Zur Beurteilung der Situation
3. Februar 1954
Informationsdienst Nr. 2102 zur Beurteilung der Situation
Stimmung der Bevölkerung in der DDR
Veränderungen in der Stimmung wurden aus den Bezirken nicht berichtet.
In Apolda, [Bezirk] Erfurt, ist infolge starker Kälte, durch Rohrbrüche, die Wasserversorgung der Stadt gefährdet.1
Durch unsachgemäße Bedienung explodierte der Zylinder einer Dampflokomobile im »Karl-Liebknecht«-Werk Magdeburg.2 Sachschaden: 30 000 DM.
Vor drei Tagen wurde von unbekannten Tätern der Feuerlöschteich in Pfiffelbach, [Bezirk] Erfurt, abgelassen. Vergangene Nacht brach plötzlich bei dem Großbauern [Name 1], ehemaliger Ortsbauernführer,3 der seiner Ablieferungspflicht nur schlecht nachkam, ein Großbrand aus. Schaden 20 000 DM (Brandursachen sind noch nicht bekannt).
Organisierte Feindtätigkeit
Im Kreis Jüterbog, [Bezirk] Potsdam, wurde eine größere Menge von Hetzschriften (»Aktionseinheit« und »Befreiungskomitee Scharnhorst«) gefunden. Verbreitung durch Ballon.
Wie aus dem Bezirk Leipzig berichtet, treten gegenwärtig verstärkt Hetzbriefsendungen in Erscheinungen (ältere Ausgaben von KgU-Hetzschriften).4
In Schmölln, [Bezirk] Leipzig, wurden von verschiedenen Personen Hetzschriften in ihren Briefkästen vorgefunden. Diese sind mit Schreibmaschine geschrieben (»freie Wahlen«), unterzeichnet mit »Bund freier Deutscher – Ortsvereinigung Schmölln«.
Am 1.2. und 2.2.1954 wurden in Staßfurt und Magdeburg vereinzelt mit Druckkasten gefertigte Hetzschriften gefunden. Inhalt: Hetze gegen die SU und »freie Wahlen«.
In einem Kommentar des Londoner Rundfunks wird zum Ausdruck gebracht,5 dass die Aussichten auf Einigung der vier Großmächte über die Einheit Deutschlands nicht gerade rosig sind. Wörtlich heißt es: »Da dem so ist, müssen die westlichen Außenminister dafür sorgen, dass die Verantwortung für einen Fehlschlag der Konferenz klar und eindeutig aufseiten der Russen liegt.6 Nicht nur tatsächlich, sondern für die ganze Welt sichtbar.«
Stimmung der Bevölkerung im demokratischen Sektor von Groß-Berlin
Der Entwurf eines Friedensvertrags, der vom Genossen Molotow7 gemacht wurde, wird unter der Bevölkerung diskutiert.8 Hierzu äußern sich viele hoffnungsvolle Stimmen. Eine Angestellte aus Berlin-Pankow: »Hoffen wir, dass wir endlich die Einheit und den Friedensvertrag, wie Molotow ihn vorgeschlagen hat, bekommen, damit endlich in Westdeutschland mit den Kriegsdrohungen Schluss gemacht wird.«
Eine Hausfrau aus Berlin N 58:9 »Das deutsche Volk schreit schon nach einem Friedensvertrag. Wir wollen ein einheitliches Deutschlands und einheitliches Geld, wir sind doch alle Deutsche.« Ein VP-Angehöriger aus Berlin: »Was von größter Wichtigkeit ist, ist der Entwurf Molotows. Hoffentlich kriegen wir bald den langersehnten Friedensvertrag für Gesamtdeutschland.«
Zum Memorandum der Regierung der DDR äußern sich ebenfalls eine Reihe positiver Stimmen.10 Ein Angestellter aus Berlin-Grünau: »Es ist doch sehr wertvoll, dass die Kriegshetzer von Molotow entlarvt wurden. Das Memorandum hat sein Übriges getan. Wer jetzt noch die Bonner Separatisten unterstützt, ist ein Verbrecher oder hat ein Brett vor dem Kopf.«
Ein Teil der Bevölkerung verhält sich passiv oder zweifelt.11 Eine Hausfrau aus Berlin-Pankow: »Die Unterschriftensammlung hat doch keinen Zweck,12 was können wir schon dazu tun?« Ein Maschinenschlosser des VEB Wälzlagerfabrik gab folgende Antwort auf eine Frage über die Viererkonferenz: »Ich mache meine Arbeit und damit fertig.« Bei einer Hausagitation in Berlin-Niederschöneweide, Brückenstraße, verweigerten fünf Personen die Unterschrift mit der Begründung, dass alles zwecklos wäre.
