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Zur Beurteilung der Situation

13. September 1954
Informationsdienst Nr. 2312 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Im Vordergrund der Diskussionen steht weiterhin die Preissenkung vom 6.9.1954.1 Die Meinungsäußerungen sind überwiegend positiv. Man betrachtet die Preissenkung als Zeichen des ständig steigenden Lebensstandardes der Bevölkerung in der DDR und ist erfreut, dass man mehr kaufen kann. Mehrfach werden Verpflichtungen übernommen, um die Produktion zu erhöhen oder die Kandidaten der Nationalen Front2 bei den Volkswahlen zu wählen.3 In diesem Zusammenhang wird teilweise der Wunsch geäußert, dass auch für Butter und Fleisch die Preise gesenkt werden.

Ein Heizer aus dem Kraftwerk Pasewalk,4 [Bezirk] Rostock: »Für mich macht die Preissenkung viel aus. Jetzt spare ich viel Geld ein. Es ist von Jahr zu Jahr bedeutend besser geworden.«

Eine Kollegin vom VEB Kfz-Werk »Ernst Grube« in Zschopau,5 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Als Dank an die Regierung für die Preissenkung verpflichte ich mich, an zwei Sonderschichten teilzunehmen. Außerdem werde ich bei den Wahlen für die Regierung stimmen.«

Ein Kollege von der Reichsbahn in Pasewalk: »Man kann bald gar nicht glauben, dass die Margarine, das Schmalz und die anderen Sachen so billig geworden sind. Nun müsste auch die Butter noch billiger werden.«

Die Brigade der Tonlader im Tonwerk Brandis, [Kreis] Wurzen, [Bezirk] Leipzig: »Die Preissenkung ist gewiss ein großer Fortschritt, aber es hätten auch die Butter- und Wurstpreise gesenkt werden müssen. Hiervon können wir Arbeiter uns noch zu wenig kaufen.«

In negativen Diskussionen, deren Umfang gering ist, wird die Preissenkung als belanglos hingestellt. Hierbei werden oft RIAS-Argumente benutzt, wonach Butter- und Fleischpreise hätten gesenkt werden müssen oder nach der Preissenkung Normen und Preiserhöhungen einsetzen würden. Ein Dolmetscher aus dem RFT-Werk III in Zernsdorf, [Bezirk] Potsdam: »Die Ladenhüter und die Margarine haben sie herabgesetzt, aber die Butter erwähnen sie überhaupt nicht.«

Ein Arbeiter aus Dahlen, [Kreis] Oschatz, [Bezirk] Leipzig: »Jetzt wird viel geredet und in der Zeitung über die Preissenkung geschrieben. Es wird aber nicht lange dauern und allmählich werden die Preise bei einigen gesenkten Waren wieder erhöht. Dann heißt es, es ist bessere Qualität oder Importware.«

Ein parteiloser Arbeiter aus dem VEB IKA in Sebnitz,6 [Bezirk] Dresden: »Die Preissenkung wird nur als Propaganda für die kommende Wahl ausgenützt. Hinterher nimmt uns dann die Regierung auf andere Art das Geld wieder ab. Zum Beispiel durch Normenerhöhung.«

Ein Schweißer vom VEB Waggonbau Niesky: »Jetzt werden die Preise der Brötchen gesenkt, aber durch unsere schlechte Ernte wird man sie im Herbst wieder erhöhen.«

Ein Ladeschaffner vom Dresdner Hauptbahnhof: »Die Preissenkung ist nicht für die kleinen Verdiener, sondern immer wieder für die Großen.«

Zu den Volkskammerwahlen ist der Umfang der Diskussionen noch gering. Außer den im Zusammenhang mit der Preissenkung abgegebenen Verpflichtungen werden ebenfalls vereinzelt Produktionsverpflichtungen übernommen.

