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Zur Beurteilung der Situation

29. Juni 1954
Informationsdienst Nr. 2248 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Über politische Tagesfragen wird im geringen Umfange gesprochen. Im Mittelpunkt dieser Diskussionen steht die Volksbefragung,1 worüber im Anhang berichtet wird. Die meisten Diskussionen der Werktätigen werden über verschiedenartige betriebliche und persönliche Angelegenheiten geführt.

Missstimmung besteht in einigen Betrieben neben Normen- und Lohnfragen und ganz vereinzelt wegen Prämienverteilung. Im VEB Wolfram-Zinnerz [Rodewisch, Bezirk] Karl-Marx-Stadt, herrscht eine schlechte Stimmung unter den Arbeitern, weil die Normen erhöht werden sollen. Vielfach wird hierzu von den Kumpels erklärt, dass man erst einmal die Gehälter der Betriebsleitung vermindern soll, dann wären die Kumpels auch bereit, über die Normenfrage zu diskutieren. Ein Hauer äußerte: »Ich habe es nun endlich satt, für diese paar Kröten hier zu arbeiten, meine Tage sind hier gezählt. Ich gehe dahin, wo man mehr verdienen kann, denn von Verbesserungen in der Produktion kann man wahrhaft hier nicht reden, im Gegenteil, es ist vieles schlechter geworden.« Ein anderer Arbeiter aus demselben Betrieb: »Die sollen nur so weitermachen, dann werden sie bald wieder da stehen, wo sie vor dem 17. Juni 1953 gestanden haben.«

Im VEB Baumaschinen in Gatersleben, [Bezirk] Halle, herrscht Unzufriedenheit. Von den Arbeitern wurde die Forderung gestellt, bekanntzugeben, an wen Prämien gezahlt wurden und in welcher Höhe. Bei Veröffentlichung der Prämienverteilung stellte sich heraus, dass die Prämien unter der Betriebsleitung verteilt waren. So z. B. der Betriebsleiter DM 1 900 und der technische Leiter 1 800 DM.

In der Warnow-Werft Warnemünde, [Stadt] Rostock, sind die Arbeiter darüber empört, dass sie ihr Geld bei der letzten Lohnzahlung nicht pünktlich am 15.6.[1954] bis Arbeitsschluss erhielten. Sie schimpften über schlechte Organisation und vertraten die Meinung, dass das Geld so rechtzeitig da sein müsse, dass die Lohnzahlung zwei Stunden vor Feierabend durchgeführt werden kann.

Produktionsschwierigkeiten, die wegen Materialmangel entstanden. Der Materialdisponent im Bau D 45 des Buna-Werkes,2 [Bezirk] Halle, sagte, dass er keine Gelegenheit mehr hat, Material wie Eisen, Messing und Kupfer zu beschaffen. Er betonte weiter, dass er kein freies Werkzeug beschaffen kann, da es dieses nicht gibt. Er habe einmal vom Westen für 8 000 DM Werkzeug bekommen und jetzt sind nur noch drei Satz davon im Lager. Die augenblickliche Lage sei trostlos und mit der Materialbeschaffung sei er am Ende. Er äußerte weiter, dass sich die Regierung einmal darüber Gedanken machen soll, damit nicht wieder ein 17.6.1953 käme.

Im RFT-Fernmeldewerk Bautzen, [Bezirk] Dresden, ist der Produktionsplan für Juli 1954 gefährdet, da das Werk dringend Bleche von 0,5 mm benötigt. Die DHZ Metallurgie Berlin hat den Liefertermin bis 30.6.1954. Laut Information des Betriebes wird sie diesen Termin nicht einhalten können, da bis jetzt noch kein Material angeliefert wurde.

Im [Wismut-]Schacht 6 in Oberschlema,3 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, bestehen erhebliche Förderschwierigkeiten, die ihre Ursache zum Teil darin haben, dass die vorhandene Förderanlage den Anforderungen nicht mehr gewachsen ist. Die Förderung wird, abgesehen von der ungenügenden Förderkapazität, durch falsche Sparmaßnahmen gehemmt. Aufgrund dieser Mängel herrscht unter den Kumpels teilweise Missstimmung.

