Zur Beurteilung der Situation
6. August 1954
Informationsdienst Nr. 2280 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Über die politischen Tagesfragen wird unter den Werktätigen sehr wenig diskutiert. Bei diesen wenigen Diskussionen wurden uns Stimmen zum Schritt von Dr. John1 und ganz vereinzelt zur Regierungserklärung2 des Genossen Otto Grotewohl3 bekannt. Über die Diskussionen zur Volkskammerwahl4 berichten wir im Anhang.
Die Diskussionen zur Handlungsweise von Dr. John sind überwiegend positiv, dabei sagt man, dass durch den Fall des Dr. John den Menschen über das Adenauer-Regime5 die Augen geöffnet wurden. Ein Kumpel vom [Wismut-]Schacht 38 in Oberschlema,6 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Dass Dr. John rübergekommen ist, zeigt uns doch, wie Adenauers System ins Wanken gekommen ist. Wir haben dadurch bestimmt allerhand Unterlagen über die Spionage und Agentennester bei uns bekommen. Das ist gut so. Wir müssen aber jetzt wachsam sein und solche Lumpen, die uns hier am Aufbau stören wollen, entlarven.«
Negative Diskussionen wurden nur ganz vereinzelt bekannt, bei diesen Stellungsnahmen handelt es sich darum, dass man nicht davon überzeugt ist, dass Dr. John von selbst in die DDR kam. Dies tritt ganz besonders im Bezirk Cottbus in Erscheinung. Im BKW Schipkau, [Bezirk] Cottus, wird die Meinung vertreten, dass Dr. John von der DDR gekauft worden sei. Eine Kollegin äußerte: »Dr. John kam bestimmt nicht aus Überzeugung zu uns. Man müsste ihn auf jeden Schritt beobachten, damit er keine feindliche Tätigkeit durchführen kann.« Ein Angestellter aus Forst, [Bezirk] Cottbus: »Jetzt haben sie wieder einen Fall, den sie ausschlachten können. Dabei ist dieser Dr. John von einem Arzt in einem Traumzustand versetzt worden und aufgrund dessen in die DDR gekommen.«7
Zur Regierungserklärung von Ministerpräsident Genossen Otto Grotewohl wurden uns nur aus den Bezirken Erfurt, Halle und Berlin Diskussionen bekannt, welche ausschließlich positiv sind. Dabei muss berücksichtigt werden, dass es nur Einzeldiskussionen sind.
Ein Arbeiter aus dem VEB Medizinische Gerätefabrik Berlin: »Ich begrüße sehr den Appell der Volkskammer, es wird Zeit, dass das westdeutsche Parlament aus der Reserve herauskommt.8 Der Druck der Arbeiterklasse und der werktätigen Bevölkerung Westdeutschlands muss noch stärker werden, so wie in Frankreich, dann wird das westdeutsche Parlament gezwungen, auf unsere Forderungen einzugehen.«
Ein Arbeiter aus Worbis, [Bezirk] Erfurt: »Die Regierungserklärung des Genossen Otto Grotewohl hat dem deutschen Volk sowie der ganzen Welt aufgezeigt, was die Politik Adenauers für das deutsche Volk bedeutet und welchen Weg das Friedenslager einzuschlagen hat. Jedem abseitsstehenden Mensch müsste doch jetzt klar werden, dass es keinen anderen Weg für einen friedliebenden Deutschen gibt, wie den, den unsere Regierung zeigt.«
Ein Schlosser aus der Farbenfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle: »Ich freue mich, dass unser Ministerpräsident ein neues Angebot an die Bundesregierung in Bonn gerichtet hat. Es wird höchste Zeit, dass man auf dem Verhandlungswege zur Einheit unseres Vaterlandes übergeht. Man kann die Hand des Friedens nicht ständig abschlagen, und so kann es für die Dauer nicht bleiben.«
Die Arbeiter des VEB Chema Rudisleben, [Bezirk] Erfurt, sind über die Verteilung der Quartalsprämien ungehalten. Es wurde bekannt, dass für Funktionäre und Angestellte des Betriebes eine Summe von DM 12 000 zur Auszahlung gekommen ist, während die Arbeiter nur insgesamt DM 800 ausgezahlt bekamen. Ähnliche Stimmungen sind unter den Arbeitern des VEB MEWA Ichtershausen9 und im VEB Fernmeldewerk Arnstadt zu verzeichnen. Gleiche Diskussionen wurden von den Reichsbahnarbeitern im Bezirk Rostock geführt.
