Analyse vom 16. bis 31. März 1954
8. April 1954
Analyse vom 16. bis 31. März 1954 [Nr. 6/54]
Industrie
Über die Einführung der Wehrplicht in Westdeutschland1 wurde in den Betrieben nur noch in der ersten Hälfte der Berichtsperiode diskutiert. Besonders Arbeiter und Jugendliche sprachen sich gegen die Wehrpflicht in Westdeutschland aus, da sie keinen neuen Krieg wünschen und in Frieden ihrer Arbeit nachgehen wollen. Ein Angestellter von dem Eisenhüttenkombinat ESW Stalin erklärte: »Hier in der DDR haben wir uns unsere Regierung selbst geschaffen und deren Politik machen wir alle. In Westdeutschland wird mit den Arbeitern Politik gemacht, um einen neuen Krieg anzuzetteln. Ich kenne nur das Ziel, den Frieden, und dafür kämpfe ich. Deshalb bin ich auch gegen das Wehrgesetz.«
Zu Ehren des IV. Parteitages der SED wurden in vielen Betrieben Kollektiv- und Einzelverpflichtungen übernommen.2 Verschiedentlich wurden Wettbewerbe organisiert und Stoßschichten gefahren. So hat die Abteilung Formerei des VEB Strumpfwerkes Geyer, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sich verpflichtet, in diesem Jahr 80 000 Paar Strümpfe und Socken über den Plan zu fertigen. Die Arbeiter des VEB Industrie-Werk Rauenstein, [Bezirk] Suhl, übernahmen vom 3.2. bis 25.3.1954 359 Kollektiv- und Einzelverpflichtungen. Ein Arbeiter des gleichen Werkes verpflichtete sich, durch Anwendung fortschrittlicher Arbeitsmethoden und technischer Verbesserungen, dem Betrieb jährlich 30 000 DM einzusparen.
Die Mehrzahl derjenigen Werktätigen in der Industrie, die über den IV. Parteitag diskutierten, befasste sich mit wirtschaftlichen Fragen (Verbesserung der Lebenslage). Ein großer Teil erwartete, dass auf dem IV. Parteitag Vorschläge gemacht würden über eine große Preissenkung und Abschaffung der Lebensmittelkarten ohne Erhöhung der Preise. So vertrat z. B. ein großer Teil der Arbeiter des VEB Papierfabrik Penig, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, die Meinung, dass auf dem IV. Parteitag der SED eine große Preissenkung beschlossen wird. Ein großer Teil der Arbeiter des Eilenburger Celluloid-Werkes Leipzig sah dem IV. Parteitag mit großer Erwartung entgegen. Vor allem hoffte man auf eine Preissenkung nach dem Parteitag. Ein Angestellter von DHZ Lebensmittel Dresden erklärte: »Ich hoffe, dass der IV. Parteitag Beschlüsse fasst, die einmal den Menschen den Weg zeigen werden, wie wir zur Einheit Deutschlands kommen können und außerdem, dass eine Preissenkung stattfinden wird und dass vor allem die Markenwirtschaft in Wegfall kommt.«
Von einem Teil der Werktätigen wurde befürchtet, dass bei Aufhebung der Rationierung die Preise erhöht werden. Verschiedene Arbeiter des VEB Press- und Schmiedewerkes »Einheit« Brand-Erbisdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erklärten z. B., dass man keinesfalls die Rationierung der Lebensmittel aufheben könnte, wenn nicht zuvor die Preise gesenkt würden.
