Direkt zum Seiteninhalt springen

Zur Beurteilung der Situation

10. April 1954
Informationsdienst Nr. 2179 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Im Mittelpunkt der Diskussionen der Werktätigen in den Betrieben stehen weiterhin betriebliche und wirtschaftliche Fragen. Die politischen Diskussionen über Probleme des IV. Parteitages sind verhältnismäßig gering.1 In den Bezirken Rostock, Dresden und Karl-Marx-Stadt nehmen die Diskussionen über den IV. Parteitag etwas ab. Politische Diskussionen werden meist von Genossen unserer Partei und fortschrittlichen Kräften geführt. Bei einem Teil der Arbeiter, besonders bei Angestellten und Intelligenzlern, besteht eine abwartende Haltung zu politischen Fragen, bzw. man ist politisch uninteressant [sic!] und gleichgültig.

Stärker zeigt sich im Bezirk Frankfurt/Oder und Karl-Marx-Stadt unter den Werktätigen in der Industrie eine Gleichgültigkeit und Uninteressiertheit. Zum Teil liegt die Ursache in einer mangelhaften Aufklärungs- und Agitationsarbeit. So wird z. B. von den Kumpels der Wismut2 vom Schacht 18/53 bemängelt, dass die Funktionäre der SED und Gewerkschaft keine Verbindung zu ihnen haben. Da sie nicht mit in den Schacht einfahren und die Kumpels wenig von den neuesten Ereignissen informieren.

Ein größerer Teil der Werktätigen in den Betrieben diskutiert über wirtschaftliche Fragen, die in Verbindung mit dem IV. Parteitag stehen (Verbesserung der Lebenslage). Die Mehrzahl der bekannt gewordenen Stimmen über den Rechenschaftsbericht des Genossen Walter Ulbricht3 ist positiv und befasst sich zum größten Teil mit der vorläufigen Beibehaltung der Lebensmittelkarten.4 Vereinzelt werden Diskussionen geführt über die Rede des Genossen Mikojan,5 über den Bericht des Genossen Matern6 und über das Parteistatut.7

Ein Arbeiter aus Wittenberge, [Bezirk] Schwerin: »Wir begrüßen den Vorschlag des Genossen W. Ulbricht, dass mit der Abschaffung der Lebensmittelkarten noch gewartet werden soll, denn so wie zzt. die HO-Preise noch sind, ist es für einen Teil der Arbeiter besser, dass die Rationierung noch nicht aufgehoben wird.«

Ein Arbeiter vom VEB RFT-Röhrenwerk »Anna Seghers« in Neuhaus, [Bezirk] Suhl: »Ein Höhepunkt auf dem IV. Parteitag war die Rede des Genossen Mikojan. Seine Ausführungen waren ein Beweis der aufrichtigen Freundschaft der Sowjetunion zum deutschen Volk. Wir alle hoffen und wünschen, dass die dort gefassten Beschlüsse bald eine entscheidende Verbesserung der Lebenslage mit sich bringen.«

Ein Arbeiter vom VDK Bekleidungswerk Brandenburg, [Bezirk] Potsdam: »Die Ausführungen des Genossen Matern über die Reinheit der Partei sind sehr wichtig. Es hat sich immer wieder gezeigt, dass nicht genügend Wachsamkeit geübt worden ist, sonst wäre es nicht möglich gewesen, dass [sich] parteifeindliche Elemente in die Partei, mitunter sogar in hohe Funktionen, einschleichen könnten.«

Ein Arbeiter vom VEB IKA AUFA; in Eisenach,8 [Bezirk] Erfurt: »Die Ausführungen des Genossen Otto Grotewohl9 über die Verbesserung der Arbeit unserer Verwaltungsorgane ist gut und richtig.10 Ebenso über die Verantwortlichkeit der Mitarbeiter in der Verwaltung. Dies sollten sich auch die Verwaltungsangestellten in unserem Werk beherzigen.«

In der Volkswerft »Ernst Thälmann« in Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, wurde die Delegation der Werftangehörigen, welche auf dem IV. Parteitag war, herzlich empfangen. Die Stimmung in der Werft wurde nach Rückkehr der Delegation noch besser. Die Kollegen brachten ihre Freude darüber zum Ausdruck und waren stolz darauf, dass ihre Delegation, worunter auch parteilose Kollegen waren, vom IV. Parteitag empfangen wurde. Die Arbeiter brachten zum Ausdruck, dass man darin erkennt, dass die SED eine wirkliche Partei der Arbeiterklasse ist.