Produktionsschwierigkeiten bestehen in einigen Betrieben wegen Material-, Arbeits- und Auftragsmangel sowie schlechter Qualität des Materials.
In der Schiffselektrik der Volkswerft Stralsund, [Bezirk] Rostock, fehlt es an Lichtschaltern, Abzweigdosen und Steckdosen.
Das Braunkohlenwerk Golpa, [Bezirk] Halle, konnte wegen Auftragsmangel von April bis Juli den Rohkohlenförderplan nicht erfüllen. Unter der Belegschaft ist eine Missstimmung, denn die Nichterfüllung des Planes bedeutet für die Bergarbeiter Lohnausfälle.
In dem VEB Sektkellerei Freyburg, [Bezirk] Halle, fehlen für die nächste Rohsektfüllung am 16.8.[1954] ca. 100 000 Sektflaschen. Erfolgt keine Lieferung vom Glaswerk in Dresden, ist die Produktion infrage gestellt.
Im VEB Webstuhlbau Textima Neugersdorf, [Bezirk] Dresden, bestehen Schwierigkeiten in der Beschaffung von DIN- und Normteilen, dadurch können die Webstühle, welche zum Teil schon montiert sind, nicht ausgeliefert werden. In diesem Zusammenhang wird die Arbeit der DHZ kritisiert.
Im VEB Werkzeug- und Maschinenwerk Coswig10 konnte der Plan im II. Quartal nur mit 93 Prozent erfüllt werden, da ein Arbeitskräftemangel von ca. 100 Schlossern, Drehern, Fräsern sowie Transportarbeitern besteht. Außerdem sind Schwierigkeiten in der Beschaffung von Guss- und Normenteilen.
Die Arbeiter des VEB Metallbau Döbeln, [Bezirk] Leipzig, kritisieren die schlechte Qualität von Schläuchen für die Produktion von Radrollern. Der Lieferbetrieb für die Schläuche ist der VEB Thür. Schlauch- und Gummiwerk Waltershausen, [Bezirk] Erfurt.
Im VEB TRO Berlin11 sind die vorhandenen Stähle für Bohrwerksarbeiten derartig schlecht, dass sie nur einmal verwandt werden können. Außer der schlechten Qualität des Stahles bestehen Schwierigkeiten in der Güte der angelieferten Gusssteile. Der Guss ist porös und hart. Eine Aussprache mit dem Lieferbetrieb in Leipzig hat bisher noch keine Änderung herbeigeführt.
Gerücht: Im VEB [Porzellanwerk] Neuhaus-Schierschnitz, [Bezirk] Suhl, wird das Gerücht verbreitet, dass der Grenzübergang Sonneberg-Hönbach12 in aller Kürze wieder geöffnet wird.
Erkrankungen: Im Lineol-Werk Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, ist eine Massenerkrankung der Belegschaftsmitglieder, verursacht durch das Werkküchenessen, eingetreten. Bisher mussten zehn Kollegen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Untersuchungen werden noch geführt.
Handel und Versorgung
Dem Verderb ausgesetzte bzw. verdorbene Lebensmittel
Im Hauptlager der HO Barchfeld, [Kreis] Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, wurde durch die Hygieneinspektion Bad Salzungen festgestellt, dass 533 kg Butter zum größten Teil ranzig und zum Teil mit Bakterien durchsetzt sind. 75 kg Butter sind zwar noch genusstauglich, aber stark verderbgefährdet.
Infolge der Verzögerung des Absatzes, verursacht durch das Ministerium für Lebensmittelindustrie, sind im VEB Schlacht- und Viehhof Dresden große Mengen Schmalz dem Verderb ausgesetzt. 36 t, die sofort verbraucht werden mussten, sind bereits der Freibank13 zum Verkauf übergeben worden.
