Zur Beurteilung der Situation
10. September 1954
Informationsdienst Nr. 2310 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Noch immer steht die Preissenkung vom 6.9.19541 im Mittelpunkt der Diskussionen unter den Werktätigen. Die Diskussionen sind überwiegend positiv. Darin kommt zum Ausdruck, dass das Vertrauen zur Regierung der DDR gestiegen ist und man weiß nun, dass die Regierung der DDR ernsthaft bemüht ist, den Lebensstandard der Werktätigen ständig zu verbessern. Oft wird von Arbeitern hervorgehoben, dass sie nun mehr kaufen können. Teilweise bringt man die Preissenkung in Verbindung mit der Volkskammerwahl2 und äußert sich in der Form, indem man sagt, dass man aus Dank für die neue große Preissenkung die Stimme den Kandidaten der Nationalen Front3 geben wird. Aus Anlass der Preissenkung werden oft in den volkseigenen Betrieben Verpflichtungen übernommen. Die Diskussionen stammen größtenteils von Arbeitern.
Im VEB Stickstoffwerk Piesteritz, [Bezirk] Halle, gaben die Arbeiter folgende Verpflichtung zur Preissenkung ab: »Wir Kollegen übernehmen am 15.9.[1954] die Schnellreparatur des Kalkofens im Harzkalkwerk im Rübeland/Harz. Wir verpflichten uns, die Reparatur des Ofens vorfristig und in guter Qualität fertigzustellen, damit der Ofen dem Harzkalkwerk Rübeland ohne Beanstandung übergeben werden kann. Damit wollen wir das Vertrauen zu unserer Regierung dokumentieren, die durch die jetzt stattgefundene Preissenkung den Lebensstandard unserer Bevölkerung beträchtlich erhöht hat. Gleichzeitig wollen wir damit bekunden, dass unsere Stimme am 17.10.[1954] den Kandidaten der Volkskammer gehört.«
Eine parteilose Kollegin aus dem Möve-Werk Mühlhausen, [Bezirk] Erfurt: »Die Preissenkung hat uns gezeigt, dass unsere Regierung es mit der Verbesserung des Lebensstandards unserer Bevölkerung ernst meint.«
Ein parteiloser Lagerarbeiter aus dem VEB Jutewerk [Kreis] Zeulenroda, [Bezirk] Gera: »Es ist sehr schön, dass unverhofft eine Preissenkung kam. Ich glaube, dass jeder Arbeiter sich darüber freut; durch die Preissenkung können sich auch jetzt die Arbeiter mehr kaufen, welche noch einen niedrigen Lohn haben, da die Preise für Margarine, Fett und Öl am meisten gesenkt wurden.«
Ein Arbeiter aus dem Stahlwerk Silbitz, [Bezirk] Gera: »Möge die 16. Preissenkung bei der Vorbereitung der Volkswahl am 17.10.[1954] all denen, die bei der Volksbefragung ihre Stimme gegen den Frieden abgegeben haben,4 ein Schlag ins Gesicht sein. Wir können nur in Frieden leben und werden am 17.10.[1954] unsere Stimme den Kandidaten der Nationalen Front geben.«
Ein Zinker von der Volkswerft Stralsund, [Bezirk] Rostock: »Durch die letzte Preissenkung ist unser Reallohn erneut gestiegen, es gibt keinen Zweifel, dass ich bei der Volkswahl den Kandidaten der Nationalen Front meine Stimme gebe.«
In den negativen Diskussionen argumentiert man, dass die Preissenkung nur aufgrund der bevorstehenden Wahl durchgeführt wurde und demzufolge Wahlpropaganda ist. Andere äußern, dass nur unbedeutende Artikel im Preis gesenkt wurden, aber die Preise für Butter und Fleisch die gleichen geblieben sind, wo doch die Senkung gerade dieser Waren notwendig gewesen wäre. Es treten noch Argumente auf wie: »Es ist keine Kunst, die Preise zu senken, da man sie ja vorerst allmählich gesteigert hat.«
Ein Kollege aus dem VEB »Aktivist« Berlin vertritt die Auffassung, dass die Preissenkung nur deshalb durchgeführt wurde, weil die Wahlen vor der Tür stehen.