Im »Klement-Gottwald«-Werk Schwerin4 geht die Produktion nur sehr schleppend voran. Der Höhepunkt dieser Situation ist seit ungefähr 8 bis [14]5 Tagen. So arbeiten in einer großen Halle, in welcher ca. 150 Arbeiter beschäftigt sind, nur 2 bis 3 Kollegen. Die anderen Kollegen vertreiben sich die Zeit mit Kartenspielen oder Angeln. In einer Versammlung verpflichteten die Kollegen die Betriebsleitung, bis zum 30. dieses Monats Maßnahmen einzuleiten, die einen geordneten Produktionsablauf gewährleisten, damit dieser Schlendrian ein Ende hat. Die Kollegen führten weiter aus, dass dieser Schlendrian auf die schlechte Arbeitsweise der Betriebsleitung zurückzuführen ist.

Materialschwierigkeiten traten beim Bau der Schachtanlage Doberlug-Kirchhain6 auf. Es fehlen 220 t Zement und 105 000 Ziegelsteine.

Produktionsstörungen

In der Nacht zum 25.6.1954 fiel im Walzwerk Hettstedt das Warmwalztrio im Massenblechwalzwerk infolge des Bruches von zwei Distanzringen an der Schneckenwelle der Wippe aus. Voraussichtlicher Produktionsausfall 60 t (DM 25 000).

Am Abend des 25.6.[1954] brach im VEB Volltuch Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, ein Brand aus. Der Schaden beträgt 40 000 DM. Produktionsausfall entstand nicht. Brandursache noch nicht ermittelt.

Am 25.6.[1954] stürzten in der Maxhütte Unterwellenborn, [Bezirk] Gera, drei Eisenerzwaggons in die Füllrümpfe, welche 8 m tiefer liegen. Eine Förderanlage zum Hochofen wurde beschädigt. Für kurze Zeit wurden drei Hochöfen außer Betrieb gesetzt. Ein Arbeiter erlitt schwere Brandwunden. Brandursache noch nicht bekannt.

Einzelbeispiele

Unter den Arbeitern der Baustelle Drewitz herrscht schlechte Stimmung über den mangelhaften Berufsverkehr. Eingesetzte VEB-Omnibusse haben oft 2 bis 3 Stunden Verspätung.

Die Parteileitung des VEB Seehafen Stralsund liegt im Schlepptau der Betriebsleitung. Die Betriebs-Parteileitung und die BGL sind nicht in der Lage, sich bei der Betriebsleitung durchzusetzen. Im Seehafen Stralsund müssen immer noch 10 bis 20 Arbeiter einen vollbeladenen Waggon abziehen. Seit mehr als einem Jahr spricht man mit den Arbeitern davon, dass man dieses mit einer Seilwinde machen will.

Unter den Arbeitern in Gransee, [Bezirk] Potsdam, ist eine schlechte Stimmung zu verzeichnen, da im Zuge des Wohnungsbauprogramms ein neuer Häuserblock gebaut wurde, in den Arbeiterfamilien ziehen sollten. Als die Wohnungen beziehbar waren, wurde vom Rat des Kreises angeordnet, dass diese Wohnungen hauptsächlich für Angestellte sind. Des Weiteren sollen noch 20 Wohnungen für Angestellte fertiggestellt werden. Zu bemerken ist noch, dass die Arbeiter in freiwilligen Aufbauschichten an diesem Bau mitgearbeitet haben.

Im Kunstseidenwerk Pirna, [Bezirk] Dresden, stehen seit acht Tagen 500 kg Bordkupferseide zum Versand in die ČSR bereit. Trotz täglicher Telefongespräche mit Berlin, sind bis jetzt die Versandinstruktionen vom DIA noch nicht eingetroffen. Der Exportwarenbegleitschein läuft am 30.6.[1954] ab und müsste dadurch verlängert werden.

Handel und Versorgung

Aus dem Bezirk Rostock wurde berichtet, dass die Ostseebäder sehr schlecht mit Weinen und Sekt beliefert werden. Es kommt vor, dass es diese Getränke tagelang gar nicht gibt. Außerdem mangelt es an Bockwürsten und alkoholfreien Getränken. Im Bezirk Schwerin, besonders in ländlichen Gebieten, fehlt es ebenfalls an alkoholfreien Getränken und außerdem noch an Stärkeerzeugnissen und an Fischwaren.