Die Konsumgenossenschaft Berlin, Abteilung 40, teilt mit, dass ca. 12,5 t Speisehartfett aus Importen nicht abzusetzen sind. Die Abteilung Handel und Versorgung beim Magistrat hat trotz Kenntnis bisher noch nichts unternommen.
Auf die Beschwerden der Bevölkerung aus Oelsnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, über ungenießbare Bockwürste in den Verkaufsstellen der HO wurden 2 500 dieser Bockwürste an den Lieferbetrieb Fleischwarenfabrik Netzschkau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, zurückgeschickt.
Fleischmangel
Der Kreis Niesky, [Bezirk] Dresden, berichtet über eine angespannte Lage in der Fleischversorgung. Im Konsum Klitten, [Bezirk] Dresden, z. B. gibt es schon seit dem 2.8.[1954] kein Fleisch auf Marken. HO-Fleisch ist bereits seit längerer Zeit nicht mehr vorhanden. Zu dem vom 7. bis 9. August [1954] in Rothenburg, [Bezirk] Dresden, stattfindenden Sommerfest können keine Bockwürste zum Verkauf gelangen, wenn nicht außerplanmäßige Fleischmengen bereitgestellt werden.
In verschiedenen Kreisen des Bezirkes Halle besteht ein Mangel an Rindfleisch. Aufgrund dessen ist auch die Hartwurst knapp. Im Kreis Hettstedt, [Bezirk] Halle, gibt es überhaupt keine Hartwurst mehr und bestenfalls nur vier Wurstsorten.
Im Sperrgebiet Kreis Gadebusch14 klagt ein Verkaufsstellenleiter der KG, dass es dort nur an Sonnabenden Fleisch gibt.
Zigarettenmangel (billige Sorten) besteht in verschiedenen Kreisen des Bezirkes Schwerin, worüber sich besonders die Arbeiter im Kreis Parchim beschweren. Desgleichen fehlt es im Konsum Zittau, [Bezirk] Dresden, und im Kreis Worbis, [Bezirk] Erfurt, an Zigaretten.
Fleischmängel bestehen in der Industriestadt Sollstedt, [Bezirk] Erfurt, wo die Arbeiter im Zusammenhang mit der Fleischknappheit, die sich beim Verkauf auf Marken und in der HO auswirkt, zum Ausdruck bringen, dass die Partei in letzter Zeit nicht mehr von der Verbesserung des Lebensstandards spricht und dass der Standard von 1936 nicht erreicht werden kann.
Landwirtschaft
Zu den politischen Tagesfragen unter der Landbevölkerung ist nichts Neues zu berichten. Das mangelnde Interesse ist nach wie vor hauptsächlich auf die Inanspruchnahme durch die Ernte zurückzuführen, vereinzelt aber auch auf Unzufriedenheit, wie folgendes Beispiel zeigt. Bei einem Agitationseinsatz in Glienicke, [Bezirk] Potsdam, sagte ein Mittelbauer zu einem Aufklärer: »Zum Agitieren kommt ihr ja immer nur zu uns, aber bei der Ernte hilft man nur den staatlichen Gütern.«
Zur Genfer Konferenz15 und zur Sowjetnote16 wurde nur ganz vereinzelt Stellung genommen. Die Stimmen kommen vorwiegend aus dem sozialistischen Sektor, sind meist positiv und haben den bereits bekannten Inhalt.
