstrafen und zur Ausweisung verurteilt. In den gerichtlichen Hauptverhandlungen wurde nachgewiesen, dass die Täter, die überwiegend unter Einfluss von Alkohol handelten, vorsätzlich in das Staatsgebiet der DDR eingedrungen waren.
In einer Vielzahl weiterer Fälle wurden von Westberlin aus Angehörige der Grenzsicherungskräfte der DDR beleidigt und beschimpft sowie gegen die Maßnahmen der DDR zum Schutz und zur Sicherheit der Staatsgrenze gehetzt.
In einer Reihe von Fällen erfolgten die provokatorischen Handlungen gegen die Staatsgrenze und Grenzsicherungskräfte der DDR in Anwesenheit von Angehörigen der Westberliner Polizei bzw. des Grenzzolldienstes oder wurden durch diese beobachtet, ohne dass sie gegen derartige Machenschaften einschritten.
Die Duldung von Anschlägen auf die Staatsgrenze und die Grenzsicherungskräfte der DDR und die Negierung der Verantwortung des Senats von Westberlin für die Gewährleistung von Ruhe, Ordnung und Sicherheit auf Westberliner Gebiet an der Staatsgrenze zur DDR wird auch dadurch charakterisiert, dass im 1. Halbjahr 1977 eine große Anzahl von Jugendlichen und Kindern aus Westberlin das unmittelbar den Grenzsicherungsanlagen vorgelagerte Territorium der DDR zu Spiel- und Tummelplätzen machten, selbst Handlungen gegen die Staatsgrenze, die Grenzsicherungsanlagen sowie Wohnhäuser von Bürgern der DDR begingen und materielle Schäden verursachten.
Eine erhebliche Anzahl derartiger Handlungen wurde von Jugendlichen und Kindern begangen, die im Kinderheim »Jagdschloss Glienicke«, Westberlin 39, Königstraße, untergebracht sind. Dieses Kinderheim ist der sogenannten internationalen Begegnungsstätte (IBJG)1 angeschlossen und untersteht direkt dem Senator für Familie, Jugend und Sport.
Im 1. Halbjahr 1977, das trifft auch für vorausgegangene Zeiträume zu, wurden von Westberlin aus insbesondere in den Grenzabschnitten Mahlow-Waldblick, Kreis Zossen, Glienicke-Nordbahn, Kreis Oranienburg, Am Sandkrug, Klein-Glienicke, Kreis Potsdam, Am Böttcherberg, überwiegend durch jugendliche Personen fortgesetzt und mit hoher Intensität Grenzsicherungskräfte und zivile Bürger der DDR bedroht und beschimpft, Grenzsicherungsanlagen gewaltsam beschädigt und zerstört, Wohnhäuser von Bürgern der DDR aus Luftdruckwaffen und mit Steinen und anderen Gegenständen beworfen und Sachschäden verursacht sowie Brände an der Staatsgrenze der DDR gelegt. (Ausgewählte Beispiele von Anschlägen auf die Staatsgrenze der DDR gehen aus der Anlage 1 hervor.)
Auch seit Beginn des 2. Halbjahres 1977 setzen sich die von Westberlin aus gegen die Staatsgrenze der DDR gerichteten provokatorischen Angriffe und Anschläge unvermindert fort.
Entsprechend den von den zuständigen Organen der DDR getroffenen Feststellungen wurden im Monat Juli 1977 von Westberlin aus in weiteren 349 Fällen mit 781 daran beteiligten Personen provokatorische Anschläge und Angriffe auf die Staatsgrenze der DDR verübt. (Gleicher Zeitraum des Vorjahres 165 Fälle/555 Personen)
Im Zusammenhang mit diesen fortgesetzten Anschlägen und Angriffen gegen die Staatsgrenze der DDR wurde durch den Beauftragten der Regierung der DDR, Genossen Dr. Mitdank, während der Gespräche mit dem Beauftragten des Westberliner Senats, Kunze, – so auch während der letzten Gespräche am 17.2.1977, 15.3.1977 und 25.4.1977 – nachdrücklich Protest erhoben und die Einleitung geeigneter und wirksamer Maßnahmen zur Unterbindung derartiger, die Ordnung und Sicherheit an der Staatsgrenze gefährdender Handlungen gefordert.