Ein kleiner Teil der Werktätigen ist über die Ergebnisse des IV. Parteitages der SED enttäuscht, besonders, dass noch keine Preissenkung erfolgte, bzw. dass die Lebensmittelkarten weiter bestehen bleiben. Vereinzelt zweifelt man an der Realisierung der Beschlüsse des IV. Parteitages. Ein Hochofenarbeiter vom Eisenhüttenkombinat »J. W. Stalin«: »Ich bin vom ganzen Parteitag enttäuscht, denn man sieht ja nichts von Veränderungen. Hier bei uns im Betrieb werden Wettbewerbe durchgeführt, nur damit die Statistik stimmt und ausgewertet werden sie nicht. Wie wollen diese Funktionäre denn dann unser Leben verbessern.«

Ein Angestellter (parteilos) vom Rohrwerk Riesa,11 [Bezirk] Dresden: »Ich habe noch bis zum letzten Augenblick gerechnet, dass eine Preissenkung beschlossen wird. Meine Hoffnungen wurden aber nicht erfüllt.«12 Ein Hauer vom Wismut-Schacht 18/53: »Die Partei hat uns versprochen, dass noch in diesem Jahr die Lebensmittelkarten wegfallen.13 Dies ist ein Zeichen dafür, dass es bei uns in der DDR nichts gibt, sonst würde man die Karten auch abschaffen.«

Ein Arbeiter von dem VEB Schiffswerft Fürstenberg, [Bezirk] Frankfurt: »Der Parteitag hat zwar gute Beschlüsse gefasst, aber hier in Fürstenberg z. B. gibt es nicht einmal Emaileeimer zu kaufen, wie sollen erst dann die anderen Dinge verwirklicht werden.«

Negative und feindliche Stimmen zum IV. Parteitag wurden nur wenige bekannt. Feindliche Elemente hetzen besonders gegen die Beibehaltung des Kartensystems, dabei zeigt sich besonders der Einfluss der westlichen Propaganda. Ein Arbeiter (parteilos) vom VEB Jenapharm in Jena, [Bezirk] Gera: »Es ist nicht der Wunsch der Bevölkerung, dass die Lebensmittelkarten noch nicht abgeschafft werden, das ist nur der Wunsch der Regierung.«

Ein Arbeiter vom Mühlenbetrieb Colditz, [Bezirk] Leipzig: »Wie kann man von einem höheren Lebensstandard sprechen, als vor dem Kriege, wenn die Preise in der HO für Fleisch und Fett noch so hoch sind, dies ist ein Hohn, man soll doch mit den Füßen auf dem Boden bleiben. Im vergangenen Jahr hat man von der Aufhebung des Kartensystems gesprochen und von einer Preissenkung und jetzt ist wieder nichts. Man soll doch mit solchen Versprechungen aufhören, da kann doch kein Vertrauen zur Regierung entstehen.«

Ein Arbeiter von der Vulkanisieranstalt Meinz in Neustrelitz,14 [Bezirk] Neubrandenburg: »Die machen einen Parteitag nach dem anderen. Damit machen sie sich ja nur lächerlich. Bis jetzt ist noch nichts Gescheites herausgekommen. Die sollen uns nur nicht zum Narren halten. Wenn wir das machen würden, dann wäre es schon besser.«

Über die Note der Sowjetunion vom 31.3.1954 an die Westmächte haben die Diskussionen unter den Werktätigen etwas nachgelassen,15 sodass nur noch vereinzelt Stimmen bekannt wurden. Der überwiegende Teil der Stimmen ist positiv. Ein Arbeiter aus der Leipziger Wollkämmerei: »Der Vorschlag der Sowjetunion auf Beitritt in den Atlantik-Pakt16 ist von großem Vorteil. Die Westmächte werden jedoch alles versuchen, um diesen Vorschlag abzulehnen.«

Ein Kollege aus dem VEB Mechanik-Askania Teltow, [Bezirk] Potsdam: »Der Beitritt der Sowjetunion in den Atlantikpakt bannt die Kriegsgefahr auch nicht, denn dann würden die Kämpfe unter der Oberfläche toben. So wie der Nichtangriffspakt mit Hitler den Krieg nicht verhinderte,17 kann es dieser Pakt ebenfalls nicht.«

Unzufriedenheit besteht in einigen Betrieben über Lohn-, Prämien- und Normenfragen sowie Versetzungen.