Zur bevorstehenden Volkskammerwahl sind außer einer positiven Stimme noch einige negative bzw. feindliche Stimmen bekannt geworden, die sich hauptsächlich auf die Listenwahl beziehen.17 Positiv dazu äußerte sich ein Traktorist von der MTS Taubenheim,18 [Bezirk] Dresden: »Wenn ich in der Ernte helfe, dass sie verlustlos eingebracht wird, denke ich dadurch, einen Beitrag zum Gelingen der Volkswahlen zu geben.«
Der Instrukteur des DBD aus Schmölln, [Bezirk] Leipzig: »Die Volkswahl im Oktober 1954 ist keine Wahl, da ja wieder eine Einheitsliste besteht.«
Wie bereits berichtet wurde, befasst sich die Landbevölkerung hauptsächlich mit wirtschaftlichen Fragen bzw. Schwierigkeiten auf dem Lande. Der Leiter der MTS Friesack, [Bezirk] Potsdam, beklagt sich z. B. über die schlechte Belieferung mit Kraftstoff. Die gelieferten Mengen reichen zur Einbringung der Ernte nicht aus. Von der DKMZ erhielt er für den Mangel die Begründung, dass es an Transportmitteln fehle. Daraufhin wendete sich der Leiter an den Bezirksrat.19 Der Bezirksrat, der sich bereiterklärt hatte, 30 000 l zu liefern, hat sein Versprechen nicht eingehalten. Desgleichen beklagt sich die MTS Holtendorf, [Bezirk] Dresden, dass es kein Benzin für den Mähdrescher gibt und wenn er nicht bald geliefert wird, muss der Mähdrescher außer Betrieb gesetzt werden.
Im ÖLB Hohendorf, [Bezirk] Rostock, ist wegen falscher Planung kein Geld für Lohnzahlungen vorhanden. Der Leiter dieser ÖLB sprach die Befürchtung aus, dass die Landarbeiter deswegen kündigen werden.
Am 3.8.1954 fand in Malkwitz, [Bezirk] Leipzig, eine Bauernversammlung statt, auf der von der Mehrzahl der Bauern der Nachtdrusch mit folgender Begründung abgelehnt wurde.20 »Die Industriearbeiter arbeiten nur acht Stunden und von uns wird verlangt, dass wir am Tage auf dem Felde arbeiten und nachts dreschen.« Diese Gemeinde ist eine ausgesprochene Groß- und Mittelbauerngemeinde.
Im Bezirk Magdeburg macht sich verschiedentlich der Einfluss der Großbauern auf die Landbevölkerung bemerkbar. Hierzu ein Beispiel aus dem MTS-Bereich Lüden,21 [Bezirk] Magdeburg: »Zehn Schichtfahrer aus der werktätigen Bauernschaft lehnten es ab, für die MTS Lüden zu arbeiten, nachdem diese MTS es abgelehnt hatte, zwei Großbauernsöhne als Schichtfahrer einzustellen.«
Einfluss der Westpropaganda
In der LPG Bülstringen, [Bezirk] Magdeburg, sind die meisten Mitglieder für den Westen eingenommen. Diese Tatsache kommt besonders bei den Bauern der Feldbrigade in der täglichen Unterhaltung zum Ausdruck. Wortführer dieser Unterhaltungen ist eine LPG-Bäuerin, die in Westdeutschland zu Besuch war und der Schweizer22 dieser LPG. Die LPG-Bäuerin sagte: »Ich habe in Westdeutschland zwei Tage gearbeitet und habe mir für dieses Geld eine komplette Wäschegarnitur kaufen können. Hier hätte ich dafür 14 Tage arbeiten müssen.« Der Schweizer, mit einem Verdienst von 700 DM monatlich und dem Erlös von mehreren Schweinen (freie Spitzen),23 vertritt die Meinung, dass es früher besser gewesen sei.
Übrige Bevölkerung
Die Diskussionen über politische Tagesfragen sind ganz gering. Nur noch ganz selten wird über den Abschluss der Genfer Konferenz und damit im Zusammenhang über die Note der Sowjetregierung gesprochen, wobei sich im Inhalt keine Veränderungen ergeben haben. Zur Regierungserklärung vom 4.8.1954 äußerten sich erst einige SED-Mitglieder zustimmend. Von anderen Personen liegen noch keine Diskussionen vor.