An den zur Vorbereitung der Volkswahlen durchgeführten Rechenschaftslegungen7 sind die Werktätigen teilweise uninteressiert oder ist die Vorbereitung solcher Versammlungen mangelhaft, wodurch nur wenige teilnehmen. So erschienen z. B. bei der Rechenschaftslegung im PWS im Kreis Schmölln,8 [Bezirk] Leipzig, nur elf Betriebsangehörige, davon waren acht Funktionäre der Partei. Im VEB Papierverarbeitung Torgau, [Bezirk] Leipzig, waren von 300 Arbeitern nur 60 erschienen, während es im VEB Steingutwerk Torgau von 900 Beschäftigten ebenfalls nur 60 waren.

Eine Fluktuation von Arbeitskräften wegen zu geringem Lohn besteht im VEB Sägewerk Eggesin,9 [Bezirk] Neubrandenburg. So haben seit Mitte Juni 1954 von ca. 100 Arbeitern 22 Zimmerleute gekündigt. Der Durchschnittsverdienst für die Zimmerleute beträgt ca. 300 DM, während z. B. die Bau-Union Küste ca. DM 600 zahlt. Das Sägewerk kann seine Exportaufträge nicht erfüllen.

In der Gütekontrolle des VEB Transformatorenwerk Oberspree Berlin sind die Arbeiter darüber unzufrieden, dass der Beschluss des Ministerrats über die Aufhebung der Rückstufung von Löhnen und Gehältern nicht verwirklicht wird. Dadurch hat ein Teil der Arbeiter heute noch Lohndifferenzen von 80 Pfennig bis zu DM 1,00 pro Stunde.10

Einige Maurer aus dem Kreis Lobenstein, [Bezirk] Gera, äußerten in einem Gespräch: »Es ist doch kein Wunder, dass so viele Maurer ihren Beruf aufgeben, denn für 1,17 DM bei Wind und Wetter im Freien – da werden noch mehr weglaufen. Im Westen erhalten die Maurer DM 1,80 pro Stunde und streiken noch, weil ihnen das zu wenig ist.«

Die Unzufriedenheit über die Nachtschicht in der Tuchindustrie in Forst, [Bezirk] Cottbus, macht sich wieder mehr bemerkbar. So wurde z. B. im Werk III der Tufa am Haag11 gefordert, dass eine Delegation beim Ministerium Protest gegen die Nachtschichten einlegen soll.

Produktionsschwierigkeiten wegen Materialmangel und Absatzschwierigkeiten

Wegen Materialschwierigkeiten konnte die Waggonfabrik Dessau, [Bezirk] Halle, ihre Planauflage nicht erfüllen. Von 15 Kühlzügen, die bis zum 30.9.[1954] fertig sein sollen, sind bisher erst fünf zur Probefahrt angelaufen.

Im RAW Meiningen, [Bezirk] Suhl, mangelt es für die Produktion von Massenbedarfsgütern an Muttern und Schrauben. (Dies wird von negativen Kräften zur Hetze gegen unsere Wirtschaft ausgenutzt.)

Im VEB Nährmittel- und Stärkefabrik Golßen, [Bezirk] Cottbus, besteht ein Engpass an Kupfernieten, Messingblechen und Holzschrauben für Reparaturen.

Im RAW Cottbus mangelt es vor allem an Kupferschweißdraht (8 und 10 mm), Elektroden und Mittelblechen (6 und 8 mm).

In der Süßwarenfabrik Parchim, [Bezirk] Schwerin, mangelt es an Naturalien für die Produktion. Dadurch ist die Kapazität nicht ausgelastet.

Bei der Bau-Union Schwerin fehlen Zement sowie Mauersteine. Dadurch müssen in der kommenden Woche einige Baustellen stillgelegt werden.

Der VEB Gerätebau Oranienburg, [Bezirk] Potsdam, hat als Massenbedarfsgüter verzinkte Eimer hergestellt. Es sind jetzt Absatzschwierigkeiten dafür aufgetreten. Bisher konnte nur ein Vertrag über 500 Stück abgeschlossen werden, während 90 000 Stück im Jahr produziert werden sollen.