Gegen Ende der Berichtsperiode haben die Diskussionen zum IV. Parteitag etwas zugenommen, sind aber noch verhältnismäßig gering. Dies ist zum Teil auf eine mangelhafte Agitations- und Aufklärungsarbeit in den Betrieben zurückzuführen. Besonders mangelhaft war in einigen Betrieben die individuelle Aufklärungsarbeit unter den Werktätigen. So sagte z. B. ein Oberingenieur vom VEB Elmo Dessau, [Bezirk] Halle: »Ich würde es als eine besondere Ehre betrachten, wenn man mich ansprechen würde, ob ich gewillt sei, der Partei der Arbeiterklasse beizutreten. Bei uns Intelligenzlern im Betrieb ist jedoch niemals in dieser Beziehung ein Genosse der Betriebsparteiorganisation an uns herangetreten. Es ist ein schlechter Kontakt hier zwischen der Betriebsparteiorganisation und der Intelligenz. Es scheint, als wenn man vor uns Furcht hätte. Ich weiß, dass viele von uns Ingenieuren gewillt sind, gerade aus Anlass des IV. Parteitages, der Partei der Arbeiterklasse beizutreten.«
Bei einem Teil Arbeitern, besonders bei Angestellten und Intelligenzlern, bestand Interesselosigkeit gegenüber Fragen des IV. Parteitages. So sagte z. B. ein Zimmerer der Peene-Werft Wolgast, [Bezirk] Rostock: »Den Arbeiter interessiert der IV. Parteitag nicht. Für uns ist es wichtiger, Arbeit zu haben, die in unserem Fach liegt. Nicht wie es zurzeit auf der Werft läuft,3 dass Facharbeiter mit nebensächlichen Arbeiten beschäftigt werden.« Der größte Teil der Kumpels vom Wismut-Schacht 2064 zeigt sich ebenfalls politisch interesselos, sie wollen nur ihren Plan durchführen. Politische Fragen wurden kaum diskutiert.
Negative und feindliche Stimmen zum IV. Parteitag wurden nur vereinzelt bekannt. Dabei zeigt sich wieder der Einfluss der westlichen Propaganda. So sagte eine Angestellte vom VEB Raumgestaltung Berlin: »Die Herausstellung des Geburtstages vom Genossen Grotewohl5 hat bestimmt etwas mit der Änderung in der Parteiführung zu tun.6 Für die schlechte Politik in der Durchführung des neuen Kurses7 ist der Genosse Ulbricht8 verantwortlich und er ist bei uns nicht beliebt und wird auch in Westdeutschland nicht anerkannt.« Ein Arbeiter vom VEB Bleichert Leipzig erklärte: »Ulbricht ist der Stalin Nummer 2. Er führt ja bloß das aus, was er von Moskau diktiert bekommt.« Ein Schlosser vom VEB Tuchfabrik Cottbus sagte: »Lasst man, es wird ja noch ein 17. Juni [1953] kommen und da bin ich als einer der Ersten dabei und dann werden die Köpfe rollen.«
Feindliche Elemente versuchten auch, fortschrittliche Kräfte negativ zu beeinflussen. Zum Beispiel eine Hilfsarbeiterin vom VEB Drehmaschinenwerk Zeulenroda, [Bezirk] Gera: »Ich weiß gar nicht, wie ich es machen soll, verschiedene Kollegen bringen mich ganz durcheinander. Vorige Woche sagte ein Dreher zu mir, dass er nicht von mir erwartet hätte, dass ich der SED beitreten will. Er sagte weiter zu mir, dass man sich dann vor mir in Acht nehmen muss und ich soll es mir nicht so einfach vorstellen, denn ich würde Aufträge bekommen, wo ich mich wundern könnte.«