Über den Fall Dr. John wird etwas mehr diskutiert, jedoch ist der Umfang ebenfall gering. Ein Teil der Stimmen ist positiv und begrüßt, dass Dr. John die Kriegspolitik der Adenauer-Regierung erkannt hat. Eine Hausfrau aus Zeuthen, [Bezirk] Potsdam, sagte z. B.: »Dr. John hat wenigstens eingesehen, dass drüben im Westen ein falsches Spiel getrieben wird, nur hier bei uns wollen es viele noch nicht einsehen.«
Verschiedentlich wird die Ehrlichkeit Dr. Johns angezweifelt und vermutet, dass er vom Westen als Spion geschickt wurde. Zum Beispiel äußerte sich ein Lehrer aus Naumburg zum Übertritt Dr. Johns wie folgt: »Solche Leute wie Dr. John aus solchen Positionen sind mit besonderer Vorsicht zu genießen. Sie haben internationale Spionageschulen besucht und es wäre all zu begreiflich, dass der Amerikaner Dr. John einen Auftrag gegeben hat.«
Feindliche Elemente äußerten vereinzelt, dass Dr. John eventuell für die DDR gearbeitet habe und jetzt aus Westdeutschland flüchten musste. Ein Buchhalter aus Heldrungen, [Bezirk] Halle: »John wird wohl schon lange mit der Zone zusammengearbeitet und Informationen gegeben haben. Als ihm dann der Boden zu heiß wurde, ist er ausgerückt.«
Eine Fluktuation unter den Verkaufskräften der HO und Konsumgenossenschaft besteht in Magdeburg, wodurch bei der KG 100 Verkaufskräfte und bei der HO 200 fehlen. Die Verkaufskräfte gehen in die Industriebetriebe, da sie dort mehr Lohn erhalten. Außerdem ist das Leistungsprämiensystem in den Verkaufsstellen ungenügend.
Von der Abteilung Handel und Versorgung des Bezirkes Magdeburg wird bemängelt, dass innerhalb von drei Wochen 147 Direktiven sowie Schreiben vom Ministerium gekommen sind. Die Anzahl der Fernschreiben ist nicht geringer. Ein Protest an den Minister blieb unbeantwortet. Die nächsten Anweisungen schickte man daraufhin nicht an den Rat des Bezirkes, sondern an die HO.
Verschiedentlich wurde schon von Rentnern darüber geklagt, dass sie mit ihren Renten nicht auskommen, weil sie so niedrig sind. Dazu erklärte z. B. eine Rentnerin aus Magdeburg: »Wenn ich meinen Sohn nicht hätte, der meinen Mann und mich finanziell unterstützt, könnten wir uns noch nicht einmal sattessen.«
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:24 Frankfurt 1 000, Karl-Marx-Stadt 107, Potsdam 500.
KgU:25 Suhl 500, Dresden 600.
UFJ:26 Frankfurt 120, Neubrandenburg 252, Dresden 8, Erfurt 63, Potsdam 714.
NTS:27 Frankfurt 300, Karl-Marx-Stadt 20, Neubrandenburg 4 000, Potsdam 300.
»Tarantel«28: Dresden 100.
Versch[iedener] Art: Neubrandenburg 4 000, Potsdam 11 000.
Ein großer Teil der Hetzschriften ist bereits älterer Herkunft und wurde erst jetzt bei den Erntearbeiten auf den Feldern gefunden.
Die vom »Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen« herausgegebenen Hetzschriften wurden in den letzten Tagen in zahlreichen Fällen in Eisenbahnwaggons bzw. Ladungen, die durch die Eisenbahn transportiert werden, gefunden.
Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.
Antidemokratische Tätigkeit: Im Stahlwerk Gröditz, Kreis Riesa, [Bezirk] Dresden, wurden zwei Hetzlosungen, einmal mit Verherrlichung Adenauers und einmal mit Hetze gegen unseren Staatspräsidenten, festgestellt.
Innerhalb der BVG Groß-Berlin sind Gerüchte im Umlauf, dass die Arbeitszeit auf zehn Stunden festgesetzt wird, die Beschäftigten alle die Lebensmittelkarte A29 erhalten und eine Lohnerhöhung um 10 Pfg. erfolgen soll. Ausgangspunkt der Gerüchte ist der Bahnhof Lichtenberg, der eine schlechte personelle Zusammensetzung hat.