Die Schuhfabrik (VEB) in Guben, [Bezirk] Cottbus, hat Absatzschwierigkeiten. Wenn der Betrieb keine neuen Aufträge erhält, müssen Arbeiter entlassen werden.

Produktionsstörung

Am 8.9.1954 riss im VEB Kaliwerk »Einheit« in Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, der Auflageschub der Seilbahn. Dadurch entstand ein Produktionsausfall von 2 700 Tonnen Rohsalz (20 000 DM). Ursache ist nicht bekannt.

Handel und Versorgung

Der Kreis Dessau hat einen großen Überschuss an Arbeitsschuhen, die im Kreisgebiet nicht abgesetzt werden können.

Die VEAB Ebeleben, [Bezirk] Erfurt, erhielt vom VEG Freienbessingen, [Kreis] Sonderhausen, [Bezirk] Erfurt, 12,5 t Frühkartoffeln, die von Braunfäule befallen und zum größten Teil ungenießbar waren. Sie wurden dem VEG als Futterkartoffeln zurückgeschickt. Im Zusammenhang damit wurde festgestellt, dass diese Kartoffelkrankheit bereits in mehreren Orten des Kreises aufgetreten ist und auf Witterungseinflüsse zurückgeführt wird.

Im Kreis Geithain, [Bezirk] Leipzig, hat die VEAB große Schwierigkeiten beim Abtransport von Gemüse und Obst. In den Erfassungsstellen Niedergräfenhain und Frauendorf, [Kreis] Geithain, lagern je 3 t Obst. Der Grund dafür ist der Mangel an Verpackungsmaterial.

Verschiedene Gemeinden des Kreises Zeitz klagen über die schlechte Belieferung der Konsum- und HO-Verkaufsstellen, besonders mit Zigaretten. Die Bevölkerung sagt hierzu: »Die Preise sind zwar gesenkt, aber Waren sind nicht vorhanden.«

Ein großer Mangel an Baumaterial macht sich in den Bezirken Cottbus und Schwerin bemerkbar. Im Kreis Weißwasser, [Bezirk] Cottbus, hat die HO Baustoffe für die dritte Quartalslieferung überhaupt noch nichts erhalten und im Bezirk Schwerin ist die Bauindustrie teilweise gezwungen, ihre Bauvorhaben einzustellen, weil es an Baumaterial, besonders Zement und Mauersteine, fehlt.

In Hennigsdorf, Kreis Oranienburg, [Bezirk] Potsdam, ist das Schmalz, das normalerweise 14 Tage reichen müsste, in den meisten Verkaufsstellen ausverkauft, weil sehr viel Schmalz teilweise bis zu fünf Pfund eingekauft wird. Man vermutet, dass es nach Westberlin verschoben wird.

Aufgrund der verbesserten Qualität der Wurstwaren erfolgte im Kreis Querfurt, [Bezirk] Halle, vor ca. 14 Tagen eine Preiserhöhung. Die Privatgeschäfte kamen dieser Anforderung sofort nach, wo doch überall die Plakate der großen Preissenkung angebracht sind. Es sind vonseiten der Bevölkerung in Querfurt negative Stimmen laut geworden über diesen »Betrug«.

Landwirtschaft

Im Vordergrund der Diskussionen steht weiterhin die Preissenkung, aus deren Anlass weitere Selbstverpflichtungen übernommen werden, an denen sich auch eine Reihe Einzelbauern beteiligt. So verpflichteten sich z. B. im Bezirk Karl-Marx-Stadt fünf Einzelbauern, 22 550 Liter Milch und elf Einzelbauern verpflichteten sich 19 Stück Schweine, zwei Kälber und 130 Eier zusätzlich zu liefern.

