Meinungen kirchlicher Würdenträger des Vatikans zur Situation in Polen
9. Februar 1981
Information Nr. 74/81 über Meinungen kirchlicher Würdenträger des Vatikans zur Situation in der VR Polen und zu weiteren internen Problemen
Dem MfS wurden streng vertraulich einige Hinweise über Äußerungen hoher kirchlicher Würdenträger des Vatikans im internen Kreis zur Situation in der VR Polen und zu anderen internen Problemen bekannt.1
Zur Situation in der VR Polen hätten z. B. Erzbischof Pangrazio2 (Kurienbischof, Leiter des vatikanischen Dienstes), Erzbischof Silvestrini3 (»Außenminister« des Vatikans) und Bischof Bonicelli4 (Bischof von Albano) und andere eingeschätzt, die gegenwärtig in Polen bestehenden großen ökonomischen Schwierigkeiten könnten nur in enger Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche gelöst werden.
In der Kurie5 werde die Meinung vertreten, durch eine enge Kooperation des polnischen Staates mit der Polnischen Bischofskonferenz könnten die Arbeiter wieder zur Arbeit gebracht werden. Gemeinsam könnte man auch gegen anarchistische Gruppen in den Gewerkschaften vorgehen. Eine Lösung der Probleme durch die Polen selbst würde auch Kreisen im Vatikan nutzen, die im Gegensatz zum Papst nicht »auf bestimmte Tendenzen der USA-Politik« einzugehen bereit seien.
Erzbischof Pangrazio habe betont, zur Klärung der tiefgreifenden ökonomischen Probleme Polens seien vor allem zwei Aufgaben zu lösen: Erstens müsse die Regierung sichern, dass die Arbeiter mehr und besser arbeiten [und] zweitens sei dringend die Bildung einer Gewerkschaft der Bauern zu verhindern, da eine weitere Schwächung der Landwirtschaft Polens »zur endgültigen Katastrophe« führen würde. In beiden Fragen mache sich dringend eine enge Kooperation zwischen Staat und Kirche erforderlich. Alle Fragen, die durch die Kirche im Zusammenhang mit den Aktionen der Arbeiter aufgeworfen worden seien, hätten die Existenz des Staates nicht in Gefahr gebracht. Die von den Gewerkschaften jedoch immer wieder neu organisierten Streiks führten Polen in ein Chaos.6
Zum Problem der Religionsfreiheit und der Kirchenpolitik in Polen sei von leitenden Kurienmitgliedern, u. a. von Kardinalstaatssekretär Casaroli,7 eingeschätzt worden, die polnische Regierung habe jetzt auch in dieser Hinsicht Fehler zu korrigieren, die sie in den letzten 30 Jahren selbst verschuldete. In anderen sozialistischen Staaten sei eine weit günstigere Variante der Trennung von Staat und Kirche gefunden worden.
Kardinal Wyszyński8 habe bei seinen Aufenthalten in Rom wiederholt betont, der Staat habe bis jetzt auf die Forderungen der Kirche noch nicht reagiert. Diese Forderungen seien solcher Art, wie sie in anderen sozialistischen Staaten schon seit Jahren geklärt wären. Besonders die Fragen der religiösen Erziehung der Kinder, des Zugangs zu den Massenmedien und die erweiterte Herausgabe eigener Publikationen seien z. B. in der DDR zur Zufriedenheit beider Seiten gelöst.9
Von Würdenträgern des Vatikans werde erwartet, dass die »Religionskommission« Polens, bestehend aus Vertretern von Staat und Kirche, die Probleme lösen werde und sich die Polnische Bischofskonferenz bei annehmbaren Angeboten seitens des Staates aktiv für die Konsolidierung der Wirtschaft einsetze.
Von Erzbischof Pangrazio und anderen sei in diesem Zusammenhang »die besondere Verantwortung« der Polnischen Bischofskonferenz hervorgehoben worden, die »als einzige« genau die Situation einschätzen und lösen könne. Dabei sei von Kardinal Wyszyński die größte Arbeit zu leisten.10
Bei seinen Besuchen in Rom habe Wyszyński dem Papst gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass er wie jeder andere Vorsitzende einer Bischofskonferenz weiterhin Berichte zur aktuellen Situation im Lande an den Vatikan sende. Er habe gleichzeitig darum ersucht, dass eine eventuelle »Einmischung« des Papstes in die Angelegenheiten der Polnischen Bischofskonferenz unterbleibe;11 der Papst sei nach den Ereignissen des Sommers 198012 nicht mehr in der Lage, die Situation in der VR Polen einzuschätzen.
