Reaktionen zum Rundgang der Partei- u. Staatsführung auf Frühjahrsmesse
15. März 1982
Erste Reaktionen westlicher Messevertreter im Zusammenhang mit dem Rundgang der Partei- und Staatsführung der DDR anlässlich der Leipziger Frühjahrsmesse 1982 [O/106]
Der Rundgang der Partei- und Staatsführung fand bei den Ausstellern aus den kapitalistischen Industrieländern und den Entwicklungsländern, insbesondere vor dem politischen Hintergrund der weiteren Verschärfung des Konfrontationskurses durch die Reagan-Administration1 und aufgrund des Umstandes, dass die Leipziger Frühjahrsmesse 19822 die erste Veranstaltung solcher Art in einem sozialistischen Land nach der Verkündung der Boykottpolitik gegenüber der UdSSR u. a. sozialistischen Ländern durch die USA-Regierung3 darstellt, starke Beachtung.
Die Konzernvertreter aus der BRD brachten den Äußerungen des Genossen Erich Honecker4 bezüglich der Haltung der DDR zur weiteren Entwicklung des Handels zwischen beiden deutschen Staaten unter Berücksichtigung der gegenwärtig gegenüber den sozialistischen Staaten verstärkt angewandten Restriktions- und Embargomaßnahmen besondere Aufmerksamkeit entgegen.
Unter diesem Aspekt wird auch der Besuch der Partei- und Staatsführung auf dem Messestand des BRD-Konzerns Otto Wolff AG5 gesehen.
Genugtuung brachten Firmenvertreter über die außerhalb des offiziellen Messerundganges erfolgten kurzen Besuche ihrer Messestände und die dabei herrschende gute Atmosphäre zum Ausdruck.
Hervorgehoben wurde die Anwesenheit des Genossen Honecker sowie führender Mitglieder des Politbüros des ZK der SED und des Ministerrates der DDR an der festlichen Veranstaltung am Vorabend der Eröffnung der Leipziger Frühjahrsmesse 1982. Damit habe die DDR sichtbar Maßstäbe auch für die außerordentliche politische Bedeutung der Leipziger Frühjahrsmesse gesetzt.
Das Interesse der anwesenden BRD-Vertreter galt insbesondere dem Besuch der Partei- und Staatsführung auf dem Stand der Firma Otto Wolff AG.
Nach Beendigung des Messebesuches bei der Otto Wolff AG durch die Partei- und Staatsführung bemühten sich ca. 30 Journalisten der BRD-Presse und des BRD-Rundfunks um konkrete Auskünfte und Stellungnahmen leitender Mitarbeiter der BRD-Firma. Für die Journalisten wurde das vom BRD-Fernsehen aufgezeichnete Gespräch abgespielt. Wertungen der geführten Gespräche nahm von Amerongen6 gegenüber den Journalisten nicht vor.
Im internen Kreis brachten die leitenden Konzernvertreter der Otto Wolff AG über den Besuch der Partei- und Staatsführung ihre Zufriedenheit vor allem über die aufgeschlossene Atmosphäre zum Ausdruck. Von Amerongen hob hervor, dass die gesamte Entwicklung des Handels und auch die Entwicklung der Beziehungen der Otto-Wolff-Gruppe mit der DDR der Beweis dafür wäre, dass auch in »schlechten Zeiten« Positives möglich sei, vorausgesetzt, beide Seiten würden dafür aktiv eintreten. Wenn die Leipziger Frühjahrsmesse trotz der Konfrontationspolitik der USA-Regierung in einer positiven Atmosphäre beginne, dann vor allem auch deshalb, weil es die BRD-Seite vermeide, auf Konfrontationskurs zu gehen.
Unter Berücksichtigung politischer und ökonomischer Interessen der BRD komme es vielmehr darauf an, mit der DDR weiterhin gute Geschäfte abzuschließen.
Des Weiteren äußerte von Amerongen intern, dass ihm die Anwesenheit der CDU-Politiker Breuel,7 Wirtschaftsministerin von Niedersachsen, und Kiep,8 stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU, während des Besuches der Partei- und Staatsführung unangenehm gewesen sei. (Kiep habe sich vor zwei Tagen selbst eingeladen, während er Birgit Breuel, eine entfernte Verwandte von ihm, zu einem Glas Sekt, jedoch nicht zum offiziellen Empfang des Genossen Honecker geladen habe.)