Bei der Rechenschaftslegung in der Gemeinde Neschholz, [Bezirk] Potsdam, zeigte sich, dass die Groß- und Mittelbauern dieser Gemeinde feindlich eingestellt sind. Hervorgerufen wurden diese feindlichen Stimmungen hauptsächlich durch den Arzt des Ortes. Er sagte: »Wenn überirdische Kräfte walten, sind Menschen machtlos.« Er erhielt von den Versammlungsteilnehmern einen beachtlichen Beifall. Der Bezirksabgeordnete wurde am Schluss von den versammelten Groß- und Mittelbauern aufgehalten, die ihm folgende Argumente entgegenhielten: »Wenn wir das Soll, welches übrigens ungesetzlich hoch ist, nicht erfüllen werden, dann werden nicht nur wir, sondern auch unsere Kinder bestraft. Veranlassen Sie als Abgeordneter sofort, dass alle Bürger, auch Bauern, die dem Volk die Butter geben, auch Butter und nicht Margarine essen können.« Der Gastwirt mischte sich ebenfalls ein und sagte: »Hört mal, so geht das nicht, mit dem müssen wir deutlicher sprechen – offen und verständlich –. Hören Sie mal, Herr Abgeordneter, wir wollen keine Musik, wir wollen Butter, wir lassen uns nichts vormachen.«

Verzögerungen in der Sollablieferung

Ein großer Teil der ländlichen Gemeinde im Bezirk Schwerin ist nach wie vor der Ansicht, das Getreide ausschwitzen12 zu lassen. Es gibt aber auch eine Reihe Großbauern, die bereits den Drusch durchgeführt haben, jedoch durch den Einfluss des RIAS das Getreide noch nicht ablieferten, wie z. B. in der Gemeinde Zepelin, [Kreis] Bützow, [Bezirk] Schwerin.

Schwierigkeiten bei der Durchführung des Nachtdrusches13 treten im Bezirk vereinzelt auf. Die Ursache liegt in der noch nicht ausreichenden Entwicklung der Kader für die Leitung der Dreschsätze. So wurde der Nachtdrusch der LPG Neuendorf wiederholt durch die Übermüdung des Dreschsatzführers abgesagt.

Zu einer besonderen Methode der Propagierung des Ernteeinsatzes ist der Vertreter des Rates der Stadt Grabow, [Bezirk] Schwerin, übergegangen. Dieser will allen Bürgern der Gemeinde Fresenbrügge,14 die nicht an den Erntearbeiten teilnehmen, die Lebensmittelkarte entziehen.

Ein werktätiger Bauer (DBD) aus Gera sagte: »Die Preissenkung ist ein Beweis, dass unsere Regierung ihre Versprechen einhält und nicht, wie in Westdeutschland, wo man nur Versprechen macht, um einen Wahlsieg zu erringen. Wenn es Leute gibt, die glauben, dass diese Preissenkung wegen den Volkswahlen gekommen ist, so kann ich nur sagen, dass das nicht stimmt, denn sonst hätten wir schon 16 Wahlen durchführen müssen.«15

Die negativen Äußerungen sind verhältnismäßig gering. Ein parteiloser Mittelbauer aus Oberhäslich, Kreis Dippoldiswalde, [Bezirk] Dresden: »Vor zwei Jahren habe ich einen Kinderanzug für DM 56,00 kaufen können. Heute, nach dreimaliger Preissenkung kostet dieser aber DM 100. Das ist doch keine Preissenkung, sondern alles Schwindel.«

Über die Volkskammerwahlen werden nur wenige Diskussionen geführt und vereinzelt negative Äußerungen, hauptsächlich von Großbauern, zum Ausdruck gebracht. Ein parteiloser Großbauer aus Nauleis, Kreis Großenhain, [Bezirk] Dresden: »Lasst doch die Kleinbauern einmal wählen, dann werdet ihr schon sehen, wo ihr damit hinkommt. Dann rutscht die Regierung ab und ist weg. Die bisherigen Wahlen waren doch sowieso Schwindel und entsprechen nicht der Meinung des Volkes.«