Im Großhandelskontor Halle lagern größere Mengen elektrischer Nähmaschinen, die schwer absetzbar sind. In der VEAB Schwante, [Bezirk] Potsdam, lagern 30 000 Blumenkohlköpfe, die wegen zu hoher Preise keinen Absatz finden.

In der HO Wuthenow,7 [Bezirk] Potsdam, bestehen Schwierigkeiten im Absetzen von Fischkonserven (Import aus der SU). Seit Februar wurden erst 18 Dosen verkauft. Der Bestand ist noch 80 Dosen und in den nächsten Tagen sollen wieder 100 angeliefert werden. (Die Haltbarkeit beträgt nur vier Wochen.)

Der Konsumgenossenschaft Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, wurde die dreifache Menge an Kohle geliefert als vertraglich festgelegt ist (insgesamt 1 800 t). Es ist kein Platz für eine ordnungsgemäße Lagerung vorhanden und außerdem wird die Kohle von der Bevölkerung nur schlecht abgenommen, weil die Qualität schlecht ist.

Landwirtschaft

Weiterhin ist zu verzeichnen, dass unter der Landbevölkerung nur im geringen Maße zu aktuellen politischen Problemen Stellung genommen wird. Im Mittelpunkt der politischen Diskussionen steht die Volksbefragung. Darüber wird im Anhang berichtet. Nach wie vor stehen die wirtschaftlichen Fragen im Mittelpunkt des Interesses.

In der Gemeinde Krumbeck, [Bezirk] Potsdam, beschweren sich Bauern über die Bezahlung der Schädlingsbekämpfung. Erst haben sie nur jährlich DM 6,00 bezahlt und jetzt liegt der Betrag bei DM 7,80 für jedes Quartal. Trotzdem sehr oft gar nichts in der Schädlingsbekämpfung getan wird, müssen sie regelmäßig diesen Betrag bezahlen.8

Über den Mangel an Arbeitskräften äußerte ein Bauer aus Mittelherwigsdorf, [Bezirk] Dresden: »Bei dem Arbeitskräftemangel brauchen sie sich nicht zu wundern, wenn wir das Ablieferungssoll nicht erfüllen können.« Der Bezirk Rostock berichtet, dass die Pflegearbeiten bei den Hackfrüchten aufgrund des Arbeitskräftemangels sehr schleppend vorangehen. Besonders bei den LPG verunkrauten große Flächen.

Auf dem VEG Weitendorf, [Bezirk] Schwerin, befinden sich zehn Landhelfer aus Thüringen. Aufgrund von Unstimmigkeiten legten davon sieben die Arbeit nieder.

Von den MTS

Im Kreis Bützow, [Bezirk] Schwerin, zeigte sich am Tag der Bereitschaft,9 dass 23 Traktoren, neun Binder, drei Dreschmaschinen, zwei Strohpressen und vier Elektromotoren wegen Mangel an Ersatzteilen nicht einsatzfähig sind.10

Über den Mangel an Ersatzteilen bei den MTS äußerte der Leiter der MTS Gustow, [Bezirk] Rostock: »Bei uns liegen drei Traktoren aufgebockt, weil keine Reifen vorhanden sind und wir auch keine bekommen können. Auch fehlen uns Reifen für die Binder mit Anhänger.«11

Die Genossenschaftsbauern der LPG in Oderin, [Bezirk] Potsdam, beklagen sich, dass sie ihre Viehkoppeln nicht herstellen können, weil sie keine Nägel (4+5) bekommen. Verschiedentlich klagen Bauern über den Mangel an Baumaterial. Dazu äußerte ein Kleinbauer aus Neumark,12 [Bezirk] Potsdam: »Ich bekomme weder Zement noch Mauersteine oder Holz, um den Bau meines Stalles fertigzustellen. Vor 1945 wurde der Bau der Viehställe vom Staat unterstützt. Wo bleibt aber heute die Unterstützung?«

Negative bzw. feindliche Stimmen wurden nur ganz vereinzelt bekannt. Ein Mittelbauer aus Pirow,13 [Bezirk] Schwerin: »Es wird Zeit, dass die Regierung bald verschwindet, wenn ich an der Spitze sitzen würde, wäre alles anders. Warum wird im Westen der 17. Juni gefeiert und bei uns nicht?«14

