Ökumenische Begegnung europäischer Kirchen in Erfurt
12. Oktober 1988
Information Nr. 442/88 über die 4. Europäische Ökumenische Begegnung der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) mit dem Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE)
Die 4. Europäische Ökumenische Begegnung der KEK mit dem CCEE fand in der Zeit vom 28. September bis 2. Oktober 1988 im Augustinerkloster in Erfurt statt.1
An ihr nahmen kirchliche Amtsträger aus den in beiden Gremien vertretenen Kirchen teil – seitens der KEK 67 Vertreter, seitens des CCEE 43 Vertreter, darunter Jean-Eugene Fischer/Schweiz, Generalsekretär der KEK, Metropolit Alexij/Sowjetunion, Vorsitzender der KEK, Kardinal Martini/Italien, Präsident des CCEE und Dr. Ivo Fürer/Schweiz, Sekretär des CCEE.
Aus der DDR waren u. a. von den evangelischen Kirchen Landesbischof Dr. Leich/Eisenach, Bischof Dr. Demke/Magdeburg und Kirchenpräsident Natho/Dessau sowie seitens der Katholischen Kirche Bischof Dr. Wanke/Erfurt und Bischof Huhn/Görlitz anwesend.
An der Eröffnungsveranstaltung nahmen der Staatssekretär für Kirchenfragen der DDR, Genosse Löffler sowie weitere staatliche Vertreter teil.
Inhalt und Verlauf der Begegnung machten in beiden kirchlichen Gremien vorhandene theologische Einigungsbestrebungen zwischen den christlichen Konfessionen in Europa sichtbar.
Im Zusammenhang mit der Erörterung der Notwendigkeit und der Möglichkeiten der Herbeiführung der geistlichen Einheit der europäischen Christen wurden auch Fragen politischer, moralischer und sozialer Haltungen von Christen in der gegenwärtigen Zeit aufgeworfen, ohne dabei direkte Bezüge zur DDR herzustellen. Seitens der kirchlichen Vertreter wurden die große Aufmerksamkeit und Unterstützung für diese Begegnung durch die DDR mehrfach gewürdigt.
Die Delegierten beider europäischer kirchlicher Gremien berieten im Plenum und in Arbeitsgruppen zum Thema: »Dein Reich komme«. Im Mittelpunkt der Diskussion standen der Entwurf eines theologischen Grundsatzdokumentes für die Arbeit der christlichen Kirchen in Europa, den Prof. Forte/Italien in einem Einführungsreferat den Teilnehmern vorstellte und erläuterte sowie drei Impulsreferate von Prof. Popesku/Rumänien, Jean Mayland/Großbritannien und Dr. Papaderos/Griechenland. Sie trugen theologischen und innerkirchlichen Charakter (die Dokumente liegen im Wortlaut vor).
Hinsichtlich der Ausrichtung der Begegnung in der DDR wird in dem Grundsatzdokument zum Ausdruck gebracht:
»Die Tatsache, dass wir uns zu unserer Freude außerdem zum ersten Mal in einem der europäischen sozialistischen Länder marxistischer Prägung, der Deutschen Demokratischen Republik, versammelten, ist für uns alle ein Beweggrund gewesen, unseren Glauben an die geheimnisvollen, aber treuen Wege der göttlichen Gnade, die sich nicht auf die Horizonte dieser Welt beschränken lässt, neu zu bekräftigen. Wir sind gerufen, dem ganzen Europa mit dem Evangelium zu dienen und alle Möglichkeiten zum Dialog zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen zu nutzen. Die Gewissens- und Glaubensfreiheit ist eine unerlässliche Vorbedingung für jegliches gemeinsames Handeln.«
Einer Tradition folgend, wurde auf der 4. Ökumenischen Begegnung eine Botschaft an die Christen Europas ausgearbeitet, diskutiert und verabschiedet, in der die Formulierung politischer Ziele für das Handeln europäischer Christen in der Gegenwart allgemein gehalten und ohne unmittelbare Konsequenz für die beteiligten Kirchen blieb. Einigung wurde darüber erzielt, dass jede Kirche an ihrem Ort und nach ihren spezifischen Erfahrungen Stellung zu den diskutierten theologischen, politischen und gesellschaftlichen Problemen nehmen sollte.
In der Botschaft heißt es u. a.:
»Mit Trauer sehen wir in unseren Gesellschaften soziale Ungleichheiten, Arbeitslose, Obdachlose, Jugendliche ohne Zukunftsperspektiven, Emigranten und Flüchtlinge, rassistische Ideologie und Praxis. Wir stellen Verletzungen von Menschenrechten und Freiheiten, unselige Folgen wirtschaftlicher Umstrukturierungen, die ohne Rücksicht auf den Menschen durchgeführt werden, Hochrüstung und andauernde nukleare Bedrohung fest. Wir erkennen sie schließlich auch in unseren Kirchen: unsere Kompromisse, unsere Lauheit.«
(Das Dokument liegt im Wortlaut vor.)