Ein Einzelbauer aus Neu-Boltenhagen, [Bezirk] Rostock, brachte in einer Versammlung zum Ausdruck: »Ich bin mit den Wahlen nicht einverstanden. Meiner Meinung nach kommt mir die Wahl so vor, als ginge ich zur Kirche, der Pastor das heilige Evangelium predige, mit einer Hand den Segen vornimmt und mit der anderen Hand die Axt auf den Zuhörer niederschlägt. Ich möchte die Partei wählen, die ich für richtig halte.«

Bei der Rechenschaftslegung im Kreis Weißwasser, [Bezirk] Cottbus, beschwerten sich die Bauern darüber, dass an einem Tage zehn Mitarbeiter des Rates des Kreises in die Gemeinde Schleife mit dem Auftrag kamen, dass das gesamte Soll einzutreiben sei. Hierzu bemerkte man, dass dieses nur deshalb geschehe, damit der Vorsitzende des Rates des Kreises eine Prämie erhält.

Durch die Belastung infolge der Erntearbeiten bei Genossenschaftsbauern kommt es teilweise zu Unstimmigkeiten innerhalb der Genossenschaft, die sich in Austritts- und Auflösungserscheinungen bemerkbar machen. Die Ursachen liegen an der mangelhaften Unterstützung durch die MTS des zuständigen Bereichs, wie in den LPG Frauenmark, Klein Pankow, [Bezirk] Schwerin.16

Im Kreis Saalfeld, [Bezirk] Gera, wurden Auflösungs- und Zerfallserscheinungen bei den LPG Eyba, Laasen und Kleingeschwenda festgestellt, die im Zusammenhang mit der Zusammenlegung von Feldern stehen.

Schwierigkeiten in der MTS

Im Kreisgebiet Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg, bestehen erhebliche Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Reifen. So z. B. fehlen in der MTS Kletzin für drei Anhänger und drei Traktoren Reifen, dadurch wird der Abtransport der Kartoffeln und Zuckerrüben gefährdet, wenn nicht bald Abhilfe geschaffen wird. Außerdem fehlen in dieser MTS Kühler für Ifa-Pionier17 und Ersatzteile für Raupen. Die DHZ Neubrandenburg hat keine Ersatzteile auf Lager.

Schweinepest wurde in der Gemeinde Wrode,18 Kreis Altentreptow, [Bezirk] Neubrandenburg, festgestellt. 100 Schweine mussten notgeschlachtet werden.

Im VEG Frose, [Kreis] Aschersleben, [Bezirk] Halle, wurde die Braunfäule bei Kartoffeln festgestellt. Die VEAB nahm diese Kartoffeln nicht ab. Die Ursache der Braunfäule wird auf die zahlreichen Niederschläge und die geringe Wärme zurückgeführt. Es wird damit gerechnet, dass ein großer Teil der Kartoffelbestände befallen sind und dass das Soll nicht restlos erfüllt wird.

In der Gemeinde Laucha, [Kreis] Gotha, [Bezirk] Erfurt, wurden Vergiftungserscheinungen in einer Schafherde festgestellt. Ein Teil der Schafe verendete und 46 mussten notgeschlachtet werden. Die Ursache wird auf das Fressen von ausgewachsenen alten Ähren zurückgeführt.

Unter den werktätigen Bauern der Gemeinden Siptenfelde, Güntersberge und Allrode im Kreis Quedlinburg, [Bezirk] Halle, herrscht große Missstimmung wegen der Wildschweinschäden. Die werktätigen Bauern bringen zum Ausdruck, dass, wenn nicht bald ernsthaft an die Wildschweinbekämpfung herangegangen wird, die Kartoffelernte im oberen Harzgebiet gefährdet ist.

