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Zur Beurteilung der Situation

23. September 1954
Informationsdienst Nr. 2321 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Die Diskussionen zu politischen Tagesfragen haben weiterhin geringen Umfang. Teilweise verhalten sich die Werktätigen gleichgültig zu aktuellen Fragen, wie folgende Beispiele zeigen. In einer Versammlung des VEB Kirow-Werk Leipzig, wo über die Volkswahlen1 gesprochen wurde, äußerte kein Arbeiter seine Meinung, obwohl der Versammlungsleiter mehrmals dazu aufforderte. Selbst Genossen unserer Partei sprachen nicht zur Diskussion.

Im Kraftwerk »Ernst Thälmann« Leipzig wird vom größten Teil der Arbeiter über die Volkswahlen nicht gesprochen. Werden sie jedoch angesprochen, so erklären sie sich ohne Diskussion mit der Volkswahl einverstanden. Zwei Kumpels aus Aue äußerten: »Uns kann es doch gleichgültig sein, wen und was man auf die Wählerlisten schreibt. Wir sind sowieso nur kleine Lichter und gehen mit der Allgemeinheit mit. Wir wollen nur unsere Ruhe haben und von Politik nichts wissen.«

Im VEB Jenapharm, [Bezirk] Gera, fanden im Laufe dieses Monats zwei Rechenschaftslegungen statt,2 die sehr schlecht besucht waren. Als die Versammlungen über die Arbeitszeit hinausgingen, verließ etwa die Hälfte der Anwesenden den Raum.

Überwiegend wird über die Volkswahlen gesprochen. Zu den Volkskammerwahlen hat sich der Inhalt und Umfang der Äußerungen gegenüber dem Vortage nicht geändert. In den positiven Diskussionen spricht man sich für die einheitliche Kandidatenliste aus und übernimmt Verpflichtungen, die Kandidaten der Nationalen Front3 zu wählen und die Produktion zu verbessern und zu erhöhen.

Teilweise wenden sich Werktätige aus Unklarheit über den Charakter der Wahlen gegen die einheitliche Kandidatenliste. In der Filmfabrik Wolfen äußerten sich einige Kollegen aus der Sulfidierung: »Mit der Einheitsliste der Nationalen Front sind wir noch nicht ganz einverstanden, denn wenn keine Parteien den Wahlkampf führen, so ist das ja bloß eine Abstimmung und keine Wahl.«4

Von meist reaktionären Elementen werden vereinzelt feindliche Meinungen gegen die Wahlen verbreitet. So äußerte sich z. B. ein parteiloser Meister aus dem VEB Löschufa,5 Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Das Geld, was für die Vorbereitung der Wahl ausgegeben wird, ist ja zwecklos. Es wird doch bestimmt wieder so, wie bei der letzten Wahl,6 dass die ungültigen Stimmen mit gewertet werden. Die aufgestellten Kandidaten kommen sowieso alle mit rein, auch wenn die Wahl ungünstig ausfallen wird.«

Ein Jugendlicher aus dem IFA AUFA Eisenach: »Einen einheitlichen Block bildet man deshalb, weil die SED Angst hat, noch mehr Stimmen zu verlieren. Die anderen Parteien tragen den Namen nur als Aushängeschilder, damit es nicht so einheitlich aussieht.«

Zur Mitteilung des »Neuen Deutschlands« über Atombombenversuche in der Sowjetunion7 diskutierten einige Kumpels der Wismut8 im Klubhaus in Zwickau, dass die Atomversuche der amerikanischen Imperialisten die Überschwemmungen verursachten.9 Aufgrund der Atomversuche der SU sei deshalb in den nächsten Tagen wieder mit Hochwasser zu rechnen. Ähnlich äußerte sich ein Wismut-Kumpel aus dem Objekt 02, Schacht 4 in Zwickau.

Zu Missstimmungen kam es verschiedentlich unter den Arbeitern wegen Lohn- und Prämienfragen. Unter den Arbeitern des Bauhofs Hartha, [Bezirk] Leipzig, herrscht eine schlechte Stimmung über die geringen Stundenlöhne. Sie betragen teilweise 0,97 DM bis 1,02 DM. Ein Arbeiter äußerte dazu: »Früher als ich sechs Jahre arbeitslos war, habe ich besser gelebt, als heut mit meinem Verdienst.«

Unter den kaufmännischen und technischen Angestellten in der Bergbauindustrie von Halle besteht eine schlechte Stimmung über ihre Entlohnung. Sie fordern, dass ihre Gehälter den übrigen Wirtschaftszweigen angeglichen werden. Dies kam besonders in ihren Diskussionen während der Rechenschaftsversammlungen zum Ausdruck.

