Zur Beurteilung der Situation
9. August 1954
Informationsdienst Nr. 2282 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Die Diskussionen über politische Tagesfragen haben nur einen geringen Umfang. Zum großen Teil herrscht hierzu Interesselosigkeit. So wurde z. B. in der Abteilung Absatz des BFG Lauchhammer, [Bezirk] Cottbus, eine Kurzversammlung über die Note der Sowjetregierung durchgeführt.1 In der Diskussion äußerten sich nur der Abteilungsleiter und der Parteiorganisator, jedoch kein Kollege.
Bei den geringen Diskussionen wird noch über die Note der Sowjetregierung in Verbindung mit der Genfer Konferenz2 gesprochen (siehe Anhang), über den Fall Dr. John,3 zu den Volkskammerwahlen4 und ganz vereinzelt zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten5 Otto Grotewohl.6
Die Diskussionen zum Fall Dr. John haben sich gegenüber den Vortagen nicht verändert. Sie sind überwiegend positiv und bringen zum Ausdruck, dass durch die Handlungsweise von Dr. John vielen Menschen die Augen geöffnet wurden über die tatsächliche Lage in Westdeutschland.
Zur Volkskammerwahl sind die Diskussionen noch vereinzelt. Darin wird teilweise die gemeinsame Kandidatenliste begrüßt.7 Ein parteiloser Arbeiter aus dem VEB Horchwerk Zwickau: »Ich halte es für richtig, dass eine gemeinsame Kandidatenliste aufgestellt wird. Wir wollen alle den Frieden erhalten und die Einheit Deutschlands herstellen. Demzufolge werden wir auch gemeinsam unsere Kandidaten aufstellen.«
Ein anderer Teil lehnt die gemeinsame Liste ab und fordert Parteiwahlen. Hierin zeigt sich der feindliche Einfluss des RIAS. Zwei Kollegen vom Gleisbau in »Ernst-Thälmann«-Werk Magdeburg (Neubürger): »Das Ergebnis der Wahl steht ja schon im Voraus fest. Außerdem ist das keine Wahl, weil es ja nur ein Ja oder ein Nein gibt. Hier soll diejenige Partei bestimmen, die die meisten Stimmen erhält.« Dieser Meinung schlossen sich die übrigen anwesenden 18 Kollegen an.
Drei Arbeiter aus dem VEB Pama in Freiberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wir wollen eine Parteiwahl und keine ›Ja- oder Nein-Wahl‹. Wir wollen außerdem, dass die Kollegen der anderen Parteien den Wahlvorsteher machen und nicht nur immer die Leute von der SED.«
Ein parteiloser Sachbearbeiter aus dem VEB Maschinenbau Nordhausen, [Bezirk] Erfurt: »Es ist schlecht, dass die Regierung schon jetzt im Block die Anzahl der Kandidaten festlegt. Jeder Partei muss doch überlassen bleiben, die Stimmen der Wähler zu erhalten und dann die Sitze festzulegen. Aber dann würde die SED hinten runterrutschen. Meiner Meinung nach macht dann die CDU das Rennen und davor haben sie Angst.«
In einer Einzelstimme wendet man sich gegen die Kandidatur des Genossen Walter Ulbricht.8 Ein Arbeiter vom VEB Stern-Radio Rochlitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Adenauer9 ist im September 1953 vom Volke gewählt worden,10 was aber bei Ulbricht nicht der Fall war. Wenn der unser Volk vertreten will, dann müsste er erst einmal gewählt werden.«
Zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl wurden bisher nur Einzelstimmen bekannt, in denen meist die Ausführungen allgemein begrüßt werden. Von vielen Werktätigen ist die Erklärung nicht gelesen worden, wie z. B. vom Bezirk Frankfurt/Oder berichtet wird.
Negative Diskussionen über die wirtschaftliche Lage in der DDR werden in den Leuna-Werken von einigen Kollegen geführt, die in Westdeutschland waren. So äußerte z. B. ein Kollege vom Bau 225: »Bei uns im Osten gibt es ja nichts. Ich selber bin schon am Verhungern. Man sollte mal nach Naumburg und Weißenfels schauen, da sieht man, wie die KVP an Granatwerfern ausgebildet wird, um für den Krieg gerüstet zu sein.11 Warum spricht man dann immer nur von der Kriegsrüstung in Westdeutschland.« Im Bau 335 sind einige Kollegen aus der C-Schicht in Westdeutschland gewesen. Sie tragen jetzt eine sehr negative Stimmung in die Belegschaft.