Lage in Westberlin
In den Stellungnahmen zum Fall Dr. John kommt nach wie vor zum Ausdruck, dass Dr. John freiwillig in die DDR gekommen sei. Diskussionen über Gewaltanwendung gegen Dr. John treten nur ganz vereinzelt auf. Im Dynamo-Werk (Siemens-Halske-Schuckert-Werk) diskutierten die Kollegen der Eisengießerei über Dr. John und waren davon überzeugt, dass John freiwillig in die DDR gegangen ist. Sie lehnten die Bonner Erklärungen ab.30 Dieses ist nicht nur die Meinung der Arbeiter, sondern auch der Ingenieure. Weiterhin brachten die Arbeiter zum Ausdruck, dass dieses wohl die größte Panne der westlichen Politik in der letzten Zeit gewesen sei.
Westberliner Geschäftsinhaber sagten, dass dies eine große Schweinerei sei und vom Osten noch kein Minister abgehauen sei. John hätte am 20.7.1954 in Plötzensee bei der Feier zwei Gestapobeamte gesehen, die mitschuldig am Tod seines Bruders seien und er sich wohl darüber im Klaren war, wenn es im Westen so weitergeht, es wieder wie bei Hitler wird.31
Ein Gast des Restaurants »Berliner Kindl« in der Müllerstraße sagte: »Von Anfang an habe ich gewusst, dass John nicht mit Zwang in den Osten geholt wurde, sondern er ging freiwillig. Obwohl die Zeitungen alles Mögliche bringen, so bringen sie doch nicht die Wahrheit. Wer weiß, wie diese Wahrheit aussieht und was da für Hintergründe sind, dass man der Öffentlichkeit die reine Wahrheit vorenthält. Ich vermute, dass schwerwiegende politische Gründe dahinterstecken und wenn diese an das Tageslicht kommen, könnte eine wahre Panik entstehen. Wenn das nur mit England nichts zu tun hat, ich vermute es stark.32 Doch wenn es wirklich nicht damit zusammenhängt, so sind ja außerdem vor Dr. John schon Menschen nach dem Osten gegangen und es werden auch noch mehr rübergehen.«
Ein Arbeiter aus Berlin- Friedenau: »Ich kann mir vorstellen, dass John mit der Gesellschaft in Bonn, nämlich mit dem Naziverein, nicht einverstanden war. Hätte er aber etwas dagegen gesagt, wäre er verschwunden. Jedenfalls eine tolle Angelegenheit. Es wundert mich, dass Konrad33 so ruhig bleibt.«
Ein Arbeiter aus Minden: »Der Fall John hat hier in Westdeutschland sehr viel Staub aufgewirbelt und das Adenauer-Kabinett ist so ein bisschen durcheinander geraten. Auf alle Fälle dient der Dr. John mit seinen gesamten Angaben über den Rundfunk einem guten Zweck,34 denn es ist nicht nur für uns Deutsche von Bedeutung, sondern für die gesamte Welt, denn nur so wird der Menschheit der Frieden erhalten.«
Anlage 1 vom 6. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2280
Stimmung zur Volkskammerwahl 1954
Der Umfang der Diskussionen zur Volkskammerwahl hat etwas zugenommen, ist jedoch noch weiterhin gering. Eine Ursache hierfür ist die ungenügende Aufklärungsarbeit seitens der Nationalen Front,35 wie das z. B. aus dem Kreis Ludwigslust, [Bezirk] Schwerin, berichtet wird. Ein Teil der Stimmen ist positiv. Darin werden die Wahl allgemein und der Beschluss auf Aufstellung einer einheitlichen Kandidatenliste insbesondere bejaht. Solche Meinungen stammen meist von fortschrittlichen Arbeitern der volkseigenen Betriebe sowie von fortschrittlichen Genossenschafts- und werktätigen Einzelbauern. Hierzu einige Beispiele:
Ein Arbeiter (SED) aus Karl-Marx-Stadt: »Ich kann nur begrüßen, dass man zur Volkskammerwahl im Oktober 1954 eine einheitliche Kandidatenliste aufstellt, wo alle Blockparteien und antifaschistischen Massenorganisationen verankert sind, denn wie war es denn während der Weimarer Republik, da bekämpfte eine Arbeiterpartei die andere und wo das hingeführt hat, das haben wir alle 1933 und in den weiteren Kriegsjahren erlebt.«