Beim Bau der Kohlenverbindungsbahn Deuben-Profen, [Bezirk] Halle, wurden wegen Arbeitskräftemangel Arbeiter aus anderen Kreisen der DDR zur Arbeit eingesetzt. Dabei wurden verschiedenen Kollegen höhere Lohngruppen und Trennungsgelder versprochen als in Wirklichkeit ausgezahlt werden. Dadurch entstehen jetzt Unstimmigkeiten und einzelne Kollegen verlassen die Baustelle wieder.

Im VEB Leinenzwirnerei Hirschfelde, [Bezirk] Dresden, Werk III, Großröhrsdorf wurde ein neuer Typenstellenplan für die Verwaltung eingeführt, was unter den Angestellten Verärgerung ausgelöst hat. Ein Angestellter, der bisher 235 DM erhalten hat, soll nach dem neuen Plan nur noch 196 DM bekommen. Der Betriebsleiter dieses Werkes sagte dazu: »Durch die Lohnpreissenkung wurde unser Reallohn erhöht, aber durch diese Maßnahme verschlechtern wir uns ja doppelt.«

Im VEB Kranbau Eberswalde ist ein Teil der Arbeiter über die ungerechte Verteilung der Prämien bei der Auswertung des Wettbewerbes verärgert. Man hatte, um die Siegerbrigade festzustellen, an die beteiligten Brigadiere Lose verteilt.

Im Metallgusswerk Leipzig (VEB) herrscht unter einzelnen Brigaden eine schlechte Stimmung über die Norm, die ihnen zu hoch ist. Der Durchschnittsverdienst der Kollegen beträgt jedoch 2,50 DM. Diese Normendiskussionen wurden durch zwei Elektro-Schweißer ausgelöst.

Produktionsstörungen

Durch Überlastung brannte im Kaliwerk »Glückauf« in Sondershausen im Revier I ein Elektromotor durch, wodurch zwei Sammelschrapper zwei Stunden außer Betrieb gesetzt wurden. Die Untersuchungen werden noch geführt.

Im VEB Walzengießerei Coswig, [Bezirk] Dresden, wurden in der ersten 43-Tonnen-Walze der DDR mehrere Rundrisse festgestellt. Die Ursache dafür ist noch nicht ermittelt.

Schwierigkeiten in der Kraftstoffversorgung bestehen im Kreis Beeskow, [Bezirk] Frankfurt. Die Hauptlieferbetriebe in Zeitz und Schwarzheide haben den Liefertermin zum 15.9.1954 nicht eingehalten.10 Die Außenstelle der Autotransportgesellschaft Jena, [Bezirk] Gera, hat ebenfalls Kraftstoffschwierigkeiten und wenn von Berlin in den nächsten Tagen keine Zuteilung erfolgt, ist die Versorgung der Bevölkerung gefährdet, da mehrere große Fahrzeuge stillgelegt werden müssen.

Im Bezirk Suhl besteht weiterhin ein Mangel an Reifen für Pkw.

Der Leiter der Bezirksfiliale der Deutschen Notenbank Potsdam11 stellte fest, dass der Handel seinen Plan wieder nicht erfüllt hat. Dazu meinte er, dass dies von Fehlern in der Produktion in Bezug auf die Planung herrührt. Er führte hierzu Folgendes an: »Die Textilindustrie beginnt im Monat September, Winterstoffe zu weben. Der Plan für die Konfektion sieht ebenfalls vor, im September Winterkleidung herzustellen. Zu gleicher Zeit soll aber auch der Handel diese Artikel verkaufen.«

Von der DHZ Leder Bautzen wurde am 22.9.[1954] in Kamenz, [Bezirk] Dresden, eine Submission in Schuhen durchgeführt. Der Sohn eines Handwerkers sagte, dass Schuhe, die zur Preissenkung um 10,00 DM billiger angeboten wurden, jetzt wieder den alten Preis haben. Einzelne Handwerker waren über die Submission verärgert und schlossen keine Verträge ab.