Im VEB Leipziger Wollkämmerei wurde auf einer Versammlung von einigen Kollegen geäußert, dass die Differenzierungen in den Lohngruppen zu groß seien. Bei solchen Unterschieden würden die Arbeiter nicht hinter der Regierung stehen.

Die Arbeiter der Ausschachtungsbrigade der Bau-Union Potsdam in Ludwigsfelde sind über den Lohn von 55,00 DM (wöchentlich) missgestimmt. Sie wollen ihre Arbeit aufgeben.

Im Treuhandbetrieb Papierfabrik Großenhain,18 [Bezirk] Dresden, haben in letzter Zeit sehr viele Arbeiter gekündigt, da sie durch das Verbot der Überstunden ca. 40,00 DM weniger Lohn verdienen.

Im VEB Feinkeramik Lichte, [Kreis] Neuhaus, [Bezirk] Suhl, sind die Arbeiter unzufrieden, da die Quartalsprämien ausschließlich an Verwaltungsangestellte gezahlt wurden.

Im Rohrwerk des Stahl- und Walzwerkes Riesa soll ein neuer Wettbewerb abgeschlossen werden. Viele Kollegen sind darüber unzufrieden, weil sie befürchten, dass dann die Normen erhöht werden.

Im Schacht 269 der Wismut in Freital, [Bezirk] Dresden, besteht aufgrund der durchgeführten Versetzungen und Einsparungsmaßnahmen eine sehr schlechte Stimmung, da den Versetzungen keine Aufklärung vorausgeht. Vereinzelt hat man sogar Kollegen die Versetzungen ins Krankenhaus geschickt. Durch Gerüchteverbreitung wird diese Missstimmung verstärkt.

Republikflucht wegen mangelhafter Verwaltungsarbeit: Am 8.4.1954 wurde der Chefingenieur des Kraftwerkes des VEB Kaliwerkes »Ernst Thälmann« in Merkers, [Bezirk] Suhl, republikflüchtig. Er sollte gegen seinen Willen zur Hauptverwaltung Berlin versetzt werden. Da er dies ablehnte, wurde ihm von der Hauptverwaltung mitgeteilt, dass er dann seinen Arbeitsplatz verlieren würde.

Produktionsschwierigkeiten bestehen in einigen Betrieben wegen Materialmangel, schlechten Materials und stockender Materialieferung. Im Wismut-Schacht 1 und Schacht 18/53 in Johanngeorgenstadt mangelt es an Gestänge, Sägen und Äxten. Im VEB Wema Rochlitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, enthält das Roheisen zu viel Schwefel und Schlacken, wodurch viel Ausschuss entsteht; im VEB Kältetechnik Berlin ist die termingerechte Fertigstellung von Exportaufträgen für die UdSSR gefährdet, da die Stahl-, Eisen- und Kupferrohrlieferungen zu spät von der DHZ eintreffen.

Mangel in der Waggonplanung: Bei einer Arbeitsbesprechung des Reichsbahnamtes Zwickau in Greiz, [Bezirk] Gera, wurde die Neuregelung der Waggonstellung bemängelt. Danach darf jedes Reichsbahnamt plötzlich freiwerdende Waggons nicht an ein anderes Reichsbahnamt abgeben, da die Waggons dort nicht eingeplant sind.

Handel und Versorgung

Im Bezirk Neubrandenburg bestehen im 2. Quartal Schwierigkeiten in der Belieferung von HO-Fleisch- und -Wurstwaren, da die anteilmäßigen Mengen von 220 Tonnen auf 120 Tonnen herabgesetzt wurden. Das Gleiche trifft bei Eiern zu (von 1,4 Mio. auf 350 000 Stück gekürzt), geschätzt wurde der Bedarf bei Eiern auf eine Mio. [Stück] und bei Fleisch- und Wurstwaren auf 260 Tonnen.