Eine Arbeiterin aus Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam: »Wir haben eine Regierung, die demokratisch ist, die für den Frieden kämpft und für die ständige Verbesserung des Lebensstandardes eintritt. Wir brauchen keinen Wahlbetrug wie in Westdeutschland. Wir stimmen für unsere Regierung im Block, weil es keine bessere für uns gibt.«
Ein Bauer (SED) aus Jager, [Kreis] Grimmen, [Bezirk] Rostock: »Die kommenden Wahlen werden und müssen unseren Arbeiter- und Bauernstaat noch weiter festigen. Unsere Hauptaufgabe muss es sein, unsere Landbevölkerung auf diese Wahlen vorzubereiten.«
Ein Genossenschaftsbauer (DBD-Mitglied) aus Zobes, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Durch die Hilfe und Unterstützung unserer Arbeiter- und Bauernmacht ist es mir als Umsiedler gelungen, eine neue Existenz als Neubauer aufzubauen. Heute bin ich LPG-Bauer und konnte dadurch meine Wirtschaft noch mehr festigen. Das sind Beweise, dass der neue Kurs unserer Regierung36 richtig ist und es ist deshalb auch für mich eine Pflicht, meine Stimme zur Volkswahl ganz offen für eine gemeinsame Liste abzugeben.«
Teilweise unterschätzt man noch die Aufklärungsarbeit zur Vorbereitung der Volkskammerwahlen, wie folgende Beispiele beweisen.
In Roggentin, [Bezirk] Neubrandenburg, war eine Versammlung zur Vorbereitung der Volkswahl einberufen. Der Parteisekretär sowie auch der Bürgermeister kümmerten sich nicht um die Vorbereitung dieser Versammlung. Der Referent, der zu der Versammlung eingesetzt wurde, stellte fest, dass niemand dazu eingeladen war. Aus diesem Grunde musste die Versammlung ausfallen.
Ein Genosse unserer Partei (VdN) aus Möser, Kreis Burg, [Bezirk] Magdeburg: »Die sollen uns zufrieden lassen, mit Versammlungen und ihren Einsätzen zur Vorbereitung der Volkskammerwahlen. Wir kriegen doch keine Menschen mehr zusammen.«
Negative Meinungen haben mit der Zunahme der Diskussionen ebenfalls etwas zugenommen, sind jedoch weiterhin gering. Im Vordergrund stehen hierbei die Ablehnung der gemeinsamen Kandidatenliste und die Forderung nach Kandidatenlisten der einzelnen Parteien. Obwohl man teilweise keine Begründung dazu gibt, gebraucht man oft Argumente, wonach eine einheitliche Kandidatenliste undemokratisch sei. Solche Meinungen werden oftmals von Mitgliedern der bürgerlichen Parteien sowie anderen kleinbürgerlichen Menschen vertreten, vereinzelt von Arbeitern.
In einer Mitgliederversammlung der NDPD in Silkerode, Kreis Worbis, [Bezirk] Erfurt, war man nicht damit einverstanden, dass man Kandidaten der Nationalen Front aufstellt, sondern sie verlangten Parteiwahlen. Trotz größter Anstrengungen ließen sie sich nicht überzeugen. Hauptsprecher war der Konsumverkaufsstellenleiter des Ortes.
Zur Volkswahl wird in den Kreisen der LDP des Bezirkes Potsdam verschiedentlich eine Wahl mit Aufstellung der einzelnen Parteien gefordert. Dies forderte u. a. ein Mitglied der LDP aus Neuruppin.
In bürgerlichen Kreisen in Aschersleben, [Bezirk] Halle, werden Diskussionen geführt, dass zur Volkskammerwahl jede Partei ihre Kandidaten zur Wahl stellen sollte, damit Personenwahlen durchgeführt werden können, um ein richtiges Kräfteverhältnis zwischen den einzelnen Parteien zu bekommen.