Ein Angestellter der Industrie- und Handelskammer Erfurt (CDU) sagte: »In Erfurt (Optima)12 werden in Erhöhung von Bedarfsgegenständen Kohlenzangen hergestellt. Diese gibt es aber im Überfluss. Jetzt stellt Rheinmetall Sömmerda auch Kohlenzangen her, die einen vernickelten Griff haben und sehr gut aussehen. Da ist gleich die HO gekommen und hat gesagt, da kommt Akzise drauf. Jetzt kostet solch eine Kohlenzange 2,30 DM. Der Wert liegt aber nur bei 0,40 DM

Im Kreis Meiningen, [Bezirk] Suhl, wurden beim Fleischhandwerk 779 kg Büchsenfleisch untersucht und dabei festgestellt, dass bereits eine größere Menge der Büchsen für den menschlichen Genuss nicht mehr zu verwenden ist. Dabei handelt es sich um Exportware.

In der HO-Verkaufsstelle der Farbenfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle, und in der Filmfabrik Wolfen ist eine Verknappung der Wurstbelieferung eingetreten. Dazu äußerte sich ein Ingenieur: »Ich kann nicht verstehen, wenn auf der einen Seite von der Regierung Versprechungen gemacht werden, die dann nicht eingehalten werden. Ich bin der Meinung, dass hier etwas faul ist und dass die Belieferung unserer HO-Verkaufsstelle mit Wurst bewusst sabotiert wird.«

In verschiedenen Kreisen des Bezirkes Halle ist eine mangelhafte Versorgung mit Eiern eingetreten.

Landwirtschaft

Zur Volkskammerwahl wird noch verhältnismäßig wenig, jedoch meist positiv diskutiert. Die positiven Meinungen sind hauptsächlich in den LPG, MTS und in den Gemeinden zu verzeichnen, wo die Aufklärungsgruppen gut arbeiten. Ein parteiloser Kleinbauer aus Lüdendorf, [Bezirk] Potsdam, sagte: »Bisher kannte ich es nur so, dass jede Partei ihre eigene Wahlliste hat, aber durch die Diskussion mit dem Aufklärer ist mir klar geworden, warum wir eine gemeinsame Wahlliste haben.«

Weiterhin werden auch anlässlich der Volkskammerwahl Selbstverpflichtungen übernommen, woran sich auch teilweise werktätige Bauern beteiligen. Im Bezirk Cottbus wurden bisher von Genossenschafts- und Einzelbauern insgesamt 3 336 Selbstverpflichtungen abgegeben.

Die negativen Äußerungen sind nur ganz vereinzelt und werden hauptsächlich von den Großbauern und den bürgerlichen Kreisen vertreten. In Hennersdorf, Kreis Finsterwalde, [Bezirk] Cottbus, sagte ein Bauer: »Man müsste den Bauern mehr Freiheit geben. Die LPG ist eine russische Kolchose, denn wenn wir auf sie angewiesen wären, müssten wir verhungern.«

Ein Bauer aus Berndorf, [Bezirk] Leipzig: »Unter den Verhältnissen, wie ich jetzt als Bauer lebe, kann ich nicht für die Kandidaten der Nationen Front stimmen.«

Auf einer Blocksitzung in Litzerrode,13 [Bezirk] Gera, äußerte ein LDP- und gemeindevorsitzender Einzelbauer: »Wir wollen keine MTS, denn sonst gehört uns eines Tages das Feld nicht mehr. Es müssten mehr kleinere Landmaschinen hergestellt werden. Die Russen können gar nichts, alles, was sie haben, haben sie von uns geholt.«

Bei den Rechenschaftslegungen sind es in der Hauptsache Großbauern, die immer wieder die Sollstreichung, Sollermäßigung und die »freie Wirtschaft« fordern sowie mit verschiedenen Argumenten die Ablieferung verzögern. Zwei Großbauern aus der Gemeinde Gutengermendorf, [Bezirk] Potsdam: »Wir sollen dreschen und sollen aber auch Kartoffeln buddeln. Die 50 Prozent der Ablieferung sind vorläufig genug, bis die Kartoffeln aus der Erde sind. Man hat scheinbar den 17.6.1953 schon wieder vergessen.«

In der Gemeinde Linow, [Bezirk] Potsdam, verlangen die Bauern eine Sollermäßigung, weil sie angeblich eine schlechte Ernte durch die Witterungseinflüsse haben. Dort argumentieren die Großbauern in Versammlungen weiterhin die RIAS-Parolen der sogenannten freien Wirtschaft. Ein Großbauer aus Wassersuppe, [Bezirk] Potsdam: »Ich kann nicht verstehen, warum das Soll in der DDR noch so hoch ist, wo doch die SU aufgrund ihrer hohen Ernteerträge die DDR mit Getreide überschütten könnte.«

Mängel und Missstände

Die MTS des Bezirkes Neubrandenburg klagen immer wieder über den Mangel an Ersatzteilen. In der MTS Boddin, Kreis Teterow, [Bezirk] Neubrandenburg, fehlen Regler für Lichtmaschinen, sodass es nicht möglich ist, nachts zu arbeiten. Dadurch leidet die Durchführung der Saatfurche. Von dem Soll 2 400 ha konnten bis jetzt nur 650 ha gepflügt werden.