Unter diesen Umständen habe von Amerongen auch die Oberbürgermeister der Freien Hansestädte von Hamburg, von Dohnanyi,9 und Bremen, Koschnick,10 einladen müssen. Aus diesen Überlegungen heraus habe er Birgit Breuel und Leisler Kiep dem Generalsekretär als seine »Privatgäste« vorgestellt, um beiden Persönlichkeiten keinen offiziellen Status zu geben.
Es wird eingeschätzt, dass sich die leitenden Mitarbeiter der Otto Wolff AG, insbesondere der Vorstandsvorsitzende, von Amerongen, der Tatsache bewusst sind, dass das Auftreten in Leipzig, die stattgefundenen Gespräche und Begegnungen unter Berücksichtigung der amerikanischen Konfrontationspolitik eindeutig politische Akzente tragen.
In diesem Zusammenhang äußerte der Sonderbeauftragte und Leiter des WB-Büros der Otto Wolff AG, Eckermann,11 dass von Amerongen großen Wert auf Diskretion lege, um zu vermeiden, dass die BRD-Massenmedien eine Verbindung zwischen den politisch akzentuierten Aktivitäten anlässlich der Leipziger Messe und einer eventuell danach folgenden Vergabe des Auftrages Drahtbeize Rothenburg12 herstellen könnten.
Rösch,13 Leiter der Treuhandstelle für Industrie und Handel, zeigte sich vom Rundgang der Partei- und Staatsführung stark beeindruckt, zumal neben den protokollarisch festgelegten Messestandbesuchen und Gesprächen weitere Persönlichkeiten aus der BRD-Wirtschaft begrüßt wurden.
Diese protokollarische Offenheit bei dem Rundgang habe sich wohltuend abgehoben von den Rundgängen der Vergangenheit.
Ausgehend von der Atmosphäre während des Messerundganges sieht Rösch gute Aussichten, anlässlich der diesjährigen Messe erfolgreiche Geschäfte tätigen zu können.
In diesem Zusammenhang äußerte er wörtlich: »Wir halten an den Vereinbarungen und den Absprachen vom Werbellinsee fest,14 trotz der Verschlechterung der internationalen Lage.«
Der Vorsitzende der Deutschen Messe- und Ausstellungs-AG, Hannover, Groth,15 bezeichnete das Auftreten der Mitglieder der Partei- und Staatsführung und die aufgelockerte Atmosphäre während des Rundganges als Ausdruck dafür, dass sich die jahrelangen Bemühungen »gut gesinnter« Geschäftskreise der BRD mit den Kaufleuten der DDR gelohnt hätten. Selbst wenn in einer politisch so bedeutsamen Zeit bestimmte Nuancen des Ex- und Importes heute unter anderen Gesichtspunkten gewertet werden müssten, würden sich weitere Möglichkeiten der Kommunikation zwischen beiden deutschen Staaten ergeben.
Angesichts der 20-jährigen Teilnahme der DDR an der Hannover-Messe 1982 gehe er davon aus, dass eine Delegation der Regierung der DDR diese Messe besuche.
Groth unterstrich die Ausführungen von Amerongens, dass sich die Handelskreise Europas zunehmend von der Reagan-Administration abkehren würden, selbst wenn vonseiten der USA immer neue Formen der Erpressung und Einflussnahme auf die westeuropäischen Industrieländer zu registrieren wären.
Der Vorstandsvorsitzende der Krupp GmbH, Dr. Scheider,16 brachte seine besondere Freude darüber zum Ausdruck, dass Genosse Erich Honecker anlässlich des Rundganges Zeit gefunden habe, mit ihm ein kurzes Gespräch zu führen.
Ein leitender Mitarbeiter der Hoesch AG17 äußerte nach dem Messerundgang, dass bei seinem Unternehmen eine gewisse Enttäuschung zu verzeichnen sei, da die Konzernleitung aufgrund der Kenntnis über den vorgesehenen Aufenthalt der Partei- und Regierungsdelegation bei der Otto Wolff AG mit einem kurzen Standbesuch des Genossen Erich Honecker bei der Hoesch AG außerhalb des Protokolls gerechnet habe.
Aus diesem Grund sei der Vorstandsvorsitzende Rohwedder18 auf dem Stand anwesend gewesen, um mit dem Genossen Erich Honecker ein kurzes, persönliches Gespräch führen zu können.