Ein Lokheizer aus dem Braunkohlenwerk »John Schehr« Hoyerswerda, [Bezirk] Cottbus: »Die schmieren uns nur Honig ums Maul, damit wir ja nur am 17.10.1954 alle ›ja‹ sagen sollen, später ist es dann genauso, wie es jetzt ist.«
Ein Angestellter im Kupfer- und Blechwalzwerk Ilsenburg, [Bezirk] Magdeburg: »Die Preissenkung wurde aus Propagandagründen für die Volkswahl durchgeführt. Auf der anderen Seite streicht man jedoch wieder die Investitionen für die Betriebe.«
Im VEB Rohrleitungsbau Bitterfeld, [Bezirk] Halle, diskutierte ein Kollege wie folgt: »Eine Preissenkung musste ja kommen, denn wir stehen ja kurz vor einer Wahl, da braucht man so etwas für die Wahlpropaganda.«
Ein Arbeiter vom VEB Jena-Pharm, [Bezirk] Gera: »Die Wurst und das Fleisch ist ja genauso teuer. Man sollte lieber diese Sachen herabsetzen, denn den anderen Krempel braucht man nicht so nötig.«
Ein Tischler aus dem VEB EMW Eisenach, [Bezirk] Erfurt: »Die Wahlen stehen vor der Tür. Mit Speck fängt man Mäuse. Die machen es genauso wie die anderen.« Ein parteiloser Betriebsschlosser aus dem gleichen Werk: »Bohnenkaffee, Schokolade usw., das brauchen die Arbeiter nicht, das ist nur für die, die DM 1 000 verdienen und für die Bonzen.«
Ein Arbeiter aus dem VEB ABUS Coswig: »Es ist keine Kunst, die Preise zu senken, wenn sie erst allmählich in die Höhe gestiegen sind.«
Zur Volkskammerwahl werden außer den Stimmen, die im Zusammenhang mit der Preissenkung stehen, nur wenige Diskussionen geführt. In den Diskussionen stellt man teilweise die Frage, weshalb nicht die einzelnen Parteien kandidieren. Verschiedentlich fordert man Parteiwahlen. Vereinzelt treten Diskussionen auf, die zum Ausdruck bringen, dass durch das Wahlsystem in der DDR die Einheit Deutschlands nie zustande kommen könne.
Ein Arbeiter aus dem VEB Wolldeckenfabrik in Neustadt, [Bezirk] Gera: »Warum lasst Ihr zu den Volkswahlen nicht die einzelnen Parteien kandidieren, dann könnte man erst das wahre Verhältnis erkennen, aber so kann man die einzelnen Kräfteverhältnisse nicht abschätzen.« Ein Transportarbeiter aus demselben Betrieb äußerte: »Es ist nicht richtig. Warum lässt man nicht mehrere Parteien zu und deren Kandidaten wählen. So wie es jetzt ist, ist überhaupt keine Opposition vorhanden, welche die Übelstände und Missstände kritisieren und beseitigen hilft.«
Eine Kreisärztin aus Eisenach, [Bezirk] Erfurt: »Auf der Einheitsliste werden doch alle, gleich welcher Partei sie angehören, aufgestellt, das ist auch wieder ein Schachzug.«
Ein Angestellter vom VEB Schalt-Gerätewerk Dresden (ehemaliger Leutnant): »Mit diesem sturen System der Wahl wird es nie zur Einheit Deutschlands kommen. In Westdeutschland geht es gerechter zu.«
Im zweiten Quartal wurde der Plan der deutschen Seebaggerei Wismar, [Bezirk] Rostock, mit 136 Prozent übererfüllt. Für die 36 Prozent Übererfüllung wird die Quartals-Leistungslohnprämie gezahlt. Berlin jedoch wollte dieses nicht tun und nur 10,2 Prozent bezahlen. Durch Verhandlungen wurde erreicht, dass jetzt 13,9 Prozent bezahlt werden. Unter den Arbeitern ist deswegen eine schlechte Stimmung zu verzeichnen, da die Prämie noch nicht ausgezahlt wurde und weiter, dass man die Übererfüllung ihres Planes nicht anerkennen will und sie sind der Meinung, dass sie mit den Arbeitern Kuhhandel treiben wollen.
Produktionsschwierigkeiten wegen Materialmangel und schlechtem Material bestehen in einigen Betrieben.
Seit vier Wochen wird der VEB »Fortschritt« Werk I nur mangelhaft mit Stoffen beliefert, dadurch treten erhebliche Stockungen im Produktionsablauf ein. Einzelne Kolleginnen können teilweise nur sechs Stunden beschäftigt werden.
Im VEB Werk für Fernmeldewesen Berlin beträgt die Ausschussquote der hergestellten Röhren 80 Prozent. Ursache ist der mangelhafte Draht des VEB Berliner Glühlampenwerkes. Ein Arbeiter aus dem VEB Berliner Glühlampenwerk äußerte hierzu: »Ich würde mich gar nicht wundern, wenn in nächster Zeit der Drahtzug völlig am Boden liegt, wenn man Leute wie [Name], der früher Arbeitsvorbereiter war, als stellvertretenden Leiter des Drahtwerkes einsetzt, der hat ja von der Drahtfertigung so gut wie keine Ahnung.«
Im VEB Kraftfahrzeugwerk FRAMO in Hainichen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, bestehen Schwierigkeiten in der Beschaffung von Glas für die Kraftfahrzeuge. Wenn in nächster Zeit keine Lieferungen eingehen, können die Wagen nicht mehr fertiggestellt werden. Auch ist die Belieferung mit Ersatz- und Halbfertigteilen in diesem Betrieb mangelhaft, wodurch der Jahresplan erst mit 45 Prozent erfüllt wurde.