Im Bezirk Rostock klagen die Bauern, dass die MTS unorganisiert bei der Herbstbestellung arbeitet. In der MTS Lützow14 z. B. fallen die Traktoren zeitweilig bis auf zwei aus. Dadurch kann die Herbstbestellung der LPG Martensdorf und Niedermützkow, [Bezirk] Rostock, nicht rechtzeitig durchgeführt werden. Dort ist noch nicht einmal der Raps in der Erde.

In einigen Kreisen des Bezirkes Leipzig haben die LPG Schwierigkeiten bei der Kartoffelernte, wegen Mangel an Arbeitskräften. In der LPG Rudolstadt15 z. B. konnte die MTS Zschackwitz, [Bezirk] Leipzig, keine Kartoffeln mit dem Schatzgräber roden, da die LPG nicht genügend Arbeitskräfte stellen konnte.

Die werktätigen Bauern aus dem MTS-Bereich Jänkendorf, [Bezirk] Dresden, führen Klage, dass die MTS ihre abgeschlossenen Verträge nicht einhält. Ihre Einstellung zu den staatlichen Einrichtungen (MTS) ist deshalb negativ. Sie vertreten den Standpunkt, dass sie unter diesen Voraussetzungen auch ihren Verpflichtungen in der Ablieferung nicht nachkommen können. Die Rückfrage bei der MTS ergab, dass drei Traktoren ausgefallen sind und für diese auch keine Ersatzteile vorhanden sind.

Im Landmaschinenbau Döbeln, [Bezirk] Leipzig, wurde festgestellt, dass von 50 ausgelieferten Rodern 14 Stück ungehärtete Ritzel aufweisen.

Im Kreis Zerbst ist zu verzeichnen, dass im sozialistischen Sektor der Landwirtschaft für die Kartoffelrodung ein großer Arbeitskräftemangel besteht. Der Arbeitskräftemangel ist teilweise darauf zurückzuführen, dass die Hausfrauen, die alljährlich zur Kartoffelrodung gehen, zu den Großbauern abgewandert sind. Die Großbauern geben ein bestimmtes Quantum Kartoffeln vom Roden ab, was die LPG und volkseigenen Güter nicht können. Dabei ist zu bemerken, dass die Großbauern diese Kartoffeln abgeben, obwohl sie ihr Soll nicht erfüllt haben.

Übrige Bevölkerung

Im Mittelpunkt der Diskussionen, die über politische Probleme geführt werden, stehen die Vorbereitungen der Volkswahl. Der überwiegende Teil der Stimmen ist positiv. Zu Ehren der Volkswahl kommt es auch unter den Arbeitern und Angestellten des Handelsapparates und der Verwaltungsinstitutionen zu Verpflichtungen. Zum Beispiel verpflichteten sich zehn Kollegen der HO Industriewaren Bernau, [Bezirk] Frankfurt, einen freiwilligen Sonntagseinsatz zur besseren Versorgung der Landbevölkerung durchzuführen. Des Weiteren verpflichteten sich alle Kollegen, bis zum 10. Oktober [1954] in Rüdnitz einen Sonderpropagandaverkauf mit einer Modenschau durchzuführen.16

Im Bezirk Frankfurt weisen die durchgeführten Haus- und Hofversammlungen einen guten Erfolg auf. Verschiedentlich treten aber in organisatorischer Hinsicht Mängel auf. Zum Beispiel waren am 20.9.1954 in Fürstenberg mehrere Hausversammlungen vorgesehen. Kurz vor Beginn der Versammlungen, die einen guten Besuch aufwiesen, wurde festgestellt, dass für 18 Versammlungen keine Referenten eingeplant waren, sodass diese ausfallen mussten.

