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Tagesbericht

13. November 1953
Informationsdienst Nr. 2020 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Die Ausgabe der Weihnachtszuwendungen1 ist gegenwärtig das Hauptgesprächsthema in den Industrie- und Verkehrsbetrieben. Vom größten Teil der Arbeiter wird dieser Beschluss freudig begrüßt. In Privatbetrieben werden in Einzelfällen Meinungen vertreten, dass sie gegenüber den Arbeitern der volkseigenen Industrie nicht die Garantie hätten, die gleiche Höhe der Weihnachtszuwendungen zu erhalten, da die Inhaber der Betriebe nicht immer das nötige Geld dafür haben. Verschiedentlich wird auch zum Ausdruck gebracht, dass die Verteilung nicht in jedem Falle richtig ist. Negative Diskussionen zu dieser Frage sind nur sehr vereinzelt vorhanden.

Ein parteiloser Arbeiter der Möbelstoffweberei Hohenstein-Ernstthal/Karl-Marx-Stadt: »Ich habe 30,00 DM Steuerermäßigung erhalten und bekomme 40,00 [DM] als Weihnachtszuwendung, mehr kann ich als Arbeiter wirklich nicht verlangen.«

Von mehreren Arbeitern des Bezirkes Dresden wird gesagt: »Wir sind den Arbeitern der volkseigenen Industrie gegenüber bestimmt im Nachteil, da unsere Fabrikbesitzer wahrscheinlich nicht die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung haben werden.«

Aus der Abteilung Versand des VEB Schott in Jena wird von mehreren Arbeitern geäußert: »Voriges Jahr haben wir einen Wochenlohn bekommen und dieses Jahr sollen es nur 40,00 DM sein. Wie man sieht, verdient der Staat auch hierbei wieder.«

Unzufriedenheit herrscht auch weiterhin darüber, dass verheiratete Frauen 40,00 DM und alleinstehende Frauen mit Kindern nur 30,00 DM erhalten.

Zur Note der SU2 werden weiterhin nur vereinzelte Diskussionen geführt. Wenn auch der Inhalt dieser Diskussionen größtenteils positiv ist, so kommt doch in einer Anzahl der Meinungen zum Ausdruck, dass man sich von diesem Notenwechsel nicht viel verspricht.

Ein parteiloser Arbeiter des VEB Zeiss Jena: »Die SU will durch diese Note in jeder Weise eine Einigung erzielen und den Weltfrieden sichern. Das Treiben der Westmächte in dieser Hinsicht ist mir einfach unverständlich und führt zum Krieg. In der heutigen Lage ist ein anderer Weg als der der SU kaum denkbar. Das müsste jedem Kollegen klar sein.«

Ein Arbeiter des Sachsenwerkes Radeberg/Dresden: »Die Note der SU nützt ja doch nicht viel, wenn man bedenkt, wie viel Noten an die Westmächte ergangen sind und alle ohne positives Ergebnis. Durch den Notenwechsel wird die Einheit Deutschlands sowieso nicht erreicht.«

Zum Monat der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft werden weiterhin einzelne Produktionsverpflichtungen bekannt. Im Bezirk Cottbus verpflichteten sich die Braunkohlenwerke »Impuls« und »Clara Zetkin« insgesamt 3 210 t Briketts über den Plan zu produzieren. Die Kollegen der Dübelwerke Loitz, Kreis Demmin/Neubrandenburg, verpflichteten sich, den Jahresproduktionsplan bis zum 15.11.1953 zu erfüllen. Im VEB IKA Sonneberg/Suhl erhöhten z. B. 18 Kollegen anlässlich des Freundschaftsmonats ihre Norm um 3–20 %.

Zu Produktionsschwierigkeiten durch Waggon- und Koksmangel kommt es in einzelnen Betrieben. Vom VEB Holzbearbeitungsbetrieb in Klosterfelde, Kreis Bernau/Frankfurt/Oder, können die für 250 000 DM fertiggestellten Küchenmöbel nicht abtransportiert werden, da keine Waggons zur Verfügung stehen. Im EKS wurde der Produktionsplan am 11.11.1953 nur am Ofen V erfüllt.3 Wegen Koksmangel mussten die Öfen I–IV teilweise stillgelegt werden.

Unzufriedenheit wird in Einzelfällen über den bürokratischen Verwaltungsapparat im Fischkombinat Rostock und über die Bezahlung bei der Reichsbahn zum Ausdruck gebracht.