Übrige Bevölkerung

Es wird weiterhin unter der übrigen Bevölkerung, vorwiegend von Hausfrauen und Rentnern, über die Preissenkung gesprochen. Der überwiegende Teil der Äußerungen ist positiv. Übereinstimmend wird erklärt, dass sie der Regierung dankbar sind, dass sie die Preise für Fettigkeiten so erheblich herabgesetzt hat. Dadurch ist es vor allem auch den Rentnern möglich, sich mehr zusätzliche Fettigkeiten zu kaufen. Ein Angestellter aus Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Zur neuen Preissenkung muss man sagen, dass es ein wirklicher Erfolg ist. Man sieht, dass es bei uns ständig aufwärtsgeht.«

Eine Hausfrau aus Oberwiesenthal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich habe die Preissenkung freudig aufgenommen. Jetzt haben wir Hausfrauen wieder eine Möglichkeit mehr, das Essen in der Qualität zu verbessern. Wir sind der Regierung dankbar für ihr Bemühen, unser Leben ständig zu verbessern.«

Von negativen Elementen wird in abfälliger Form über die Preissenkung gesprochen, wie z. B., dass sie nur wegen der Wahl erfolgt ist oder dass dafür andere Waren teurer werden. Mit solchen Argumenten versucht man die Bedeutung der Preissenkung herabzuwürdigen. Eine Hausfrau aus Riesa, [Bezirk] Dresden: »Die Preissenkung ist ja nur durchgeführt worden, weil die Volkskammerwahl bevorsteht.«

Eine Geschäftsfrau aus Kamenz, [Bezirk] Dresden: »Was nützt mir schon die Preissenkung. Ich habe keinen Vorteil davon, sondern es steckt alles nur der Staat ein.«

Eine Hausfrau aus dem Kreis Prenzlau, [Bezirk] Neubrandenburg: »Man spricht zwar von einer Preissenkung, die aber in Wirklichkeit gar keine ist, denn dafür werden die Preise anderer Waren erhöht.«

An der Großkundgebung zum Internationalen Gedenktag der Opfer des Faschismus auf dem Thälmann-Platz im demokratischen Sektor von Berlin nahmen ca. 65 000 Personen teil. Mit großem Beifall wurde der Genosse Wilhelm Pieck19 begrüßt und die Rede des französischen Vertreters wurde mit sehr großer Begeisterung aufgenommen.20

Nach Schluss der Kundgebung wurde von vielen Teilnehmern noch über diese Ausführung diskutiert. Zum Beispiel äußerte ein Arbeiter: »Da erkennt man so richtig die Stärke des französischen Volkes. Jetzt ist mir erst bewusst geworden, welche Bedeutung die Ablehnung des EVG-Vertrages hat.«21

Im Allgemeinen war die Stimmung der Teilnehmer gut und nur vereinzelt wurden vorzeitige Abwanderungen vom Kundgebungsplatz festgestellt. Zum Beispiel verließen einige Kollegen vom VEB Baustoffe22 mit Fahnen und Transparenten bereits bei Beginn der Rede23 des Genossen Otto Grotewohl24 den Thälmann-Platz.

In den Diskussionen über die Volkswahl geht es nach wie vor größtenteils um die Aufstellung der gemeinsamen Kandidatenlisten. Dabei zeigt sich, dass verschiedentlich Personen nicht darüber klar sind, warum gemeinsame Listen aufgestellt werden und nicht Einzellisten. Zum Beispiel sagte ein Rentner aus Görlitz, [Bezirk] Dresden: »Das Wählen hat ja sowieso keinen Zweck, da es eine gemeinsame Wahlliste gibt. Warum werden die Kandidaten nicht von unten vorgeschlagen.«

Ein VP-Angehöriger aus Dresden: »Warum im Block wählen. Es wäre doch besser, einzelne Parteien zu wählen. Wenn im Block gewählt wird, sieht es so aus, als hätte die SED Angst und außerdem werden auch solche mitgewählt, die einem nicht passen.«

Am 10.9.1954 fand in Saalfeld, [Bezirk] Gera, eine Rechenschaftslegung des Ministers Westphal25 statt. Aufgrund dessen, dass das Referat ungenügend auf die Struktur des Kreises Saalfeld abgestimmt war, wurde den Ausführungen nicht mit dem nötigen Interesse gefolgt. Es kam anschließend auch nicht zu einer positiven Diskussion. Es wurde nur ganz allgemein über wirtschaftliche Fragen gesprochen.

