Westdeutsche Pressemeldungen zum übergesiedelten Lehrer Nitsche (1)
2. April 1977
Information Nr. 207/77 über erste Überprüfungsergebnisse zu den in der Westpresse erfolgten Veröffentlichungen über Dr. Nitsche
Im Ergebnis der ersten Überprüfungen des MfS zu den Veröffentlichungen in der Westpresse wurde bekannt, dass es sich dabei um Dr. phil. Nitsche, Hellmuth, geb. am [Tag] 1925, wohnhaft: 102 Berlin, [Adresse], Beruf: Hochschullehrer, zzt. ohne Arbeitsrechtsverhältnis, und seine Ehefrau Nitsche, Ursula, geb. am [Tag] 1944, wohnhaft: wie oben, Beruf: Lehrerin, zzt. ohne Arbeitsrechtsverhältnis handelt.1
Beide waren hauptsächlich als Lehrkräfte im Fach- bzw. Grundschulbereich tätig. Zuletzt war Dr. Nitsche an der Fachschule für Ökonomie Rodewisch – Außenstelle Berlin, seine Ehefrau in der 12. Oberschule Berlin-Mitte tätig. (Dr. Nitsche war von 1973 bis 76 Parteisekretär an dieser Außenstelle.)
Nach der Stellung von insgesamt sechs Anträgen auf Ausreise in die BRD im 2. Halbjahr 1976 wurden die Arbeitsrechtsverhältnisse gelöst. In den Anträgen bringen Nitsche und seine Frau zum Ausdruck, dass sie in der DDR jahrelang beruflich und politisch diskriminiert wurden und zu der Erkenntnis gelangt seien, dass ihnen in diesem Staat niemals Recht widerfahren werde.
Mit Dr. Nitsche wurden im Zusammenhang mit seiner Antragstellung mehrere Aussprachen im ZK der SED, Abteilung Wissenschaften, und vor der ZPKK geführt (Juni 1976).
Dr. Nitsche und seine Ehefrau befanden sich in zurückliegenden Jahren im Auftrag des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen mehrfach im Auslandseinsatz – darunter in China, Ägypten und Ungarn. 1965 war ihm im Zusammenhang mit seinem Auslandseinsatz zur »Erhöhung des Ansehens der DDR im Ausland« eine außerplanmäßige Professur übertragen worden – von ihm schriftlich bestätigt, dass sie nur für die Zeit des Auslandseinsatzes gilt. Deshalb nach Beendigung des Auslandseinsatzes Aufhebung der Berufung. Juni 1976 Brief an Genossen Generalsekretär: Forderung nach Wiedererlangung der Professur und nach Rehabilitierung. Aussprache dazu im ZK im August 1976 – Widerlegung seiner Forderungen.
Der erwähnte Brief an den Präsidenten der USA2 trägt verleumderischen Charakter. Tenor des Inhaltes:
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Stellt Carter als »Vorbild« heraus und beklagt sich über die »Verletzung der Menschenrechte« und »Knebelung der Freiheit … in den kommunistisch regierten Ländern«,
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Gibt sein »Schicksal« entstellt wieder, verbunden mit Hetze gegen Politik der DDR und der Mitteilung seiner Antragstellung auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR und Übersiedlung.
MfS zuverlässig bekannt – äußerste Quellengefährdung! –, dass Organisationen der BRD und Westberlins mehrere von N. verfasste und illegal ausgeschleuste Materialien (ca. 130 Seiten) vorliegen, in denen er (meistens »philosophisch« verbrämt)
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gegen den Sozialismus, gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung hetzt,
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die sozialistischen Staaten verleumdet, Freiheit, Recht, Menschlichkeit zu unterdrücken,
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die DDR des Machtmissbrauchs, des Verfassungsbruchs, der Nichteinhaltung der Schlussakte von Helsinki, anderer völkerrechtlicher Verträge und Vereinbarungen beschuldigt,
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zur »demokratischen Umgestaltung« des Sozialismus, zum Zusammenschluss der dieses Ziel verfolgenden Kräfte aufruft (u. a. m.).
Dieses Material wird gegenwärtig einer konkreten Prüfung und strafrechtlichen Einschätzung unterzogen.
Das Verhalten von Nitsche ist von maßloser Selbstüberschätzung und übersteigertem Geltungsbedürfnis geprägt. Er tritt sehr demagogisch auf, was sich auch in den von ihm verfassten Materialien widerspiegelt und in den mit ihm geführten Aussprachen zeigte.
Es ist einzuschätzen, dass Nitsche auf verfestigten feindlich-negativen Positionen steht und offenkundig auch bereit ist, alle Möglichkeiten von Organen der BRD und Westberlins gegen die DDR auszunutzen.
Vom MfS werden gegenwärtig weitere Überprüfungen zur Aufklärung aller Zusammenhänge geführt und wird auf der Grundlage dieser Ergebnisse ein Vorschlag zum weiteren Vorgehen unterbreitet.