Ungesetzliche Tätigkeit eines Bürgers der BRD
22. Juni 1983
Information Nr. 230/83 über vorbereitete illegale, ungesetzliche Tätigkeit eines Bürgers der BRD im Zusammenhang mit einer provokatorisch-demonstrativen Handlung eines Ehepaares aus Dessau in Berlin-Mitte, Alexanderplatz, am 20. Juni 1983
Im Ergebnis eingeleiteter Sicherungsmaßnahmen wurde durch Angehörige des MfS im Zusammenwirken mit der Deutschen Volkspolizei am 20. Juni 1983, gegen 12.00 Uhr, in Berlin-Mitte, Alexanderplatz, der mit dem Ziel, eine provokatorisch-demonstrative Handlung von Bürgern der DDR fotografisch zu dokumentieren, zum Tagesaufenthalt in die Hauptstadt der DDR, Berlin, eingereiste Bürger der BRD, [Name 1, Vorname 1] (35), Beruf: Fotograf, Inhaber der Fotoagentur [Firma] in Westberlin, wohnhaft 4355 Waltrop/BRD, [Straße, Nr.], ausgewiesen mit Reisepass der BRD Nr. […], aufenthältig in Westberlin, Tempelhofer Damm 142, festgenommen.
Die ebenfalls festgenommenen Bürger der DDR, [Name 2, Vorname 1] (36), Ingenieur für Elektronik, tätig als Beschaffer im VEB Magnetbandfabrik Dessau, und, [Name 2, Vorname 2] geb. [Name 3] (33), Textilfacharbeiterin, tätig als Filternäherin im VEB Magnetbandfabrik Dessau, beide wohnhaft 4500 Dessau, [Straße, Nr.], hatten am 20. Juni 1983, gegen 12.00 Uhr, versucht, an der Weltzeituhr in Berlin-Mitte, Alexanderplatz, eine weiße Stoffbahn (Abmessung 156 × 55 cm) mit der Aufschrift (Größe der Druckbuchstaben ca. 12 cm) »Wir wollen ausreisen! | Fam. [Name 2] Dessau« zu entfalten.
Die bisher geführten Untersuchungen ergaben:
Am 16. Juni 1983 erhielt [Name 1] seinen Aussagen zufolge durch die Verantwortliche für die Fotoredaktion der Springer-Zeitung »Die Welt«, [Name 4, Vorname] telefonisch aus der in Bonn befindlichen Redaktion dieser Zeitung das Angebot, gegen eine Bezahlung von 400 DM am 20. Juni 1983, 12.00 Uhr, in der Hauptstadt der DDR, Berlin, Alexanderplatz an der Weltzeituhr mehrere Personen, die zu diesem Zeitpunkt ein Transparent entrollen, fotografisch zu dokumentieren. Bei Undurchführbarkeit des Auftrages wurde ihm ein Betrag von 200 DM zugesichert.
Zugleich wurde [Name 1] aufgefordert, nach Realisierung des Auftrages das belichtete Filmmaterial unverzüglich im Springer-Hochhaus abzugeben, von wo es per Bildfunk sofort in die Redaktion der Zeitung »Die Welt« nach Bonn übertragen werden sollte.
Nachdem sich [Name 1] über die Verbindlichkeit des Auftrages durch einen Rückruf bei der Redaktion der Zeitung »Die Welt« vergewisserte, reiste er am 20. Juni 1983, gegen 11.00 Uhr, über die Grenzübergangsstelle Bahnhof Friedrichstraße auftragsgemäß zur Durchführung illegaler ungesetzlicher Tätigkeiten in die Hauptstadt der DDR, Berlin, ein.
Auf dem Weg zum Alexanderplatz fertigte [Name 1] mit einer mitgeführten Kamera Fotoaufnahmen von Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt der DDR. Entsprechend des erhaltenen Auftrages hielt er sich gegen 11.50 Uhr in Nähe der Weltzeituhr auf und legte einen unbelichteten Film in seine Kamera. Gegen 12.00 Uhr beobachtete [Name 1] die demonstrative Handlung der Bürger der DDR und deren unverzügliche Festnahme durch die Sicherheitsorgane der DDR, ohne diese Handlungen fotografisch zu dokumentieren. (Der in der Kamera befindliche Film ist unbelichtet.)
[Name 1] versucht bisher in seinen Aussagen glaubhaft zu machen, dass ihm in der Hauptstadt der DDR und insbesondere auf dem Alexanderplatz bei den Handlungen der Sicherheitsorgane hinsichtlich einer fotografischen Dokumentation der Ereignisse Bedenken gekommen seien. Da ihm bewusst war, dass die Veröffentlichung der Fotos in der Presse der BRD sich in politischer Hinsicht zum Nachteil der DDR auswirken könnten und er als Verursacher festgestellt und zur Verantwortung gezogen werden könne, unterließ er die Fotoaufnahmen.
In diesem Zusammenhang wollte er nach erfolgter Ausreise nach Westberlin dem Auftraggeber zwecks Erhalts zugesicherter 200 DM unvorhergesehene Schwierigkeiten vortäuschen.
Die Untersuchungen werden mit dem Ziel des eindeutigen Nachweises des Zusammenwirkens der Täter mit feindlichen Stellen in der BRD bzw. Westberlin fortgeführt.
(Gegen [Name 1] ist die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 99 StGB (landesverräterische Nachrichtenübermittlung) vorgesehen.)
Das Ehepaar [Name 2] stellte im November 1982 beim Rat der Stadt Dessau erstmals ein rechtswidriges Ersuchen auf Übersiedlung in die BRD für sich und ihre 13-jährigen Zwillinge [Vorname 3] und [Vorname 4], das sie mit der Hoffnung auf bessere Lebensverhältnisse und größere Freiheiten in der BRD begründeten. Nach Ablehnung des rechtswidrigen Ersuchens stellten sie noch im November 1982 und im Februar 1983 gleichlautende Ersuchen an die örtlichen Behörden und an das Mdl.
Nachdem sie durch Sendungen des BRD-Fernsehens Kenntnis von dem Auftreten der sogenannten »Grünen« auf dem Alexanderplatz erhalten hatten,1 entschlossen sich beide Personen angeblich kurzfristig zur Durchsetzung ihrer rechtswidrigen Ausreiseforderung, in ähnlicher öffentlichkeitswirksamer Weise in der Hauptstadt der DDR aufzutreten.
Zu diesem Zweck fertigte das Ehepaar gemeinsam in seiner Wohnung bis zum 19. Juni 1983 das vorgenannte Transparent ohne fremde Hilfe und fuhr per Eisenbahn in den Morgenstunden des 20. Juni 1983 nach Berlin.
Gegen das Ehepaar [Name 2] wurden Ermittlungsverfahren gemäß § 214 (1) und (3) StGB (Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit)2 eingeleitet und auf gleicher Rechtsgrundlage Haftbefehle erwirkt.