Tagesbericht
6. August 1953
Information Nr. 1033
Stimmung der Bevölkerung
Wie zu ersehen ist, herrscht unter der Bevölkerung in verschiedenen Bezirken eine Missstimmung aufgrund der durchgeführten Stromabschaltungen, was in negativen Diskussionen zum Ausdruck gebracht wird. In diesem Zusammenhang versuchen reaktionäre Elemente das Vertrauen der Bevölkerung zum neuen Kurs unserer Partei und Regierung zu untergraben.
So sagt der Schlosser [Name 1], beschäftigt im Kombinat Gölzau:1 »Warum kommt ihr Funktionäre jetzt so oft in den Betrieb? Ihr wollt doch nur wissen, wie die Stimmung der Kollegen gegenüber der Regierung und SED ist und welche Forderungen gestellt werden. Ihr wisst ja, warum Leuna und Buna nochmals gestreikt hat [sic!].« Auf die Frage, welche Forderungen im Betrieb gestellt werden, sagte er: »Sturz der Regierung, einheitliche und freie Wahlen für ganz Deutschland, Zulassung der einzelnen Parteien, Freilassung der politischen Häftlinge, Absetzung der Hilde Benjamin2 und Trennung der Gewerkschaft von der SED.«3 Zum neuen Kurs unserer Regierung sagte er: »Dass es nur eine Aktion sei, um die Massen zu beruhigen. In der Stromabschaltung kommt der neue Kurs deutlich zum Ausdruck. Die Arbeiter kann man aber nicht bluffen und von den gestellten Forderungen abbringen.«
Unter der Bevölkerung von Zeitz, Bezirk Halle, wird über die Stromversorgung dahingehend diskutiert, dass diese Abschaltungen eine »bodenlose Frechheit« sind, wenn man so ganz plötzlich, ohne besondere Ankündigung durch Presse und Rundfunk, den Strom abschaltet.4 Weiter wird geäußert, dass früher die Sperrzeiten wenigstens bekannt waren und man sich dementsprechend einrichten konnte. Heute dagegen wird man es erst merken, wenn das Radio ausgeht oder wenn man im Dunkeln sitzt. Trotzdem man in Presse und Rundfunk gesagt hat, dass zumindest im 3. Quartal keine Stromabschaltungen mehr sind,5 so kann man feststellen, dass bereits jetzt wieder derartig viele Stromabschaltungen durchgeführt werden und man sich nicht denken kann, wie es im Winter aussehen wird.
Weiterhin macht sich unter der Landbevölkerung eine schlechte Stimmung in Bezug der Stromsperren bemerkbar. So befürchten die Bauern in der Ortschaft Wegezin, Kreis Anklam, Bezirk Neubrandenburg, dass sie das Getreide nicht ausgedroschen bekommen, da sie nur drei halbe Tage in der Woche dreschen können und in der anderen Zeit Stromsperre haben. Gleichfalls äußerten sie, dass auch der Nachtdrusch nicht 100%ig durchgeführt werden kann, da nicht genügend elektrische Anlagen vorhanden sind. Die Bauern bringen zum Ausdruck, dass sie mit diesen Maßnahmen der Druschregelung nicht einverstanden sind. Sie sind jedoch gewillt, die Ernte verlustlos einzubringen und ihre Verpflichtungen gegenüber dem Staat voll und pünktlich zu erfüllen.
Unter der Bevölkerung von Cottbus, Bahnhofstraße, ist eine sehr unzufriedene Stimmung, da die Stromabschaltungen in der Zeit von 19.30 Uhr bis 21.30 Uhr weiter erfolgen.
Wie bekannt wurde, hat der übermäßige Andrang an den Ausgabestellen bei der sogenannten »USA-Hilfsaktion« nachgelassen.6 Die Verärgerung der Westberliner Erwerbslosen und Rentner gegenüber den »Paketabholern« [aus] der DDR und dem rücksichtslosen Eingreifen der Stummpolizei nahm in den letzten Tagen zu. So kam es am 4.8.1953, gegen 14.00 Uhr, in der Osloer Straße, Ecke Prinzenstraße, zu einer Schlägerei zwischen »Abholern« und Westberliner Arbeitslosen. Die Stupo7 trat mit Wasserwerfern auf und es wurden mehrere Verhaftungen durchgeführt.
Weiterhin kam es am 4.8.1953 an der Paketausgabestelle Wedding, Prinzenallee 8, zu erregten Diskussionen zwischen »Paketabholern« und Erwerbslosen, wo letztere gegen die ungerechte Paketverteilung protestieren und die Einstellung dieser Aktion forderten. Die Leitung der Ausgabestelle alarmierte die Stummpolizei, welche mit mehreren Bereitschaftswagen anrückte, um die Demonstranten zu zersprengen [sic!]. Da die Stummpolizei trotz Anwendung der Gummiknüppel der Situation nicht gewachsen war, wurden zwei Wasserwerfer eingesetzt und wahllos Verhaftungen durchgeführt. Erst durch weitere Verstärkung von Stummpolizei mit Einsatzwagen konnte man die Massen abdrängen.
