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Tagesbericht

18. August 1953
Information Nr. 1043

Stimmung der Bevölkerung

a) Note der Sowjetregierung

Im Mittelpunkt der politischen Ereignisse steht [sic!] die Note der Sowjetregierung und der Entwurf von Grundlagen eines Friedensvertrages mit Deutschland.1 In breiten Kreisen der Bevölkerung werden diese Fragen bereits diskutiert, wenn sich auch die Diskussionen noch nicht überall und noch nicht voll entfaltet haben.

Positive Kräfte betonen in ihrer Stellungnahme die Friedenspolitik, die die Sowjetregierung in ihrer Note zum Ausdruck bringt, ebenso die Tatsache, dass die Sowjetunion die Interessen des deutschen Volkes vertritt. Die positiven Stimmen, die die politische Bedeutung der Note in ihrer Gesamtheit erkennen, kommen vor allem aus den Reihen unserer Partei. Verbreitet ist die Tendenz, die Bedeutung der Note der Sowjetregierung auf den Vorschlag nach Streichung der Reparationsverpflichtungen ab 1954 zu beschränken.

Aus dem Bezirk Rostock wird gemeldet, die Bevölkerung verhalte sich noch abwartend. In allen Werften wurden Arbeiterkurzversammlungen durchgeführt. Die Versammlungen in der Neptunwerft Rostock wurden mangelhaft vorbereitet, sodass nur ein geringer Teil der Arbeiter daran teilnahm. Im Kombinat Böhlen hat die Betriebsparteiorganisation noch nichts unternommen, um den Arbeitern den Inhalt und die Bedeutung der Note zu erklären. In der Sozialabteilung des Kunstseidenwerkes Premnitz unterhielten sich mehrere Frauen, sie wollten erst abwarten was man »drüben« dazu sagt.

Negative Stimmungen, die neben positiven von der Wismut gemeldet werden, bringen zum Ausdruck, es seien schon viele Noten gewechselt worden und nichts habe sich geändert, in den Noten stünde immer dasselbe.

b) »USA-Paketaktion«2

Zu der sogenannten »USA-Pakethilfe« wird unter der Bevölkerung verschiedentlich diskutiert. So wird besonders unter dem Teil der Arbeiter, welche finanziell besser stehen (vor allem Wismut-Arbeiter), die Abholung der Pakete aus Westberlin abgelehnt. Dabei werden jedoch Diskussionen geführt, welche zum Ausdruck bringen, dass es bei uns in der DDR noch Menschen gibt, welche ein »geringes Einkommen« haben und denen sollte man Gelegenheit geben, dass sie sich diese Pakete holen können. So äußerte z. B. der Bergarbeiter [Name 1] von der Wismut AG: »Wir Wismut-Arbeiter brauchen diese Pakete nicht, aber die alten Leute, Rentner usw. können sie dagegen wohl gebrauchen.«

Ein weiterer Teil der Bevölkerung erkennt, dass mit dieser Aktion die USA keine ehrlichen Absichten verfolgt, da man der Bevölkerung in »der schweren Zeit von 1945 bis 1947 nicht geholfen hat«. Weiter wird erklärt, dass die USA diese Pakete lieber an die Erwerbslosen des eigenen Landes oder in Westdeutschland zur Verteilung bringen sollte.

Dazu sagte der Zimmermann [Name 2] von der Wismut AG: »Das ist ja ein großer Unsinn. Sie haben selbst genügend Erwerbslose, welche die Pakete dringender benötigen als wir. Die Amis wollen bloß Gimpel fangen. Haben sie uns in der schweren Zeit von 1945 bis 1947 nicht geholfen, so brauchen wir auch jetzt ihre Almosen nicht.«

Eine Rentnerin aus Beelitz,3 Bezirk Potsdam, sagte dazu: »Mit dem Paket, das ist ganz schön und gut und so gerne ich es haben möchte und auch gebrauchen könnte, aber ich verzichte darauf. Irgendetwas ist doch faul, warum muss man denn die Nummer des DPA dort angeben. Eines schönen Tages treten die Herren Amis mit Forderungen an die Paketabholer heran und zum Verräter möchte ich nicht werden.«

Besonders unter bürgerlichen Kreisen wird gegen die Veröffentlichung der »Paketabholer« in der Presse, Rundfunk usw. Stellung genommen, da man sich vorher auch nicht um diese Menschen kümmerte und jetzt ein »großes Geschrei« über sie veranstaltet.4

Stark wird von der Bevölkerung gegen die Abnahme der »Pakete« diskutiert. Dabei bringt man zum Ausdruck, dass dies neue Unzufriedenheit unter den Menschen schafft und man ja »nur nach dem Westen fahren würde, weil bei uns die Preise in der HO so hoch sind«.

