Tumulte bei Übergabe des Lenné-Dreiecks von Ost- an Westberlin
1. Juli 1988
Information Nr. 332/88 über die Entwicklung der Lage im Zusammenhang mit der Übergabe des Lenné-Dreiecks an den Senat von Berlin (West) am 1. Juli 1988
Am 1. Juli 1988, 0.00 Uhr, trat nach der am 30. Juni 1988 erfolgten Unterzeichnung des entsprechenden Protokolls zwischen der Regierung der DDR und dem Senat von Berlin (West) die getroffene Vereinbarung über den Gebietsaustausch zwischen der DDR und Berlin (West) in Kraft.
Durch die Westberliner Seite wurden unverzüglich Maßnahmen zur Räumung des seit dem 26. Mai 1988 demonstrativ durch zeitweilig mehrere hundert Personen (überwiegend sogenannten Öko-Kreisen zuzuordnen) von Berlin (West) aus besetzten Lenné-Dreiecks getroffen.
Bereits am 30. Juni 1988 waren die Besetzer des Lenné-Dreiecks von Westberliner Seite – u. a. durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin (West), Diepgen – aufgefordert worden, das Gebiet unverzüglich zu verlassen. Diesen Aufforderungen kamen die Besetzer nicht nach und trafen im Verlaufe des Tages Vorbereitungen, um – wie von ihnen bereits angedroht – das Lenné-Dreieck durch Überwindung der Grenzmauer und das rechtswidrige Eindringen in das Staatsgebiet der DDR zu verlassen. Zu diesem Zweck waren von den Besetzern Hilfsmittel (Leitern, Sperrgitter, Zäune u. a.) unmittelbar an die Grenzmauer transportiert worden.
Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gebietsaustausches befanden sich ca. 250 Personen im Lenné-Dreieck.
Am 1. Juli 1988, 4.55 Uhr, erfolgte durch die Westberliner Polizei über Megaphon die Aufforderung an die Besetzer, dieses Gebiet sofort unter Mitnahme ihrer Gegenstände u. a. Materialien zu verlassen. Gleichzeitig wurde angedroht, dass – falls dieser Aufforderung nicht unverzüglich Folge geleistet wird – die gewaltsame Räumung des Gebietes erfolgt. Durch die Westberliner Polizei wurde begonnen, das gesamte Lenné-Dreieck durch Einsatz von drei Hundertschaften (ca. 600 Mann sowie 46 Mannschaftstransportwagen) abzuriegeln.
Dabei wurde durch sie – offenkundig mit dem Ziel, ein Übersteigen der Grenzmauer durch die Besetzer zu unterbinden– rechtswidrig das der Grenzmauer vorgelagerte Gebiet der DDR betreten.
Diese rechtswidrigen Aktivitäten der Westberliner Polizei erwiesen sich als wirkungslos.
Am 1. Juli 1988, 5.04 Uhr drangen die ersten 20 Besetzer vom Lenné-Dreieck aus rechtswidrig in das Staatsgebiet der DDR ein und überwanden unter Nutzung der vorbereiteten Hilfsmittel die Grenzmauer.
Entsprechend den seitens der zuständigen Organe der DDR rechtzeitig vorbereiteten Maßnahmen wurden diese Personen durch Grenzsicherungskräfte der DDR in ein bereitstehendes Kraftfahrzeug aufgenommen und in ein vorbereitetes Objekt transportiert.
Um 5.10 Uhr erfolgte durch die Westberliner Polizei die erneute Androhung der Zwangsräumung dieses Gebietes, wobei gleichzeitig der Einsatz von Tränengas gegen die Besetzer erfolgte.
In der Zeit von 5.20 Uhr bis ca. 6.05 Uhr drangen ständig weitere Personen – insgesamt 196, darunter 36 weibliche – über die Grenzmauer in das Staatsgebiet der DDR ein. Sie wurden ebenfalls mittels Kraftfahrzeugen unverzüglich in das vorbereitete Objekt befördert, wo ihre Versorgung mit Nahrungsmitteln und Getränken erfolgte.
Eine Person (29, BRD-Bürger) erlitt nach dem Eindringen in die DDR einen Kreislaufkollaps und wurde unverzüglich zur medizinischen Versorgung in das VP-Krankenhaus eingewiesen.
Im Zusammenhang mit dem Überwinden der Grenzmauer wurden von Westberlin aus durch noch nicht identifizierte Kamerateams Videoaufnahmen von den Ereignisabläufen an der Grenzmauer und im Handlungsraum der Grenztruppen der DDR aufgezeichnet.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt befinden sich keine Personen mehr im Bereich des Westberliner Lenné-Dreiecks.
Von den Besetzern – offenkundig dem harten Kern zuzuordnende Kräfte – halten sich gegenwärtig noch sechs Personen in dem zum Staatsgebiet der DDR gehörenden Geländestreifen zwischen der Begrenzung des Lenné-Dreiecks und der Grenzmauer auf und führen Streitgespräche mit Kräften der Westberliner Polizei, von denen das Territorium der DDR nicht wieder verletzt wurde.
Entsprechend der getroffenen zentralen Entscheidung wurden bisher (Stand 11.00 Uhr) 144 der rechtswidrig in das Staatsgebiet der DDR eingedrungenen Personen wieder nach Westberlin abgeschoben. Die Ausreise dieser Personen erfolgte in kleineren Gruppen über die Grenzübergangsstelle Bahnhof Friedrichstraße (138) und Oberbaumbrücke (6) ohne Vorkommnisse.
Alle Maßnahmen werden seitens der zuständigen Organe der DDR weiter unter Kontrolle gehalten.