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Tagesbericht

12. August 1953
Information Nr. 1038

Stimmung der Bevölkerung

Wie aus vorliegenden Diskussionsbeispielen zu ersehen ist, werden besonders negative Diskussionen durch die zzt. durchgeführten Stromabschaltungen hervorgerufen. Die Missstimmung der Bevölkerung wird zum Teil von reaktionären Kräften ausgenutzt, um in der Bevölkerung einen Zweifel an der Durchführung der Regierungsbeschlüsse zu entfachen.1

So sagt z. B. der Einzelhändler [Name 1] aus Niesky: »Vor Kurzem hat Walter Ulbricht gesagt, was vor einem halben Jahr richtig war, kann heute falsch sein. Wenn Walter Ulbricht das sagt, dann muss es ja stimmen. Da ist es schon besser, man glaubt gar nichts mehr, denn was heute von der Regierung als richtig beschlossen wird, kann ja in einem halben Jahr grundverkehrt sein. Das sieht man am besten bei der Stromversorgung. Trotzdem die Regierung beschlossen hat, dass es keine Stromabschaltungen im Haushalt mehr gibt, wird doch jeden Tag der Strom abgeschaltet.«

Ein Intelligenzler vom EKM Turbine Dresden sagte: »Es ist von der Regierung unverantwortlich, einen Beschluss über die Energieversorgung ohne Abschaltungen herauszugeben. Ich habe selbst Einblick in das Energiebauprogramm und weiß, dass selbst 1954 der Bedarf an Energie von uns noch nicht gedeckt werden kann. Ich fordere deshalb eine umgehende Stellungnahme der Regierung zu dem voreiligen und unzulänglichem Beschluss.«

Der Kreissekretär der LDP in Riesa brachte in einer Arbeitstagung zum Ausdruck: »Wenn man heute schon wieder den Strom abschaltet, so ruft dies eine derartige Missstimmung hervor, dass die Gefahr einer Wiederholung des 17.6.1953 besteht.«

Der Bauer [Name 2], wohnhaft in Rodewisch, äußerte: »Da seht ihr es, wie alles eingehalten wird, die Stromabschaltungen gehen schon wieder los.«

Über die sogenannte »USA-Hilfsaktion«2 wird nach wie vor von der Bevölkerung unterschiedlich diskutiert. Ein Teil der Bevölkerung steht dieser Propagandaaktion ablehnend gegenüber und begrüßt die Maßnahmen unserer Regierung.3 Dieser Teil der Bevölkerung erkennt klar die Hintergründe und bringt zum Ausdruck, dass es den Amerikanern nicht gelingen wird, auf diese Art und Weise Kanonenfutter zu kaufen.

So äußerte sich der Arbeiter [Name 3] aus Ichtershausen: »Schon immer war das so, wer vom Amerikaner etwas nimmt, muss doppelt oder dreifach bezahlen, gleich ob an Geld oder Blut. Blut ist bei ihm natürlich kostbarer.«

Ein anderer Teil der Bevölkerung überschlägt kurz, was er dabei verdienen kann, und kommt zu dem Schluss, dass die Unkosten höher sind als der Nutzen. So erklärte Frau [Name 4] aus Buchholz: »Ich müsste verrückt sein, 30,00 DM für das Affenfett zu verfahren.«

Weiterhin wird von einem großen Teil der Bevölkerung die Paketaktion begrüßt und unterstützt. Dabei wird verschieden argumentiert. Sehr oft wird dabei von der Bevölkerung zum Ausdruck gebracht, dass, wenn die wichtigsten Nahrungsmittel in der HO nicht so teuer wären, sie nicht nach Berlin fahren bräuchten, um sich die »Pakete« abzuholen.

So sagt die Hausfrau [Vorname Name 5] aus Salza: »Wer kann denn in der HO kaufen, doch nur eine gewisse Schicht der Bevölkerung, wie z. B. die Intelligenz, Werksleiter usw.« Oder die Reinemachefrau [Name 6] vom Eisenwerk Waren: »Was nutzt es uns, wenn es mehr Lebensmittel gibt, die so teuer sind, und wir sie nicht kaufen können. Ich hole mein ›Paket‹ vom Westen, die denken wenigstens an uns.«

Negative Diskussionen werden besonders von Personen geführt, die aufgrund der Fahrkartensperre nicht nach Berlin fahren können. So äußert sich der Reichsbahnschaffner [Vorname Name 7] aus Silz, [Kreis] Waren, Bezirk Neubrandenburg: »Wenn nicht bald die Fahrkartensperre nach Berlin aufgehoben wird, werden wir streiken.«

Demgegenüber werden unter der Bevölkerung Diskussionen geführt, dass durch die Fahrtbeschränkung denjenigen eine Härte auferlegt wurde, die nicht nach Berlin fahren wollen, um sich die »USA-Spende« abzuholen.

Aus dem VEB BKW Greifenhain wird bekannt, dass normalerweise ca. 5 000 DM FDGB-Beiträge kassiert wurden, für den Monat Juli aber nur 500 DM. Die Kumpels äußern sich hierzu: »Wir wollen erst wissen wo unsere Gelder hinfließen« oder »Was tut die Gewerkschaft schon für die Kumpels?«

In einer VdgB-Versammlung in der Gemeinde Byhlen, wo über die Erfüllung des Getreidesolls gesprochen wurde, äußerte sich der Bauer [Name 8] durch einen Zwischenruf: »Kommt doch raus und geht nach Hause, lasst die Ochsen sitzen.« Nachdem kein Mensch darauf reagierte, bleib auch [Name 8] selbst in der Versammlung.

Wie uns bekannt wurde, trafen sich am 2.8.1953 in der Nähe von Prettin, Bezirk Cottbus, zehn Personen, die aus der D-Linie4 ausgesiedelt wurden.5 Von diesen Personen wurde eine Resolution verfasst und eine Delegation gewählt, die diese Resolution nach Berlin in das ZK bringen soll. Der Inhalt dieser Resolution betraf die Rückführung dieser Personen, da man die Einzelanträge nicht zufriedenstellend beantwortet hat. Durch die Delegation wollen sie versuchen, ihre Rückkehr zu erwirken. Die Resolution wurde von 22 Personen unterschrieben.

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