Im Kreis Saalfeld, [Bezirk] Gera, zeigt sich eine mangelhafte Beteiligung an den Haus- und Hofgemeinschaften. Zum Beispiel wurden in Unterwellenborn zu einer Kurzversammlung einer Straßengemeinschaft sämtliche 40 Bewohner persönlich eingeladen. Erschienen sind jedoch nur drei Personen.17

Bei den Rechenschaftslegungen sind oft westdeutsche Besucher anwesend. Sie nehmen in der Diskussion sehr positiv Stellung und zerschlagen die Argumente, die verschiedentlich vorgebracht werden, in denen behauptet wird, dass es den Arbeitern in Westdeutschland besser ginge. Zum Beispiel erklärte bei einer Rechenschaftslegung in Rathenow, [Bezirk] Potsdam, ein westdeutscher Besucher: »Wie ich aus der bereits geführten Diskussion ersehen kann, ist die Durchführung der Wahlen in der DDR eine wahrhaft demokratische, wogegen in Westdeutschland viele Stimmen verloren gehen und die Wähler die Kandidaten überhaupt nicht kennen. Wenn jemand die Not und das Elend der Werktätigen in Westdeutschland anzweifelt, so soll er nach drüben fahren und sich die Schlangen vor den Arbeitsämtern ansehen. Auch vor den Leihhäusern kann er an Lohnzahltagen feststellen, wie groß die Not der arbeitenden Bevölkerung ist.«

Im Bezirk Frankfurt wird unter der Bevölkerung verschiedentlich die Meinung vertreten, dass eine Einsichtnahme in die Wählerlisten nicht notwendig sei, da sie doch zur Volksbefragung18 eingetragen waren und jetzt wieder dieselben Listen ausliegen. Dieses Argument tritt besonders in den Kreisen Beeskow und Fürstenberg auf.

Im Bezirk Potsdam tritt immer wieder das Argument in Erscheinung, dass bei der Volksbefragung die Auszählung der Stimmen nicht reell erfolgt wäre. Zum Beispiel äußerte ein Einwohner aus der Gemeinde Warsow, Kreis Nauen: »Die Auszählung war nicht richtig, weil die ungültigen Stimmen mit zu den Stimmen für den Frieden gezählt wurden. So etwas dürfte bei der Volkswahl nicht wieder vorkommen.«

Die Ablehnung der gemeinsamen Kandidatenliste sowie abfällige Äußerungen über die Wahl kommen größtenteils aus bürgerlichen Kreisen, besonders aus den Reihen der bürgerlichen Parteien. Ein Einwohner aus Groß Gastrose,19 Kreis Guben, [Bezirk] Cottbus: »Die Menschen wählen die Kandidaten der Nationalen Front, weil keine andere Partei von der Russenregierung zugelassen wird. Aber denken tun die Menschen doch anders, als sich die Herren da oben vorstellen.«

Ein Lehrer aus dem Kreis Dresden: »Es ist eine Schande, dass das Volk nicht gefragt wird, ob es eine einheitliche Wahlliste haben will. Wer in der SED ist, den kann ich sowieso nicht achten. Dieser ganze Staat ist auf Betrug aufgebaut. Mich kann niemand überzeugen. Dieser Kandidatenliste darf man seine Zustimmung nicht geben.«20

In Friedersdorf, Kreis Königs Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam, sind fast alle CDU-Mitglieder mit der Einheitsliste nicht einverstanden. In dieser CDU-Ortsgruppe ist niemand vorhanden, der diesen Argumenten entgegentritt.21

In einer Versammlung der Hausgemeinschaft des Kreiskrankenhauses Stadtroda, [Bezirk] Gera, an der 25 Personen teilnahmen, wurde eine Entschließung verlesen, in der es hieß, dass am 17.10.[1954] die Kandidaten der Nationalen Front gewählt werden sollen. Dazu äußerte eine Medizinassistentin: »Dieses hat mit einer freien Wahl nichts zu tun, sondern ist eine Beeinflussung der Menschen. Wenn man das so machen will, brauchen wir auch gar nicht zur Wahl zu gehen, sondern wir sammeln nur Entschließungen ein und die Wahl wäre damit erledigt.«

Im Kreis Parchim, [Bezirk] Schwerin, fanden Ausspracheabende der Handwerker statt. In allen Versammlungen wurden vereinzelt Listenwahlen gefordert. Zum anderen sprach sich ein Tischlermeister gegen die Planwirtschaft aus, aufgrund der schlechten Belieferung durch die DHZ.

Der Pass- und Meldestelle des VPKA in Weimar liegen zahlreiche Anträge für Personalbescheinigungen zu Reisen nach Westdeutschland für die Zeit um den 17. Oktober 1954 vor.

Die spinale Kinderlähmung hat sich im Kreis Naumburg, [Bezirk] Halle, weiter verbreitet. Es erkrankten bisher 13 Personen, zwei Personen verstarben. Im Kreis Pößneck, [Bezirk] Gera, sind ebenfalls 13 Fälle spinaler Kinderlähmung zu verzeichnen.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

Ostbüro der SPD:22 Potsdam 1 010, Erfurt 1 030, Dresden 14, Suhl 150, Halle 1 000.