Im »Ernst-Thälmann«-Werk in Lübtheen, [Bezirk] Schwerin, fehlt es an 25 t Träger und 6,5 t Winkel.5
Produktionsstörung
Trotz6 des vorschriftsmäßigen Verlegens der elektrischen Anlage eines Kompressors auf der Baustelle im Kraftwerk Trattendorf, [Bezirk] Cottbus, brach ein Brand aus, welcher erheblichen Sachschaden anrichtete. Der Brand entstand durch Kurzschluss und vernichtete einen Kompressor, eine Kreiselpumpe, acht Presslufthammer, einen Pressluftbohrer sowie kleinere Handwerkzeuge. Da sofort ein neuer Kompressor aufgestellt werden konnte, entstand kein Produktionsausfall. Der finanzielle Schaden beträgt ca. 40 000 DM.7
Gerücht: Ein Kollege aus der Schlosserei im Knäckewerk Burg, [Bezirk] Magdeburg, diskutierte wie folgt: »Die 50,00-DM-Scheine tragen in der linken Ecke eine kleine Nummer. Das bedeutet, dass diese nummerierten Scheine Notgeld sind. Also keine Deckung dafür besteht. Ein Bekannter von mir kam aus dem Westen zu Besuch und wollte an der Zonengrenze DM 50,00 umtauschen. Ihm wurde dieser Schein mit dem Bemerken zurückgegeben, dass dieses Geld nicht echt ist, weil auf der einen Seite eine Nummer steht.« Dieses Gerücht ist schon des Öfteren im Kreise der Kollegen diskutiert worden.8
Handel und Versorgung
Die Konsumgenossenschaft Meißen, [Bezirk] Dresden, erhielt vom VEB Käsewerk Hagenow/Mecklenburg9 722 kg Hagenower Schmelzkäse und Tilsiterkäse (Herstellungsdatum 6.8.1954) geliefert, welcher nicht mehr dem Verbrauch zugeführt werden konnte. Die Untersuchungen des Hygiene-Institutes ergaben, dass das Verpackungsmaterial nicht einwandfrei war und der Käse aus diesem Grunde verdarb. Der größte Teil des Käses wurde bereits der Schweinemästerei zum Verfüttern übergeben.
Der Konsum Fischauslieferungslager Saalfeld, [Bezirk] Gera, bekam ca. 250 kg Bücklinge geliefert, welche total verdorben waren und trotzdem zum Verkauf angeboten wurden. Diese wurden jedoch von den Käufern in kurzer Zeit wieder zurückgebracht, wodurch sehr schlechte Diskussionen unter der Bevölkerung entstanden sind. Von der Hygieneaufsicht wurden die Bücklinge nicht einmal mehr für die Schweinemästerei freigegeben, sondern direkt als Kadaver abgeschrieben. Von dem Fischauslieferungslager wird aus Saalfeld berichtet, dass schon ähnliche Reklamationen aus dem Kreis Rudolstadt eingegangen sind.10
Schwierigkeiten in der Versorgung mit Kartoffeln haben teilweise die Bezirke Karl-Marx-Stadt und Potsdam. Mit Zigaretten teilweise nach wie vor die Bezirke Halle, Karl-Marx-Stadt, Schwerin und Frankfurt/Oder (billige Sorten).
HO-Speck mangelt im Bezirk Rostock. Im Kreis Ilmenau, [Bezirk] Suhl, Eier und Fleisch- und Wurstwaren in den Kreisen Jessen und Herzberg, [Bezirk] Cottbus. Dort klagen die ländlichen Gemeinden, dass sie schon das ganze Jahr hindurch eingewecktes Fleisch essen müssen.
Im Kreis Zerbst, [Bezirk] Magdeburg, sind die Fleischwaren sehr knapp, sodass sie schon in den Vormittagsstunden bis 10.00 Uhr ausverkauft werden. Dadurch bekommen die werktätigen Frauen abends nie HO-Fleischwaren, worüber sie sehr verärgert sind.
Im Kreis Parchim kursiert das Gerücht, dass im dritten Quartal Brot und Mehl wieder rationiert werden.
Landwirtschaft
Die Preissenkung steht immer noch im Mittelpunkt aller Diskussionen. Sie wird von der überwiegenden Mehrheit begrüßt. Durch Einzel- und Kollektivverpflichtungen will die Landbevölkerung, teilweise besonders die MTS und LPG, zu weiteren Preissenkungen beitragen, um den Lebensstandard noch mehr zu heben. So verpflichtete sich z. B. die VdgB Zarchim,11 [Bezirk] Schwerin, 340 kg Rindfleisch, 5 500 Liter Milch, 6 000 Eier und die LPG Bokop12 5 000 kg Schweine und 350 kg Rindfleisch bis zum 17.10.[1954] zu liefern.