Bei der Rechenschaftslegung in der Gemeinde Lauscha, [Kreis] Neuhaus, [Bezirk] Suhl, wurde in der Diskussion viel über die schlechte Versorgung der Kleinindustrie mit Pappe und Kartons gesprochen.

Zurzeit werden jetzt die Quartalsprämien ausgezahlt und dabei tritt immer wieder Unzufriedenheit in den Reihen der Angestellten auf. Zum Beispiel wurden in der DHZ Gummi-Asbest Babelsberg, [Stadt] Potsdam, nur das ingenieurtechnische Personal, die Leitung und die Referatsleiter prämiert. Damit sind die übrigen Kollegen nicht einverstanden und sie diskutieren wie folgt: »Was sind diese Herren ohne uns. Wenn wir nicht unseren Teil dazu beitragen, kann die Quartalsauflage nicht erfüllt bzw. übererfüllt werden. Die Prämien stecken aber nur die Kollegen ein, die bis zu DM 1 000 Gehalt haben. Wir sind der Meinung, dass sich unsere Regierung ernsthaft mit dieser Angelegenheit befassen müsste.«

Am 10.9.1954 fielen in der Gemeinde Fernneuendorf,26 Kreis Zossen, [Bezirk] Potsdam, zwei Bomben. Es handelt sich wahrscheinlich um ein sowjetisches Flugzeug, da um diese Zeit in einer 5-km-Entfernung auf den Abwurfplatz Kummersdorf[-Gut] Abwurfübungen durchgeführt wurden. Der Schaden ist gering, es explodierte nur eine Bombe.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:27 Karl-Marx-Stadt 2 200, Suhl 400, Dresden 27, Rostock, Halle und Gera einige.

NTS:28 Potsdam 1 000, Cottbus 40 und Dresden 6.

In tschechischer Spr[ache]: Dresden 5.

DGB: Schwerin 20.

Die Mehrzahl der Hetzschriften wurde sichergestellt und gelangte nicht in die Hände der Bevölkerung.

Antidemokratische Tätigkeit: In Jessen, [Bezirk] Cottbus, wurden handgeschriebene Zettel in Briefkästen geworfen sowie an Wände angeklebt. Der Text lautet: »Einwohner, lasst Euch nicht verblenden, durch die Preissenkung will man nur Eure Stimmen zur Wahl gewinnen. Lasst Euch nicht beeinflussen und denkt wie ein wahrer Patriot. Nur noch ein wenig Geduld und Ihr werdet bald frei!«

In Erfurt wurden zehn selbstgefertigte Flugblätter gefunden. Sie trugen Hetzlosungen in Bezug auf die Volkswahlen. Es handelt sich hierbei um fünf verschiedene Arten: Zum Beispiel lautet das eine: »Keine Oderneiße [sic!], sondern unsere Memel. Es lebe in Deutschland die Freiheit. Wählt am 17. Oktober [1954] die Freiheit, Deutschland erwache.« (Die anderen vier sind in ähnlicher Form gehalten.)

In den letzten Tagen wurden wiederholte Male Personenzüge zwischen Jüterbog und Jüterbog-Altes Lager von unbekannten Tätern mit Steinen beworfen, wobei jedes Mal mehrere Fensterscheiben zertrümmert wurden.

Anlage vom 13. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2312

Stimmungen zur Leipziger Messe29

Die Diskussionen über die Leipziger Messe tragen überwiegend positiven Charakter. Von großen Teilen, vor allem von Arbeitern, wird positiv zu den Erzeugnissen der Schwerindustrie der DDR, der SU und der Volksdemokratien genommen [sic!].

