Herbstsynoden der Evangelischen Landeskirchen
14. November 1983
Information Nr. 391/83 über die Herbstsynoden der evangelischen Landeskirchen in Dessau und Greifswald
In der Zeit vom 3. bis 6. November 1983 fanden zwei Herbstsynoden statt:
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Evangelische Landeskirche Anhalts (3. bis 5. November 1983 in Dessau),
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Evangelische Landeskirche Greifswald (3. bis 6. November 1983 in Züssow).
Während dieser Tagungen kam es zu keinen offenen Angriffen gegen die DDR und die sozialistische Gesellschaftsordnung.
Auch die auf beiden Synodaltagungen anwesenden ausländischen ökumenischen Gäste der evangelischen »Partnerkirchen« aus der BRD sowie Vertreter aus Schweden, der Schweiz, der ČSSR und der Volksrepublik Polen trafen in ihren Grußworten keine politisch negativen Aussagen.
Als Vertreter westlicher Massenmedien nahm der BRD-Korrespondent Röder, Hans-Jürgen1 (epd) zeitweilig an der Synode der Evangelischen Landeskirche Anhalts teil.
Mitarbeiter diplomatischer Vertretungen wurden während der Synodaltagungen nicht festgestellt.
Im Mittelpunkt beider Herbstsynoden standen:
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Bericht der Kirchenleitungen und Konsistorien sowie Diskussion zu den Berichten,
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Auswertung der 3. Tagung der IV. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (16. bis 20. September 1983 in Potsdam),2
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Auswertung der 6. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Vancouver (27. Juli bis 10. August 1983),3
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innerkirchliche und theologische Problemkreise.
Im Mittelpunkt der durch Kirchenpräsident Natho4 (Dessau) und Oberkirchenrat Schulze5 (Dessau) vorgetragenen Teile des Berichtes des Landeskirchenrates der Evangelischen Landeskirche Anhalts standen Fragen der kirchlichen Friedensverantwortung sowie Fragen des Verhältnisses Staat – Kirche in der DDR.
Inhaltlich lehnten sich die Berichte grundsätzlich an die kirchen- und gesellschaftspolitische Aussage der Bundessynode 1983 an.6
Kirchenpräsident Natho (Dessau) ging in seinem Bericht von einer gesellschaftsindifferenten Beurteilung der Genfer Verhandlungen7 aus. Seiner Auffassung nach stünden die Christen am Ende einer Epoche, da weder der Kapitalismus noch der Sozialismus fähig seien, die anstehenden Probleme zu lösen.
Natho sprach die Erwartung aus, dass die Friedensbewegung weiter anwächst und zum Zentrum gegen den Rüstungswettlauf werde. In diesem Zusammenhang wertete er das kirchliche Friedensengagement als eine aus »der gemeinsamen Verantwortung von Staat und Kirche für den Frieden« hervorgegangene Friedensbekundung.
Natho verwahrte sich gegen eine Bewertung des kirchlichen Friedensengagements als einer Form der Opposition gegenüber der Politik von Partei und Regierung der DDR und forderte, Verständnis für diejenigen Jugendlichen aufzubringen, die in ihrem Friedensengagement zur Aktion drängen.8
Natho betonte im Namen des Landeskirchenrates die Absicht, die Realisierung des Abschlussdokumentes des KSZE-Nachfolgetreffens Madrid9 kirchlicherseits zu unterstützen. Er forderte vom Staat »mehr sachliche Informationen« über Möglichkeiten des Friedensengagements, um die kirchliche Mitverantwortung bei der Erhaltung und Sicherung des Friedens besser wahrnehmen zu können.
Oberkirchenrat Schulze (Dessau) verlangte in dem von ihm vorgetragenen Teil des Berichtes des Landeskirchenrates, sich kirchlicherseits stärker um Sachgespräche mit zuständigen staatlichen Stellen zu Fragen der Volksbildung und der kommunistischen Erziehung zu bemühen.
Dieses Erfordernis – so betonte er – sei durch die jüngsten »Benachteiligungen« christlich gebundener Elternteile bei Wahlen in die Elternbeiräte und -aktive erneut verdeutlicht worden.
Die größtenteils durch Sachlichkeit getragene Diskussion während der Synodaltagung der Evangelischen Landeskirche Anhalts wurde durch kirchenleitende Amtsträger und progressive Synodalen dahingehend beeinflusst, dass gesellschaftspolitisch loyale Aussagen zur Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der DDR getroffen wurden.
So erklärte Oberkirchenrat Schulze (Dessau), dass man als Kirche der »Gesellschaft in der Friedensfrage nicht die Solidarität versagen« dürfe.