Zur Arbeitsunterbrechung kam es am 6.8.1954 im VEB Westglas Piesau, [Bezirk] Suhl, für ungefähr eine Stunde bei der gesamten Frühschicht. Hierfür wird folgende Ursache angegeben: Anfang Juni 1954 versprach ein Kollege von der Hauptverwaltung Glas und Keramik in Weißwasser, dass den Arbeitern in der Glashütte aufgrund ihrer schweren Arbeitsbedingungen mehr Lohn gezahlt werden soll. Am 5.8.1954 wurde bekannt, dass die Lohnerhöhung für den VEB Westglas vonseiten des Ministeriums abgelehnt wurde. Daraufhin verlangten die Arbeiter der Frühschicht am 6.8.[1954] Aufklärung vom BGL-Vorsitzenden. Da dieser erst nach einer halben Stunde eintraf, legten die Arbeiter in der Zwischenzeit die Arbeit nieder. Nach Aufklärung durch den BGL-Vorsitzenden wurde von ihnen die Arbeit wieder aufgenommen.
Ein Sinken der Arbeitsproduktivität ist im Betonwerk Bautzen, [Bezirk] Dresden, zu verzeichnen. So ist z. B. in der Abteilung Tarazo12 eine Senkung der Arbeitseinheiten von 270 auf 200 festgestellt worden. In dieser Abteilung bringt man in den Diskussionen zum Ausdruck, dass man »langsamer Arbeiten« müsste.
Über die Nachtschicht ist ein großer Teil der Frauen im Werk für Bauelemente der Fernmeldetechnik in Großbreitenbach, [Bezirk] Suhl, unzufrieden. Sie sind der Meinung, dass bei einer guten Planung diese Schicht wegfallen könnte.
Über den Lohn ist ein Teil der Kraftfahrer im VEB Kraftverkehr Rostock unzufrieden. Sie lehnen die Einhaltung des 8-Stunden-Tages ab, da sie Überstunden machen müssten, um ihr Geld zu verdienen, denn »heute braucht man für wenige Waren viel Geld, während es früher umgekehrt war«.
Produktionsstörungen
Am 6.8.1954 wurde im VEB Faserplattenwerk Schönheide, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, durch den hohen Wasserdruck eine Verschlusskappe von der Heißwasseranlage abgerissen und durch den Luftschacht in den Lagerraum geschleudert. Durch die ausströmenden heißen Wassermassen erlitt ein Arbeiter schwere Verbrennungen, an denen er verstarb. Produktionsausfall ca. acht Tage (ca. 150 000 DM).
In der Nacht vom 6. zum 7.8.[1954] entstand in der Fabrik 8 des Braunkohlenwerkes Lauchhammer Ost, [Bezirk] Cottbus, ein Feuer im Filter, wodurch der gesamte Betrieb angehalten wurde. Produktionsausfall: ca. 150 t Brikett. Ursache noch nicht festgestellt.
Im Braunkohlenwerk Großkayna war die Kohlenförderung am 7.8.[1954] durch die Sturmgewitter unmöglich, wodurch das Werk I wegen Kohlenmangel angehalten werden musste.
Bei der Filmfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle, wurden durch das Unwetter im Kraftwerk zwei Kühltürme vernichtet und der 3. beschädigt. Das Vistralager13 wurde fast völlig zerstört. Sachschaden: ca. 600 000 DM.
Handel und Versorgung
Überplanbestände bzw. dem Verderb ausgesetzte Waren
In der Kreiskonsumgenossenschaft Pritzwalk lagern zzt. 20 Tonnen Schmalz und Speck, wovon ca. 40 Prozent dem Verderb ausgesetzt sind, da sie schon ein Jahr zum Teil in nicht vorschriftsmäßigen Kühlanlagen lagern. Vor einiger Zeit sind schon 800 kg Speck ranzig geworden, die umgebraten werden mussten und dem Konsum dadurch 50 Prozent Verlust entstanden. Ein Umsatz des lagernden Schlachtfettes ist nicht möglich, da noch laufend Schlachtfette aus dem Kreisgebiet hinzukommen.
Mängel in der Verteilung
Der Konsum Kamenz, [Bezirk] Dresden, beklagt sich darüber, dass für das II. Quartal 1954 noch 205 000 Stück Zigaretten verschiedener Sorten fehlen. Mehrere Verkaufsstellen können wegen diesem Mangel keine Zigaretten zum Verkauf anbieten.