Ein Schweinemeister (parteilos) aus dem VEG Vienau, Kreis Kalbe/Milde, [Bezirk] Magdeburg, erklärte: »Wir gehen in der DDR den richtigen Weg. Ich bin seit meiner Schulentlassung in der Landwirtschaft, aber so gut wie jetzt, habe ich es bisher noch nicht gehabt.«
Ein Angestellter des VEG Blumberg, Kreis Angermünde, [Bezirk] Frankfurt: »Die erneute HO-Preissenkung ist ein Beweis unserer Stärke, wir von dem VEG müssen alles daransetzten, um die gestellten Pläne zu erfüllen, damit bald wieder eine Preissenkung erfolgen kann. Die Arbeiter in der Industrie geben uns in dieser Beziehung gute Beispiele.«
Stellenweise werden Vergleiche mit der Wirtschafsweise in Westdeutschland gezogen und dabei die Richtigkeit unserer Politik erkannt. Ein Traktorist aus der MTS Ziesar, [Kreis] Brandenburg, [Bezirk] Potsdam: »Die 16. Preissenkung ist ein Zeichen dafür, dass sich unser Lebensstandard gehoben hat. Dagegen senkt sich in Westdeutschland, wo man für den Krieg rüstet, der Lebensstandard.«
Ein Genossenschaftsbauer aus Altmittweis,13 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich begrüße die Preissenkung, da sie für uns eine Erhöhung des Lebensstandards bringt. Hierin sehen wir die ständige Aufwärtsentwicklung bei uns und dazu im Gegensatz die Entwicklung in Westdeutschland. Ich werde bestrebt sein, durch Anwendung von Neuerermethoden die Arbeitsleistung ständig zu steigern.«
Negative bzw. feindliche Stimmen wurden nur vereinzelt bekannt. Ein Altbauer aus Quitzerow, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Preissenkung, die jetzt durchgeführt wurde, ist von gar keiner Bedeutung. Die tatsächlich wichtigsten Erzeugnisse, wie z. B. Butter, haben den Preis beibehalten. Die gesamte Preissenkung ist nur ein Mittel zum Zweck.«
Ein Genossenschaftsbauer (Mitglied der ehemaligen Wehrmacht mit Auszeichnungen) aus Bützow, [Bezirk] Schwerin: »Die Preissenkung ist nur eine Beruhigungspille zur Vorbereitung der Wahl.«
Ein Angestellter (parteilos) der MTS in Altmittweis, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Diese Preissenkung konnte man ja schon voraussehen, denn sie ist ja bloß ein Gimpelfang14 für die kommenden Wahlen im Oktober.«
Bei den Rechenschaftslegungen15 fordern insbesondere großbäuerliche Elemente die »Freie Wirtschaft« wie z. B. im Bezirk Cottbus, wo sie zum Ausdruck brachten, dass man die Bauern schalten und walten lassen sollte auf ihre Art, wie früher.
Im Bezirk Schwerin äußerten einige Bauern bei der Rechenschaftslegung: »Ob wir wählen oder nicht. Die da oben machen doch was sie wollen. Die Regierung wird bleiben und somit die Planwirtschaft und die Quartalsablieferungen.«
Der LPG-Vorsitzende der LPG Laaske, [Kreis] Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, verglich unsere Preise mit den Preisen der Nazizeit und sagte: »Wir bekommen DM 9,00 für den Roggen wie damals, mit dem Unterschied, dass wir uns damals das Doppelte und Dreifache dafür kaufen konnten.«
Auf die Frage eines VP-Erntehelfers in Bernterode, [Kreis] Worbis, [Bezirk] Erfurt, warum ausgerechnet im Eichsfeld die Ernte noch so im Rückstand sei, antwortete eine Bäuerin: »Wenn der Herr Pfarrer es erlauben würde, dass wir sonntags arbeiten dürfen, wären wir auch mit unserer Ernte weiter.« Hierzu wird bemerkt, dass die Kreise Worbis und Heiligenstadt mit der Ernte am weitesten (im Bezirksmaßstab)16 zurück sind.
Übrige Bevölkerung
Weiterhin steht die Preissenkung im Mittelpunkt der Gespräche, die unter der übrigen Bevölkerung geführt werden. Der überwiegende Teil der Äußerungen ist positiv. Darin wird zum Ausdruck gebracht, dass es immer deutlicher wird, wie es bei uns im Gegensatz zu Westdeutschland vorwärtsgeht. Von Hausfrauen und Rentnern wird erklärt, dass es für sie eine große Hilfe ist, dass die Preise für die wichtigen Lebensmittel wie z. B. für Öl, Margarine und Schmalz gesenkt wurden. Einige erklären, dass sie am 17.10.[1954] ihre Stimme den Kandidaten der Nationalen Front geben wollen, um damit ihre Dankbarkeit zu beweisen.17
Ein Rentner aus Zehdenick, [Bezirk] Potsdam: »Durch die Preissenkung kann ich mir trotz meiner wenigen Rente mehr Fett kaufen als die Menschen in Westdeutschland. Durch diese Maßnahme hat unsere Regierung gezeigt, dass sie ständig bestrebt ist, unseren Menschen ein besseres Leben zu schaffen. Solch eine Regierung besitzt das Vertrauen aller Arbeiter und auch ich werde am 17. Oktober [1954] meine Stimme für die Liste der Nationalen Front geben.«
Eine Hausfrau aus Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die umfassende Preissenkung hat mich sehr erfreut. Damit ist wieder einmal der Beweis erbracht, dass unsere Regierung stark um die Verbesserung des Lebens bemüht ist. Mein Dank an die Werktätigen und unsere Regierung ist, dass ich am 17. Oktober [1954] meine Stimme den Kandidaten der Nationalen Front gebe.«
Eine Rentnerin (parteilos) aus Zschorlau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Regierung bei uns sieht immer auf das Wohl ihrer Bürger, denn die neue Preissenkung zeigt uns wieder die Politik der Regierung. Ich habe meinen einzigen Sohn im Zweiten Weltkrieg verloren und Adenauer18 will für viele Mütter das Gleiche wieder, was Hitler getan hat. Das darf aber nicht sein und deshalb müssen wir alle hinter unserer Regierung stehen und Adenauer muss verschwinden.«
Auch in den bürgerlichen Kreisen wird in der Mehrzahl positiv dazu Stellung genommen. Es wird übereinstimmend erklärt, dass diese Maßnahme ein erneuter Beweis des ständigen Bemühens unserer Regierung ist, den Lebensstandard zu verbessern.