Unter den negativen und feindlichen Stimmen, die von einem geringen Teil der Bevölkerung geäußert werden, herrscht das Argument »freie Wahlen« vor.13 Feindpropaganda macht sich bemerkbar.14 Ein Arbeiter aus Berlin-Lichtenberg: »Alles schaut auf Amerika. Wird Herr Außenminister Dulles15 die diplomatische Kunst besitzen, die Verhandlungen in die richtige Bahn zu lenken, damit die Einigung zustande kommt. Amerika ist nun mal der führende Pol der Welt und wir hoffen auf deren Gerechtigkeit.«
Eine Verkäuferin der HO Lebensmittel Berlin-Weißensee: »Der Vorschlag Molotows zur Regelung aller internationalen Fragen auf einer Fünfmächtekonferenz im Jahre 195416 steht im Widerspruch zum Standpunkt der SU, wonach jede Nation ihre volle Selbstständigkeit erhalten soll. Solch eine Fünfmächtekonferenz ist da eine Bevormundung.«
Ein Angestellter der HO Industriewaren Berlin, Neue Grünstraße: »Warum wollen wir denn keine ›freien Wahlen‹? Etwa weil Adenauer17 dann gewählt wird? Wenn das so ist, dann ist auch nichts dran zu ändern.«
In Siemens-Plania forderten in einer Diskussion eine Anzahl Lehrlinge »freie Wahlen«.
Ein Angestellter des Zentralen Konstruktionsbüros Schiffbau des Ministeriums für Maschinenbau: »Man soll ordentliche und geheime Wahlen in Ost und West durchführen und die Partei oder Regierungsform, die dann gewählt wird, die soll regieren. Das ist dann der Wunsch des Volkes.«
Wie stark die Feindpropaganda ist, zeigt, dass in den 7. und 8. Klassen der Grundschule Lichtenberg von den Schülern in den letzten Tagen folgende Fragen gestellt wurden: »Warum will sich Molotow um die ›freien Wahlen‹ herumdrücken?« »Warum will Molotow Rot-China zur Konferenz haben, das doch gar nicht über Deutschlands gesiegt hat?« In diesen Klassen wurde ganz gemeine Sowjethetze gebracht (Einfluss der Eltern).
Ein Oberkonsistorialrat des evangelischen Konsistoriums Berlin:18 »Sollten die Bedingungen des Westens durchkommen, so bedeutet das ein Ende der SED-Regierung. Ich bin jedoch kein Narr zu glauben, dass die SED freiwillig abtritt. Sollte die Konferenz ohne Ergebnis ausgehen, woran nicht zu zweifeln ist, so ist der Welt wieder einmal gezeigt, dass der Russe der Feind Europas ist. Der Russe wird jedoch noch versuchen Termine zu gewinnen, Verhandlungen ohne Ende zu führen, um Zeit zu gewinnen. In der Zone wird sich nichts ändern, aber gerade darum geht es, in der Zone menschliche Zustände nach des Bundes Vorbild zu schaffen.«
Stimmen aus Westberlin
In einigen bekannt gewordenen Meinungsäußerungen der Bevölkerung aus Westberlin kommt die Hoffnung auf einen erfolgreichen Abschluss der Viererkonferenz zum Ausdruck.
Eine Reinemachefrau eines Bürohauses in Westberlin äußerte sich abfällig über die Außenministerkonferenz, wobei sie unter anderen zum Ausdruck brachte, dass die Russen jetzt ja oder nein sagen müssten. Darauf sagte der dortige Nachtwächter, sie solle sich keine Illusionen machen, sie soll nicht denken, dass der Außenminister Molotow dumm wäre, er lässt sich von den anderen kein X für ein U vormachen. Auf alle Fälle dürfte nicht mehr vorkommen, dass wir andere Völker überfallen und ausplündern.
