Äußerungen von Film- und Fernsehschaffenden
11. April 1988
Information Nr. 177/88 über einige beachtenswerte Reaktionen bzw. Meinungsäußerungen von Film- und Fernsehschaffenden der DDR im Zusammenhang mit der Vorbereitung des V. Kongresses des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden der DDR (VFF) (19.–21. April 1988)
Auf der Grundlage der dem MfS vorliegenden internen Hinweise wird nachstehend auf einige beachtenswerte Reaktionen/Meinungsäußerungen hingewiesen, die in Vorbereitung des V. Kongresses des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden der DDR von Bedeutung erscheinen.1
Von Kadern der mittleren und leitenden Ebene der Film- und Fernsehschaffenden der DDR wird hervorgehoben, dass verantwortliche Funktionäre dieses Bereiches bestrebt sind, konstruktiv auf die Vorbereitung und Durchführung des Kongresses des VFF Einfluss zu nehmen.
Ihren Feststellungen zufolge sei das Bemühen der Verantwortlichen anzuerkennen, die zentralen Beschlüsse und Orientierungen der Partei im Rahmen der auf Beschluss des Vorstandes des VFF gebildeten fünf Arbeitsgruppen
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AG 1: »Die wissenschaftlich-technische Revolution, ihre neuen moralischen und ethischen Aspekte – Herausforderung an die Film- und Fernsehschaffenden«,
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AG 2: »Film, Fernsehen und Wirkung – die geistige Bedürfnisentwicklung und -befriedigung der Zuschauer«,
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AG 3: »Nachwuchsfragen – Forderung und Förderung«,
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AG 4: »Bedingungen des künstlerischen und publizistischen Produktionsprozesses – Stand und neue Anforderungen«,
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AG 5: »Die Arbeits- und Wirkungsweise des VFF – Erfahrungen, Schlussfolgerungen, neue Anforderungen«
umfassend auszuwerten und im Sinne des Hauptanliegens des Kongresses schöpferisch umzusetzen.
Positiv wirke sich aus – so wird mehrfach argumentiert –, dass die in den letzten Jahren zentral getroffenen Entscheidungen zur weiteren Lösung prinzipieller Aufgabenstellungen, zur kadermäßigen Verstärkung wichtiger Leitungsbereiche sowie z. T. zur Neuordnung der Leitungsstrukturen zügig durchgesetzt worden seien. Dadurch wäre u. a. erreicht worden, konsequenter das Prinzip der vollen persönlichen Verantwortung durchzusetzen, konzeptionellen Vorlauf zu schaffen und eine größere Planmäßigkeit der Arbeit bei gleichzeitiger Flexibilität zu gewährleisten.
Internen Äußerungen zufolge würden seitens der staatlichen Leitungen im DDR-Fernsehen und der Bereiche Filmwesen der DDR u. a. durch den erfolgten Einsatz langjähriger und in der Parteiarbeit erfahrener und erprobter Genossen – wie der Genossen Herlt,2 Krecker und Heine – für die einzelnen Arbeitsgruppen Voraussetzungen geschaffen, einen ergebnisorientierten Verlauf des Kongresses des VFF zu sichern.
Zustimmend sei aufgenommen worden, dass der 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Staatlichen Komitees für Fernsehen der DDR, Genosse Raddatz,3 mit allen in den Arbeitsgruppen wirksam werdenden Vertretern des Fernsehens der DDR Gespräche in Vorbereitung des Kongresses geführt und sie auf inhaltliche Schwerpunkte gelenkt habe.
Inhalte der Diskussionen in den Arbeitsgruppen seien u. a. auf solche Probleme gerichtet wie: Aufgabenstellungen zur Unterstützung des Kampfes um die Erhaltung und Sicherung des Friedens, insbesondere Maßnahmen zur öffentlichkeitswirksamen Propagierung der Friedensinitiativen der sozialistischen Staaten sowie zur weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR, Verantwortung zur Verleihung weiterer Impulse für das künstlerische Schaffen und für einen weiteren Leistungsanstieg der Film- und Fernsehschaffenden, Förderung weiterer Initiativen für das Entstehen künstlerischer Werke und Beiträge in Film und Fernsehen mit einem hohen ideologisch-weltanschaulichen Gehalt.