Im Industriegebiet des Kreises Merseburg, [Bezirk] Halle, und zwar im Geiseltal, hat sich die Versorgung mit Kartoffeln wesentlich gebessert. Die Belieferung mit Gemüse ist aber noch sehr schlecht, sodass die Hausfrauen immer noch gezwungen sind, ihr Gemüse in der Stadt Merseburg zu kaufen. In verschiedenen Kreisen des Bezirkes Halle besteht ein Mangel an Grieß, Graupen, Haferflocken, Eiern und Tee. Im Kreis Quedlinburg wird ab Montag nur noch Hammelfleisch verkauft.
Negative Diskussionen, die durch Mangel in der Verteilung und andere Mängel ausgelöst wurden
In den letzten Tagen wurde wieder viel von den Rauchern über den Zigarettenmangel diskutiert und darüber negative Äußerungen gemacht. Der BPO-Sekretär aus dem VEB Universalwerk in Schmalkalden, [Bezirk] Suhl: »Von unseren Kollegen wird eine scharfe Diskussion darüber geführt, dass es nur noch teure Zigaretten gibt. Sie sind der Meinung, sie könnten sich diese nicht leisten. Man müsste unbedingt dafür Sorge tragen, dass die Kollegen wieder billige Rauchwaren erhalten.«
Aus dem VEB Novotex-Werk III in Berga, [Bezirk] Gera, wird berichtet, dass unter den Kollegen eine lebhafte Diskussion über die durchgeführte Verteuerung der Konditoreiwaren [geführt wird], welche sich innerhalb eines Tages von 5 bis 30 Prozent erhöht hätten. Von der Belegschaft wird vor allen Dingen kritisiert, dass man nicht rechtzeitig die Belegschaft in Kenntnis setzte, dass eine bessere Zusammensetzung der Konditoreiwaren erfolgt ist, wodurch sich dann der Preis erhöht hat. Mehrere Kollegen diskutierten in dem Sinne, dass sie sagten: »Ihr14 wollt wohl eine Preissenkung machen, deshalb müssen diese Waren erst wieder teurer werden.«
Landwirtschaft
Zu den politischen Tagesfragen nimmt die Landbevölkerung nach wie vor nur wenig Stellung, sodass gegenwärtig darüber nichts Neues zu berichten ist. Lediglich zum Schritt Dr. Johns und zu den bevorstehenden Volkskammerwahlen wurden einige, meist positive Stimmen bekannt. Sie haben den bereits bekannten Inhalt, indem zum Ausdruck kommt, dass der Schritt Dr. Johns und die Rechenschaftslegung unserer Volksvertreter begrüßt werden.
Negativ bzw. feindlich zum Schritt Dr. Johns äußerten sich einige Großbauern aus Sieversdorf, [Bezirk] Potsdam, wie folgt: »Dr. John hat für die DDR keine Bedeutung. Die ganze Angelegenheit hier bei uns wird nur aus politischen Gründen so ausgelegt, als ob der Fall John etwas Besonderes wäre.«
Zu den Volkskammerwahlen äußern sich hauptsächlich Großbauern im negativen Sinne und fordern Listenwahlen, wie folgendes Beispiel zeigt. Ein Großbauer aus [St.] Michaelis, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sagte: »Man soll doch einmal eine Listenwahl durchführen, dann wird man sehen, wer für die SED ist. Es werden sich dann vielleicht 5 Prozent finden, die für die SED stimmen. Die SED müsste dann ihren Rucksack packen.«
In einer Gemeindevertretersitzung in Gransee, [Bezirk] Potsdam, sagten die meisten Anwesenden zu der Volkswahl: »Wenn alle Parteien eine Liste wählen, so ist das doch nicht demokratisch.«
Wirtschaftliche Fragen stehen unter der Landbevölkerung auch weiterhin im Vordergrund der Diskussionen. Die Bauern im Bezirk Erfurt beklagen sich darüber, dass der Bezirksrat Erfurt keine Übersicht über den Zwischenfruchtanbau im Bezirk hat.15 Er hat z. B. 600 dz Saatgut für Zwischenfruchtanbau an einen anderen Bezirk abgegeben, die nun im eigenen Bezirk fehlen. So ist jetzt der Zustand eingetreten, dass die Felder von der MTS für den Zwischenfruchtanbau vorbereitet worden sind, aber das Saatgut dafür fehlt.
