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Tagesbericht

1. September 1953
Information Nr. 1056

Die Lage in den Industrie- und Verkehrsbetrieben

In den Betrieben wird zzt. noch stark über das Kommuniqué diskutiert. Der größte Teil der Kollegen spricht in positivem Sinne.

So verpflichtete sich z. B. die Brigade des »Meisters der Arbeit« Hartmann vom Schacht Sorge-Settendorf der Wismut AG als Dank gegenüber unseren sowjetischen Freunden bis zum Gründungstag der DDR ihren Jahresplan zu erfüllen und ruft in einer Resolution die Werktätigen auf, ihrem Beispiel zu folgen. Auch im VEB Bau Schwerin verpflichteten sich die Kollegen, trotz Materialschwierigkeiten ihren Plan zu erfüllen.

Bei dem Stadtkommandanten in Auerbach, Bezirk Karl-Marx-Stadt, erschienen in der letzten Zeit 41 Betriebsdelegationen, welche der SU für die große Hilfe ihren Dank aussprachen. In verschiedenen Betrieben ist noch eine verhaltende Stimmung zu bemerken, so z. B. im SAG Bleichert in Leipzig und im Bw Wittenberge, Bezirk Schwerin.

Teilweise treten auch Diskussionen auf, welche auf RIAS-Propaganda zurückzuführen sind. So äußert sich der Markscheider1 [Name 1] vom Schacht Marienberg der Wismut AG: »Die deutsche Delegation war ja nur zum Befehlsempfang in der SU

Bei Diskussionen über die »Paketaktion«2 ist man teilweise nicht mit der Entlassung der sogenannten »Paketabholer« aus den VE-Betrieben einverstanden. So wurde im VEB Holzwerk Berlin-Hohenschönhausen ein Anschlag über fristlose Entlassung[en] von »Paketabholern« durch unbekannte Personen entfernt. Verschiedene dort Beschäftigte wollen sich die Pakete holen und man sieht in dem Verbot »eine Maßnahme, die an Freiheitsberaubung grenzt«.

In einigen Betrieben herrscht Unzufriedenheit unter den Kollegen, da infolge von Rohstoff- bzw. Materialschwierigkeiten Stillstände entstehen, sie diese Zeit nur mit 90 % vergütet bekommen und dadurch auch den Plan nicht erfüllen können. So fehlten dem VEB Stern-Radio Sonneberg/Suhl für 4 716 Radios die Selengleichrichter3 und konnten dadurch ihren Plan im August 1953 nur mit 80,1 % erfüllen.

Durch Koksschwierigkeiten war es den Arbeitern der Gießerei des WMW Union Gera nicht möglich, ihre Norm zu erfüllen. Auch im Bezirk Dresden entstanden in einer Reihe Betriebe durch Materialschwierigkeiten lange Wartezeiten, so z. B. im VEB Kunstseidenwerk »Siegfried Rädel« in Pirna.

Sehr verärgert sind die Kollegen der Bau-Union Eisenach, welche im VEB Kalikombinat »Ernst Thälmann«, Kreis Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, arbeiten, da seit Wochen der VEB Kraftverkehr Eisenach sie nicht mehr regelmäßig zur Arbeit befördert, worunter auch die Fertigstellung der Investbauvorhaben leidet.

Über die Verhaftungen der Interzonenreisenden in Westdeutschland wird im Stahl- und Walzwerk Riesa/Dresden stark darüber diskutiert, dass es falsch sei, »Genossen unserer Partei als Wahlagitatoren nach Westdeutschland zu entsenden. Bei den vorgenannten Verhaftungen würde es sich doch nur um solche Personen handeln.«4

Im Stahlwerk Gröditz/Dresden wurde über die Entlassung einiger Provokateure im Stillen weiter diskutiert. Man brachte dabei zum Ausdruck, dass man sie hätte »nicht auf die Straßen werfen sollen, sondern nur eine schlechter bezahlte Arbeit geben«.

Entgegen dieser Stimmung wurde im FRAMO-Werk Hainichen/Karl-Marx-Stadt der Entlassung des Provokateurs [Name 2] durch die Belegschaft 100%ig zugestimmt.

Die Lage in der Landwirtschaft

Das sowjetisch-deutsche Kommuniqué5 wird von einem Teil der ländlichen Bevölkerung begrüßt, was zum Teil, wenn auch vereinzelt, in Selbstverpflichtungen zum Ausdruck kommt. So verpflichtet sich der werktätige Bauer [Name 3] aus Strasburg/Neubrandenburg, bis 1. September 1953 sein Soll 100%ig zu erfüllen, darüber hinaus bis Jahresende sieben Schweine, 1 500 Eier und 1 000 kg Milch dem freien Aufkauf zur Verfügung zu stellen.