NTS:23 Cottbus 2 000, Gera 2 000, Dresden 12, Rostock einige.

»Tarantel«24: Suhl 26.

»Tribüne«25: Magdeburg 2 000, Frankfurt 200.

In tschechischer Sprache: Dresden 5.

Brandstiftung: Am Abend des 20.9.1954 brannte die Scheune eines Neubauern in Stöffin, [Bezirk] Potsdam, nieder. Es wurden ca. 120 Ztr. Getreide und ca. 280 Ztr. Stroh vernichtet. Schaden: ca. 5 600 DM. Täter noch nicht ermittelt.

Terror: Am 20.9.1954 teilte ein FDJ-Funktionär dem VPKA Templin telefonisch mit, dass er in der Bahnhofstraße in Templin in Höhe des Kirchhofes von drei unbekannten Tätern überfallen wurde und niedergeschlagen. Die Schlüssel, die er von der Kreisleitung der FDJ bei sich hatte, entwendete man ihm.

Antidemokratische Tätigkeit

In der Nacht vom 20. zum 21.9.1954 wurde an die Haustür einer VP-Angehörigen ein Schmierzettel mit folgendem Wortlaut angebracht: »Du Polizist-Kommunistenschwein. Euch schlagen wir die Schnauze ein.«

In einer Toilette des Schwefelsäurewerkes Nünchritz, [Kreis] Riesa, [Bezirk] Dresden, wurde eine hetzerische Losung gegen eine Aktivistin (SED) angeschmiert.

Am 20.9.1954 wurde in dem Wismutbetrieb (»Karriere«26) Gauern-Gera eine kleine Schweizer Fahne von einer Brigade gefunden. Die Fahne war mit einem Hakenkreuz, ehemalige HJ-Abzeichen und dem Wort NSDAP beschmiert.

Westberlin

Am 13.9.[1954] fand in der Hasenheide im Schultheiss-Saal eine Versammlung des BHE statt, an der ca. 1 000 Personen teilnahmen. In dieser Versammlung waren viele HIAG-27 und Stahlhelm-Leute.28 In der Diskussion sprachen sieben Personen, Unternehmer usw. Weitere Personen, die sich zur Diskussion gemeldet hatten, durften nicht sprechen, trotz ihrer Namens- und Adressenangaben, da sie keiner Partei oder Organisation angehörten und als parteilos zeichneten. Der Versammlungsleiter begründete die Ablehnung damit, dass er beim Wahlkampf in Schleswig-Holstein29 immer wieder erlebt hat, dass sich die als parteilos gemeldeten Redner als Kommunisten entpuppten und diese hätten kein Recht, beim BHE zu sprechen. Ein Teil der Versammlungsteilnehmer nahm diese Erklärung mit lauten und lebhaften Missfallenskundgebungen auf. Zum Schluss wurden die Teilnehmer aufgefordert, alle drei Strophen des Deutschlandliedes zu singen. Der Gesang war mäßig.

Bei einer Unterhaltung mit einem Mitglied der SPD wurde von einem Zeitungsausträger der »Berliner Stimme«30 geäußert, dass die SPD vor den Volkskammerwahlen im »Ostsektor« Plakate kleben will.

Anlage 1 vom 23. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2321

Produktionsschwierigkeiten in der Industrie

Materialschwierigkeiten

Im Kraftwerk Harbke, [Bezirk] Magdeburg, kann der Plan nicht erfüllt werden, da nicht genügend Kohle vorhanden ist. Dieser Mangel tritt schon seit längerer Zeit in Erscheinung, dadurch kann die Kapazität des Werkes nicht ausgelastet werden.

In der Glasindustrie im Kreis Neuhaus, [Bezirk] Suhl, mangelt es an Verpackungsmaterial (Pappe) für wichtige Exportaufträge.

Der VEB Christbaumschmuck-Versand in Steinheit,31 [Bezirk] Suhl, ist nicht in der Lage, einen Exportauftrag in Höhe von 300 000 DM32 auszuliefern, weil die erforderlichen Kartonagen nicht zur Verfügung stehen.

In der Blindstromkondensatorenanfertigung im VEB Isokond Berlin fehlt es an Deckel, Kappen und Folien für die Winkel und für Porzellandurchführungen. Die vom Zubringerbetrieb gelieferten Folien entsprechen nicht den bestellten Maßen, sie sind zu stark. Infolge dieses Materialmangels muss die Imprägnierungsanlage sieben Tage stillgelegt werden. Die acht Kollegen, die dort arbeiten, müssen mit anderen Arbeiten im Betrieb beschäftigt werden.