Ein Maschineninspektor, Mitglied der SED, vom Fischkombinat Rostock: »Wenn die gesamte Flotte mal im Hafen läge, würde es im Fischkombinat eine Revolution geben, denn diese haben alle die Schnauze bis obenhin voll. Die Fischer sagen, warum so einen bürokratischen Verwaltungsapparat, denen wir das Geld verdienen müssen. Wir rechnen uns auf der Heimreise schon genau aus, wie viel Geld wir verdient haben. Was wird aber gemacht? Man versucht uns von der Landseite aus zu betrügen bis dort hinaus.«

In letzter Zeit mehren sich Diskussionen über die schlechte Bezahlung bei der Reichsbahn, besonders treten die Diskussionen in den Bezirken Erfurt, Gera und Suhl auf. Es wird teilweise die Meinung vertreten, dass die Eisenbahner in Westdeutschland besser bezahlt würden als in der DDR. Es kommt dabei zu solchen Äußerungen wie z. B. die eines Bahnhofvorstehers aus Erfurt, Mitglied der SED: »Glaubt mir, ohne dass ich jemand aufhetzen will, aber wenn die Eisenbahner ihre Arbeit nur für eine Stunde niederlegen würden, würde die Bezahlung bestimmt eine bessere.«

Handel und Versorgung

Schwierigkeiten in der Kartoffelversorgung werden aus Cottbus, Magdeburg, Halle und Erfurt berichtet. Der derzeitige Stand der Kartoffelversorgung im Bezirk Erfurt liegt bei 79 %. Durch das Staatssekretariat für Erfassung und Aufkauf Berlin wurden 3 000 t Kartoffeln – Einfuhr aus Mecklenburg für den Bezirk Erfurt – gestrichen. Weiterhin wurden am 28.10.1953 30 Waggons Kartoffeln, die für den Kreis Arnstadt/Erfurt bestimmt waren, in Halle angehalten und verteilt. Auch diese Anweisung kam vom Ministerium für Handel und Versorgung Berlin. Da die aufgezeigten Mengen eingeplant sind, werden negative Auswirkungen in Erfurt erwartet.

Vom Ministerium für Handel und Versorgung erhielt der Rat des Bezirkes Gera Anfang Oktober die Nachricht, dass aufgrund der angestellten Bedarfsermittlung 57 000 Weihnachtsbäume zur Verfügung gestellt werden. Beim Rat des Bezirkes hat jedoch das Ministerium keine Bedarfsermittlungen angestellt, sondern bei der Konsumgenossenschaft Gera nachgefragt, wie viel Bäume für den Bezirk benötigt werden. Vom Konsum wurden 57 000 angefordert, die nun freigegeben wurden. Die Anforderung der Abteilung Handel und Versorgung beim Rat des Bezirkes von insgesamt 110 000 bleibt unberücksichtigt. Hier besteht der Zustand, dass die Abteilung Handel und Versorgung sich von der Geschäftsstelle des Konsums über Anordnungen des Ministeriums für Handel und Versorgung aufklären lassen muss.

Vom Rat des Kreises Roßlau/Halle, Abteilung Handel und Versorgung, wird Beschwerde darüber geführt, dass weiterhin Textilien angeliefert werden, die für den Sommer bestimmt sind, saisongerechte Lieferungen jedoch ausbleiben.

Aus Erfurt wird berichtet, dass der Bedarf der Bevölkerung mit Margarine Sorte I und III nicht gedeckt werden kann, Sorte II jedoch in ausreichender Menge vorhanden ist. Von der Bevölkerung wird bemängelt, dass die Sorte II, die auf Kartenbasis zum Verkauf gelangt, in ihrer Qualität gegenüber der bisherigen auf Karten ausgegebenen Margarine nachgelassen hat.

Landwirtschaft

Aus Anlass des Monats der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft verpflichtete sich die Ortsgruppe der DBD Stehla/Leipzig zu zusätzlichen Lieferungen von 30 dz Schwein, 5 dz Rind, 10 000 Ltr. Milch (diese Gemeinde besteht hauptsächlich aus Groß- und Mittelbauern). Die LPG Wormlage/Cottbus hat alle LPG des Bezirkes zum Wettbewerb aufgerufen, um das Jahr der großen Initiative auch in der Landwirtschaft zu einem vollen Erfolg werden [zu]lassen.

Beim Ziehen der Winterfurche werden aus einigen Kreisen des Bezirkes Dresden Schwierigkeiten berichtet. Einzelbauern sind zum Teil weiter als die LPG, was verschiedentlich auf fehlende Pflugscharen bei der MTS zurückzuführen ist. Von der MTS Berggießhübel/Dresden werden z. B. mindestens 50 Pflugscharen benötigt, da in den nächsten Tagen sonst verschiedene Traktoren beim Pflügen ausfallen müssen.

Nachteinsätze werden von den Traktoristen der MTS Bahrendorf4/Magdeburg abgelehnt, da sie keine Winterbekleidung wie Watteanzüge und dgl. erhalten. Abwanderungen von Traktoristen werden aus dem Kreis Merseburg/Halle berichtet. Vier Traktoristen haben z. B. bei der MTS Kötzschau gekündigt, da sie mit der Entlohnung nicht einverstanden sind. Sie wollen als Kraftfahrer im Kraftverkehr Merseburg arbeiten, wo sie mehr verdienen. In der MTS Nennhausen/Potsdam stellten neun Belegschaftsangehörige den Antrag um Aufnahme als Kandidat der SED.