Ein Siedler aus Miltzow, [Bezirk] Rostock, äußerte, als ihn der Erfasser auf kleinere Rückstände seiner Pflichtablieferung aufmerksam machte: »Fangt nicht wieder so an, wie vor dem 17. Juni [1953], dann schlage ich euch mit der Heugabel aus dem Stall.«15

Die Schweinepest tritt in den letzten Tagen in einigen Kreisen des Bezirkes Magdeburg verstärkt auf, z. B. sind bei dem Schweineaufzuchtsbetrieb Oschersleben von dem Bestand an 400 Stück 84 verendet und 128 mussten notgeschlachtet werden.16

Die Kartoffelkäferbekämpfung wurde in den Gemeinden Gröbzig, Elsdorf und Porst, [Bezirk] Halle, nur auf den Feldern der Großbauern und des Kirchengutes durchgeführt.

Übrige Bevölkerung

Nach wie vor wird unter der übrigen Bevölkerung wenig über politische Tagesfragen gesprochen. Über die Volksbefragung wird im Anhang berichtet. Im Mittelpunkt des Interesses stehen wirtschaftliche Fragen. Im Hauptpostamt Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, vertreten die älteren Angestellten die Meinung, dass sie mehr Urlaubstage bekommen müssten. Als Begründung führen sie an, dass die Urlaubsregelung in Westdeutschland nach Dienstjahren erfolgt und dass diese Kollegen mehr Urlaub als sie erhalten.

Das Staatstheater Schwerin zahlte am 25.6.[1954] nicht wie üblich das Gehalt an die Schließer aus, mit der Begründung, dass nicht genügend Gelder vorhanden sind. Sie sollten sich deshalb bis zum 1.7.1954 gedulden. Dies hat eine große Verärgerung bei dem Personal hervorgerufen.

Beim Besuch der volkseigenen Wohnungsverwaltung Berlin stellte eine Frau fest, dass ein Angestellter den Nachrichtendienst des RIAS hörte. Als sie ihn daraufhin auf sein unmögliches Verhalten aufmerksam machte, erklärten einige Mitarbeiter: »Den RIAS zu hören, ist doch nicht verboten.«

Aus den Kreisen der bürgerlichen Parteien wurde Folgendes bekannt: In einer CDU-Versammlung in Putlitz,17 [Bezirk] Potsdam, wurde von mehreren Mitgliedern die Forderung nach »Freien Wahlen« erhoben.

In einer Versammlung der LDP im Bezirk Pankow, Berlin, brachte ein Mitglied zum Ausdruck, dass er es nicht richtig findet, dass bei besonderen Anlässen neben der schwarz-rot-goldenen Fahne auch die Fahne der SED gehisst wird. Mit dem gleichen Recht könnte dann auch die LDP verlangen, dass ihre Fahne gehisst wird.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:18 Suhl 1 400, Schwerin 19 000, Cottbus 27, Neubrandenburg 6 000, Rostock 6 000, Wismutgebiet 120, Dresden 10 000, Halle 5 000 (durch Flugzeug abgeworfen), Leipzig 25, Gera einige Tausend, Karl-Marx-Stadt 390.

KgU:19 Neubrandenburg 35 000, Frankfurt 53 000, Gera 1 000.

»Deutsche der Bundesrepublik«: Frankfurt 16 000, Karl-Marx-Stadt 18.

In tschechischer Sprache: Dresden 41.

In den Städten Dresden, Halle, Caputh, Potsdam und in der Gemeinde Römhild, Kreis Meiningen, [Bezirk] Suhl, wurden selbstgefertigte Hetzschriften, die sich gegen die Volksbefragung richteten, festgestellt. Die Flugblätter wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.

Antidemokratische Tätigkeit

In Johanngeorgenstadt/Wismutgebiet, Neustrelitz, Oranienburg, [Bezirk] Potsdam, Gera, Pirna, [Bezirk] Dresden, Fürstenberg, [Bezirk] Frankfurt, und in der Neptunwerft Rostock wurden Hetzlosungen gegen die Volksbefragung angebracht. In Gera und Pirna, [Bezirk] Dresden, wurden Transparente zur Volksbefragung von unbekannten Tätern beschädigt. In Rostock und Rathenow, [Bezirk] Potsdam, wurden Fahnen der DDR entwendet.