Über die Regierungserklärung der UdSSR vom 25.3.1954 wurde von den Werktätigen in der Industrie nur wenig diskutiert.9 In den Betrieben, wo eine gute Agitations- und Aufklärungsarbeit geleistet wurde, traten die Diskussionen stärker auf. Die Meinungen, die aus allen Schichten der Werktätigen in der Industrie bekannt geworden sind, waren in der Mehrzahl positiv. Im Allgemeinen kam in den Diskussionen zum Ausdruck, dass durch diese Erklärung die SU einen erneuten Freundschaftsbeweis gegenüber dem deutschen Volke gegeben hat und dass es ein weiterer Schritt zur Verwirklichung der Einheit Deutschlands ist. Ein Arbeiter der Abteilung 520 des VEB Siemens-Plania Berlin-Lichtenberg sagte dazu: »Durch die Erklärung der Sowjetregierung ist unsere DDR endgültig in die Reihe der souveränen Staaten aufgenommen worden. Dadurch sind wir in unseren innen- und außenpolitischen Handlungen vollkommen frei. Mit größter Zuversicht sehe ich der Zukunft entgegen. Unsere Position ist wesentlich verstärkt und wir haben eine bessere Ausgangslage beim Kampf um die Einheit Deutschlands.«
Ein Angestellter des VEB Dampfhammerwerkes Großenhain, [Bezirk] Dresden (SED, früher SPD): »Wir sehen hier ganz deutlich das Vertrauen, welches die SU uns entgegenbringt. Ich bin mir im Klaren, dass durch die Hilfe der SU unser Friedenskampf vorwärtsschreiten wird.« Ein Ingenieur des gleichen Werkes erklärte: »Mit größter Freude nehmen wir von diesem großen Freundschaftsbeweis der SU Kenntnis. Daraus ist zu erkennen, wer der Freund des deutschen Volkes ist. Diese Erklärung ist ein wirksames Mittel gegen den EVG-Vertrag.«10
Negative und feindliche Stimmen zur Regierungserklärung wurden nur vereinzelt bekannt. So sagte z. B. ein Arbeiter vom VEB Maschinenfabrik Sangershausen, [Bezirk] Halle: »Dies ist nur auf das Verhalten des deutschen Volkes am 17. Juni [1953] zurückzuführen, dass man den Hohen Kommissar zurückziehen musste.« Ein Arbeiter aus Waltershausen, [Bezirk] Erfurt, meinte: »Ob wir ein souveräner Staat sind oder nicht, das ist egal, drüben müssen die Deutschen machen, was die Amerikaner wollen und wir müssen machen, was die Russen wollen, es fragt ja keiner danach.«
Produktionsschwierigkeiten sind in dieser Berichtsperiode in allen Bezirken, bis auf Bezirk Rostock, zum großen Teil überwunden worden. Während in den Bezirken Produktionsschwierigkeiten nur in einigen Betrieben zu verzeichnen gewesen sind, traten im Bezirk Rostock fast in allen Großbetrieben, besonders in den Werften, Produktionsstörungen auf. Besonders große Schwierigkeiten waren in der Mathias-Thesen-Werft in Wismar zu verzeichnen. Durch Mangel an Material entstanden bei den Arbeitern viele Wartestunden. Dieser Materialmangel hält bereits längere Zeit an. Für das 1. Quartal 1954 wurden 486 Tonnen Walzmaterial benötigt. Geliefert wurden aber nur 132 Tonnen.
Die Ursachen der Produktionsschwierigkeiten waren im Allgemeinen Mangel an Rohstoffen, an Material, an Ersatzteilen, an Waggons, Fehlen von Arbeitskräften, schlechte Qualität des Materials sowie Absatzschwierigkeiten. Durch diese Produktionsschwierigkeiten wurde in einzelnen Betrieben die Planerfüllung gefährdet. Dadurch traten zum Teil bei den Arbeitern dieser Betriebe Verdienstausfälle ein, da oft Facharbeiter mit Hilfsarbeiten beschäftigt werden mussten. Zum Beispiel in der Filmfabrik Agfa-Wolfen Bitterfeld bestand Mangel an Ersatzteilen (Hackwellen). Um die Produktion fortzusetzen, war man gezwungen, alte außer Betrieb gesetzte Wellen wieder einzubauen.
Infolge Waggonmangel konnte der VEB Möbelkombinat Wittstock, [Bezirk] Potsdam, die Fertigmöbel nicht ausliefern. Von den im Monat März angeforderten 32 Waggons wurden nur neun Waggons gestellt.