Im Bezirk Suhl wird die Wildschweinplage in den Vordergrund der Diskussionen gestellt. Die Bauern von Kühndorf schlagen vor, dass man zuverlässige Genossen mit Waffen versehen und als Kampfposten einsetzen soll.16 Sie würden es aber auch begrüßen, wenn sich die Freunde für die Bekämpfung der Wildschweine mit einsetzen würden.
Bei einem Agitationseinsatz des Mercedes-Werkes Zella-Mehlis in der Gemeinde Kühndorf wurde auf die Volkswahl hingewiesen. Hierbei wurde festgestellt, dass die Bevölkerung wenig Interesse für politische Fragen zeigte, dafür aber die Mängel auf dem Lande kritisierte, z. B. dass die ablieferungspflichtigen Betriebe wenig oder kein Bindegarn für die Ernte erhalten.
Anlässlich eines Aufklärungseinsatzes in Brück, [Bezirk] Potsdam, beklagten sich die Anwesenden über die schlechte Versorgung mit Textilien und Wirtschaftsartikeln, wie Kartoffeldämpfer, Milchkannen, Zinkeimer und dergleichen. Der Leiter der BHG von Brück reist ständig quer durch die DDR, um diese benötigten Waren einzukaufen.
Einfluss der Großbauern
In der Gemeinde Rohlsdorf, [Bezirk] Potsdam, wurde festgestellt, dass der Roggen erst zu 3 Prozent gemäht wurde. Hier haben zwei Traktoristen von der MTS Genshagen,17 [Bezirk] Potsdam, anstatt bei der LPG bei einem Großbauern gemäht, der gar keinen Vertrag bei der MTS abgeschlossen hatte.
Im Kreis Güstrow, [Bezirk] Schwerin, konnte die Schälfurche bisher nur bis zu 11 4/10 Prozent gezogen werden, weil verschiedene Bauern es ablehnen, ihre Felder schälen zu lassen, solange die Hocken darauf stehen.18 Andere wieder erklären, dass die Tarife der MTS für Schälen zu hoch sind.
Im Kreis Perleberg, [Bezirk] Schwerin, wird vorwiegend in Großbauerndörfern der Nachtdrusch abgelehnt.19 In diesen Dörfern stehen die Bürgermeister zum großen Teil unter dem Einfluss der Großbauern. Dies trifft hauptsächlich in den Gemeinden Glövzin,20 Premslin21 und Tangendorf, [Bezirk] Schwerin, zu.
Zur Bildung von Schnitterbrigaden22 äußerte sich der Bürgermeister aus Karlsdorf, [Bezirk] Gera: »Die Schnitterbrigaden sollen doch lediglich dazu dienen, eine LPG zu gründen. Wir machen aber keine Gemeinschaftsarbeit, denn der Weg der Gemeinschaft ist der Weg zur Bildung einer LPG.« In diesem Zusammenhang äußerte sich ein Einzelbauer: »Wir können kein anständiges Leben führen, solange die Arbeiter aus den Betrieben im Sommer noch Urlaub bekommen und das Landjahr nicht wieder eingeführt ist,23 denn dadurch bekommen wir keine Arbeitskräfte.«
In verschiedenen Gemeinden des Bezirkes Rostock fordern bzw. verherrlichen Groß-Bauern die »freie Wirtschaft«. Ein Bauer des Kreises Klein Grabow,24 [Bezirk] Schwerin, äußerte, dass er und die Einwohner des Ortes mit unserer Planwirtschaft nicht einverstanden sind. Sie wollen nicht nach russischen Methoden arbeiten und auch keine russischen Lehren und Erfahrungen annehmen, dafür aber die »Freie Wirtschaft«.
Die Schweinepest wurde auf dem VEG Joachimshof, [Bezirk] Potsdam, und bei einem Großbauern in Bergsdorf, [Bezirk] Dresden,25 festgestellt. Auf dem VEG wurden 498 Schweine befallen, die notgeschlachtet werden, und bei dem Großbauern 60 Schweine, einschl. Läufer und Ferkel.
Übrige Bevölkerung
Über politische Tagesfragen wird unter der übrigen Bevölkerung nur in ganz geringem Maße diskutiert. Die Diskussionen zur Note der Sowjetregierung und zum Fall Dr. John haben sich nicht verändert. Vereinzelt diskutiert man über die Volkskammerwahl im Oktober 1954. In den positiven Diskussionen äußert man sich zustimmend zu den einheitlichen Kandidatenlisten. Ein Tankstelleninhaber aus Pößneck, [Bezirk] Gera: »Ich als Inhaber der Tankstelle begrüße diesen zentralen Beschluss, indem die Parteien Kandidaten der Nationalen Front aufstellen und so dem westlichen Kriegsblock einen geschlossenen Block entgegenstellen, welcher dazu dient, um den Frieden zu erhalten.«
In den negativen Diskussionen zur Volkskammerwahl macht sich der feindliche Einfluss (RIAS-Propaganda) bemerkbar, indem man Parteiwahlen fordert.