Ein Arzt aus dem Kreiskrankenhaus Stadtroda, [Bezirk] Gera: »Ich bin außerordentlich überrascht, dass unsere Regierung jetzt schon ihr Versprochenes wahrmachen konnte und besonders erfreulich ist es, dass man die lebensnotwendigen Güter so stark im Preise gesenkt hat. Es ist ein Beweis mehr dafür, dass man bei uns die Friedenswirtschaft entwickelt und nicht wie in Westdeutschland, wo das Volksvermögen für die Kriegszwecke verausgabt wird.«
Ein Zahntechniker (parteilos) aus Stadtroda, [Bezirk] Gera: »Durch die neue Preissenkung hat man neuen Mut zum Arbeiten und zum Leben bekommen. Denn vor allen Dingen kann man jetzt sparen, weil man sich dafür etwas kaufen kann. Bei uns kommt eben den Arbeitern das zugute, was sie sich erarbeiten.«
Von einem Teil wird bemängelt, vorwiegend von Rentnern, dass nicht auch die Preise für Fleischwaren und für Butter gesenkt wurden, mit der Begründung, dass die jetzigen Preise für sie zu hoch sind. Ein Rentner aus Schmiedeberg, Kreis Dippoldiswalde, [Bezirk] Dresden: »Für uns Rentner müsste es Bezugsscheine für Schuhe geben. Was nützt uns schon die Preissenkung, ein Paar Schuhe können wir uns doch nicht kaufen. Die Lebenshaltung ist noch viel zu teuer. Wir bekommen wenig Butter auf die Marken und die Preise für Butter und Fleisch sind natürlich wieder nicht gesenkt worden.«
Negative und feindliche Elemente argumentieren, dass die Preissenkung nur wegen der Wahl erfolgt sei und dass danach die Preise wieder ansteigen würden. In anderen abfälligen Äußerungen wird versucht, die Bedeutung der Preissenkung herabzuwürdigen. Eine Geschäftsfrau aus Hennigsdorf, [Bezirk] Potsdam: »Was ist das schon, die Seife zwei Pfennige billiger, Hauptsache die Butter ist nicht billiger geworden. Überhaupt ist es Unrecht, wenn Nuschke19 bei seinem Gehalt noch alles billiger kaufen kann, denn für diese Leute gibt es ein eigenes Warenhaus. Sie bekommen Butter und Kaffee so viel sie wollen und vor allem billiger als zu den üblichen Handelspreisen. Die westliche Eigelbmargarine ist ebenso gut wie unsere Butter und bedeutend billiger.«
Ein Geschäftsmann aus Altenburg, [Bezirk] Leipzig: »Was haben denn die bloß gesenkt, das ist doch so gut wie gar nichts. Die im Westen leben doch bei Weitem besser als wir. Margarine wollen wir nicht fressen, sondern gute Butter.«
Eine parteilose Hausfrau aus Garz, [Kreis] Putbus, [Bezirk] Rostock: »Jedes Mal wenn etwas los ist, dann kommt eine Preissenkung. So auch jetzt wieder vor der Wahl, so diskutiert auch die Mehrheit der Bevölkerung, überall wo man hinkommt.«
Bei den Diskussionen, die nur im geringen Maße über die Volkswahlen geführt werden, handelt es sich größtenteils um die Aufstellung der gemeinsamen Liste. Von der Mehrheit wird dies begrüßt und die Forderung nach Parteiwahlen kommt nach wie vor meist aus den Reihen der bürgerlichen Parteien. Es tritt dabei das Argument auf, dass es keine Blockparteien zu geben braucht, wenn nicht jede Partei eigene Listen aufstellt.
Ein Mitglied der LDPD aus Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, äußerte: »Die Führung unserer Partei vertritt nicht die Meinung der Mitglieder, wenn sie sich für die gemeinsamen Listen ausspricht. Wir fordern nämlich getrennte Listen.«
Ein CDU-Mitglied aus Hohenstein-Ernstthal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich ziehe mir die Wahlen getrennt nach Listen vor. Man bekommt dadurch ein genaueres Bild und die wirkliche Demokratie ist dadurch gewährleistet.«
Ein LDPD-Mitglied aus Hohenstein-Ernstthal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Man sollte die Wahlen so durchführen, wie das früher der Fall war und wie das auch heute noch im Westen der Fall ist. Dann wird man ja sehen, wie es mit dem Ansehen der SED beschaffen ist. Das ist meiner Meinung nach dann wirkliche Demokratie.«
Ein NDPD-Mitglied aus Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wir wollen Parteiwahlen, denn nur sie lassen die wirkliche Stärke der Parteien erkennen.«
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverbreitung
SPD-Ostbüro:20 Erfurt 40, Rostock, Karl-Marx-Stadt, Suhl und Gera einige.