In dem VEB Bau-Union Dresden konnte der Plan nicht erfüllt werden, da ca. 300 Bauhilfsarbeiter fehlen.
Infolge schlechten Materials konnte der VEB 7. Oktober Berlin11 den 1. Quartalsplan 1954 nicht erfüllen. Bei Großgussstücken liegt teilweise der Ausschuss zwischen 50 bis 100 Prozent.
Unzufriedenheit bestand bei Arbeitern einiger Betriebe, besonders in Lohn-, Normen- und Prämienfragen sowie über die Verteilung der Ferienplätze des FDGB. Dazu folgende Beispiele:
Ein großer Teil der Belegschaft der Maschinenfabrik Wurzen, [Bezirk] Leipzig, forderte, dass die Lohnzahlung nach Stufe II durchgeführt wird. Dies wurde jedoch vom Ministerium für Maschinenbau abgelehnt. In einer Belegschaftsversammlung äußerte ein Arbeiter dazu: »Ich möchte wissen, wer die Lumpen sind, die uns die Ortsklasse vorenthalten.12 Wenn es die vom Ministerium für Maschinenbau sind, dann sollen sie nach Hause gehen und sollen Menschen vom Fach hinsetzen. Wir wollen mehr Geld.«
Im Davidschacht der Bleierzgruben »Albert Funk« in Freiberg bestand eine schlechte Stimmung, da die Schienenleger eine neue Norm erhalten haben, während in der Schachtanlage »Reiche Zeche« noch nach alter Norm gearbeitet wird. Dazu sagte ein Kumpel: »Unten ist wieder dicke Luft, unter den Kumpels wird die Meinung vertreten, dass sie nur noch den ›Tag des Bergmannes‹13 abwarten wollen, um danach dem Schacht den Rücken zu drehen.«
Im Werk II Leisnig, [Bezirk] Leipzig, des VEB Spinnereimaschinenbau Karl-Marx-Stadt ist ein Teil der Belegschaft mit der Zahlung von hohen Prämien an die Intelligenz nicht einverstanden. Ein Arbeiter dieses Werkes erklärte: »Wir Arbeiter haben genau denselben Anteil an der Planerfüllung wie unsere Wirtschaftsfunktionäre. Wir ziehen aber immer den Kürzeren. Uns Arbeiter speist man mit kleinen Geldbeträgen ab und die anderen bekommen Hunderte von Mark ausgezahlt. Warum hat die Regierung noch keinen Weg gefunden, diese Ungerechtigkeit zu verändern.« Ähnliche Diskussionen traten auch im VEB Halbmond Teppichfabrik Oelsnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, auf über die Auszahlung der letzten Quartalsprämie von 1953, wo leitende Angestellte mehrere Hundert DM und Arbeiter im Durchschnitt 20,00 bis 30,00 DM erhielten.
In der Abteilung Projektierungsmontage des VEB Sachsenwerk Niedersedlitz, [Bezirk] Dresden, diskutierten einige Kollegen über die Verteilung der Ferienplätze. Ein Kollege sagte: »Für 1 000 Kollegen aus dem Westen werden Ferienplätze gegeben, nur damit die gut über uns reden, wir dagegen bekommen keine. Man müsste keine Beiträge mehr bezahlen.«
In dieser Berichtsperiode traten wiederum Massenerkrankungen in verschiedenen Betrieben nach Einnahme des Werkküchenessens auf. In der Zeit vom 19.3. bis 26.3.1954 traten diese Erkrankungen in acht volkseigenen Betrieben, in der Baufachschule Cottbus und im Ministerium der Finanzen auf. Die Erkrankungen zeigten sich in Form von Erbrechen und Durchfall. Somit traten die Erkrankungen in letzter Zeit insgesamt in 15 Betrieben auf. Betroffen wurden insgesamt 2 197 Personen, zwei Personen sind verstorben.