Die geschilderte Entwicklung lässt erkennen, dass der Senat von Westberlin bisher keine konkreten Schritte unternommen hat, weder hinsichtlich der vorbeugenden Verhinderung von Angriffen und Anschlägen auf die Staatsgrenze der DDR noch zur Unterbindung und Ahndung ihm bekannt gewordener Anschläge. Diese Haltung des Senats ermuntert immer weitere Elemente in Westberlin, Angriffe und Anschläge auf die Staatsgrenze der DDR zu verüben und damit zu versuchen, ständig einen Zustand permanenter Spannung und Unsicherheit aufrechtzuerhalten.
Im Zusammenhang mit den gegenüber dem Westberliner Senat erhobenen Protesten wurde am 17.3.1977 in der Tagespresse der DDR gegen die von Westberlin aus gegen die Staatsgrenze der DDR verübten ständigen Anschläge und Angriffe Stellung genommen.2
Über die Festnahme von 25 Einwohnern von Westberlin, die rechtswidrig in das Territorium der DDR eingedrungen waren, wurden seitens des Ministeriums für Nationale Verteidigung jeweils Publikationen in der Tagespresse der DDR veranlasst.
Anlage zur Information Nr. 523/77
Ausgewählte Beispiele von Anschlägen gegen die Staatsgrenze der DDR
Am 29.4.1977, gegen 18.10 Uhr und 19.30 Uhr, wurden von Westberlin aus in Groß-Ziethen, Kreis Königs Wusterhausen, Karl-Marx-Straße, durch zwei Jugendliche nach rechtswidrigem Eindringen in das Territorium der DDR Grenzsicherungsanlagen gewaltsam beschädigt. Darüber hinaus warfen die gleichen Jugendlichen in der Zeit von 18.00 Uhr bis 18.30 Uhr Unrat über die Grenzsicherungsanlagen auf das Territorium der DDR.
Am 1.5.1977, gegen 16.10 Uhr, wurden von Westberlin-Kreuzberg, Sebastianstraße 7, aus in Berlin-Mitte, Sebastianstraße, durch eine männliche Person (ca. 25–30 Jahre) in provokatorischer Absicht 15 Feuerwerkskörper gezündet und über die Grenzsicherungsanlagen geworfen.
Am 1.5.1977, gegen 21.35 Uhr, wurden von Westberlin aus in Mahlow, Kreis Zossen, durch unerkannt gebliebene Täter zwei Feuerwerkskörper gezündet und über die Grenzsicherungsanlagen geworfen.
Am 7.5.1977, gegen 20.30 Uhr, wurden von Westberlin aus in Glienicke-Nordbahn, Kreis Oranienburg, Am Sandkrug, durch unerkannt gebliebene Täter Grenzsicherungskräfte der DDR und Grenzsicherungsanlagen aus einer Luftdruckwaffe beschossen und dadurch Menschenleben gefährdet.
Am 8.5.1977, gegen 16.30 Uhr und 19.25 Uhr, wurden von Westberlin aus in Berlin-Prenzlauer Berg, Eberswalder Straße, und Berlin-Mitte, Swinemünder Straße, durch zwei männliche Personen (ca. 19 Jahre) mehrere mit einer brennbaren Flüssigkeit gefüllte Flaschen in Brand gesetzt und über die Grenzsicherungsanlagen geworfen.
Am 10.5.1977, in der Zeit von 15.00 Uhr bis 16.30 Uhr, wurden von Westberlin aus in Glienicke-Nordbahn, Kreis Oranienburg, Oranienburger Chaussee Nr. 25 und 26, durch unerkannt gebliebene Täter zwei Wohnhäuser von Bürgern der DDR mit Steinen beworfen, wodurch mehrere Fensterscheiben zertrümmert wurden.