KgU:21 Cottbus 50.
DGB:22 Erfurt 180.
»Freiheitskomitee Bismarck«: Frankfurt 1 000.
NTS:23 Rostock einige.
In tschechischer Spr[ache]: Dresden 27, Karl-Marx-Stadt 17.
»Der Tag«:24 Potsdam 3 300, Halle 24.
Die Mehrzahl der Hetzschriften wurde sichergestellt und gelangte nicht in die Hände der Bevölkerung.
Terror
In der Nacht vom 7. zum 8.9.[1954] wurde in Schulzendorf, [Bezirk] Potsdam, ein Grenzpolizist von zwei unbekannten Tätern ohne jeglichen Wortwechsel überfallen und durch Messerstiche verletzt.
Am 5.9.1954 wurde ein FDJler, der als Ordner in Kyritz, [Bezirk] Potsdam, auf einem Streifengang war, von bekannten Tätern angefallen und durch Faustschläge und Fußtritte verletzt. Gegenüber zwei anderen FDJlern äußerte der Täter: »Euch hat man vergessen zu vergasen.« Er wurde festgenommen.
Bei der Entnahme von Dieselkraftstoff aus der Tankstelle der MTS Radeburg, Kreis Großenhain,25 [Bezirk] Dresden, wurde festgestellt, dass der Kraftstoff stark mit Wasser durchsetzt war.
Westberlin
An der Veranstaltung der Stummpolizei am 5.9.1954 im Olympiastadion waren Teilnehmer aus sämtlichen Bevölkerungsschichten anwesend.26 Die Zuschauer verfolgten die Darbietungen interessiert. Beim Aufmarsch einer Abteilung Polizisten in Uniform mit Stahlhelm und Karabiner wurden nur vereinzelt Bemerkungen wie »Es sieht ja bald wie im Krieg aus« und ähnliche festgestellt. Bewohner aus dem demokratischen Sektor waren nur in geringer Anzahl vertreten.
Anlage 1 vom 10. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2310
Stimmung zur Leipziger Messe27
Die Stimmung zur Leipziger Messe ist allgemein positiv. Soweit die Werktätigen schon Gelegenheit hatten, die Messe zu besuchen, bringen sie zum Ausdruck, dass unsere Industrie große Fortschritte gemacht hat. Besonders wird der Leistungsstand der Industrie der Sowjetunion und der Volksdemokratien hervorgehoben.
Einen wesentlichen Einfluss auf die Stimmung haben die anwesenden westdeutschen Delegationen, die sich in der Mehrzahl positiv über die Messe sowie über unsere Verhältnisse aussprechen. Eine Delegation, die vorwiegend aus Frauen besteht, äußerte sich dahingehend, dass der Messebesuch für sie wie ein Märchen war und dass sie vor allem den sowjetischen Pavillon nicht vergessen werden.
Negative Äußerungen sind nur ganz vereinzelt und haben keinen Einfluss auf die gesamte Stimmung. So sagte zum Beispiel ein Besucher aus Treuen/Vogtland: »Es ist alles bloß Bluff, denn was hier ausgestellt wird, kann man doch nicht kaufen. Wenn etwas bestellt wird, kann der Auftrag nicht eingehalten werden. Es ist alles nur eine optische Täuschung.«
Die westdeutschen sowie die ausländischen Messebesucher sprechen sich immer wieder lobend über den diesjährigen Stand der Messe und über die gute Unterstützung des Messeamtes aus. Im Mittelpunkt ihrer Gespräche steht der Wunsch, recht gute Handelsbeziehungen mit den Ländern des Ostens und der DDR anzuknüpfen. In diesem Zusammenhang sprechen sich viele Handelsvertreter gegen die Handelsbeschränkungen, die ihren Regierungen durch die USA auferlegt wurden, aus. Zum Beispiel erklärte ein Generalvertreter einer hessischen Gummifabrik: »Die westdeutschen Unternehmer werden sich nicht mehr länger die Handelsbeschränkungen mit den Osten verbieten lassen. Wir alle haben ebenfalls großes Interesse an der Herstellung der Einheit unseres Vaterlandes.«
Der Leiter des Londoner Zweiges des Messeamtes äußerte: »Ich bin der Meinung, dass der britische Rat zur Förderung des Osthandels28 sich immer mehr durchsetzt. Ich finde, dass die englischen Firmen, auch wenn sie die finanzielle Unterstützung der Regierung hätten, nicht so eine eindrucksvolle Ausstellung zustande bringen würden, wie es hier bei den volksdemokratischen Ländern der Fall ist.«
Ein Hamburger Messebesucher sagte: »Ich bin überrascht von den Verhältnissen in der DDR. In unseren Zeitungen wird darüber ganz anders berichtet. Ich habe kein Interesse, Maschinen des amerikanischen Singer-Konzerns29 zu kaufen, sondern ich ziehe mir den Kauf von Maschinen aus der DDR vor.«
Ein Vertreter einer Solinger Rasierklingenfabrik: »Es ist unbedingt erforderlich, die wirtschaftliche Einheit herzustellen, da die Absatzschwierigkeiten vielen westdeutschen Firmen den Ruin bringen. Wenn schon die Konzerne gezwungen sind, mit dem Osten Handel zu treiben, so kann man ermessen, wie notwendig die Neuorientierung der westdeutschen Wirtschaft ist.«
Ein Holländer sagte: »Ich wollte nur einmal sehen, was hier los ist, weil wir in Holland der Meinung sind, die Ostzone ist dem Zusammenbruch nahe. Ich bin von der Leipziger Messe sehr überrascht, ich hätte nicht geglaubt, dass es in den Oststaaten so vorwärtsgeht. Ich habe, obwohl ich vorher dagegen war, mit der DDR und anderen Ländern des Ostens Geschäfte abgeschlossen.«
Der Präsident der Nationalbank in London führte mit Vertretern der DDR Besprechungen über ein Handelsabkommen zwischen der DDR und Kanada. Im Verlauf der Verhandlungen erklärte er, dass über die Verhandlungen nicht gesprochen werden sollte, weil sonst die 20 Firmen, die er vertritt, in der USA auf die sogenannte schwarze Liste kommen und dies den Untergang einiger Firmen bedeuten würde. Er betonte weiterhin, dass in den kanadischen Geschäftskreisen die Angst vor den USA sehr groß sei.