Im Bezirk Halle bestehen Schwierigkeiten in der Beschaffung von Ersatzteilen und Werkzeugen für die MTS.

Landwirtschaft

Unter der Landbevölkerung wird wenig zu politischen Tagesfragen Stellung genommen, meist nur in den Kreisen der LPG, MTS und VEG. Über den IV. Parteitag wird in geringem Maße diskutiert, meist positiv. Es wird weniger über die politische Bedeutung gesprochen, sondern mehr über wirtschaftliche Belange, die mit dem IV. Parteitag im Zusammenhang stehen. Der Vorsitzende der VdgB in Kemlitz, [Bezirk] Potsdam: »Für uns Bauern ist es doch gut, dass die Lebensmittelkarten noch nicht aufgehoben sind, sonst können wir doch keine freien Spitzen mehr abgeben und diese sind doch unser Verdienst.«19

Ein Angestellter der MTS Görlsdorf, [Bezirk] Cottbus: »Ich begrüße die Ankündigung des IV. Parteitages, dass noch in diesem Jahr eine umfassende Preissenkung durchgeführt wird.« Von der gleichen MTS äußerte eine Angestellte (parteilos): »Schön wäre es, wenn wir nicht Wahlen in der DDR,20 sondern gesamtdeutsche Wahlen durchführen könnten. Aber trotzdem werden unsere Wahlen beweisen, dass sie auf wahrhaft demokratischer Grundlage durchgeführt werden.«

Aufgrund der bestehenden Mängel, wie z. B. die unzureichende Futtergrundlage, die Düngemittelknappheit sowie das Fehlen von Saatgut, wird mehr über wirtschaftliche Probleme gesprochen. Im Bezirk Cottbus ersetzten Bauern das fehlende Stroh durch Waldstreu, das wurde verboten, weil die Gefahr besteht, dass dadurch die Schweinepest (Wildschweine) verbreitet wird. Darüber sind die Bauern verärgert und es kommt zu negativen Äußerungen. So sagte z. B. ein Bauer in einer Versammlung in Wahrenbrück, [Bezirk] Cottbus: »Ich kann nicht verstehen, dass die Regierung bei einer solchen Strohknappheit ein solches Verbot erlässt. In den Köpfen der Regierung muss Stroh wachsen, denn sonst könnten sie nicht solch eine Anweisung herausgeben.«

Im Kreis Stadtroda, [Bezirk] Gera, bestehen bei allen Geflügelzuchtstellen Futterschwierigkeiten, sodass sie nicht wissen, wie sie das Geflügel am Leben erhalten sollen.

Über die unzureichende Düngemittelversorgung äußerte ein Bauer aus Sangerhausen, [Bezirk] Halle: »Trotzdem wir jetzt sämtliche Betriebe in unseren Händen haben,21 gibt es nicht genügend Dünger. Die Regierung sollte nicht so viel ausführen. Der Abschluss für die Düngerbelieferung für den 30. Juni [1954] ist viel zu spät, denn was um diese Zeit noch gebraucht wird, ist ein ganz geringer Prozentsatz.«

Aus dem Bezirk Frankfurt wird berichtet, dass vor allem die Bauern Schwierigkeiten bei der Frühjahrsbestellung haben, die unverschuldet (durch Seuchen) in Not geraten sind. Da sie finanziell stark belastet sind, erhalten sie von der VdgB/BHG keine Kredite mehr. Dazu äußerte ein Bauer aus Schönow, [Bezirk] Frankfurt: »Im vergangenen Jahr musste ich zwecks Anschaffung von Vieh einen hohen Kredit aufnehmen, weil mir mein Vieh durch verschiedene Krankheiten eingegangen ist. Da ich jetzt von der BHG weder Dünger noch Saatgut bekomme, kann ich die Frühjahrsbestellung nicht durchführen.«

Negative bzw. feindliche Stimmen wurden nur vereinzelt bekannt. Ein Arbeiter der BHG Medow, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich höre auch die westlichen Sender, um von beiden Seiten informiert zu sein. Unsere bringen ja nur das, was ihnen von der SU aufgetragen wird. Wer hat denn seinerzeit Ernst Thälmann22 an die Nazis verraten. Ich weiß es aus ganz bestimmter Quelle, dass der Verräter der 2. Stalin war (gemeint ist W. Ulbricht).«