Zu bemerken ist, dass die Aufklärungsarbeit auf dem Lande schwach entwickelt ist und die Bauern sich zum großen Teil mit örtlichen Belangen beschäftigen. So steht z. B. im Vordergrund der Diskussion die Versorgung mit Dünge- und Futtermitteln sowie die nach Ansicht der Bauern zu hohe Veranlagung bei der Sollablieferung. Diese Stimmung wird, wie nachfolgende Beispiele zeigen, vom Klassengegner ausgenutzt.

In einer Bauernversammlung der Gemeinde Wartin/Frankfurt6 sagte der VdgB-Vorsitzende (Altbauer, NSDAP): »Mit der Ablieferung haben wir bis Dezember Zeit.« Zu dem äußert sich ein Zweiter: »Was wollen sie machen, wenn alle Bauern streiken?«

Im Kreis Beeskow/Frankfurt wurde von verschiedenen Gemeinden bis jetzt sehr wenig abgeliefert mit der Begründung, sie hätten zu wenig geerntet.

Aus Magdeburg wird bekannt, dass die Sollablieferung in den Gemeinden Dolle, Burgstall, Sandbeiendorf und Wenddorf7 sabotiert wird. Großbauern äußern sich, nicht mehr als 50 % abzuliefern, »nach den Wahlen wird es anders«. Es werden die Forderungen gestellt: Das Ablieferungssoll der LPG gleichzustellen und Herabsetzung des Viehhalteplanes.

Bei einer DBD-Versammlung in Lübars/Magdeburg wurde ein parteiloser, angetrunkener Provokateur aufgefordert den Raum zu verlassen. Diesem folgten 20 Mitglieder, sodass in der Versammlung lediglich fünf Personen verblieben.

Aus dem Bezirk Dresden wird bekannt, dass in der LPG in Hörnitz und Niederoderwitz Auflösungserscheinungen festgestellt wurden. Aus der LPG Lockwitz wollen nach der Ernte von 22 Mitgliedern 18 und [aus der LPG] Naundorf von 25 Mitgliedern 17 austreten.

In den LPG Bernsdorf, Besswalde8 und Hermsdorf konnten durch Instrukteureinsätze der Partei und Verwaltung die Auflösungen verhindert werden.

Aus Frankfurt wird bekannt, dass im Kreis Beeskow in drei LPG Auflösungserscheinungen festgestellt wurden.

Stimmung der übrigen Bevölkerung

In Diskussionen über das sowjetisch-deutsche Kommuniqué sind gegenüber den Vortagen keine Veränderungen eingetreten. Nach wie vor sind Anlass zu negativen Diskussionen über den neuen Kurs der Partei und Regierung die Stromabschaltungen, mangelnde Kohlenversorgung, mangelnde Versorgung mit Arbeitskleidung und Bettwäsche sowie mangelnde Warenstreuung auf dem Lande und die Preise in der HO für Lebensmittel, was vom Gegner bewusst geschürt wird.

Aus Leipzig wird bekannt, dass in Borna, Delitzsch und Altenburg Mitglieder und Funktionäre der LDP eine äußerst negative Einstellung zum neuen Kurs zeigen und die Forderung stellen, eine eigene Politik unter Ablehnung des Führungsanspruches der SED durchzuführen.

Aus dem Bezirk Dresden wird bekannt, dass negative Diskussionen und Beunruhigung durch das Verhalten sowjetischer Soldaten erzeugt wird [sic!]. So wollten z. B. sechs betrunkene Soldaten die Konsumverkaufstelle stürmen, um Schnaps zu erhalten, zwei Angehörige versuchten im angetrunkenen Zustand sich ein Fahrrad anzueignen. Aus Karl-Marx-Stadt wird gemeldet, dass seit 14 Tagen in den Obstgärten Obst entwendet wird sowie Gartenzaun und Bäume beschädigt werden. Von den Eigentümern wird behauptet, dass es sich um sowjetische Soldaten handelt. Demgegenüber wird in Frankfurt über die Haltung und das positive Auftreten Angehöriger der sowjetischen Armee in Veranstaltungen und in der Öffentlichkeit positiv diskutiert.

Ereignisse von besonderer Bedeutung

Leipziger Messe:

Die Leipziger Messe fand bei vielen Besuchern freudigen Anklang und es kam zum Ausdruck, dass die Messe ein höheres Niveau trägt als im vorigen Jahr. Westdeutsche Besucher äußerten, dass es nicht so aussieht, dass man in der »Ostzone hungern muss«. Angehörige der westdeutschen Delegation, die durch den FDGB zur Leipziger Messe eingeladen wurden, erklärten: »Der Arbeiter hier lebt besser als in Westdeutschland. Auch sind die Lebensmittelpreise in der DDR viel niedriger.« Kollege [Name 4] aus Hamburg sagte: »Der größte Teil der Hamburger Arbeiterklasse ist an einer Einigung interessiert. Die Note und das Kommuniqué wird [sic!] allgemein von der Bevölkerung Westdeutschlands freudig begrüßt und hat [sic!] auch für sie große Bedeutung.« Negative Elemente versuchen, ausländische Messebesucher zu beeinflussen, indem sie erklären: »Der Laden sei nur zur Messe voll gestopft, um den Ausländern ein anderes Bild zu zeigen, wie es in Wirklichkeit ist.«