Der Arbeiter [Vorname Name 3] aus Kloster Zinna, Bezirk Potsdam, erklärte hierzu: »Es sieht schon wieder mulmig aus, die stänkern so lange, bis es wieder kracht. Wenn die Polizei den [sic!] Leuten die ›Pakete‹ holen ließe, würde nichts sein. Aber so nehmen sie die ›Päckchen‹ ab und dabei soll das Volk nicht wild werden. Sollen sie es hier doch besser machen, dann geht keiner nach Berlin. Wer soll denn immer die HO-Preise bezahlen, dafür verdienen wir doch zu wenig.«

Diese Missstimmung der Bevölkerung gegen die Abnahme der »Pakete« durch die VP wird von provokatorischen Elementen dazu ausgenutzt, indem sie dabei eine Hetze gegen die VP und Regierung betreiben. Der Binderführer [Vorname Name 4] von der MTS Flatow, Bezirk Potsdam, sagte: »Hoffentlich kommt der 17.6. bald wieder, dann geht es aber anders lang. Das Westpaket hole ich mir und wenn ich noch so viel verdiene, ich möchte den sehen, der mir die Büchsen wegnimmt, dem werfe ich mit dieser Büchse ein Loch in den Kopf. Der Spitzbart ist auch so ein Verbrecher. Für jeden Funktionär haben wir schon einen Baum zum Aufhängen ausgesucht. Wir halten alle zusammen.«

Es zeigt sich weiterhin, dass Personen versuchen, durch Urlaubsscheine Bescheinigungen zu erhalten, damit sie dann Fahrkarten nach Berlin bekommen. So wird aus der LOWA Vetschau, Bezirk Cottbus, bekannt, dass fast jeden Tag ein oder zwei Kollegen zur Personalabteilung oder der Abteilung Arbeit kommen und sich einen Urlaubsschein ausstellen lassen. Mit diesem gehen sie dann zum Bürgermeister der Stadt Vetschau und verlangen eine Bescheinigung für eine Fahrkarte nach Berlin. So beantragten z. B. aus diesem Betrieb der Leiter des Fuhrparks, Genosse [Vorname Name 5], die Sekretärin des Werksleiters, [Vorname Name 6], und zwölf weitere Betriebsangehörige einen Urlaubsschein und gingen damit zum Bürgermeister.

c) Weitere Diskussionspunkte

Weitere Diskussionen der Bevölkerung richten sich, wie zum Ausdruck gebracht wird, gegen »die zu hohen Preise in der HO«. Eine Preissenkung in den wichtigsten Lebensmitteln (Fettstoff, Fleischwaren usw.) ist Diskussionsgrundlage breiter Kreise der Bevölkerung.

Negative Diskussionen werden besonders durch die zzt. durchgeführten Stromabschaltungen hervorgerufen. Diese Diskussionen richten sich zum überwiegenden Teil gegen unsere Regierung, da, wie geäußert wird, durch Regierungsbeschluss versprochen wurde, dass keine Stromabschaltungen mehr vorgenommen werden. Die Artikel über Stromabschaltungen in unserer Presse werden zum Teil als nicht stichhaltig zurückgewiesen.5

In verschiedenen Betrieben herrscht eine gewisse Missstimmung aufgrund der mangelnden Belieferung mit Arbeits- und Arbeitsschutzkleidung.

Die Mitglieder der zzt. im Bezirk Karl-Marx-Stadt weilenden Fußballmannschaft »Wacker Wien« bewundern unsere Lebensverhältnisse, da die Preise in Österreich viel höher sind als bei uns.

Feindtätigkeit

Aus Cottbus wird bekannt, dass in den letzten Tagen vereinzelt Flugblätter mit der Überschrift: »Warum die Ostzone hungern muss« sowie »Sowjettechniker nur Lehrlinge des Westens« aufgefunden wurden.

Weiterhin ist zu verzeichnen, dass der Gegner durch Briefsendungen Hetzschriften mit dem Titel »Offener Brief an die deutschen Arbeiter in der SED« sowie Broschüren, die von den sogenannten »freiheitlichen Juristen«6 herausgegeben werden, vereinzelt an Personen im Bezirk Cottbus verschickt.

Im Bezirk Gera wurden die Hetzschriften: »An die Bewohner von Ulbrichts und Zaissers Terrorstaat« an verschiedenen Stellen gefunden. Auch hier tritt in Erscheinung, dass von den sogenannten »Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen« Hetzschriften besonders an die Intelligenz verschickt werden.

Als vermutliches Anzeichen einer gegnerischen Tätigkeit wurden in Leipzig an verschiedenen Straßen und Grundstücken, wo Mitglieder und Funktionäre der SED wohnen, mit Farbstift (weiß – rot) Zeichen in Form von Ringen angemalt.

Im Feineisenwalzwerk des Stahl- und Walzwerkes Hennigsdorf wurden ca. 100 Flugblätter (Hetze gegen die Rede des Ministers Selbmann),7 unterzeichnet »SPD Widerstandsgruppe Hennigsdorf«, gefunden.

Wie bekannt ist, gibt das Ostbüro der SPD8 Tiegeldruckpressen (mit welchen die Hetzschriften gefertigt war) an Agenten, damit diese den Industriebezirken entsprechende Hetzschriften anfertigen können.

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