Internen Äußerungen aus Leitungsebenen der DEFA und des Fernsehens der DDR zufolge würden die erreichten Fortschritte und der Stand der Vorbereitung des Kongresses des VFF jedoch nicht bedeuten, dass alle Probleme bereits gelöst seien.
In diesem Zusammenhang wurde u. a. angesprochen, durch das Präsidium bzw. das Sekretariat des VFF sei bisher ungenügend darauf orientiert worden, entsprechende konzeptionelle Vorgaben dahingehend auszuarbeiten, welche perspektivischen Aufgaben im Rechenschaftsbericht des VFF, in den Referaten und Analysen der Arbeitsgruppen und in der Diskussion angesprochen und gestellt werden müssten.
Verantwortliche Mitarbeiter des Fernsehens der DDR äußerten in individuellen Gesprächen, die wenigen Zusammenkünfte der Verantwortlichen der Arbeitsgruppen hätten grundsätzliche Orientierungen durch Mitglieder des Präsidiums bzw. des Sekretariats des VFF vermissen lassen.
Progressive Kräfte verweisen darauf, dass es – falls der Kongress nicht straff geleitet werde – einigen Delegierten gelingen könnte, entwicklungsbedingte Probleme in der Gesellschaft und in den Bereichen Film und Fernsehen hochzuspielen und erzielte Erfolge zu negieren.
Es sei damit zu rechnen, dass Delegierte aus dem Bereich der DEFA auf dem Kongress ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen könnten über eine zu langsame Entwicklung des künstlerischen Schaffensprozesses und der Freisetzung der schöpferischen Kräfte.
Darüber hinaus sei aus diesem Bereich mit Kritik an mitunter selbstherrlichen und administrativen Entscheidungen staatlicher Leiter auf der mittleren Leitungsebene zu rechnen.
Auf derartige Diskussionsinhalte sei der Kongress bisher nicht vorbereitet.
Ferner seien in individuellen Gesprächen einiger Filmschöpfer (Regisseure, Kameramänner u. a.) Vorstellungen geäußert worden, der Kongress solle stärker zum »öffentlichen Nachdenken« anregen. So sollten z. B. Überlegungen angestellt werden, inwieweit für Filmschöpfer eindeutige Rechtsgrundlagen geschaffen werden könnten, die für die Zeitspanne von der Aufnahme der Produktion bis zur Abnahme des Films gelten. Nach wie vor würden Filmemacher »gegängelt«, und ihre schöpferische Suche werde »gedrosselt«. Obwohl Leistungsbereitschaft zur Schaffung von Gegenwartskunst vorhanden sei, würden Initiativen durch mitunter kurzfristig wechselnde subjektive Bewertungskriterien gehemmt. Zögernde Übernahme neuer Arbeiten und Unsicherheit im Arbeitsprozess wären die Folge.
Einige mittlere leitende Kader hätten übereinstimmend die Meinung geäußert, die Strukturen im DEFA-Studio für Dokumentarfilme seien trotz einiger Anläufe zur Verbesserung der Situation »erstarrt«, und die Qualitätsparameter würden nicht überschaubarer, sondern befänden sich in der »Demontage«. Publizisten arbeiteten immer weniger eigenschöpferisch, sondern würden nur noch »disponiert«. Unter Betroffenen wären Erscheinungen von Resignation feststellbar.
Eine Reihe Verbandsmitglieder habe individuell die Ansicht vertreten, es »bewege sich zu wenig«, um Arbeiten der DEFA mehr in die Öffentlichkeit zu rücken. Es werde kein Raum geboten, um die Filme in die öffentliche Diskussion zu bringen. Einerseits stände die Aufgabe, die Filme sollten stimulierend, mobilisierend wirken und zur Diskussion veranlassen, aber »eine Kritik im ND und drei Zuschauermeinungen bringen in dieser Frage nichts«.
Einzelmeinungen beinhalten, die bisherigen Kongresse hätten »unterm Strich eigentlich nichts bewirkt«, und es sei zu fragen, ob der jetzige notwendig sei, wenn man damit wieder nichts in Bewegung setze.