Landwirtschaft
Auf dem Lande wurde wenig zu politischen Tagesfragen Stellung genommen, meist nur von Arbeitern und Angestellten der MTS und VEG sowie von Mitgliedern der LPG. Nur zu Beginn der Berichtsperiode wurde noch vereinzelt über die Einführung der Wehrpflicht in Westdeutschland gesprochen, meist positiv. Über den IV. Parteitag wurde in der zweiten Hälfte der Berichtsperiode nur vereinzelt diskutiert, jedoch überwiegend positiv. Zur politischen Bedeutung des IV. Parteitages wurde kaum gesprochen. Größtenteils erwartete man Beschlüsse über die weitere Verbesserung der Lebenslage. So erklärte z. B. ein Traktorist der MTS Sondershausen, [Bezirk] Erfurt: »Ich glaube, dass der IV. Parteitag zur weiteren Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion und zur Hebung des Lebensstandards der Landbevölkerung bedeutende Beschlüsse fasst.«
Ein Brigadier von der MTS Göhlen, [Bezirk] Schwerin, sagte: »Auf dem IV. Parteitag werden bestimmt Beschlüsse über eine bedeutende Hebung des Lebensstandards gefasst.«
Zu Ehren des IV. Parteitages haben die Verpflichtungen gegenüber der ersten März-Hälfte in geringem Maße zugenommen. So haben sich z. B. die Mitglieder der LPG »Fortschritt« in Lützen, [Bezirk] Halle, verpflichtet, 50 000 kg Milch, 30 dz Schweinefleisch und 10 000 Stück Eier zusätzlich dem freien Markt zuzuführen. In den Gemeinden Grünberg und Trante,14 [Bezirk] Neubrandenburg, verpflichteten sich sämtliche LPG und werktätige Einzelbauern, ihr Jahressoll in tierischen Produkten 100-prozentig vorfristig zu erfüllen.
Am Monatsende äußerte man sich auf dem Lande nur in geringem Umfang zur Regierungserklärung der SU vom 25.3.1954. Überwiegend wurde zum Ausdruck gebracht, dass diese Erklärung ein erneuter Vertrauensbeweis der SU gegenüber der DDR ist. Eine Bäuerin der LPG Tarnow, [Bezirk] Schwerin, sagte dazu: »Man sieht wieder, dass die SU in all ihren Maßnahmen das Potsdamer Abkommen zugrunde legt.15 Jetzt müssen wir all unsere Kräfte einsetzen, damit es uns gelingt, schnell die Einheit Deutschlands herzustellen.« Ein Bauer von der LPG Blumberg, [Bezirk] Frankfurt/Oder, meinte: »Wenn sich die Beziehungen zwischen der SU und der DDR festigen, so kann das nur für uns zum Vorteil sein.«
Negative Meinungen wurden nur ganz vereinzelt festgestellt, so äußert sich z. B. ein Mittelbauer aus Lichtenberg, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Aufgrund der Erklärung der SU ist ersichtlich, dass wir und alle volksdemokratischen Staaten nun zu Russland gehören.«
Während der Berichtszeit stand die Frühjahrsbestellung weiterhin im Mittelpunkt des Interesses. Verschiedentlich wurde über Mangel an Saatgut, besonders Saatkartoffeln, Dünge- und Futtermitteln geklagt. Zum Beispiel fehlten im Kreis Malchin, [Bezirk] Neubrandenburg, ca. 7 000 dz und im Bezirk Cottbus ca. 4 500 Tonnen Pflanzkartoffeln. Im Kreis Hohenmölsen, [Bezirk] Halle, mussten noch 2 477 dz Saatkartoffeln aufgebracht werden. Es waren aber keine Austauschprodukte vorhanden.
An Düngemitteln mangelte es im Kreis Sangerhausen, [Bezirk] Halle. Es fehlten 40 Waggons Kali.
Die Futterknappheit führte in den Kreisen Spremberg und Weißwasser, [Bezirk] Cottbus, zur Verringerung des Schweinebestandes um über 3 500 Stück gegenüber dem Vorjahre.