Feindtätigkeit zur Störung der Volksbefragung

Am 27.6.1954 gab sich eine unbekannte männliche Person im Abstimmungslokal der Gemeinde Glienicke, Kreis Oranienburg, [Bezirk] Potsdam, als Angestellter des MdI aus und erklärte, dass die in Glienicke durchgeführte Wahl ungültig sei, weil die Stimmscheine nicht gesiegelt sind. Durch das Auftreten des Unbekannten wurden der Wahlleiter und die Wahlberechtigten unsicher, wodurch in Glienicke am 27.6.[1954] nur ein niedriges Abstimmergebnis, nämlich 34 Prozent, erreicht wurde.

In das Kreisabstimmungsbüro Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, wurden durch angebliche Beauftragte der Gemeinde Blumenthal falsche Zahlen über die Wahlbeteiligung telefonisch durchgegeben.

Terror

In der Nacht vom 27. zum 28.6.1954 wurde bei dem Kreisarzt in Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, eine Fensterscheibe mit sprengkörperähnlichen Teilen durch unbekannte Täter eingeworfen.

Am 27.6.1954, gegen 21.55 Uhr wurden in Zettlitz,20 Kreis Rochlitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, zwei Mitglieder der Wahlkommission, die die Wahlurne mit einem Pferdegespann dorthin brachten, von drei Jugendlichen (bekannt) vom Wagen gezogen und zu Boden geschlagen.

Ein Schlachtermeister aus Gransee, [Bezirk] Potsdam (Mitglied der SED), erhielt von unbekannten Tätern einen Drohbrief, der ihn auffordert, nach dem Westen zu gehen, da er nach der Wahl abgeholt würde.

Provokationen

In Zahrensdorf, Kreis Hagenow, [Bezirk] Schwerin, beschädigten zwei Arbeiter ein Hinweisschild zum Wahllokal, drangen in dasselbe ein und machten provokatorische Äußerungen.

Am 26.6.[1954] verlangten zwei stark angetrunkene Arbeiter in einer Gaststätte in Görries, [Stadt] Schwerin, noch Alkohol und randalierten, als ihnen dieser verweigert wurde. Als zwei VP-Angehörige die Gaststätte betraten, wurde einer von ihnen zu Boden geschlagen und ein Täter äußerte: »Ich bedaure nur, dass ich kein Messer bei mir habe, euch Schweine würde ich schon kaltmachen.«

In dem Keramischen Werk Haldensleben, [Bezirk] Magdeburg, wurden von einem 18-jährigen Arbeiter 20 frisch gegossene Radiatoren mutwillig zerstört. Schaden ca. 600 DM.

In der Tbc-Heilstätte Lankow und dem Krankenhaus Lewenberg, Bezirk Schwerin, erkrankten im letzten Monat nach dem Genuss von Enteneiern mehrere Patienten und Angestellte. Aufgrund der Vergiftungen ist ein Todesfall zu verzeichnen.

Die »Widerstandsgruppe Mecklenburg« der KgU hat hierzu Flugblätter mit der Überschrift »Kranke werden vergiftet« herausgegeben und an Privatpersonen mit der Post versandt. Die Hetzschrift endet mit einem Aufruf an die Bevölkerung, dafür zu sorgen, dass die wirkliche Wahrheit ans Tageslicht kommt.

Vermutliche Feindtätigkeit

In Rodewisch, Kreis Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, beantragen 15 Personen (Angehörige der Sekte der Baptisten)21 einen Stimmschein, da sie angeblich verreisen wollten. Wie bekannt wurde, sind diese Personen überhaupt nicht verreist und wollen vermutlich nur der Volksbefragung fernbleiben.

Aus Lauchröden, [Kreis] Eisenach, [Bezirk] Erfurt, wird bekannt, dass Streitkräfte der USA in der Nacht vom 26. zum 27.6.1954 in der Nähe der Autobahnbrücke Wommen – unmittelbar an der D-Linie – ein größeres Zeltlager errichtet haben.