Zum Teil heftige Diskussionen habe der Besuch Wałęsas in Italien unter vielen Würdenträgern des Vatikans ausgelöst.13
Viele Kurienbischöfe hätten die Frage gestellt, wieso sich der Papst an einer Aktion beteilige, die ursprünglich von den großen italienischen Gewerkschaften organisiert worden sei (bezogen auf die Einladung Wałęsas durch die Gewerkschaften); es sei unverständlich, dass sich der Papst mit diesen Kräften verständigte, da zwischen dem Vatikan und den italienischen Gewerkschaften die Beziehungen bisher unbefriedigend gewesen seien.
Unter Würdenträgern des Vatikans sei in letzter Zeit unterschwellig ein Nichteinverständnis mit dem Vorgehen des Papstes in mehrerer Hinsicht zu erkennen.
Erzbischof Pangrazio habe z. B. in einem vertraulichen Gespräch betont, es sei eine »Kluft« zwischen dem Papst und vielen Kurienkardinälen auch in der Einstellung zur Situation in Polen entstanden.
Z. B. sei der Empfang Wałęsas bei seiner Ankunft in Italien durch einen Erzbischof des Päpstlichen Staatssekretariats unüblich. (Beim Empfang Wałęsas seien der Weihbischof Szcepan Wesoly/Rom und auch der Erzbischof Giovanni Coppa vom Päpstlichen Staatssekretariat zugegen gewesen.) Die Begrüßung durch Wesoly sei üblich; einen Vertreter aus dem Staatssekretariat zu entsenden werde jedoch sonst nur bei höchstem Staatsbesuch praktiziert.
Von vielen Kurienmitgliedern werde die Kranzniederlegung auf dem Friedhof in Monte Cassino als eine »empörende Aktion« Wałęsas angesehen. Erzbischof Pangrazio z. B. habe geäußert, Wałęsa habe aufgrund seines Alters keine Bindung zu diesen Kämpfern gegen den Faschismus. Wałęsa habe nicht beachtet, dass dort Soldaten verschiedener Nationen gegen die Faschisten gekämpft hätten, die, wenn man schon eine Ehrung vornimmt, gemeinsam gewürdigt werden müssten. »Ohne jedes Gefühl für Takt« hätte Wałęsa jedoch nur der polnischen Opfer gedacht und damit eigentlich seine Gastgeber beleidigt.14
Kurienmitglieder hätten hervorgehoben, die Person Wałęsa15 werde zwar von den Massenmedien »public gemacht«, persönlich sei er jedoch ein »Niemand«. Es zeige sich immer deutlicher, dass es ihm »an Kultur und Bildung fehle«. Seine eigenen Aussagen, seine Ehefrau sei intelligenter als er, könnten nur bestätigt werden.
Zachorski16 (leitender Exilpole in Rom) habe Würdenträger in ihrer Ansicht bestärkt, Wałęsa sei nicht die Person, die eine wirkliche Veränderung in Polen herbeiführen könne, da seine Vorstellungen »primitiv« wären und die Kräfte, die ihn unterstützten, untereinander sich nicht einig seien.
Unter Würdenträgern des Vatikans sei betont worden, der Papst selbst habe nur sehr kurze Zeit mit Wałęsa unter vier Augen gesprochen,17 seine Beauftragten seien jedoch ständig im engsten Kontakt mit ihm gewesen. Gleichzeitig hätten viele Kräfte aus Westeuropa und aus den USA die Möglichkeit gehabt, Wałęsa persönlich kennenzulernen. So seien mögliche Reaktionen Wałęsas in Polen nicht nur auf den Kontakt mit der Kirche zurückzuführen; es gelte abzuwarten, welche Schlussfolgerungen seitens des Vatikans für die Unterstützung der polnischen Gewerkschaften gezogen würden.