Übrige Bevölkerung
Aufgrund des IV. Parteitages der SED standen besonders die wirtschaftlichen Fragen, wie HO-Preissenkung und Abschaffung der Lebensmittelkarten im Mittelpunkt der Diskussionen unter der übrigen Bevölkerung. Vorwiegend wurde von Rentnern und Hausfrauen befürchtet, dass bei Aufhebung des Markensystems eine Angleichung an die HO-Preise erfolge. Dabei wurde zum Ausdruck gebracht, dass dann lieber die Lebensmittelkarten beibehalten werden sollten. Zum Beispiel eine Hausfrau aus Frankfurt/Oder äußerte dazu: »Die Preise in der HO für Fett- und Fleischwaren sind noch viel zu hoch. Ich erwarte vom kommenden Parteitag der SED, dass dort der Regierung Beschlüsse unterbreitet werden, die unsere Lebenslage verbessern helfen. Eigentlich müsste es auch möglich sein, die Lebensmittelkarten wegfallen zu lassen.«
Eine Hausfrau aus Tanneberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte: »Hoffentlich werden die Kartenpreise nicht allzu sehr erhöht, wenn die Marken wegfallen, denn damit würde man der Masse nicht dienen, weil ein großer Teil der Menschen weniger kaufen kann als jetzt. Man soll dann lieber das Markensystem beibehalten.«
In der Berichtsperiode wurde von der übrigen Bevölkerung nur sehr wenig über die politische Bedeutung des IV. Parteitages der SED gesprochen.
Über die Regierungserklärung der UdSSR vom 25.3.1954 wurden vereinzelt in den letzten Tagen Diskussionen unter der übrigen Bevölkerung bekannt. Die Diskussionen sind zum überwiegenden Teil positiv. Darin wird die Regierungserklärung als erneuter Freundschafts- und Vertrauensbeweis gegenüber dem deutschen Volk begrüßt. Die Stimmen, die uns bekannt wurden, sind meist von parteilosen Rentnern, Hausfrauen sowie fortschrittlichen Angestellten. So sagte z. B. eine parteilose Hausfrau aus Großenhain, [Bezirk] Dresden: »Die Sowjetunion legt damit ein Vertrauen in uns, was ich der Regierung der Sowjetunion hoch anrechne. Das bedeutet für uns einen großen Schritt vorwärts.«
Nur in ganz geringem Maße wurden negative Äußerungen zur Regierungserklärung der Sowjetunion bekannt. Diese Stimmen sind meist von Mitgliedern der LDPD, Geschäftsleuten und Angestellten. Ein Angestellter des Fernmeldeamtes aus Dessau äußerte sich: »So lange wie Besatzungstruppen im Land sind, kann es keine wirkliche Souveränität geben, die Regierung kann niemals unbeeinflusst arbeiten. Wo Besatzung ist, steht die Regierung auch unter dem Einfluss dieser Kräfte. Von einer wirklichen Freiheit der Regierung kann also keine Rede sein. Es herrscht noch ein gewisses Recht der Bajonette.«
Nach Meldung der VP war in den letzten drei Monaten bei Republikflucht, Rückkehr und Zuzug folgende Bewegung festzustellen:
Monat | Flüchtlinge | Rückkehr und Zuzug |
|---|---|---|
Januar | 11 776 | 5 434 |
Februar | 12 346 | 4 324 |
März | 13 299 | 5 052 |
Nach vorläufigen unvollständigen Informationen soll sich die Zahl der Republikflüchtigen im Monat April erhöhen. Da eine große Anzahl der neuen Personalausweise noch nicht abgeholt ist,16 wird angenommen, dass ein Teil der Inhaber dieser Ausweise republikflüchtig geworden ist.