Anlage 1 vom 29. Juni 1954 zum Inofrmationsdienst Nr. 2248

Auswertung der Westpresse (23. bis 27.6.1954)

Volksbefragung

In den letzten Tagen stand weiterhin die Volksbefragung im Mittelpunkt der Hetzsendungen der Westpresse. Neue Probleme traten dabei nicht auf. Nach Beginn der Volksbefragung am 27.6.1954 befassten sich nur einzelne Sendungen mit der Volksbefragung, die die übliche Hetze gegen Partei und Regierung fortsetzten.

Hetze gegen FDJ

Der RIAS propagiert in seiner Sendung »Jugend spricht zur Jugend«, dass die Jugendlichen nicht in die Zeltlager der FDJ fahren sollen, sondern »eigene Wege gehen sollen«, d. h. sie sollen nach eigenen Plänen Wanderungen und Fahrten unternehmen. Gegenüber den FDJ-Gruppen sollen sie außerdem zur Bemäntelung angeben, dass sie »naturkundliche und geschichtliche Forschungen« durchführen wollen.

RIAS hetzt weiter, dass die FDJ-Ferienlager für »die KVP-Werbung eingespannt« werden. Dazu soll nach der Information des RIAS »ein Schlachtenplan zwischen FDJ-Zentralrat, Volksbildungsministerium und Stab der KVP entworfen« worden sein.22

In verleumderischer Auswertung des II. Deutschlandtreffens23 berichtet der RIAS weiter über »Verhaftungen von FDJlern und FDJ-Funktionären, die in Westberlin waren« und über »Unaktivität der FDJ-Gruppen« nach dem Deutschlandtreffen.

Landwirtschaft

Eine Sendung über die Landwirtschaftsausstellung in Leipzig-Markkleeberg24 wird dazu benutzt, weiter über angebliche Kollektivierung zu hetzen. Als Begründung wird diesmal angeführt, dass die Ausstellung nur Maschinen und Geräte zeige, die für Großwirtschaften bestimmt sind. Der Sender »Freies Berlin« gibt zur weiteren Beeinflussung Beispiele aus Westdeutschland, wonach Großmaschinen auch in kleineren und mittleren Betrieben verwendet werden könnten.

Die Hetze des RIAS in einer Sendung über die Vorbereitungen zur Ernte richtet sich gegen die Forderung, die Maschinen erntebereit zu machen, den Nachtdrusch,25 die Arbeit der MTS, die Verträge mit den Einzelnbauern nicht einhalte, und gegen die sowjetischen Mähdrescher »Stalinez 4«.

Zur Beunruhigung der Bevölkerung verbreitet der RIAS die Meldung, dass der Zuckerrübensamen für die Versorgung der Landwirtschaft nicht mehr ausreicht und damit auch der Zucker im Jahre 1955 knapp wird.

In einem Artikel über die »Finanzgebaren der DEFA« verleumdet der RIAS unsere Regierung, die es unterstütze, dass die DEFA Tausende von DM an »unproduktiven Gehältern« ausgibt, ohne dass die DEFA einen größeren Produktionsausstoß habe.

Zur Verhetzung des Staatssekretariats für Staatssicherheit verbreitet der Londoner Rundfunk die Meldung,26 dass an Interzonenreisende aus Westdeutschland Fragebogen des SfS mit 25 Fragen herausgegeben werden. Unter Anführung einzelner Fragen wird alles versucht, um unsere Staatsorgane verächtlich zu machen.

Anlage 2 vom 29. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2248

Stimmung zur Volksbefragung

Die Beteiligung und Stimmung zur Volksbefragung ist weiterhin allgemein gut. Nach bekannt gewordenen Meldungen ist die schlechteste Beteiligung in Groß-Berlin zu verzeichnen, wo bis zum 28.6.1954, 18.00 Uhr, 75,9 Prozent über 18 Jahre und 66 Prozent von 16 bis 18 Jahren abgestimmt haben.