Die Ostpolitik des Vatikans18 sei nach Ansicht von führenden Würdenträgern des Vatikans gegenwärtig vor allem durch die Ereignisse in Polen überschattet. Einige Kardinäle und Bischöfe vertreten die Auffassung, das Überbetonen des polnischen Problems durch den Papst könne zu einem Hemmnis in der Ostpolitik werden.19
Streng vertraulich wurden einige Meinungen aus dem internen Kreis des Vatikans zur inneren Situation im Vatikan bekannt.
Es zeichne sich ab, dass Papst Johannes Paul II. in der Kurie noch nicht ausreichend Vertrauen besitze. Durch seine starke Reisetätigkeit seien seine notwendigen Aktivitäten in der Kurie stark eingeschränkt.20
Er habe 1980 zweimal ungewohnte scharfe, z. T. unsachliche Angriffe gegen seine eigenen Mitarbeiter gerichtet und sich dadurch weiteren Unwillen zugezogen. In privaten Gesprächen mit verschiedenen Bischöfen sei er so weit gegangen, dass er von »Faulenzern« und »Nichtstuern« gesprochen habe, die nicht imstande seien, verständliche Berichte zu schreiben und zu kommentieren. Die Arbeitsweise des Papstes, sein praktizierter Arbeitsstil sowie »seine besondere Vorliebe für polnische Angelegenheiten« hätten selbst führende Würdenträger verunsichert.
Darüber hinaus hätten sich Mitglieder des vatikanischen Klerus besorgt dahingehend geäußert, dass es keine Orientierung auf langfristige Arbeit gebe; teilweise führe das zur »Ratlosigkeit«.
In letzter Zeit habe sich das Verhältnis des Papstes zu Kardinalssekretär Casaroli verändert. Casaroli wäre nur noch bei wichtigen religiösen Angelegenheiten, bei denen seine Anwesenheit unbedingt erforderlich sei, beim Papst anzutreffen. Einige leitende Würdenträger äußerten intern, Casaroli wolle sich nicht »mit den vielen unpassenden Äußerungen« des Papstes identifizieren; er sei »ein Mann aus der alten vatikanischen Schule«.
Im Vatikan würden zwei Hauptgruppen immer deutlicher: erstens die alten, traditionellen, auf Sicherung des Erreichten und Langfristigkeit aller Entscheidungen ausgerichteten Bischöfe und Kardinäle und zweitens die »egal zu welchem Zwecke Veränderer«. Dem Einfluss von Casaroli und anderen sei es zu danken, dass es bisher nicht zu offenem Streit gekommen sei.
Vertraulich äußerten einige Würdenträger aus dem Vatikan, der Papst habe »große Probleme« mit der italienischen Bischofskonferenz. Der Einsatz von Bischof Ballestrero21 als Vorsitzender der Bischofskonferenz durch den Papst habe ihm viele Feinde gebracht, da eine große Anzahl hoher Geistlicher mit dieser Entscheidung nicht einverstanden sei.
Internen Meinungsäußerungen aus der Kurie zur Reise des Papstes in die BRD sei zu entnehmen, dass sie als »reine Pilgerreise« eingeschätzt werde. Vatikanische Kreise hätten zwar vermerkt, dass Bischöfe der BRD deutlich gemacht haben, sie seien nicht an Veränderungen des gegenwärtigen kirchlichen Status in Europa interessiert. Es hätte aber seitens des Papstes keine Zugeständnisse oder Versprechungen an die BRD-Bischöfe gegeben.
Weiter sei in einflussreichen Kreisen des Vatikans intern festgestellt worden, dass sich die Beziehungen zwischen dem Vatikan und der DDR nicht verschlechtert hätten. Die Lösung der Hauptfrage sei für die DDR zwar »nicht abgesagt«, jedoch wären noch keine neuen Aktivitäten entwickelt worden.22
Ein »allmähliches Auseinanderwachsen« der Teile der Bistümer der BRD, die heute in der DDR liegen, könne jetzt schon fortschreitend festgestellt werden.23 Auch hätten die neuen Weihbischöfe der DDR keine persönlichen Bindungen mehr an das Bistum der BRD. Diese Prozesse würden jedoch sehr langsam verlaufen. Mögliche neue Aktivitäten könnten erst nach dem Durchdenken des Berichtes über das Gespräch Honecker – Schaffran24 in Angriff genommen werden.25
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