Feindtätigkeit
Die Verbreitung von Flugblättern und Hetzschriften hat in der 2. Märzhälfte zugenommen. Gegenüber 337 000 Flugblättern in der 1. Märzhälfte, erhöhte sich die Zahl auf 626 000. Schwerpunkte waren die Bezirke Potsdam (241 000), Suhl (98 500), Neubrandenburg (55 000), Cottbus (53 000), Schwerin (35 000), Karl-Marx-Stadt (34 000) und Frankfurt/Oder (30 000).
Die Hetzschriften wurden meist mit Ballons eingeschleust und oft gebündelt aufgefunden. Die Mehrzahl der Hetzschriften stammt vom Ostbüro der SPD17 und der NTS,18 in etwas geringem Umfange von der KgU19 und dem Ostbüro der CDU.
In starkem Maße wurde vom SPD-Ostbüro, der KgU und dem CDU-Ostbüro die Parole »freie Wahlen« nach westlichem Muster verbreitet.20 In diesem Zusammenhang wird gegen die Vorschläge des Genossen Molotow21 auf der Viermächtekonferenz22 gehetzt und der Eden-Plan propagiert.23
Andere Hetzschriften des SPD-Ostbüros und der KgU richten sich gegen die Regierung der DDR, verleumden Funktionäre und Mitglieder der Regierung, der Partei und des SfS. In den aufgeführten Hetzschriften wendet man sich an alle Kreise der Bevölkerung.
An die Arbeiter in VEB und VEG wenden sich die KgU und das Ostbüro der SPD mit der Parole »Langsamarbeiten«. Die richten sich gegen die Steigerung der Arbeitsproduktivität. Weiterhin schlagen sie dazu vor, Krankheiten vorzutäuschen und geben Anleitung, wie und welche Krankheiten vorgetäuscht werden können. Ferner rufen sie zu Sabotage- und Diversionshandlungen auf.
An die Landbevölkerung richten sich die KgU und der UFJ24 mit der Aufforderung, keine Mitglieder der LPG zu werden. In anderen Flugblättern der KgU und des UFJ wurden Angehörige der VP und KVP aufgefordert, sich entpflichten zu lassen und gegen die Dienstordnung zu handeln. Vom UFJ wurden Hetzbriefe an Angehörige des SfS geschickt, in denen sie zu »loyalem Verhalten« gegenüber Verbrechern aufgefordert werden.
In den letzten Tagen der Berichtsperiode verbreitete das FDP-Ostbüro unter dem Decknamen »SED-Opposition« Hetzschriften, in denen gegen den IV. Parteitag, den Genossen Walter Ulbricht, gegen das neue Parteistatut gehetzt sowie zur Verteidigung der Linie Zaisser25/Herrnstadt26 aufgerufen wird. Hierbei wendet man sich besonders an Mitglieder und Funktionäre der Partei sowie an Delegierte zum Parteitag.
Antidemokratische Schmierereien und Handlungen, wie Zerstörung von Plakaten, Transparenten und Fahnen sowie Anschmieren von Hakenkreuzen und Hetzparolen, wurden vereinzelt aus fast allen Bezirken der DDR berichtet. Einen Schwerpunkt bildet der Bezirk Potsdam.
Terrorfälle wurden insgesamt acht bekannt, wobei im Bezirk Potsdam vier Fälle vorkamen. In einem Falle richteten sie sich gegen einen SED-Funktionär, in einem Falle gegen eine Staatsanwältin, in einem Falle gegen einen Schöffen, in einem Falle gegen zwei KVP-Angehörige, in einem Falle gegen zwei VP-Angehörige, in einem Falle gegen zwei Angehörige des SfS, in einem Falle gegen einen Bürgermeister (SED), in einem Falle gegen einen LPG-Bauern.
Diversionshandlungen wurden in elf Fällen bekannt. Davon sechs in der Industrie und fünf in der Landwirtschaft (drei Fälle in LPG, zwei in der MTS). Eine Sabotagehandlung wurde in einem Falle in einer LPG festgestellt. An Brandstiftungen sind vier Fälle bekannt geworden, wobei ein VEB, eine MTS, eine LPG und ein Mittelbauer geschädigt wurden.