Streng internen Hinweisen zufolge sollen einzelne Mitglieder aus der Sektion »Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik« die Absicht geäußert haben, während der Diskussion auf dem Kongress Auffassungen und Betrachtungsweisen einbringen zu wollen, die sich anlehnen an entsprechende Reformmodelle gleichgelagerter Verbände in der UdSSR, in der VR Bulgarien und der ČSSR und die dort – nach deren Auffassung – mit Erfolg erprobt würden.
So sei in einigen individuellen Meinungsäußerungen der Vorschlag zur Schaffung einer »Schiedskommission« beim VFF in Erwägung gezogen worden, die insbesondere dann wirksam werden solle, wenn im Zusammenhang mit Film- und Fernsehproduktionen Widersprüche zwischen den Künstlern und den zuständigen Leitungsebenen auftreten.
Darüber hinaus würden von Filmschaffenden in breitem Umfang solche Probleme diskutiert wie:
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»Wir brauchen einen Kongress der Offenheit, des Problembewusstseins, und keinen, der auf bloße Repräsentation und auf Erfolgsbilanzen bedacht ist.«
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»Auch wenn immer wieder behauptet wird, es gäbe keine Tabus, so begegnen wir in der Praxis solchen Tabus immer wieder.«
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»Es sei zu klären, wie sozialistische Demokratie beim Entscheidungsprozess in der Filmproduktion funktioniert und wie in Konfliktfällen.«
Internen Äußerungen langjähriger politisch zuverlässiger Fernsehschaffender zufolge bestünden bei einzelnen Delegierten des Kongresses des VFF Vorstellungen, wonach die Wahlordnung des VFF geändert werden sollte. Danach sollte ein Drittel Kandidaten mehr aufgestellt werden, um durch das Auswahlprinzip solche Leiter, die angeblich auf erstarrten und dogmatischen Standpunkten verharrten, abwählen zu können.
Einzelne Fernsehschaffende hätten sich, bezogen auf den Kongress des VFF, für »mehr politische Offenheit« in der Debatte über einen erhöhten Einsatz von Filmen und Fernsehproduktionen aus sozialistischen Ländern ausgesprochen. Unter aktuellen politischen Gesichtspunkten stelle sich z. B. die Frage neu, inwieweit stärker als bisher Filme und Produktionen der Fernsehanstalten der UdSSR, die dort als »Spitzenreiter« gelaufen seien, für eine Aufführung in der DDR übernommen werden könnten.
Durch einzelne Personen aus dem Bereich des Fernsehens der DDR werde die Position vertreten, der Kongress sollte eine Debatte über solche DDR-Filme führen, die für eine Aufführung nicht geeignet gewesen seien bzw. in Änderung von Programmkonzeptionen abgesetzt worden wären. Es sei erforderlich, nach Ursachen für erforderliche Absetzungen von Produktionen zu suchen und in Abständen neu zu entscheiden, ob die Gründe für Zurückstellungen noch zutreffen.
Weiter vorliegenden internen Hinweisen zufolge wurde von einigen Nachwuchskadern in Vorbereitung des Kongresses des VFF der Entwurf eines »Manifestes der Arbeitsgruppe Nachwuchs der Sektion Spielfilm« formuliert. Dieses »Manifest«, das in elf Punkte gegliedert ist, bezieht sich auf die Entwicklung des Filmwesens in der DDR. Es enthält die generelle Feststellung, dass sich »der Film in der DDR in einer Krise befindet« und die Stagnation ursächlich auf die gesellschaftliche Entwicklung in der DDR zurückzuführen sei. Durchgängig wird darin die Forderung erhoben, »die Gesellschaft müsse sich dem Film in ihrer Totalität öffnen«. Es wird der Willen bekundet, »an den bevorstehenden gesellschaftlichen Prozessen aktiv und erneuernd mitzuwirken und Verantwortung zu übernehmen«.
Weitere im »Manifest« enthaltene Forderungen beinhalten u. a.
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»Bruch mit jeder Form von Tabuisierung, sowohl von Themen als auch von Sichtweiten«,
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»Erarbeitung unverfälschter Besucherzahlen der Kinos, zugängliche und differenzierte Wirkungsanalysen«,
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»Schaffung einer Produktionsstätte für billige und billigste Filme. Gründung eines Studios mit minimalem Verwaltungsaufwand, wo mit starkem persönlichen Engagement effektiv produziert wird«,
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»Mehr Studienreisen ins Ausland und Teilnahme an internationalen Filmfestspielen zwecks Weltstandsvergleich«.
