Analyse für die Zeit vom 15. bis 31. Mai 1954
7. Juni 1954
Analyse für die Zeit vom 15. bis 31. Mai 1954 [Nr. 10/54]
Über politische Probleme wurde in allen Bevölkerungsschichten nur in geringem Umfang diskutiert. Gegenüber der vorigen Berichtsperiode sind die Stimmen etwas weniger geworden. Über die Tagung des Weltfriedensrates und seine Beschlüsse wurde in allen Bevölkerungskreisen fast gar nicht gesprochen.1
Genfer Konferenz
Die Genfer Konferenz stand im Mittelpunkt der politischen Tagesfragen.2 Gegenüber der vorigen Berichtszeit sind die Diskussionen zurückgegangen und traten gegen Ende der Berichtszeit nur noch im ganz geringen Umfange auf. Der größte Teil der Stimmen stammt aus Kreisen der Arbeiter und fortschrittlicher Angestellter. Innerhalb der Landbevölkerung und der übrigen Bevölkerung waren die Diskussionen geringer als in der Industrie. Von der Landbevölkerung äußerten sich überwiegend Angehörige des sozialistischen und genossenschaftlichen Sektors.
Der größte Teil der Stimmen war positiv. Man erwartete Beschlüsse zur Entspannung der internationalen Lage und zum Verbot der Atom- und Wasserstoffbomben. Daneben befasste man sich besonders mit der Abreise Dulles’3 aus Genf.4 Man wertet diesen Schritt als eine Niederlage der USA, andererseits als Ausdruck der wachsenden Kräfte des Friedenslagers. Ein Hauer aus dem Wismut-Schacht 21 in Annaberg:5 »Da Dulles nicht mehr ein noch aus wusste, weil die Kräfte des Friedens immer stärker werden, ist er von der Konferenz abgehauen. Es hat sich gezeigt, dass es mit der Politik der Stärke gar nicht so weit her ist. Das ist eine große Schlappe für die Amerikaner.«
Ein nicht geringer Teil erwartete keinen Erfolg von der Konferenz, wozu folgende Stimme charakteristisch ist: Ein Bauer aus Wellmitz, [Bezirk] Frankfurt: »Was interessiert mich schon die Genfer Konferenz. Die können so viel beraten, unter einen Hut kommen sie doch nicht, und Futter für mein Vieh können sie mir auch nicht beschaffen.«
Feindliche Äußerungen im Zusammenhang mit der Genfer Konferenz traten nur ganz vereinzelt auf.
Volksbefragung
Über den Beschluss der Volkskammer zur Durchführung einer Volksbefragung,6 der gegen Ende der Berichtsperiode gefasst wurde, wurden aus allen Teilen der Bevölkerung nur gering Stimmen bekannt, die an den letzten Tagen etwas zunehmen. Sie stammen oft von fortschrittlichen Kräften. Darin wird überwiegend der Beschluss begrüßt und teilweise gefordert, dass auch in Westdeutschland die Befragung ungestört durchgeführt wird. Daneben wurden Zweifel geäußert, ob die Befragung überhaupt einen Zweck habe, denn »Adenauer7 lässt sich doch nicht stören«. In einzelnen negativen Stimmen wird die Volksbefragung abgelehnt.
Vorbereitung zum II. Deutschlandtreffen8
Die Teilnehmerwerbung nahm in der Berichtszeit einen erfolgreichen Verlauf, sodass zehn Bezirke ihr Soll bereits erfüllt und zum Teil übererfüllt haben. Mit Ausnahme von Halle fehlt den restlichen Bezirken nur noch eine geringe Zahl Teilnehmer, um das Soll zu erfüllen. Die Stimmung der Jugendlichen war gut. In den Diskussionen wurde zum Ausdruck gebracht, dass man sich auf das schöne Erlebnis in Berlin freut. Hierzu folgendes Beispiel: Eine Jugendliche (Angestellte) aus dem VEB Blema in Aue: »Ich freue mich darauf, dass man mich wieder zum II. Deutschlandtreffen nach Berlin delegiert hat. Diese Tage werden ein großes Erlebnis für mich darstellen.«
Über die politische Bedeutung des II. Deutschlandtreffens wurde wenig gesprochen. Auch nahm die übrige Bevölkerung keinen regen Anteil am II. Deutschlandtreffen. Die positiven Stimmen stammten meist von fortschrittlichen organisierten Menschen. Teilweise wurde die Beteiligung am Deutschlandtreffen mit der Begründung wie »persönliche Dinge vorhaben« oder »kein Geld« abgelehnt. Teilweise befürchtete man, dass die Jugendlichen in Westberlin demonstrieren müssen und dann zusammengeknüppelt werden wie am 15.8.1951.9 Im VEB Kunstseidenwerk Pirna, [Bezirk] Dresden, ist die Zahl der eingetragenen Teilnehmer von 287 auf 147 zurückgegangen. Die Jugendlichen geben als Begründung dafür Familienfeiern an. In der Gemeinde Neuhausen, [Bezirk] Potsdam, sind es zum Beispiel 30, in Milow acht und in Rilow10 elf Jugendliche, die sich von der Teilnehmerliste streichen ließen. Als Begründung geben sie an, dass sie zu Pfingsten bei ihren Eltern bleiben wollen oder dass sie befürchten, es würde in Westberlin demonstriert.