Eine Gewerbetreibende (LDP) aus Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt: »Wenn wir Kommunisten sein wollten, könnten wir in die SED gehen. Mit Kommunismus wollen wir aber nichts zu tun haben. Weil die LDP aber andere Ansichten als die SED vertritt, ist eine gemeinsame Liste eine Vorspiegelung von Gemeinsamkeiten, die gar nicht vorhanden sind.«
Ein selbstständiger Tapezierer aus Plauenreißig,37 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Volksbefragung38 war nur auf Schwindel aufgebaut. Die Herbstwahl wird nicht anders. Wenn eine Parteiwahl durchgeführt würde, könnte die SED sehen, wo sie bleibt.«
Ein Arbeiter aus Beskow, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Die ganze Wahl ist doch umsonst. Die Parteien, die wir wählen wollen, können wir doch nicht wählen, weil die Liste von oben her aufgestellt ist. Es wird weiter nichts als eine Volksabstimmung.«
Eine ähnliche Meinung und die Forderung nach Listenwahlen werden verschiedentlich von Arbeitern bei der Reichsbahn im Bezirk Frankfurt/Oder sowie in größeren Betrieben, wie EKS,39 VEB Reifenwerk Fürstenwalde, vertreten.
In den Leuna-Werken »Walter Ulbricht« brachte ein Kollege zum Ausdruck: »Das kann man doch keine Wahl nennen, weil keine Gegenkandidaten aufgestellt sind. Dieses Mannöver hat ›Pinsel und Schnorchel‹40 vorige Woche schon typisch klar gebracht. Ich halte nichts von einer Einheitsliste, weil das keine demokratischen Wahlen sind.« Ähnliche Meinung wurde von einem Kollegen aus dem Simson-Werk in Suhl vertreten.
In Einzelbeispielen lehnten ehemalige Umsiedler die Volkswahl mit der Begründung ab, dass sie »doch nicht ihre Heimat wiederbekommen«. Solche Meinung vertrat z. B. eine Arbeiterin aus der Haspelei des Kunstseidenwerkes Premnitz, [Bezirk] Potsdam.
Anlage 2 vom 6. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2280
Stimmung zur Note der Sowjetregierung an die Westmächte vom 24.7.1954
Zur Note der Sowjetregierung wurden heute nur einzelne Stimmen bekannt. Sie stammen von Kollegen aus volkseigenen Betrieben und in einem Falle von einem Genossenschaftsbauern. Der Inhalt dieser Stimmen hat sich gegenüber den Vortagen nicht verändert. Meist begrüßt man die Note als Beweis der Friedenspolitik der Sowjetunion. Gleichzeitig hofft man, dass nach den erfolgreichen Verhandlungen über Indochina auch über Deutschland erfolgreich verhandelt wird.
Ein parteiloser Kollege aus der Abteilung Materialversorgung des VEB Blema Aue: »Die UdSSR hat mit ihrer neuesten Note über die Einberufung einer Konferenz für die kollektive Sicherheit erneut bewiesen, dass sie den Nationen den Frieden erhalten will. Mein Wunsch wäre es, dass sich alle Nationen an dieser Konferenz beteiligen.«
Ein Kollege aus dem Braunkohlenwerk »Franz Mehring« Cottbus: »Wenn die Westmächte auf die Vorschläge zur kollektiven Sicherheit eingehen, wird auch in der deutschen Frage eine Lösung gefunden werden. Ich bin der Meinung, was in Genf für Asien möglich war, wird auch für Europa und Deutschland möglich sein.«
Ein parteiloser Genossenschaftsbauer aus Chursdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich begrüße die neue Note, denn ich weiß, dass wir ohne die Sowjetunion vielleicht schon den Dritten Weltkrieg hätten.«
Eine pessimistische Haltung nahm ein parteiloser Fahrstuhlführer vom VEB Baumwollspinnerei Tannenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, ein, indem der sagte: »Noten werden schon seit Jahren getauscht und man hat gesehen, was bisher herausgekommen ist, nämlich nichts. Auch diesmal wird wieder alles im Sande verlaufen und wir werden nie ein einheitliches Deutschland erhalten. Dazu sind beide Seiten zu stur und keiner will nachgeben.«