Auch an der Paketausgabestelle Reichenberger Straße8 139 im Bezirk Kreuzberg traten die gleichen Zwischenfälle auf. Beim Vorgehen der Stummpolizei gegen Demonstranten wurden zwei Stummpolizisten verprügelt und zu Boden gerissen. Auch hier wurden Wasserwerfer eingesetzt.
Am 4.8.1953 wurde vom Einsatzleiter [Name 2] der Stummpolizei der Befehl gegeben, vom Gummiknüppel rücksichtslos Gebrauch zu machen.
In der Verteilerstelle Rathaus Schöneberg rechnet man mit dem Eintreffen der Leuna-Arbeiter und man hat deshalb Sonderregistrierstellen auf dem Hofe eingerichtet.
Vonseiten der »Paketabholer« werden Diskussionen dahingehend geführt, wie man am besten diese Pakete nach Hause transportieren kann. So äußerte sich eine Gruppe Arbeiter aus Zwickau in der Verteilerstelle Rathaus Schöneberg, wie sie »ihre Büchsen in den demokratischen Sektor bekämen, da dort ihre Autobusse stehen«.
Auf dem Bahnhof Wannsee diskutierten Arbeiter, zum größten Teil aus den Stickstoffwerken Wilhelmsruh sowie der Leuna-Werke, mit dem Aufsichtshabenden, dass er ihnen einen Zug oder mehrere Wagen besorgen solle, damit sie geschlossen mit ihren Lebensmitteln die Rückreise antreten können. Weiter äußerten sie, dass man sich zusammenschließen müsste, um gewaltsam mit den Lebensmittelpaketen in die DDR zu gelangen und einer Abnahme durch die VP sich mit Gewalt zu widersetzen. Sie drohten mit der Wiederholung des 17. Juni, falls nicht endlich diese »Schikane« aufhört. Den »Abholern« wurde geraten, ihre Pakete einstweilen in Westberlin unterzustellen und sie sich zuschicken zu lassen.
Es wurde bekannt, dass neuerdings die [Vorgabe für die] Ausgabe von Paketen für nicht selbst Abholende Folgende ist:
- 1.
Es wird eine Vollmacht für den Abholer benötigt, welche pfarramtlich beglaubigt sein muss.
- 2.
Auf einem Bogen muss Name, Vorname (bei Frauen auch Mädchenname), Kinder mit Vornamen und Geburtsdaten angegeben sein. Dies muss auch pfarramtlich beglaubigt sein.
Von der Bevölkerung der DDR wird die sogenannte »USA-Hilfe« unterschiedlich aufgenommen. Ein Teil bringt zum Ausdruck, dass es zu viele Beschwerden sind, bevor man so ein Paket erhält, was dann nicht einmal diesen Ausgaben entspricht. Man sei dumm, wenn man wegen so einem Paket für 5,00 DM nach Berlin fährt, um es sich zu holen. Weiterhin kann man nicht verstehen, dass man auf diesen Amipaketschwindel hereinfällt und sich ausnutzen lässt.
So äußerte der Zuckerkocher [Name 3] von der Fa. Portola Magdeburg: »Wir sagen unsere Meinung und reißen, wenn es mal ankommt, auch unsere Schnauze auf, um unsere gerechten Forderungen durchzubringen, aber mit dem Paketschwindel kann uns der Ami gern haben.«
Der Schriftsetzer Erich [Name 4], wohnhaft: Langensalza, ehemaliger SS-Angehöriger, parteilos, sagte: »Schön dumm, wer das Fahrgeld anwendet und sich das Paket im Werte von 5,00 Westmark holt. Lieber helfe ich einige Stunden in der Landwirtschaft.«
Ein anderer Teil der Bevölkerung versucht mit allen Mitteln in den Besitz der »USA-Pakete« zu kommen und protestiert gegen die Fahrtbeschränkung nach Berlin.9 Es wird zum Ausdruck gebracht, dass »dies eine Behinderung der persönlichen Freiheit sei und man noch nicht als Gefangener lebe«.
Zur Bekanntgabe von Namen der Paketabholer in der Presse äußerte man sich dahingehend: »Hier kommen ja auch nur die kleinen Leute dran, Funktionäre und Genossen aber werden in der Presse nicht genannt.«
So äußerte sich Fräulein [Vorname Name 5], wohnhaft: Neustrelitz, Bezirk Neubrandenburg: »Das ist Freiheitsberaubung die Sperrung der Karten nach Berlin. Ich wollte am Mittwoch nach Berlin fahren und mein Paket holen und es dann bei meiner Tante lassen, damit sie es mir päckchenweise zuschickt.«
[Vorname Name 6], wohnhaft: Eisenach, Bezirk Erfurt, [Straße, Nr.]: »Es ist nicht schön, wenn man denen, die nach Berlin fahren wollen, keine Reisegenehmigung gibt, man könne ja bis Potsdam fahren und von dort aus mit der U- oder S-Bahn. Für Thüringen ist ja der Bezirk Steglitz zur Paketausgabe vorgesehen.«
Im RAW Wittenberge/Perleberg, Bezirk Neubrandenburg, wird davon gesprochen, dass bald keiner mehr nach Westberlin fahren braucht, da man entsprechend der Adressenangabe die Pakete per Post zugeschickt erhält.