Am Messestand des Buna-Werkes30 erschien ein Vertreter der größten französischen Importfirma und erklärte: »Ich habe von meiner Firma den Auftrag, die größten Anstrengungen zu machen, um mit der DDR in Handelsbeziehungen zu kommen. Bisher wurden jährlich von den USA 15 000 t Bunaerzeugnisse31 gekauft, jetzt will sich aber die Regierung von dem Druck der USA befreien.«
Ein Messebesucher aus der Türkei äußerte: »Ich bin sehr überrascht von den Lebensverhältnissen. Bei meiner Abreise hat man mir gesagt, dass ich sehr vorsichtig sein soll, um nicht nach Sibirien gebracht zu werden. Und dass die Leute in der Ostzone sehr mager aussehen würden.«
Bemerkenswert ist, dass seit einigen Tagen die Messe einen Zustrom von Besuchern hat, die direkt von der Messe in Frankfurt/Main32 kommen. Einige dieser Besucher brachten zum Ausdruck, dass sie gerade deshalb nach Leipzig kommen, da die Messe in Frankfurt nicht ihren Erwartungen entsprach und sie sich von der Leipziger Messe weit mehr erhoffen.
Anlage 2 vom 9. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2310
Auswertung der westlichen Rundfunksendungen
Der RIAS setzt seine Hetze gegen die Volkswahl fort. Hauptsächlich argumentiert er gegen die gemeinsame Kandidatenliste und in letzter Zeit besonders gegen das Wahlgesetz und die Durchführungsbestimmungen.33 RIAS erklärt dazu: »Ganz offenbar haben die Kommunisten bisher noch nicht den Mut gefunden, mit der Veröffentlichung des Stimmzettels einzugestehen, dass sie ein Nein oder ein Dagegen nicht vorgesehen haben, besser, dass sie es nicht zulassen werden. Denn dass eine Alternative zum Ja-sagen nicht besteht, das offenbaren uns die Formulare zur Niederschrift der Stimmenauszählung.« »… Das Wahlgesetz bietet jede Handhabe zu dem Betruge, den man mit der Gültig- oder Ungültigkeitserklärung von Stimmzetteln vorhat.«
In der Propaganda der Westsender gegen die Leipziger Messe zeigt sich vorwiegend die Absicht, die Besucher aus Westdeutschland und dem westlichen Ausland davon abzuhalten, Handelsabschlüsse mit der DDR zu tätigen. So argumentiert der SFB z. B.: »So konnten vielfach Liefervereinbarungen, die auf der vorjährigen Leipziger Messe getroffen waren, bis heute nicht realisiert werden. … Entscheidend ist eben nicht die propagandistische Zurschaustellung von Renommierstücken, sondern die Lieferfähigkeit entsprechend den Bedürfnissen der Vertragspartner.«
Der RIAS versucht mit Lügen über Ursachen und Voraussetzungen zur Preissenkung der Werktätigen, von der Erhöhung der Arbeitsproduktivität abzuhalten. RIAS erklärt, dass die Preissenkung nichts mit der Steigerung der Arbeitsproduktivität zu tun hätte, denn trotz der Planrückstände sei sie durchgeführt worden. Wie er weiter behauptet, aus propagandistischen Gründen (Messe und Volkswahl).
Des Weiteren versucht der RIAS die Bevölkerung vom Kassensparen abzuhalten.34 Um dies zu erreichen, bemüht er sich, die wirtschaftliche Bedeutung der Preissenkung in den Augen der Bevölkerung herabzusetzen und das Vertrauen zur Planwirtschaft zu untergraben.