Ein Geschäftsmann aus Eisenberg, [Bezirk] Gera: »Warum werden denn bei uns keine Parteiwahlen durchgeführt?«
Ein Klempnermeister aus Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich bin damit nicht einverstanden, dass man zu der Volkskammerwahl nur eine Kandidatenliste aufstellt. Ich bin für Parteiwahlen, so wie sie früher waren.«
Ein Mitglied der CDU aus Kleinhartmannsdorf: »Die ganzen Wahlen sind doch für die Katz, wenn sie so durchgeführt werden.« Zur Rechenschaftslegung von Genossen Otto Grotewohl26 wurde uns folgende Stimme bekannt. Ein Einwohner aus Annaberg: »Genosse Otto Grotewohl brachte in seinem Rechenschaftsbericht zum Ausdruck, dass der Lebensstandard in der DDR auf verschiedenen Gebieten billiger ist wie in Westdeutschland. Angeführt hat er hierbei die Preise von Eiern, wo das Stck. in der DDR DM 0,12 und in Westdeutschland DM 0,24 kostet.27 Hierzu muss aber gesagt werden, dass es bei uns doch keine Eier auf Lebensmittelkarten gibt, denn wenn man Eier kauft, gehen diese vom Fleisch ab. Die Eier in der HO kosten DM 0,45 und dies ist das Doppelte wie in Westdeutschland.«
Aus dem Wismutgebiet28 wird Klage darüber geführt, dass die Transportarbeiter von [der] HO fast immer sonntags sehr viele Waggons zu entladen haben, während im Verlauf der Woche fast keine eintreffen. Hierzu äußerte sich der Leiter des Fuhrparkes der HO Wismut wie folgt: »Ich weiß bald nicht mehr, was ich denken soll, steckt jemand dahinter, der da glaubt, wir haben genügend Arbeitskräfte oder ist es eine absichtliche Maßnahme, um die Arbeiter missmutig zu machen.«
Im Kreis Wolgast ist die Stimmung unter den Privatfischern nicht gut. Diese Stimmung wurde durch die schlechten Fangergebnisse hervorgerufen. Ein parteiloser Fischer aus Wolgast, [Bezirk] Rostock: »Es ist eine schlechte deutsch-polnische Freundschaft, wenn die Polen uns nicht im großen Haff fischen lassen.29 Hieran ist zu ersehen, dass alles nur Propaganda ist.«
In den Gemeinden an der D-Linie des Bezirkes Suhl ist die Bevölkerung darüber verärgert, dass ein Teil von Personen die Einreisegenehmigung für westdeutsche Besucher erhalten, die anderen aber abgelehnt werden.30 Die Funktionäre des Ortes Oberweid, [Kreis] Meiningen, sind der Meinung, wenn hier keine Änderung eintritt, wird die Wahl im Oktober noch schlechter ausfallen als die Volksbefragung.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:31 Halle 7 000.
UFJ:32 Potsdam 555.
Versch[iedener] Art: Dresden 23.
Die Hetzschriften wurden in den meisten [Fällen] sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.
Antidemokratische Tätigkeit: Im VEB Sächsische Granitwerke Bischofswerda, [Bezirk] Dresden, wurde eine Hetzlosung gegen den Genossen Walter Ulbricht festgestellt.
Diversionen: In der MTS Schlegel, Kreis Zittau, [Bezirk] Dresden, wurden drei Reifen eines Traktors zerstochen.
In der MTS Großraschütz, Kreis Großenhain, [Bezirk] Dresden, wurde in die Förderschnecke eines Mähdreschers eine Pferdekandare gelegt.33
In der MTS Flathow, Kreis Oranienburg, [Bezirk] Potsdam, wurden zwei Traktoren durch das Abschlagen der Brennstoffleitungen beschädigt.
In der MTS Wiehe bei Roßleben, Kreis Artern, [Bezirk] Halle, wurde der Kühler eines Traktors mit einer Mistgabel durchstochen.