Wie bekannt, durchfuhren im Auftrage des Zentralrates der FDJ mehrere Hundert FDJ-ler aus den Bezirken Leipzig, Dresden, Halle, Karl-Marx-Stadt und Berlin die Grenze Marienborn-Helmstedt (30.8.). Auf dem Bahnhof Helmstedt forderte der Grenzschutz die FDJ-ler auf, den Zug zu verlassen und erklärte sie für festgenommen. Die Pässe wurden ihnen abgenommen. Durch Lautsprecher wurden die Namen der FDJ-ler, welche der Polizei bekannt waren, bekannt gegeben.9

Organisierte Feindtätigkeit

In Lübz/Schwerin erhielt ein Arzt ein gefälschtes Rundschreiben zugeschickt, mit dem Kopf: Gewerkschaft für Gesundheitswesen. In diesem Schreiben wird zum Ausdruck gebracht, »von der herzlosen Behandlung abzugehen«, und hat zum Inhalt die Linie des RIAS, »krank melden und langsam arbeiten«.

Herrn [Name 5] aus Kladrum/Schwerin wurde ein Schreiben mit dem Stempel: »Völkischer Bund« zugesandt, welches eine wüste Hetze gegen die DDR enthält und der Leser zu Schädlingstätigkeit (Sand in Schmierbuchsen, Drähte von Telefon und Eisenbahn zerschneiden usw.) gegen die DDR aufgefordert wird.

Im Hydrierwerk Zeitz/Halle wurden Plakate vom Ministerpräsidenten Grotewohl und den stellvertretenden Ministerpräsidenten Walter Ulbricht und Otto Nuschke10 beschmiert. Gleiches geschah im ABUS Förderanlagenbau Köthen, wo Plakate von Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht beschmiert wurden.

In Schlatkow/Neubrandenburg wurden 4 000 Flugblätter gefunden, die vom NTS11 herausgegeben wurden.

Bei der Paketprovokation12 ist ein Nachlassen des sehr starken Andranges von Paketholern aus der DDR darauf zurückzuführen, dass es keinen Kakao und Bohnenkaffee gibt und sich die Maßnahmen der Partei und Staatsorgane auswirken. Bei den Diskussionen an den Ausgabestellen wurden Befürchtungen laut, die Arbeitsstelle zu verlieren oder öffentlich genannt zu werden.

Der RIAS brachte am 31.8.1953 eine hetzerische Polemik gegen die »Arbeiterwehren«, die jetzt von der Partei aufgebaut würden.13 Darin werden die Arbeiter aufgefordert, in Betriebsversammlungen nicht zu diskutieren und sich nicht mit der Partei auseinanderzusetzen, wenn die Partei Ort und Form der Auseinandersetzung bestimmt.

Einer Meldung des Westberliner »Tag«14 zufolge beschloss die Fuldaer Bischofskonferenz (katholisch) vom 19. bis 25.10.1953 eine »Gebetswoche für die Kriegsgefangenen« durchzuführen. In diesem Rahmen sollen am 20. Oktober 1953 »die Glocken für die Kriegsgefangenen läuten«.

Vermutlich organisierte feindliche Tätigkeit

Bei einem Tanzvergnügen in Günthersdorf/Frankfurt wurde der Bürgermeister zusammengeschlagen. Als der Täter auf den VP-Einsatzwagen gebracht wurde, versuchten die Umstehenden diesen umzukippen. In Klein Briesen/Frankfurt wurde der Abschnittsbevollmächtigte, als er auf die überschrittene Polizeistunde hinwies, zusammengeschlagen. In Boize/Schwerin wurde der Parteisekretär in der Scheune der LPG von unbekannten Personen hinterrücks niedergeschlagen.

Einschätzung der Situation

Die Aufklärung und die Diskussion über die Note der SU15 und das Kommuniqué stehen weiterhin an erster Stelle. Die Stimmung dazu ist die Gleiche wie in den vergangenen Tagen. Aufgrund der geringen Aufklärungstätigkeit wird jedoch auf dem Lande weniger diskutiert. Reges Interesse zeigt sich jetzt für die Wahlen zum westdeutschen Bundestag. Die Missstimmung wegen der schlechten Kohlenversorgung verstärkt sich und wird vom Gegner ausgenutzt. Auf dem Lande macht sich ein starker feindlicher Einfluss bemerkbar, der besonders in der Nichterfüllung des Ablieferungssolls und in der Verzögerung der Ablieferung zum Ausdruck kommt.

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