Ein Bauer aus Krampfer, [Bezirk] Schwerin (SED), erklärte: »Als wir bei Moellendorf23 (enteigneter Junker) gearbeitet hatten, ging es uns besser als jetzt. Wir hatten wenigstens genug zu essen und auch unser Geld.«

Der LPG-Vorsitzende von der LPG Seehof, [Bezirk] Schwerin: »Wenn es noch einmal zum Krieg kommt, bin ich der Erste, der die Waffen gegen die SU erheben wird.«

Die Forstarbeiter des Betriebes Karnzow, [Bezirk] Potsdam, sind unzufrieden, da sie nur noch vier Raummeter Brennholz bekommen sollen (jetzt 10 Raummeter). Sie bestehen darauf, dass sie wenigstens fünf Raummeter Brennholz und für die restlichen Raummeter Kohle bekommen. Sie drohten, alle zu kündigen, wenn ihnen dies nicht gewährt wird.

Übrige Bevölkerung

Die Diskussionen über den IV. Parteitag sind nach wie vor gering. Im Mittelpunkt der Diskussion steht die angekündigte Preissenkung. Bei einem sehr geringen Teil der übrigen Bevölkerung, besonders bei Hausfrauen und Rentnern, herrscht Enttäuschung darüber, dass auf dem IV. Parteitag keine Preissenkung beschlossen wurde. Die Beibehaltung der Lebensmittelkarten wird größtenteils begrüßt, jedoch spricht man sich teilweise für die Erhöhung der Rationen aus. Eine parteilose Hausfrau aus Görlitz, [Bezirk] Dresden: »Es ist schon besser, wenn die Lebensmittelkarten noch bleiben, wenn noch nicht so viel da ist, dass die Karten wegfallen können. Vielleicht könnten die Marken voll beliefert werden, wo noch ein Abzug ist, wie bei Wurst und Speck. Das würde uns auch sehr viel helfen.«

Rentner und Kleinverdiener aus Weißenfels, [Bezirk] Halle: »Den Beschluss des IV. Parteitages über die Beibehaltung der Rationierung von Fleisch- und Fettwaren begrüßen wir. Weil die Einkünfte gerade ausreichen, den Lebensunterhalt auf Kartenbasis zu bestreiten.« Außerdem bringen sie zum Ausdruck, bei der Regierung anzuregen, die Rationen in den niedrigen Kartengruppen zu erhöhen.24

Im Bezirk Frankfurt ist eine gewisse Enttäuschung darüber vorhanden, dass noch keine Preissenkung erfolgt ist.

Ein Lehrer aus Johanngeorgenstadt, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte: »Wir sehen ein, dass zzt. eine Preissenkung für Fleisch und Fett noch nicht möglich ist, aber warum führt man keine Preissenkung für Mehl- und Teigwaren durch. Diese Lebensmittel sind doch genug vorhanden.«

Über politische Probleme des IV. Parteitages wird nur ganz wenig unter der übrigen Bevölkerung diskutiert, teilweise herrscht Uninteressiertheit. Ein Kraftfahrer (beschäftigt bei der VdgB Malchin) äußerte: »Ich interessiere mich nicht für Politik und die SED kann beschließen, was sie will. Ich bin ja nur ein kleiner Kraftfahrer und kann mit meinen Worten nichts ändern.«

Ein parteiloser Rentner aus Eberswalde äußerte: »Die Rede von Mikojan hat mir gefallen, weil er die freundschaftlichen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und unserem Volk aufzeigte und den aggressiven Charakter der Westmächte entlarvte.«

Zur Note der Sowjetunion vom 31.3.1954 wurden nur ganz vereinzelt Stimmen bekannt, die meist positiv sind. Ein Angestellter vom Rat des Kreises Torgau erklärte: »Die Note der Sowjetunion ist wiederum ein sichtbarer Ausdruck der konsequenten Friedenspolitik der UdSSR. Mit dieser Note werden die Imperialisten mit ihren eigenen Waffen geschlagen und zu einer klaren Stellungnahme gezwungen.«