Die Auflösung von vier LPG aufgrund mangelnder Kollektivarbeit und Zwistigkeiten untereinander wird aus dem Kreis Sondershausen/Erfurt bekannt. Weiterhin sind vereinzelte Austritte (20 Bauern) zu verzeichnen. Durch hetzerische Argumente die LPG aufzulösen, versuchten einige Mitglieder der LPG Köttendorf/Erfurt. Durch das entschlossene Auftreten des Vorsitzenden konnte dies verhindert und die Anstifter aus der LPG ausgeschlossen werden.

Der Anbauplan 1954 für Hackfrucht löste bei den Bauern in Wredenhagen5/Neubrandenburg Unzufriedenheit aus. So äußerte z. B. ein werktätiger Bauer: »Der neue Kurs ist im Ministerratsbeschluss verankert, wonach landwirtschaftliche Betriebe gestärkt und gefestigt werden sollen.6 Nach dem neuen Anbauplan für Viehfütterungszwecke ist dies aber nicht der Fall. Wenn kein Futter für das Vieh vorhanden ist, ist auch keine Leistungssteigerung möglich.«

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Allgemein kann festgestellt werden, dass über politische Tagesfragen nur sehr wenig gesprochen wird. Über die Note der SU wird z. B. nur noch ganz vereinzelt diskutiert. Demgegenüber aber treten wirtschaftliche Fragen wieder stärker in Erscheinung. Positive Diskussionen über die durchgeführte Preissenkung sind noch immer, besonders bei Frauen, festzustellen, was jedoch zum Teil durch mangelnde Warenbereitstellung, besonders Kartoffelversorgung und Stromabschaltungen, beeinträchtigt wird.

So äußert sich z. B. eine Hausfrau aus Ilmenau/Suhl: »Bisher habe ich geglaubt, alles was die Zeitung und der Rundfunk bringt [sic!], sind nur leere Worte. Doch es ist anders, man kann Vertrauen zur Regierung haben, der beste Beweis sind die letzten Maßnahmen.«

Eine werktätige Frau aus Oberlungwitz/Karl-Marx-Stadt: »Soll das noch ein Leben sein, fast jeden Abend ist der Strom abgeschaltet. Ich bin nicht in der Lage meine Sachen in Ordnung zu halten.«

Zur Auszahlung der Weihnachtszuwendung wird besonders von Angestellten, die nicht unter diese Vergünstigung fallen, Unzufriedenheit geäußert und zum Teil sehr heftig diskutiert. Die Angestellten der DHZ Gummi und Asbest und der DHZ Minol in Erfurt äußern sich z. B. sehr negativ über diese Anweisung und wollen eine Protestresolution an den Bundesvorstand des FDGB richten. Sie vertreten die Meinung, dass auch sie wesentlich zur Erfüllung der Pläne beitragen. Ein Angestellter des Rates des Kreises Döbeln/Leipzig: »Bei besonderen Einsätzen sind wir immer die Ersten, bei Zuwendungen jedoch immer die Letzten.«

Organisierte Feindtätigkeit

Vereinzelte Verbreitung von Flugblättern wird aus den Bezirken Gera, Berlin, Rostock, Halle, Karl-Marx-Stadt, Potsdam, Schwerin, Frankfurt/Oder, Cottbus und Dresden gemeldet. In der Mehrzahl handelt es sich um Flugblätter der NTS7 und SPD,8 die mit Ballons eingeschleust wurden.

In einem Brief, der von den »freiheitlichen Juristen«9 im Bezirk Dresden auftauchte, werden die Großbauern aufgefordert, sich etwaigen Gewaltmaßnahmen bei der Kartoffelerfassung durch energischen Widerstand zu entziehen.

Im Kreis Königs Wusterhausen/Potsdam wurde der TAN-Sachbearbeiter der staatlichen Forstwirtschaftsbetriebe Königs Wusterhausen am 9.11.1953, nachts 1.00 Uhr, auf dem Nachhauseweg von einer unbekannten männlichen Person mit den Worten »Jetzt hab ich dich, du Normenschinder, du TAN-Schwein und Vaterlandsverräter« beschimpft und bewusstlos geschlagen.

Einschätzung der Situation

Der Beschluss über die Auszahlung der Weihnachtszuwendungen wird von der großen Mehrzahl der Arbeiter begrüßt. Diese Maßnahme hat wieder dazu beigetragen, das Vertrauen zur Regierung zu festigen. Unzufriedenheit besteht im Wesentlichen bei einem Teil der Angestellten in den Verwaltungen, welche diese Zuwendung nicht erhalten. Politische Tagesfragen werden verhältnismäßig wenig diskutiert, umso mehr wird von der Bevölkerung über die Mängel in Handel und Versorgung gesprochen, worüber noch die meiste Unzufriedenheit herrscht.

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