Verschiedentlich wird jedoch auch Kritik an den ausgestellten DDR-Schuherzeugnissen geübt. Zum Beispiel äußerten sich einige Arbeiter: »Die Messe und vor allem auch die Erzeugnisse der DDR sind hervorragend, bis auf die Ausstellung der Schuhindustrie, welche in Bezug auf Formenschönheit noch viel zu wünschen übrig lässt. Vor allem sollte man endlich einmal die Igelitschuhe30 verschwinden lassen.«

Bei den negativen Äußerungen tritt am häufigsten das Argument auf, dass die Messe nur Fassade sei und dass die Wirklichkeit anders aussehen würde. So erklärte ein Arbeiter aus Leipzig: »Das ist doch alles bloß Fassade, dass man die Messe so groß aufzieht. Ich kenne z. B. einen Geschäftsmann, der hat bis heute seine Aufträge von der Messe 1951 noch nicht realisiert, weil er kein Material hat. So ist es jetzt auch wieder. Großes Geschrei und an allen Ecken fehlt es.«

Neben den Gesprächen über Geschäftsabschlüsse äußern sich jetzt westdeutsche Messebesucher sowie auch Ausländer häufiger zur gegenwärtigen Lage, vor allem zu den Verhältnissen in Westdeutschland und der DDR. In diesem Zusammenhang sprechen sich auch viele Personen positiv über die Ausstellungsstücke der SU und den Volksdemokratien aus. Zum Beispiel haben die Deutschen Edelstahlwerke in Krefeld für sie wertvolle Besprechungen mit China und der SU geführt. Ein Vertreter dieses Werkes äußerte: »Die Messe in Hannover31 werde ich im nächsten Jahr nicht wieder besuchen, weil sie einfach für die westdeutsche Stahlindustrie von keinem Interesse mehr ist.«

Ein westdeutscher Besucher aus Dellingen: »Ich sehe die Leipziger Messe als Gradmesser der Entwicklung. Da ich auch in den Jahren vorher auf der Leipziger Messe gewesen bin, kann ich nur sagen, dass alle meine Erwartungen übertroffen sind und dass ich festgestellt habe, wie enorm die Volksdemokratien wirtschaftlich sich gefestigt haben.«

Ein Vertreter einer Firma aus Münster: »Wir brauchen die Erweiterung des Handels mit der DDR. Das deutsche Gespräch darf nicht abreißen, damit endlich die Schranken fallen. Adenauer32 hat bereits heute außerordentlich an Boden verloren, da er in den Fußtapfen der USA marschiert. Wir sind hier von der wahren Friedenspolitik der Regierung der DDR sehr angenehm überrascht.«

Ein Vertreter einer westdeutschen Uhrenfirma: »Nur durch die Sabotage Adenauers an der Leipziger Messe konnten sich solche Konkurrenzunternehmen wie z. B. die Frankfurter und andere Messen in Westdeutschland entwickeln. Die wichtigste und bedeutendste deutsche Messe ist und bleibt die Leipziger.«

Ein westdeutscher Aussteller: »Nur durch meine eigene Initiative und durch die Unterstützung der DDR-Regierung war es mir möglich, hier in Leipzig auszustellen. Die vergangenen politischen Ereignisse und vor allen die Ablehnung des EVG-Vertrages durch Frankreich zeigen deutlich, dass die Bonner Regierung in eine große Sackgasse geraten ist.«

Trotzdem sich zahlreiche Besucher aus dem Ausland und aus Westdeutschland von den wahren Verhältnissen in der DDR überzeugen lassen mussten, sprechen sich Einzelne negativ gegen unsere Entwicklung und vor allem gegen die Sowjetunion aus. In den Äußerungen zeigt sich die Beeinflussung der westlichen Hetzpropaganda. Ein dänischer Handelsvertreter: »Die Entwicklung in der DDR hat zwar Fortschritte gemacht, aber es ist nur schade, dass der Russe über die Produktion und deren Verwendung bestimmt. Die Unterstützung der DDR durch die SU hat nur politische Ziele.«

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