Anlage 3 vom 10. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2310
Stimmen von westdeutschen Besuchern über ihre Eindrücke in der DDR
Von Besuchern aus Westdeutschland der verschiedensten Bevölkerungsschichten wird immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass sie von den Verhältnissen in der DDR stark beeindruckt sind. In der Bundesrepublik werden diese Verhältnisse ganz anders dargelegt und es sind nicht wenige, die mit einer gewissen Angst ihre Reise in die DDR angetreten haben. Vielen wurde gesagt, dass sie lieber nicht fahren sollten, da sie mit einer Verhaftung oder Verschleppung rechnen müssten. Die Vergleiche, die zwischen der DDR und der Bundesrepublik gezogen werden, fallen größtenteils positiv für uns aus.35
Eine Rentnerin aus Aalen äußerte: »Drüben hat man mich gewarnt, nach der DDR zu fahren und ein Bekannter sagte sogar, ich würde nach Sibirien kommen. Ich bin sehr überrascht von der guten Aufnahme in der DDR. Mit der Westpresse verdummt man drüben die ganze Bevölkerung, aber ich habe jetzt mit eigenen Augen gesehen, dass es nicht wahr ist und dass man die Menschen nur gegen die DDR aufhetzen will. Ich wünschte nur, dass sich alle Menschen aus der Bundesrepublik selbst überzeugen könnten, wie die wirklichen Verhältnisse hier in der DDR sind.«
Ein Besucher, der sich im Kreis Zossen aufhält, diskutierte mit einigen Arbeitern und erklärte Folgendes: »Was in Euren Zeitungen steht, entspricht wenigstens den Tatsachen und darin ist nicht alles entstellt und auf Betrug ausgerichtet, wie bei uns. Ihr müsst nicht glauben, dass das, was eure Zeitungen über die westdeutschen Verhältnisse schreiben, erfunden ist. Ihr schimpft darüber, dass ihr nicht Platz zum Sitzen in der Eisenbahn habt, wegen der vielen Ferientransporte von schulpflichtigen Kindern. Wir bekommen in unseren Zügen keine Sitzplätze wegen der vielen reisenden Amerikaner. Wir wären glücklich, wenn unsere Kinder solche Reisen machen könnten. Daran kann man schon die Unterschiede feststellen und erkennen, welche Regierung für die Interessen der Arbeiter eintritt und welche nicht. Ihr müsst nur das Brett vor euren Augen entfernen, dann werdet ihr auch erkennen und begreifen.«
Ein Angestellter, der zu Besuch in Sonneberg weilte, sagte: »Ich bin erstaunt über die wahren Verhältnisse in der DDR. Ich werde meinen Freunden darüber genau berichten, die ebenso wie ich Angst haben nach hier zu kommen. Die Soldaten der Sowjetarmee führen sich nicht so auf, wie die betrunkenen Amerikaner, sondern wie Menschen.«
Ein Intelligenzler, der in Ilmenau weilte, äußerte: »Hier in der DDR kann man seinen Urlaub in einem Hotel bei voller Pension für DM 12,00 pro Tag verbringen. So etwas gibt es bei uns in Westdeutschland nicht. Da ist alles bei Weitem teurer.«
Ein Arbeiter aus Bremen: »Ich muss sagen, ich bin direkt erstaunt, wie es sich hier alles verändert hat. Bei uns werden solche sozialen Einrichtungen für die Arbeiter nicht gebaut. Auch die Preissenkung beeindruckt mich sehr und man merkt, dass es hier immer besser wird. Es wird der Tag kommen, wo in der DDR alle Waren billiger sind als in Westdeutschland.«
Es kommt auch vor, dass von den westdeutschen Besuchern einiges bemängelt wird, oder dass sie die Verhältnisse in der Bundesrepublik besser finden. Zum Beispiel äußerte eine Frau aus Düsseldorf, dass der Kasernenhofton der VP beim Zonenübergang auf sie einen missbilligenden Eindruck gemacht habe.
Ein Angestellter aus Duisburg äußerte: »Ich finde, dass die Bepflasterung der Straßen mit Spruchbändern eine Verschandelung des Stadtbildes ist. Abgesehen davon, dass es von den Menschen kaum beachtet wird, entspricht diese Art der Propaganda nicht unserer Mentalität. Überall sieht man nur die Bilder östlicher Politiker, das ist kein Ausdruck der Freundschaft, die kann man anders beweisen. Gibt es nicht genug Bilder deutscher Patrioten, die es wert sind, gezeigt zu werden?«
Ein Angestellter aus Köln sagte in einer Unterhaltung: »Man kann nicht anders sagen, als dass Adenauer seine Sache gut macht, beliebt und angesehen bei uns drüben ist.«
Anlage 4 vom 10. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2310
»Der Tagesspiegel« vom 8.9.195436
Wer kennt Johann Grajek?
Bei einem Einbruchversuch in Dahlem war der 40-jährige Sprachlehrer Johann Grajek aus dem Sowjetsektor am 31. Juli [1954] in Dahlem festgenommen worden. Wie inzwischen festgestellt wurde, hat er versucht, Westberliner zur Mitarbeit für den SSD zu gewinnen und zu Einbrüchen in politische Dienststellen zu überreden. Das dabei erbeutete Aktenmaterial sollte dem SSD in die Hände gespielt werden. In der letzten Zeit verfügte G. über erhebliche Geldmittel. Die Polizei schließt daraus, dass er »erfolgreich gearbeitet« haben muss. Wer kennt Grajek, und an wen ist er herangetreten?37