Kirchenpräsident Natho (Dessau) erklärte, dass die Kirche mit ihren eigenständigen Friedensäußerungen keine Ziele erreichen will, »die zur Schwächung der NVA« führen. Die Kirche fordere jedoch dessen ungeachtet eine Alternative zum Wehrdienst.10
Im Ergebnis der Synodaltagung der Evangelischen Landeskirche Anhalts wurde ein Beschluss zur kirchlichen Friedensverantwortung verabschiedet,11 der auf die erarbeitete kirchliche Stellungnahme der Bundessynode 1983 sowie der 6. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) Bezug nimmt und mit den dort getroffenen Aussagen übereinstimmt.
Auch der Kirchenleitungsbericht der Evangelischen Landeskirche Greifswald ist als politisch-realistisch und sachlich einzuschätzen.
Im ersten Teil des Berichtes »Friedensdienst der Kirchen und Christen« brachte die Kirchenleitung ihre Besorgnis zum Ausdruck, dass es im Ringen um Frieden noch nicht zu einem positiven Ergebnis gekommen ist. Die ökumenischen Friedensaktivitäten wurden gewürdigt.
Der Tagung wurde in diesem Bericht empfohlen, sich hinter die Beschlüsse der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR zu den Fragen des Friedens zu stellen, insbesondere hinter die Erklärung der Synode des Bundes zur Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen in Europa.
Bei Hervorhebung der »Stellungnahme der Bundessynode zum Bericht der Konferenz der Kirchenleitung zur Friedensverantwortung« wurde im Kirchenleitungsbericht betont, es gehe in Friedensfragen darum, Herstellung, Stationierung und Einsatz von Atomwaffen als Verbrechen gegen die Menschheit zu verurteilen, Erprobung, Herstellung und Stationierung von Kernwaffen einzustellen bzw. vorhandene einzufrieren und alle Entscheidungen Jugendlicher in Wehrdienstfragen als Gewissensentscheidung zu respektieren.
Hinsichtlich des weiteren Friedensengagements wurde den Gemeinden empfohlen, sich auf die Arbeit in ihren Gemeinden zu konzentrieren. Wörtlich heißt es: »Wichtig bleibt, dass unser kirchlicher Friedensdienst klares Glaubensbezeugnis ist. Gegen jeden politischen Missbrauch wehren wir uns.«
Im zweiten Teil des Kirchenleitungsberichtes wird auf das Verhältnis Staat – Kirche eingegangen, wobei die kontinuierliche positive Entwicklung hervorgehoben wird. Betont wird, die unterschiedlichen Erfahrungen an unterschiedlichen Orten in Realisierung des »Geistes vom 6. März 1978«12 seien kein Hemmnis für die Gestaltung eines konstruktiven Miteinanders.
Kritisch wird angesprochen, dass Christen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Kirche auf Misstrauen bis Ablehnung stoßen, wenn es um die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung gehe.
Die Diskussionen verliefen sachlich.
Beachtenswert sind jedoch die Beiträge von Pastor Wutzke13 [aus] Gartz (der u. a. dem Staat »Doppelzüngigkeit und Zweigleisigkeit« im Bereich Volksbildung vorwarf und von der Kirche forderte, dass sie sich zum »Anwalt der Bedrängten« mache), Propst Haberecht14 [aus] Anklam (der eine stärkere Einflussnahme der Kirche auf die Regierung zur Beendigung des Wettrüstens forderte), und Pastor Dr. Ehricht15 [aus] Gützkow (der im Auftrag des Synodalausschusses »Friedenserziehung« u. a. die Einführung eines Fachs »Friedenskunde« an allen kirchlichen Ausbildungsstätten der Landeskirche forderte. Dieser Antrag wurde von der Synode befürwortet.)
Innerhalb des Berichtsausschusses der Evangelischen Landeskirche Greifswald bestimmte die Abfassung von Briefen an den Präsidenten des Bundestages der BRD und an den. Staatsratsvorsitzenden der DDR die Diskussion. In einer geschlossenen Sitzung der Synode am 6. November 1983 wurde die Abfassung und Übergabe der Briefe mit Mehrheit beschlossen.16
Im Brief an den Präsidenten des Bundestages der BRD wird die Besorgnis über die geplante Raketenstationierung in der BRD zum Ausdruck gebracht und die Bitte ausgesprochen, keine neuen Raketen in der BRD zu stationieren. Des Weiteren wird der Präsident des Bundestages der BRD aufgefordert, diesen Brief noch vor der Bundestagsdebatte zur Raketenstationierung allen Bundestagsabgeordneten zur Kenntnis zu geben.17
(Dieser Brief wurde am 7. November 1983 in der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR durch Oberkonsistorialrat Krasemann,18 Greifswald, übergeben.)