Man werde diesen Umstand bei der Hoesch AG richtig einzuordnen wissen und daraus entsprechende Schlussfolgerungen für die Weiterführung von Geschäften mit der DDR ziehen.
Der Rundgang der Partei- und Staatsführung in der Halle 16, in der die Mehrzahl der Entwicklungsländer und einige kapitalistische Industrieländer Gemeinschaftsstände unterhalten, verlief außerordentlich erfolgreich. Die Botschafter solcher Länder, wie Mexiko, Mosambik, Angola und Afghanistan äußerten sich sehr befriedigt über die aufgeschlossene Atmosphäre und die Aufmerksamkeit, die die Repräsentanten von Partei und Regierung den Beziehungen zu diesen Ländern entgegenbringen.
Der Präsident der japanischen Firma Kubota,19 Hiro,20 und der Beauftragte der Firma Marubeni,21 Isobe,22 hoben hervor, dass der Besuch der beiden Konzerne durch die Partei- und Staatsführung äußerst positiv aufgenommen worden ist.
(Beide Firmen realisieren in der DDR das Kompensationsvorhaben23 Metallguss Leipzig.)
Es wurde besonders der herzliche Charakter der kurzen Begegnung hervorgehoben, mit dem die gute Atmosphäre des Staatsbesuches in Japan fortgeführt worden sei.24
In den Gesprächen mit Vertretern des französischen Schienenfahrzeugverbandes Norfer erklärte Generaldirektor Bernstein,25 dass Frankreich deshalb zahlenmäßig so stark in Leipzig vertreten sei, weil gerade in international schwierigen politischen und ökonomischen Situationen die Wirtschaftsbeziehungen intensiviert werden müssten, um Kontakte aufrechterhalten bzw. ausbauen und neue Geschäfte vorbereiten zu können.
Unter diesem Gesichtspunkt müsse auch der bevorstehende Besuch des Außenhandelsministers Jobert26 in Leipzig als symbolisches Zeichen der französischen Regierung gesehen werden.
Weiter zu beachten sind in diesem Zusammenhang folgende Äußerungen westlicher Firmenvertreter:
Die Vorstandsmitglieder der Mannesmann-Gruppe, Dr. Mausbach27 und Dr. Weisweiler,28 der Vorstandsvorsitzende der Mannesmann-Demag AG, Prof. Dr. Müller,29 und das Vorstandsmitglied der Mannesmann-Röhrenwerke Dr. Rademacher,30 bezeichneten die langfristige und stabile Gestaltung der Handelsbeziehungen zur UdSSR als Hauptrichtung der gegenwärtigen Marktaktivitäten des Konzerns.
Die in der Vergangenheit durchgeführten Rohrexporte würden auch in den kommenden Jahren weitergeführt.
Der seitens der USA-Regierung geforderte Boykott gegenüber den sozialistischen Ländern, insbesondere die Lieferungen für die Erdgas-Pipeline, finde in der Konzerngruppe keine Beachtung.
Die Leitung des Mannesmann-Unternehmens sei bewusst mit einer solch repräsentativen Besetzung zur Leipziger Frühjahrsmesse 1982 gefahren, um zu demonstrieren, dass an dem Konzept, den »Osthandel« weiter zu fördern, festgehalten werde.
Die Mannesmann-Vertreter erklärten übereinstimmend, auch die Handelsbeziehungen mit der DDR konsequent weiterzuführen. Es bestehe jedoch kein Interesse, mit der metallurgischen Industrie der DDR beim Export von Rohren durch entsprechenden Sortimentsausgleich zusammenzuarbeiten.
Hinsichtlich der Boykottpolitik und der damit verbundenen Embargomaßnahmen gaben die Vorstandsmitglieder der Thyssen AG, Kriwet31 und von Riederer,32 zu verstehen, dass es sich hierbei um »eine Entscheidung von Politikern handele, die vom Vorstand der Thyssen-AG auf keinen Fall geteilt werde«.
Es wurde darauf hingewiesen, dass der Konzern sehr gute Beziehungen zu sowjetischen Außenhandelsunternehmen unterhalte und man bestrebt sei, weitere Geschäftsabschlüsse durchzuführen.
Die gleiche Meinung vertrat ein leitender Mitarbeiter der Hoesch AG. Er äußerte, dass seitens des Hoesch-Konzerns keinerlei Embargo-Maßnahmen gegen die UdSSR vorgesehen wären.