Produktionsschwierigkeiten
Die Produktionsschwierigkeiten sind in den meisten Bezirken in unverändertem Umfang geblieben. In den Bezirken Magdeburg, Gera, Suhl und in dem Wismutgebiet sind sie etwas geringer geworden, jedoch treten sie meist in größeren Betrieben auf. Im Bezirk Neubrandenburg wurden Schwierigkeiten in der Materialversorgung nicht bekannt.
Die Ursachen sind die gleichen geblieben, wie Materialmangel, unregelmäßige Materiallieferungen durch die Zubringerbetriebe, schlechte Qualität, besonders bei Gussteilen, sowie Rohstoffmangel.
Mangel an HO-Fleischwaren
Im Vergleich zur vorhergehenden Berichtszeit ist in der Versorgung der Bevölkerung mit HO-Fleischwaren noch keine wesentliche Veränderung eingetreten. Schwierigkeiten ergaben sich weiterhin in allen Bezirken, nur im Bezirk Gera und in Berlin ist in einigen Kreisen gegen Ende der Berichtsperiode durch die Bereitstellung größerer Kontingente die Lage gebessert [sic!]. Dieser Mangel löste unter der Bevölkerung Unzufriedenheit aus, was seinen Ausdruck in zahlreichen negativen Äußerungen findet. Es kam zu Äußerungen wie z. B.: »In Dresden gibt es in den HO-Fleischgeschäften nur Fischkonserven zu kaufen und woanders ist es ebenso. Nirgends gibt es Bockwurst, die schaffen wohl alles nach Berlin?« (ein Arbeiter aus Dresden).
Eine Hausfrau aus Liebenwerda, [Bezirk] Cottbus: »Es ist wieder eine prima Unordnung. Es gibt kein Fleisch und keine Bockwürste. Wenn die Bevölkerung darunter leiden muss, dann soll man nicht solche Jugendtreffen machen. Aber es ist ja immer so, dass man nach außen glänzen will.«
Die Argumente lassen erkennen, dass die Bevölkerung ungenügend über die HO-Fleischverknappung aufgeklärt ist. Feindliche Elemente benutzen die Schwierigkeiten zur Hetze für einen neuen »17. Juni«. So sagt zum Beispiel eine Hausfrau aus Görlitz: »Es ist eine Schande, dass es keine Wurst und Butter mehr gibt. Es wird höchste Zeit, dass ein neuer 17. Juni kommt. Wenn nur die Großbetriebe bald anfangen würden. Mein Mann, der in der Lowa11 arbeitet, sagte, lange lassen wir uns das nicht mehr gefallen.«
Landwirtschaft
Die verschiedentlich aufgetretenen Schwierigkeiten in der Futter- und Düngerversorgung halten in der Berichtszeit weiterhin an. Größtenteils berichteten uns darüber die Bezirke Halle, Karl-Marx-Stadt, Dresden und Cottbus. Zum Beispiel sind aufgrund des Futtermangels einige Bauern in der Gemeinde Leuchen,12 [Bezirk] Cottbus, dazu übergegangen, ihr Vieh mit Heidekraut zu füttern. Dadurch stellten sich bei einigen Tieren die ersten Zeichen allgemeiner Entkräftung und Knochenweiche ein.