Eine negative Einstellung zur Volksbefragung wurde besonders von Kirchenvertretern bekannt. Ein Teil der Pfarrer stellt sich positiv zur Volksbefragung, wie folgendes Beispiel zeigt. Ein Pfarrer aus Raben, [Bezirk] Potsdam, ging als Erster der Gemeinde zusammen mit seiner Frau und der evangelischen Gemeindeschwester zur Abstimmung und brachte zum Ausdruck, dass er als Christ und Pfarrer seiner Kirchengemeinde ein Vorbild sein will. Als man ihn in die Abstimmungskabine verwies, antwortete er: »Hier wird an mich die Frage gestellt, ob ich für Krieg oder Frieden bin und ich entscheide mich selbstverständlich öffentlich für den Frieden.« Im anschließenden Gottesdienst forderte er seine Kirchengemeinde auf, sofern sie es noch nicht getan habe, ebenfalls ihre Pflicht zu tun und für den Frieden zu stimmen.

Ein anderer Teil verhält sich jedoch ablehnend und feindlich, wie aus allen Bezirken gemeldet wird. Hierzu folgende Beispiele:

In Leipzig haben sich einige Pfarrer in ihrer Predigt am Sonntag öffentlich gegen die Volksbefragung ausgesprochen. Ein Pfarrer aus Delitzsch erklärte am 27.6.[1954] in seiner Predigt: »Für den Frieden sind wir alle, aber mit den Fragen und Befragen [sic!] wollen wir nichts zu tun haben.«

Die Ehefrau eines Pfarrers aus Satuelle, [Bezirk] Magdeburg, äußerte sich gegenüber dem Bürgermeister: »Mein Mann hat es mir verboten, zur Volksbefragung zu gehen. Für mich gibt es keinen Friedensvertrag, auch keinen EVG-Vertrag. Der hiesige Staat unterstützt die Kirche nicht und deshalb unterstütze ich auch den Staat nicht.«

Ein Pfarrer aus Plätz,27 [Bezirk] Magdeburg, äußerte: »Ich bin ein Gegner der EVG, jedoch gleichfalls nicht für einen Friedensvertrag, wie er von der SU vorgeschlagen wird.«

Ein Angehöriger der religiösen Christengemeinde aus Räztlingen, [Bezirk] Magdeburg, äußerte, dass er zu keiner anderen Wahl geht, er stimmt nur für die Freiheit.

Am 27.6.1954 erschien im Abstimmungslokal der Gemeinde Teutschenthal,28 [Bezirk] Halle, der Pfarrer dieser Gemeinde und verlangte zu seinem Stimmschein einen Briefumschlag, dieses wurde ihm verweigert. Nach vorangegangener Diskussion zerriss er seinen Wahlschein im Abstimmungslokal. Die anwesenden Einwohner waren über das Verhalten des Pfarrers sehr empört.

Ein Pfarrer aus Tischendorf, [Bezirk] Gera, äußerte sich dahingehend, dass er zu einem Frieden, wo die Kirche das 5. Rad am Wagen wäre, nicht »Ja« sagen könne.

Allgemein wird aus den Bezirken berichtet, dass die Anhänger der verbotenen Sekte »Zeugen Jehovas«29 die Stimmenabgabe ablehnten. Dabei brachten sie meist die Begründung, dass die Entscheidung über Krieg und Frieden »nicht bei den Menschen, sondern bei Jehova« liege. Dazu folgende charakteristische Beispiele: Ein Bibelforscher aus Stangendorf, Wismutgebiet: »Wenn eine Atombombe in meinen Garten fällt und Jehova nicht will, dass ich kaputtgehe, passiert mir nichts. Es ist also egal, ob ich kaputtgehe oder nicht.« Mehrere Angehörige der »Z. J.« aus Christdorf, [Kreis] Wittstock, [Bezirk] Potsdam: »1951 wurde unsere Sekte verboten, da werden wir doch nicht jetzt zur Abstimmung gehen. Außerdem kann man die Bomben, wenn sie fallen, nicht abhalten, denn das ist dann der Wille Jehovas.«

Eine negative Haltung zur Abstimmung der übrigen Bevölkerungsschichten ist nur ganz vereinzelt bekannt geworden, meist von kleinbürgerlichen Elementen. Ein Bäckermeister aus Pausa, [Bezirk] Gera: »Ich gehe nicht zur Abstimmung, da ich von eurem Staat nicht unterstützt werde.« Ein Rentner, ehemaliger Umsiedler aus Dobian, [Bezirk] Gera: »Ich bin mit der jetzigen Regierungsform nicht einverstanden, denn als ehemaliger Beamter müsste ich vielmehr Rente erhalten. Deshalb werde ich auch nicht abstimmen.«