Ersten Einschätzungen leitender Amts- und Würdenträger der KEK und des CCEE zufolge war die 4. Europäische Ökumenische Begegnung ein weiterer Schritt auf dem Wege zu einer künftigen Einheit aller Christen Europas. Es sei Übereinstimmung zwischen der KEK und dem CCEE erzielt worden, in Vorbereitung der von der KEK initiierten sogenannten Nordkonferenz im Rahmen des konziliaren Prozesses im Mai 1989 in Basel/Schweiz christliche Verantwortung gemeinsam zu tragen. Als nachteilig müsse die relative Unverbindlichkeit der unter dem globalen Thema »Dein Reich komme« geführten Diskussionen und der damit verbundene Mangel an »konkreten christlichen Zeugnissen zu den Lebensfragen der Zeit« beurteilt werden.
Obwohl eine Reihe übereinstimmender Auffassungen zwischen den der KEK angehörenden Kirchen und der Katholischen Kirche zu theologischen, politischen und moralischen Fragen festgestellt worden sei, verdeutliche der Verlauf der 4. Ökumenischen Begegnung aber auch, dass weiterhin grundsätzliche Unterschiede bestehen blieben.
Seitens der kirchlichen Vertreter wurde die wohlwollende Unterstützung der Begegnung durch die Partei- und Staatsführung der DDR unterstrichen, wobei insbesondere der Empfang des Genossen Sindermann im Auftrag des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, die Teilnahme des Staatssekretärs für Kirchenfragen der DDR, Genossen Löffler und weiterer staatlicher Persönlichkeiten am kirchlichen Empfang für die Teilnehmer der Begegnung sowie die Gespräche des Genossen Löffler mit Generalsekretär Fischer und Metropolit Alexij unter Teilnahme von Bischof Dr. Demke sowie mit Kardinal Martini und Dr. Fürer unter Teilnahme von Prälat Lange/Berlin hervorgehoben wurden. Anerkennend äußerte sich Generalsekretär Fischer über ein zusätzliches, auf seinen Wunsch zustande gekommenes Vieraugengespräch mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen der DDR, in dem er als Generalsekretär der KEK bewegende Sachfragen, verbunden mit Vorschlägen an die DDR, ansprechen konnte. Genosse Löffler habe wohlwollende Prüfung der vorgetragenen Anliegen bzw. Unterstützung zugesagt.
Am 2. Oktober 1988, dem letzten Tag der 4. Ökumenischen Begegnung, fanden in Erfurt und 32 weiteren Gemeinden der evangelischen und katholischen Kirche sowie der Evangelisch-methodistischen Kirche und der Freikirchlichen Gemeinde Erfurt Gottesdienste mit Teilnehmern der Begegnung statt, die theologischen Charakter trugen. Die Teilnehmerzahlen entsprachen nicht den Erwartungen der Veranstalter.
Mit einem Gottesdienst (900 Teilnehmer), einer Prozession zum Erfurter Domplatz und der dort erfolgten Verlesung der Botschaft an die Christen Europas (3 000 Teilnehmer) wurde die 4. Ökumenische Begegnung beendet. Alle Veranstaltungen verliefen ohne Vorkommnisse.
Papst Johannes Paul II. hatte an Kardinal Martini/Italien in dessen Eigenschaft als Präsident des CCEE im Zusammenhang mit dem Stattfinden der Begegnung ein Schreiben gerichtet, worin er diese Begegnung als »Zeichen und Schritt auf dem Weg zur geistlichen Einheit der Christen« bezeichnete.
Über die 4. Europäische Ökumenische Begegnung berichteten 65 Korrespondenten aus europäischen Staaten, davon 18 Medien aus kapitalistischen Ländern, darunter die BRD, Italien, Spanien, Schweden und die Schweiz. Die Berichterstattung war insgesamt sachlich und am tatsächlichen Inhalt und Verlauf der Begegnung orientiert.
Einige Vertreter von BRD-Medien, deren gegen die DDR gerichteten Aktivitäten in ihrer journalistischen Tätigkeit hinreichend bekannt sind, wie Karutz (»Die Welt«) und Röder (»epd«), versuchten auf kirchlichen Pressekonferenzen durch tendenziöse Fragestellungen negative Aussagen zum Verhältnis Staat – Kirche zu erhalten, was aufgrund der sachlichen Antworten der Bischöfe (u. a. Dr. Demke, Warnke) nicht gelang.
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