Im Brief an den Genossen Honecker19 erfolgt eine Würdigung der Friedenspolitik der DDR. Es wird Vertrauen dahingehend ausgesprochen, dass die »Regierung der DDR dem Weg eines friedlichen Interessenausgleiches durch Verhandlungen treu bleibt«.
Internen Hinweisen zufolge sei die Verabschiedung der beiden Briefe gegen den Willen des Bischofs und anderer Vertreter der Kirchenleitung erfolgt; sie seien Ergebnis der Aktivitäten von Laiensynodalen.
Die Kirchenleitung befürchte durch den Brief an den Präsidenten des Bundestages der BRD Auseinandersetzungen mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)/BRD.
In einem »Brief an die Gemeinden« wird über den Versand der beiden vorgenannten Briefe informiert und die Stellung der Greifswalder Landeskirche zu dem kirchlichen Friedenszeugnis zum Ausdruck gebracht. (Der Wortlaut wird als Anlage beigefügt.)
Als weitere Vorlage beschloss die Synode eine »Stellungnahme zu Problemen zwischen Staat und Kirche«. Darin wird die Lösung solcher Probleme wie Nutzungsentgelt für kircheneigene Landwirtschaftsflächen und Möglichkeiten zur Realisierung kirchlicher Veranstaltungen bei auftretenden Seuchen positiv bewertet. Ausgehend davon, »dass nach wie vor Berichte über Konfliktsituationen christlicher Schüler und Eltern im Bereich der Volksbildung vorgetragen werden«, bringt die Synode in dieser Vorlage ihr »Bedauern« über das immer noch ausstehende Gespräch zwischen Vertretern des Ministeriums für Volksbildung und der Konferenz der Kirchenleitungen zum Ausdruck.20
Die Information ist nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage zur Information Nr. 391/83
[Kopie vom] Brief an die Gemeinden
Liebe Schwestern und Brüder in unseren Gemeinden!
Die Sorge um den bedrohten Frieden in unserer Welt bewegt und erschüttert uns täglich mehr. Mit Angst und oft auch resigniert verfolgen viele von uns die politischen Entwicklungen. Um ihrer Mitverantwortung für die Erhaltung des Friedens gerecht zu werden, hat die Synode der Evangelischen Landeskirche Greifswald Briefe an den Vorsitzenden des Staatsrates der DDR und an den Präsidenten des Deutschen Bundestages der BRD gerichtet.
Wir wollen damit versuchen, die politisch Verantwortlichen in ihrem Bemühen um Friedenssicherung zu bestärken. Wir hoffen noch immer, dass es nicht zur Aufstellung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in Westeuropa kommt. Wir vertrauen darauf, dass unsere Regierung dem Wert eines friedlichen Interessenausgleiches durch Verhandlungen treu bleibt. Zu der vernünftigen Erkenntnis, dass mehr Waffen nicht mehr Sicherheit gewährleisten, gibt es auch in Zukunft keine Alternative. Pläne und Maßnahmen, die diesem Grundsatz zuwiderlaufen, können wir nicht befürworten.
Für unseren Friedensdienst als Christen in der Deutschen Demokratischen Republik sehen wir als größte Notwendigkeit in dieser Situation, dass unser Vertrauen auf Gott, den Stifter und Erhalt des Friedens, nicht müde wird. Dieses Vertrauen kann uns vielmehr darin bestärken, immer entschlossener, mutiger, geduldiger und phantasievoller nach Wegen des Friedens zu suchen. Ein Sicherheitsdenken, das auf Abschreckung beruht, bedroht die Zukunft.
In der Nachfolge Jesu Christi erfahren wir, welche Kraft die Schwachen haben: die Kraft der Versöhnung, der Brüderlichkeit, der Geborgenheit in wirklicher Gemeinschaft. Die Angebote neuen Lebens, die wir in der Bergpredigt finden, erkennen wir mehr und mehr als aktuelle Lebenshelfer. Sie schenken uns Orientierung und Ermutigung, wenn wir die Welt vor den Mächten der Zerstörung bewahren sollen. Wir alle miteinander sehen nüchtern und Illusion, dass die Bewährung unseres Glaubens in der heute so unvorstellbar bedrohten Schöpfung Kräfte verlangt, über die wir nicht selbst verfügen.
Darum wollen wir immer neu lernen, miteinander zu beten:
Verleih uns Frieden gnädiglich, | Herrgott, zu unseren Zeiten. | Es ist ja doch kein andrer nicht, | der für uns könnte streiten, | denn du unser Gott alleine. | die Landessynode Greifswald