Verfasser dieses »Manifestes« sind die durch die HV Film geförderten Nachwuchskader
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Wilkening, Thomas (32), wissenschaftlicher Mitarbeiter des Generaldirektors des DEFA-Studios für Spielfilme Potsdam,
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Loeser, Tony (35), Kameramann im DEFA-Studio für Spielfilme Potsdam und
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Kahane, Peter (39), Regisseur im DEFA-Studio für Spielfilme Potsdam.
Die Verfasser sollen das »Manifest« den Mitgliedern der Arbeitsgruppe 3 des Kongresses des VFF als Diskussionsmaterial zugeleitet haben. Hinweisen zufolge würden insbesondere von Mitarbeitern des DDR-Fernsehens, die als Mitglieder der Arbeitsgruppe 3 nominiert sind, die in dem »Manifest« enthaltenen Positionen und Forderungen zurückgewiesen.
Der Arbeitsbesuch des Mitglieds des Politbüros und Sekretärs des ZK der SED, Genossen Kurt Hager, im Dezember 1987 in der Hochschule für Film und Fernsehen »Konrad Wolf« hat nach vorliegenden Meinungsäußerungen nachhaltige Wirkungen hinterlassen und sich positiv auf die Profilierung der Hochschule ausgewirkt.
Nach wie vor stünden jedoch eine Reihe sogenannter Problemfelder im Mittelpunkt von Diskussionen der Studenten.
So wird argumentiert, eine »fehlende Breite in der Themenwahl« enge das Spielfilmschaffen in der DDR ein. Es bestehe eine unzureichende Nutzung aller Spielgenres, sodass vorhandene Kapazitäten brach lägen. Ungenügende Bemühungen seien festzustellen, um beim Publikum besonders beliebte Genres (Kriminalfilme, Filmlustspiele, Musikfilme u. a.) gezielt fortzusetzen bzw. wieder aufzunehmen. Die Erreichung einer höheren Attraktivität und Massenanziehung eigener Produktionen müsste unter diesen planbaren Gesichtspunkten gewährleistet werden. Es wird erwartet, dass derartige Probleme auch auf dem Kongress erörtert werden.
Ständig sei im Bereich der DEFA die überalterte Produktionstechnik in allen Studios im Gespräch. Trotz erfolgter Neuzuführung von Technik, die zustimmend erwähnt wird, herrsche hinsichtlich der materiell-technischen Basis in den Studios eine kritische Lage. Es bestünden Ungewissheit, Zweifel und Skepsis, ob angesichts der angespannten ökonomischen Situation in der DDR überhaupt in absehbarer Zeit mit einer durchgreifenden Modernisierung von Film- und Fernsehtechnik zu rechnen sei. Gegenwärtig sei nicht absehbar, ob die ursprünglich in Betracht gezogene Sicherung der materiell-technischen Basis der DEFA bis 1990 gewährleistet werden könne.
Wie weiter intern bekannt wurde, habe Erwin Geschonneck, Mitglied des Präsidiums des VFF, in individuellen Gesprächen angedeutet, auf dem V. Kongress des VFF evtl. mit einem Diskussionsbeitrag auftreten zu wollen, in dem er unter Hinweis auf den gesellschaftlichen Umwälzungsprozess in der UdSSR und unter Verwendung von Zitaten aus dem Buch von Michail Gorbatschow »Umgestaltung und neues Denken für unser Land und für die ganze Welt« Bezüge zur Entwicklung in der DDR herzustellen beabsichtige. Geschonneck sei in letzter Zeit mehrfach öffentlichkeitswirksam in dieser Form aufgetreten, wobei er z. T. zusammenhanglos Zitate des Genossen Gorbatschow verwendete.
Wie dem MfS außerdem intern bekannt wurde, habe Scheumann, Gerhard (57)4, Autor/Regisseur im DEFA-Studio für Dokumentarfilme, die Absicht geäußert, nicht am Kongress teilzunehmen, obwohl er von der Sektion Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik als Delegierter gewählt wurde. Auf eine entsprechende Anfrage habe er diesen Entschluss mit seinen auf dem letzten Kongress gemachten »Erfahrungen« begründet.
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