Negative Stimmen wurden nur vereinzelt bekannt. Diese lassen erkennen, dass es RIAS-Propaganda ist. Ein Bäckermeister erklärte in der Versammlung der Nationalen Front:25 »Ich habe gehört, dass 18 000 Menschen nach Westdeutschland übergesiedelt sind. Man muss sich einmal überlegen, was das bedeutet. Bei uns hier hetzt man aber nur gegen den Westen, so z. B. gegen das Wehrgesetz.26 Und was machen wir hier? Wir rüsten ja auch auf, unsere Volkspolizei fährt doch auch schon mit Panzerwagen.«27

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriften des SPD-Ostbüros:28 Rostock 13, Dresden 60, Frankfurt 550, Karl-Marx-Stadt 40, Halle 40, Potsdam 305. Inhalt: Hetze gegen die Regierung der DDR, »freie Wahlen«.

Hetzschriften der NTS:29 Potsdam 10 100, Karl-Marx-Stadt 4 553, Frankfurt/Oder 5 000, Cottbus mehrere Tausend, Dresden 25, Rostock einige. Inhalt: Hetze gegen SU und DDR, Aufforderung zum Desertieren.

Hetzschriften des UFJ:30 Potsdam 300. Inhalt: »Deutsche Selbsthilfe«.31

Hetzschriften des CDU-Ostbüros: Potsdam 2 400. Inhalt: »Pankows Terrorregime wird stürzen«.32

Hetzschriften der KgU:33 Frankfurt einige. Inhalt: Hetze gegen die Regierung und DDR.

Die meisten Flugblätter wurden durch Ballons eingeschleust.

Hetzbriefe: wurden im Bezirk Schwerin sichergestellt. Inhalt: Westen verherrlicht, Hetze gegen DDR.

Drohbriefe: An Meister der VEB Schuhfabrik Erfurt.

Antidemokratische Handlungen: Am 8.4.1954 wurden drei Fahnen vom Büro der Nationalen Front34 in Berlin-Köpenick abgerissen.

In einem Rundschreiben, welches im Bezirk Potsdam ankam, wurden ehemalige Angehörige der faschistischen Infanterieflakwaffen zu einem Bundestreffen in Würzburg am 14./15. August 1954 eingeladen.

Einige Lehrer aus dem Kreisgebiet Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erhielten Einladungen von der evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt,35 in denen sie aufgefordert wurden, an einer Tagung für Lehrer in der Osterwoche in der Lutherstadt Wittenberg vom 21.4. – 19.00 Uhr bis 24.4.1954 teilzunehmen. Thema: »Christliche Verantwortung in der Wirklichkeit meines Berufes«.

Vermutliche Feindtätigkeit

Bei der Überprüfung der Einsatzbereitschaft der Motorspritze der Betriebsfeuerwehr in der MTS Großhennersdorf, [Bezirk] Dresden, wurde festgestellt, dass die Zündkerzen, der Kerzenschlüssel und verschiedene Werkzeuge fehlten, sodass beim Einsatz die Motorspritze versagt hätte.

Im VEB Bekleidungswerk Neugersdorf, [Bezirk] Dresden, haben die KVP-Uniformen in der letzten Zeit sehr viel Ölflecke.

Zum Stalinez 4,36 welcher dem VEG Neu Sacro, [Kreis] Forst, [Bezirk] Cottbus, geliefert wurde, fehlten die zwei Räder des Strohbinders und das Werkzeug. In Frankfurt/Oder war die Ladung vollständig.

Der RIAS versucht in einer Sendung am 8.4.1954 die Agitationsarbeit in den Betrieben zu erschweren und zum anderen hetzt er gegen die Regierungserklärung der Sowjetunion vom 25.3.1954.37

Hetze gegen die politische Linie der SED auf dem Lande

In der Sendung des RIAS »Werktag der Zone« am 9.4.1954 wird besonders gegen die Losung unserer Partei »Mehr Industriearbeiter aufs Land«38 gehetzt. So wird versucht, Bauern dahingehend zu beunruhigen, dass jetzt Industriearbeiter ihnen beibringen müssten, nach sowjetischen Methoden die Landwirtschaft zu betreiben. Über den Einsatz fortschrittlicher Kräfte in LPG, MTS, VEG und in den Dörfern wird dahingehend gesprochen, dass diese Denunzianten und ideologische Antreiber seien.