Im »Elektrohaushaltsgeräte« Rummelsburg, Berlin fehlen 40-mm-Schrauben. Wenn keine Änderung in der Materialzuteilung eintritt, kann der Plan nicht erfüllt werden.

Die Wasser- und Entwässerungswerke Berlin benötigen laufend Gas- und Wasserleitungsrohre, die über die DHZ Metallurgie beim Vertriebslager Riesa bestellt werden. Gas- und Wasserleitungsrohre sind zzt. nur in schwarzer Ausführung zu beziehen. Für Wasserwerkszwecke können die Rohre in dieser Ausführung nicht verwendet werden und müssen demzufolge noch verzinkt bzw. bituminiert werden. Dafür gibt es nur zwei bzw. einen Betrieb, diese sind mit Aufträgen überlastet.

Im VEB »Rohre und Behälter« fehlen Arbeitskräfte, hauptsächlich Schweißer. Dadurch ist die Erfüllung des Planes gefährdet.

Anlage 2 vom 23. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2321

Westmedien

Die Sendung schließt mit der indirekten Mahnung an die Arbeiter, von der Regierung eine Stellungnahme zu fordern, »was im letzten Jahr des Fünfjahrplanes mit den Arbeitsnormen geschehen soll«.

In einer anderen Sendung hetzt der RIAS, dass unsere Partei eine Normenerhöhung für das Planjahr 1955 vorbereite.

Im Hinblick auf die Wintermonate versucht der RIAS, die Arbeiter zu der Forderung zu beeinflussen, mit der Winterfestmachung der Betriebe sofort zu beginnen. Er hetzt aber dazu, dass die Zeit und das Geld für Versammlungen usw. benutzt würde, sodass mit einer rechtzeitigen Winterfestmachung der Betriebe nicht zu rechnen sei.

In einer abschließenden Sendung zur Leipziger Messe33 versucht der Londoner Rundfunk34 anhand zahlreicher Beispiele, die Erfolge der Messe vollkommen zu negieren, obgleich er zwischendurch die große Bedeutung der Messe zugeben muss. Es kommt dabei zu üblen Ausfällen gegen die Ausstellung Volkschinas und gegen die Bedeutung der Messe für den Ost-West-Handel.

Eine Sendung des RIAS über die auf der Leipziger Messe ausgestellten Lokomotiven der volkseigenen Produktion benutzt dieser zur Wiederholung der bereits bekannten mehrfach gebrachten Ausführungen über »katastrophale Zustände« bei der Reichsbahn der DDR.

Anlage 3 vom 23. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2321

Äußerungen von westdeutschen Besuchern über ihre Eindrücke in der DDR

Es wird immer wieder von Mitgliedern westdeutscher Delegationen, die unsere VE Betriebe besuchten zum Ausdruck gebracht, dass sie von den sozialen und kulturellen Einrichtungen sowie vom Leben unserer Werktätigen stark beeindruckt sind. Übereinstimmend wird immer wieder erklärt, dass die Lage der Arbeiter in Westdeutschland bei Weitem anders ist. Erstaunt waren sie auch über die Verbundenheit, die zwischen unseren Abgeordneten und der Bevölkerung besteht, was es im Adenauer-Staat35 nicht gibt.

Eine Delegation aus Remscheid/Wuppertal besuchte das volkseigene Gummiwerk »Elbe«, Kreis Wittenberg, [Bezirk] Halle. Die westdeutschen Kollegen äußerten unter anderem: »Immer wieder müssen wir unser Erstaunen zum Ausdruck bringen über die guten sozialen und hygienischen Einrichtungen im Betrieb. Bei uns gibt es keine Kindergärten und keine solch vorbildliche Waschanlage wie in eurem Betrieb. Auch solche Kultureinrichtungen, wie man sie bei euch sieht, sind im Rhein-Ruhr-Gebiet nicht vorhanden.«

Ein Arbeiter aus einer Schuhfabrik, der mit einer Delegation in Weißenfels weilte, sagte: »Wir sind gekommen, um uns von der Richtigkeit der Politik der DDR und dem Stand der Wirtschaft zu überzeugen. Ich bin sehr stark beeindruckt von den sozialen und kulturellen Einrichtungen in den Schuhfabriken, auch von der Zusammenarbeit zwischen Arbeitern, der Betriebsleitung und den staatlichen Organen. Ich wundere mich, dass sogar Volkskammerabgeordnete mit den Arbeitern diskutieren und von den Arbeitern kritisiert werden. So etwas ist in Westdeutschland mit einem Bundestagsabgeordneten direkt unmöglich.«