Ein Fellhändler aus Pößneck, [Bezirk] Gera: »Ich gehe zur Abstimmung, wenn es mir passt. Es sind doch drei Tage dafür vorgesehen.« Ein Volkskorrespondent aus Triebes, [Bezirk] Gera, äußerte sich ähnlich. In Steinbach, [Kreis] Annaberg, unternahmen ca. 80 Personen aus dem VEB Strumpfwerk Esda am 27.6.[1954] einen Betriebsausflug, wodurch sie am 1. Stimmtag ihre Stimme nicht abgeben konnten.

In der Gemeinde Hainichen, [Bezirk] Leipzig, haben drei Wahlberechtigte öffentlich für den EVG[-Vertrag] gestimmt. Aus dem Bezirk Potsdam wird gemeldet, dass ein Jugendlicher, eine Hausfrau und zwei Rentner offen für den EVG-Vertrag stimmten.

Landwirtschaft

Die Stimmung und Beteiligung zur Volksbefragung kann als gut bezeichnet werden. Beispielsweise ist die Beteiligung an der Abstimmung in ländlichen Gebieten verschiedentlich besser als in den Städten. Die bekannt gewordenen Stimmen sind überwiegend positiv, darin kommt immer wieder der Wunsch nach Erhaltung des Friedens zum Ausdruck. Ein Traktorist aus Röbel, [Bezirk] Neubrandenburg: »Wenn alle für Frieden stimmen, dann wird er auch erhalten bleiben. Ich glaube, dass sich keiner von uns den Krieg wünscht. Wir haben davon alle noch die Nase voll.«

Ein Bauer (DBD) aus dem Kreis Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wenn man täglich die Zeitung und den Rundfunk verfolgt, so darf es für uns Bauern nichts anderes geben, als dieser Sorte Menschen das Handwerk zu legen, damit sie die Atombomben nicht zur Anwendung bringen können. Wir haben für den Frieden gestimmt.«

Vereinzelt wurden negative bzw. feindliche Stimmen bekannt, meist von Groß- und Mittelbauern. Ein Großbauer aus Neuhausen, [Bezirk] Schwerin: »Die Volksbefragung ist ein reiner Schwindel. Man will uns nur Sand in die Augen streuen und uns verdummen. Der Amerikaner wird niemals einen Krieg beginnen. Er will den Frieden und muss sich deshalb sichern.«

Ein Großbauer aus Gardelegen, [Bezirk] Magdeburg: »Ich gehe nicht zur Abstimmung, weil die Regierung den Großbauern sowieso nicht hilft.« Er kam aber doch ins Abstimmungslokal, ließ sich einen Schein geben und ging, ohne diesen abgegeben zu haben, nach Hause. Als er später zur Rede gestellt wurde, sagte er, dass er den Stimmschein verbrannt hat.

Ein Mittelbauer aus Weißbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich gehe nicht zur Abstimmung, und wenn heute noch eine Atombombe einschlägt, da bin ich eben weg.«

Ein Bauer aus Steesow, [Bezirk] Schwerin: »Ich gehe nicht zur Abstimmung, weil mein Sohn noch in ›russischer‹ Gefangenschaft ist.«

Ein Bauer aus Fahrpen,30 [Bezirk] Rostock: »Mein Ablieferungssoll ist zu hoch. Bevor man dieses nicht herabsetzt, gehe ich nicht zur Abstimmung.«

Im Kreis Klötze, [Bezirk] Magdeburg, ist bemerkenswert, dass in den Gemeinden, wo eine starke Konzentration der bürgerlichen Parteien zu verzeichnen ist, bisher eine schlechte Beteiligung an der Abstimmung erfolgte.

In einzelnen Gemeinden des Bezirkes Gera wurden die Wahlurnen nicht vorschriftsmäßig verwahrt. Zum Beispiel ist es vorgekommen, dass die Wahlurnen nur mit einer Decke abgedeckt wurden und der Raum der Gastwirtschaft für die Gäste freigegeben wurde (wurde von der VP berichtet).

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