Am 19.5.1977, gegen 7.30 Uhr, wurde von Westberlin aus in Klein-Glienicke, Kreis Potsdam, Am Böttcherberg Nr. 10, durch unerkannt gebliebene Täter das Wohnhaus eines Bürgers der DDR unter Verwendung eines Wurfgerätes mit Steinen beworfen, wodurch Fensterscheiben zertrümmert wurden.
Am 21.5.1977, gegen 18.00 Uhr, wurde von Westberlin-Frohnau, Burgfrauenstraße 101, aus in Glienicke-Nordbahn, Kreis Oranienburg, Am Sandkrug Nr. 29 a, durch zwei Jugendliche (Alter ca. 18–20 Jahre) das Wohnhaus eines Bürgers der DDR aus einer Luftdruckwaffe beschossen, wodurch mehrere Fenster zerstört wurden.
Am 27.5.1977, in der Zeit von 14.35 Uhr bis 15.00 Uhr, wurden von Westberlin aus in Birkholz, Kreis Zossen, Wolziger Zeile, durch unerkannt gebliebene Täter nach rechtswidrigem Eindringen in das Territorium der DDR Grenzsicherungsanlagen gewaltsam beschädigt.
Am 5.6.1977, gegen 22.10 Uhr, wurde von Westberlin-Lichtenrade aus in Mahlow-Waldblick, Kreis Zossen, Lichtenrader Straße, durch unerkannt gebliebene Täter ein mit einer brennbaren Flüssigkeit gefüllter Kanister in Brand gesetzt und über die Grenzsicherungsanlagen geworfen.
Am 17.6.1977, gegen 16.30 Uhr, wurde von Westberlin aus in Klein-Glienicke, Kreis Potsdam, Am Böttcherberg, durch zwei männliche Personen das Wohnhaus eines Bürgers der DDR mit Steinen beworfen und Sachschaden durch Zertrümmern von Fensterscheiben verursacht. Am gleichen Tag wurden in der Zeit von 16.30 Uhr bis 17.15 Uhr von Westberlin aus in Klein-Glienicke, Am Böttcherberg und Louis-Nathan-Straße, durch unerkannt gebliebene Täter eine große Anzahl Steine gegen Wohnhäuser von DDR-Bürgern geworfen, wodurch erheblicher Sachschaden an Gebäuden und Einrichtungen entstand.
Am 1.7.1977, gegen 18.20 Uhr, wurden von Westberlin aus in Mahlow, Kreis Zossen, durch einen Jugendlichen (ca. 14–16 Jahre), nach rechtswidrigem Eindringen in das Territorium der DDR, die Grenzsicherungsanlagen gewaltsam beschädigt.
Am 3.7.1977, gegen 11.10 Uhr, wurden von Westberlin aus in Berlin-Pankow, Nordgrabenbrücke, durch eine männliche Person (ca. 30 Jahre) aus der 6. Etage eines Wohnhauses aus einer mit einem Zielfernrohr versehenen Luftdruckwaffe mehrfach Grenzsicherungskräfte der DDR beschossen, wobei ein Kraftfahrzeug getroffen und Menschenleben ernsthaft gefährdet wurden.
Am 4.7.1977, in der Zeit von 19.30 Uhr bis 20.00 Uhr, wurden von Westberlin aus die Wohnhäuser von Bürgern der DDR in Berlin-Prenzlauer Berg, Schwedter/Kopenhagener Straße, durch drei Jugendliche (ca. 14 Jahre) unter Verwendung eines Wurfgerätes mehrfach mit Steinen beworfen, wodurch die Bewohner ernsthaft gefährdet, Fensterscheiben zerstört und weitere Sachschäden verursacht wurden.
Am 6.7.1977, in der Zeit von 17.55 Uhr bis 18.55 Uhr, wurden von Westberlin aus in Klein-Glienicke, Kreis Potsdam, Am Böttcherberg, durch unerkannt gebliebene Täter in mehreren Fällen Wohnhäuser von Bürgern der DDR mit Steinen und Glaskugeln beworfen, wodurch mehrere Fensterscheiben zertrümmert wurden.