Ein Angehöriger einer Chemiearbeiter-Delegation aus Osnabrück, die in der Filmfabrik Wolfen war, äußerte bei dem Besuch der Kinderheime in Wolfen: »So etwas gibt es bei uns in Osnabrück nicht. Das Kind bekommt hier die Wäsche und die Kleidung und die Mutter bezahlt nur 30,00 DM im Monat, während bei uns in Osnabrück die Arbeiterfamilien nicht wissen, wohin sie mit ihren Kindern sollen, wenn sie der Arbeit nachgehen. Wir haben auch Kinderheime, aber dort muss man monatlich 122 Mark bezahlen, außerdem gibt es keine Bekleidung.«

Des Öfteren erklären Besucher, dass sie von den wahren Verhältnissen in der DDR überrascht sind, da drüben die Zeitungen ganz anders darüber berichten. Einige, die bereits vor Jahren in der DDR waren, stellen fest, dass bei uns auf allen Gebieten große Fortschritte zu verzeichnen sind. So erklärte z. B. eine Frau aus Essen bei einem Besuch in Neuhaus: »Seitdem ich das letzte Mal hier in der DDR gewesen bin, hat sich viel zum Guten verändert. Ich muss staunen über die Lügen, die im Westen über die DDR verbreitet werden. Auch über Dr. John36 wurde vieles dort gelogen.«

Eine Hausfrau aus Coburg, die in Suhl weilte, äußerte: »Ich war vor zwei Jahren das letzte Mal hier und ich muss feststellen, dass sich vieles geändert hat. Was es jetzt alles für Waren gibt, nicht nur Lebensmittel, sondern auch andere schöne Dinge und teils zu Preisen, die unter denen in Westdeutschland liegen. Ich staune, wie das Wirtschaftsleben hier blüht.«

Einige westdeutsche Besucher besichtigten Schloss Mosigkau im Kreis Dessau, u. a. die Gemäldegalerie, und äußerten: »Wir hätten nie geglaubt, dass es eine solche Galerie in der Ostzone gibt. Wir sind immer der Meinung gewesen, dass die Russen eine so wertvolle geschlossene Bildersammlung nach Russland gebracht hätten.«

Einige Besucher, besonders aus dem Mittelstand, schilderten die Verhältnisse in Westdeutschland und ziehen Vergleiche zur Lage bei uns. Dabei treffen sie die Feststellung, dass unsere Wirtschaft stabiler ist, vor allem deshalb, weil die DDR nicht an irgendeine Macht verschuldet ist, wie das bei der Bundesrepublik der Fall ist.

Ein kleiner Unternehmer, der im Kreis Weißenfels weilte, sagte: »Am liebsten würde ich meinen Betrieb in Pirmasens aufgeben und nach hier übersiedeln. Wenn hier jetzt noch ein Jahr so weitergearbeitet wird, wird Westdeutschland in der Produktion sowie auf allen anderen Gebieten überflügelt. Auch die Lebenslage ist hier schon besser als drüben. Überrascht bin ich vor allem darüber, dass in Versammlungen und Konferenzen auch über die Handwerker und Kleinindustriellen gesprochen wird und sie von der Regierung Unterstützung erhalten. Ich habe in meinem Betrieb 15 Leute beschäftigt und stehe oft vor der Tatsache, dass ich sage, wie wird es wohl am nächsten Tage weitergehen. Wir, die kleinen Betriebe, müssen viele Steuern zahlen. Die KPD in Westdeutschland macht den Fehler, dass sie nur immer von den Arbeitern spricht, aber nie von den Handwerkern, Ärzten, Apothekern und Kleinindustriellen. Wir wollen ebenfalls, dass die Großbetriebe enteignet werden.«

Ein Kleinbauer, der sich in der Nähe von Görlitz aufhielt, sagte: »Warum meckern denn hier die Leute auf dem Dorfe? Die sollten mal zu uns aufs Land kommen, die würden bald geheilt sein und sich nach ihrer Arbeit in der DDR zurücksehnen. Eine derartige Fürsorge, wie sie die Regierung der DDR dem kulturellen Leben auf dem Lande angedeihen lässt, gibt es im Westen nicht. Über dem Westen hängt jetzt noch der Hafersack des Amerikaners. Wenn er ihn mal wegzieht, dann dürfte sich manches ändern.«

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