In diesem Zusammenhang wird indirekt aufgefordert, diesen Funktionären keine Unterkunft oder warmes Essen zu geben. Gleichfalls werden Genossen in den Betrieben angesprochen, dass sie, wenn die aufs Land geschickt werden, damit zu rechnen haben, dass man ihnen mit Ablehnung begegnet. Unzweifelhaft wird damit versucht, die Politik unserer Partei auf dem Lande wirkungslos zu machen.

Einschätzung der Situation

Die im Zusammenhang mit dem IV. Parteitag geführten Diskussionen haben in einigen Bezirken nachgelassen, im Vordergrund stehen dabei immer noch die Fragen zur Verbesserung der Lebenslage. Zu den politischen Problemen wird verhältnismäßig wenig gesprochen, aber überwiegend positiv. Die feindlichen Diskussionen haben weiterhin einen geringen Umfang.

Feindliche Flugblätter wurden wieder stärker verbreitet.

Anlage 1 vom 10. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2179

Information aus der Westpresse

Im »Tagesspiegel« vom 9.4.1954 wird unter der Überschrift »Zwei Jahre Gefängnis für jugendliche Spione« geschrieben,39 dass der 19-jährige Joachim Sievert40 und der 19-jährige Hans Hingott,41 beide wohnhaft in Westberlin, vom Gericht des britischen Oberkommissariats wegen Spionage zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Hingott hatte angeblich am 5.2.1954 einen britischen Soldaten aufgefordert, ihn gegen Entgeld Material über die Bedienung britischer Geschütze zu besorgen. Sievert wollte angeblich das Material für einen Einwohner des demokratischen Sektors besorgen.

Anlage 2 vom 10. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2179

Stimmung zur schlechten Organisation der Demonstration am 6.4.1954 in Berlin42

Über die Demonstration zum Abschluss des IV. Parteitages der SED in Berlin am 6.4.1954 wurden aus mehreren Betrieben Diskussionen bekannt, in denen die Wartezeiten auf den Stellplätzen und während der Demonstration kritisiert werden. Dabei wird hervorgehoben, dass die Beteiligung anfangs groß war, jedoch durch das lange Warten haben sich viele Kollegen verstreut und die Stimmung der Beteiligten sei gesunken.43

Vom VEB Medizinische Gerätefabrik Berlin-Mitte beteiligten sich ca. 1 200 Kollegen an der Demonstration. Durch die Wartezeit von über zwei Stunden marschierten noch ca. 250 Kollegen über den Marx-Engels-Platz.

Vom VEB Tiefbau, Baustelle Fernheizkanal, blieben aufgrund des langen Anmarschweges zum Stellplatz viele Kollegen zurück. Durch die Wartezeit von über 1½ Stunden am Stellplatz ging ein weiterer Teil der Kollegen nach Hause.

Die Kollegen vom VEB Maschinenfabrik Treptow mussten auf dem Stellplatz ca. zwei Stunden warten, weshalb ein großer Teil Kollegen bereits von dort aus nach Hause ging.

Die Kollegen des Kraftwerkes Rummelsburg mussten ca. 1½ Stunden warten, bis sich ihr Zug in Bewegung setzen konnte. Einige Arbeiter äußerten während der Demonstration: »Wenn am 1. Mai die Demonstration nicht besser ist, dann gehen wir wieder nach Hause.«

Anlage 3 vom 10. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2179

Feindtätigkeit

»Der Tag« vom 9.4.1954:44

»1 200 besonders zuverlässige FDJ-Angehörige und jüngere SED-Mitglieder sollen … in Kürze in die Bundesrepublik eingeschleust werden, um dort Teilnehmer für das … Jugendtreffen zu werben.45

Aus mehreren Bezirken der Sowjetzone hat der Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen Berichte über Geheimlehrgänge für die auserwählten FDJler und SED-Mitglieder erhalten.«

  1. Zum nächsten Dokument Zur Beurteilung der Situation

    12. April 1954
    Informationsdienst Nr. 2180 zur Beurteilung der Situation

  2. Zum vorherigen Dokument Zur Beurteilung der Situation

    9. April 1954
    Informationsdienst Nr. 2178 zur Beurteilung der Situation