Bei der Düngemittelzuteilung wird weiterhin bemängelt, dass sie nicht nur unzureichend, sondern oft auch zu spät erfolgt. So z. B. sagte der Vorsitzende der VdgB in Weißsandt, [Bezirk] Halle: »Die Düngerversorgung wird von Jahr zu Jahr schlechter. Wenn wir eine gute Ernte erzielen wollen, müssten 20 Prozent mehr Dünger auf die Felder.« Ein Bauer aus Friedrichsaue, [Bezirk] Halle: »Mir ist es unverständlich, dass man bis zum 1. Juni [1954] nur 70 Prozent Dünger liefert. Wir brauchen ihn doch jetzt dringend.«
Feindtätigkeit
Die Zahl der verbreiteten Hetzschriften hat sich gegenüber der 1. Maihälfte weiterhin verstärkt. Die Anzahl stieg von 1 008 000 Stück in der 1. Maihälfte auf 1 380 000 Stück in der 2. Maihälfte, dabei enthält diese Zahl allerdings einen Fund von 900 000 Stück Flugblättern der NTS,13 welche an der Demarkationslinie im Gebiet Hildburghausen sichergestellt worden sind.
Schwerpunkte der Verbreitung waren: Suhl 180 000, Potsdam 119 860, Karl-Marx-Stadt 37 000.
In den meisten Fällen handelt es sich um Hetzschriften der NTS, SPD-Ostbüro,14 KgU,15 »Freie Junge Welt«,16 FDP-Ostbüro und in tschechischer Sprache. Letztere richteten sich gegen die Wahlen der Nationalen Front in der ČSR.17
Die Flugblätter des SPD-Ostbüros richteten sich vorwiegend gegen die Ergebnisse des IV. Parteitages.18 Die KgU hetzt gegen den neuen Kurs in der DDR.19 Das Ostbüro der FDP verbreitet Hetzschriften mit ihren »Zielen«, die sich zusammengefasst alle gegen die DDR richten. Die Hetzschriften der »Freien Jungen Welt« befassten sich alle mit dem II. Deutschlandtreffen und enthielten vielartige Versuche, das II. Deutschlandtreffen zu sabotieren. Von diesen Hetzschriften gelangte durch die Maßnahmen der Sicherheitsorgane nur ein ganz geringer Teil in die Hände der Bevölkerung.
Hauptgegenstand der westlichen Hetze durch Presse und Rundfunk waren die Vorbereitungen zu dem II. Deutschlandtreffen. Die Sendungen des RIAS versuchten in der vielfältigsten Art, die Teilnahme am II. Deutschlandtreffen zu verhindern, sei es durch Verhöhnung und Verhetzung der FDJ, durch Beunruhigung der Eltern oder durch direkte Hinweise an Funktionäre, Lehrer u. A., das Deutschlandtreffen nicht zu unterstützen.
Darüber hinaus wurden noch folgende Probleme unter anderem behandelt:
Hetze gegen Ferienaktion der Jungen Pioniere,20 mit der Aufforderung an die Lehrer, die Maßnahmen unserer Regierung zu sabotieren.
Meldungen über Unruhen in der DDR,21 meist verbunden mit angeblichen Beispielen über administrative Normenerhöhungen bzw. Lohnsenkungen und Verleumdung des FDGB.
Hetze gegen die KVP-Werbung22 mit angeblich »neuen Methoden«, z. B. »Kontrolle der Teilnehmerlisten« zum II. Deutschlandtreffen.
Lügen über die Lage in der Landwirtschaft – LPG mit großen Verlusten – z. B. »nur 0,10 DM Stundenlohn«. Bauern wollen angeblich Wirtschaft abgeben, da kein Futter, keine Ersatzteile usw.
Vereinzelt treten Sendungen und Artikel über die Volksbefragung auf, die in Verbindung mit den Volkswahlen 1950 unseren demokratischen Staat verleumden sollen.23
Antidemokratische Handlungen und Schmierereien, wie Zerstörung von Transparenten und Fahnen, Hetzparolen und Hakenkreuze24 anschmieren, wurden aus fast allen Bezirken berichtet.
Terrorakte wurden insgesamt in 18 Fällen verübt. Sie richteten sich gegen sieben FDJ-Funktionäre, einen SED-Funktionär, vier VP-Angehörige, zwei Betriebsschutzangehörige, einen Betriebsleiter und einen LPG-Vorsitzenden.
Diversionshandlungen insgesamt 13. Davon sechs in der Industrie, vier in der Landwirtschaft und drei bei der Reichsbahn. Vermutliche Diversionshandlungen insgesamt fünf, davon vier in der Landwirtschaft und eine Industrie.
Vorsätzliche Brände insgesamt 14. Davon zehn Waldbrände, ein HO-Gaststättenbrand, eine Schutzhütte der Grenzpolizei, ein Lager der Grenzpolizei, ein Brand in der Industrie. Im HO und im Lager nur geringer Schaden. Ein Täter beim Waldbrand verhaftet. Vermutlich vorsätzliche Brände zehn. Davon neun Waldbrände und ein Brand in der Industrie.