In der MTS Templin, [Bezirk] Neubrandenburg, waren die Decke und der Schlauch des Reifens eines Mähbinders in Längsrichtung eingeschnitten, sodass beim Fahren der Reifen platzte.
Am 6.8.1954 wurden der FDJ-Sekretär und zwei weitere FDJler von Königshofen, [Bezirk] Gera, von zwei Männern geschlagen, weil sie in einer Gastwirtschaft FDJ- und sowjetische Lieder gesungen hatten und einem Verbot der Täter nicht Folge leisteten.
Anlage 1 vom 9. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2282
Anhang zur Industrie
Materialschwierigkeiten
Im RAW Potsdam ist eine Stockung des Warenumlaufs wegen Fehlen von Radsätzen eingetreten. Zurzeit sind 200 bis 230 Wagen abgestellt, die nicht repariert werden können.
Im VEB IKA Sonneberg,34 [Bezirk] Suhl, mangelt es an Zinkblechen und Automatenstahl, wodurch einzelne Abteilungen stillgelegt werden müssen.
In der Peene-Werft Wolgast, [Bezirk] Rostock, ist die Fertigstellung des Schiffes »Habicht« 200735 wegen Materialmangel stark gehemmt.
Arbeitskräftemangel besteht im Duroplattenwerk [Sperenberg], Kreis Zossen, [Bezirk] Potsdam. Es fehlen vor allem Transportarbeiter und ungelernte Kräfte, die für die Erfüllung eines Exportauftrages für Kairo benötigt werden.
Ein großer Benzinmangel besteht gegenwärtig im Bezirk Dresden. So stehen z. B. das Lager Dresden (Fassungsvermögen 500 t) und das Lager Bautzen vollkommen leer.
Über eine starke Qualitätsminderung bei Rahmenplatten für Schlammpressen (Lieferbetrieb Cimmiwerke Zwickau)36 beschwert sich die Vulkanisierwerkstatt des Wismut-Objektes 96 in Freital. In den Jahren 1952/53 hatten die Platten eine Verwendungsdauer bis zu einem viertel Jahr und konnten danach repariert werden. Seit kurzer Zeit dagegen halten sie nur noch 3 bis 4 Wochen und können kaum repariert werden.
Eine hohe Ausschussquote besteht in letzter Zeit im VEB Eisenwerk Erla, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt. Die Ursache liegt an der schlechten Qualität des Kernöls, was vom VEB Chemische Werke Cottbus geliefert wird.
Anlage 2 vom 9. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2282
Stimmung zur Note der Sowjetregierung an die Westmächte vom 24.7.1954
Zur Note der Sowjetregierung werden nur noch ganz vereinzelt Diskussionen geführt. Die meisten sind positiv. Oft bringt man die neue Note der SU in Verbindung mit dem erfolgreichen Abschluss der Genfer Konferenz. Die Diskussionen stammen von Kollegen aus volkseigenen Betrieben sowie in einem Fall von einer Hausfrau.
Ein Kollege aus dem [Wismut-]Schacht 6 in Oberschlema, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Genfer Konferenz hat gezeigt, dass bei gutem Willen eine Einigung erzielt werden kann. Die neue Note der SU an die Westmächte ist eine große Hilfe für das deutsche Volk und für alle Länder Europas. Die große Friedensliebe, die die Sowjetunion dem deutschen Volk erneut unter Beweis stellt, muss dazu beitragen, dass wir eine noch stärkere Aufklärungsarbeit unter den Volksmassen durchführen.«
Eine parteilose Arbeiterin aus dem VEB Schuhfabrik Großhartau, [Bezirk] Dresden: »Es liegt doch klar auf der Hand, dass die SU stets bemüht ist, einen Friedensvertrag mit Deutschland auf friedlicher Grundlage zu erreichen. Das zeigt wieder die neue Note, die die SU an die drei Westmächte gerichtet hat.«
Ein parteiloser Arbeiter aus der Nähfadenfabrik Öderan, Kreis Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich begrüße die neue Note der Sowjetregierung. Wenn man sich die politische Lage jetzt so betrachtet, so ist es doch ganz klar und offensichtlich, dass der Kapitalismus seinem Untergang entgegengeht.«
Eine Hausfrau (parteilos) aus Großenhain, [Bezirk] Dresden: »Man muss wirklich sagen, dass die Russen alles machen, um uns Deutsche wieder zusammenzuführen. Ich denke, dass bei der nächsten Konferenz auch die Amis nicht mehr ausweichen können.«