Ein Klempner aus Berlin-Friedenau ist der Meinung, dass sich die Großmächte über Deutschland nicht einig werden, da die Gegensätze zu groß seien. Er begrüßt die Vorschläge des Genossen Molotow über die Entmilitarisierung Deutschlands und fordert eine einheitliche Währung und Aufhebung der Zonengrenzen. Er ist erstaunt über die höfliche und vertrauenserweckende Art der Verhandlungsführung der vier Außenminister und spricht sich lobend über die SU aus, die die Erhaltung des Friedens immer wieder in den Vordergrund stellt.
Ein Zigarettenhändler aus Berlin-Friedenau begrüßt das Zustandekommen der Viermächtekonferenz, ist jedoch der Meinung, dass nichts Wesentliches herauskomme. Die Gegensätze seien zu groß. Der Osten verlange eine provisorische Regierung und der Westen »Freie Wahlen«. Er befürwortet die sich anbahnenden Handelsbeziehungen mit der SU und wünscht Handel und Wandel in Gesamtdeutschland. Weiterhin bringt er zum Ausdruck, dass das deutsche Volk die Ketten der Alliierten bald los sein müsste und fordert deshalb einen Friedensvertrag und Abzug der Besatzungstruppen.
Zwei Arbeiter aus dem Betrieb Siemens in Berlin-Siemensstadt äußerten, dass die Arbeiter dieses Betriebes durch die Akkordarbeit keine Zeit hätten, sich über die Viermächtekonferenz zu unterhalten. Nicht einmal die Frühstücksräume werden in den Pausen aufgesucht. Die Arbeiter erklärten, dass jeder im Betrieb Beschäftigte bestrebt ist, seinen Arbeitsplatz zu erhalten und sich über die politische Lage und die Konferenz nicht äußert. Zwei Arbeiter des Wernerwerkes19 äußerten sich in der gleichen Form.
Ein Arbeiter aus Berlin-Lankwitz: »Die vier Außenminister sitzen noch hier und ich wünsche nur, dass sie soweit Deutschland infrage kommt, zu einem Ergebnis kommen. Bonn stellt sich auch recht stur an und ich habe manchmal den Wunsch, einem einen Tritt zu geben. Bonn ist schließlich auch nicht der Mittelpunkt der Welt.«
Ein Jugendlicher aus Westberlin: »Man hegt in westlichen Kreisen neuerdings einen gemäßigten Optimismus, obwohl die harten Brocken erst jetzt aufs Trapez kommen. Die Resonanz auf Molotows Verhandlungsführung ist jedenfalls positiv und alles verlief bisher in einem recht guten Geiste.«
Eine Geschäftsfrau aus Westberlin: »Es ist doch kein Wunder, wenn hier alle Kommunisten werden, die Westberliner Wirtschaft wird völlig zugrunde gerichtet, soweit sie nicht schon pleite ist und Arbeit gibt es auch für niemand. Ich wollte, Molotow siegt auf der Konferenz und Berlin würde eine Einheit, dann hätten wir wenigstens zu tun und könnten leben.«
In anderen Meinungsäußerungen wird die Durchführung »freier Wahlen« propagiert und die Vorschläge Molotows zu einer Fünferkonferenz abgelehnt. Ein Angestellter aus Berlin-Tegel: »Wenn es noch einigermaßen normale Menschen gibt, dann müssen sie doch sagen, erst einmal ›freie Wahlen‹ und zwar freie, nicht so, wie es bis jetzt in der Ostzone war und dann werden wir ja sehen, wer uns in der Welt vertreten wird, die die gewählt wurden, oder die, die sich gewählt haben.«
Eine Jugendliche aus Westberlin: »Auf der Konferenz wird gar nichts herauskommen. Dem Russen interessiert die Chinasache mehr als Deutschland.«
Eine Hausfrau aus Westberlin: »Der Westen will erst ›freie Wahlen‹ und dann eine gesamtdeutsche Regierung, der Osten erst eine gesamtdeutsche Regierung und dann Wahlen. Der Westen hat eine einfach großlinige Verhandlungsart, eben weltmännisch. Der Osten vorläufig auch sehr höflich, das ›Njet‹ in Seidenpapier gewickelt.«
Ein Arbeiter aus Berlin-Zehlendorf: »Unsere Vier haben nun schon acht Tage hinter sich, aber jetzt können wir noch gar nichts sagen, ob etwas dabei herauskommt. Molotow wollte eine Fünfmächtekonferenz, das war der erste Versager den er hatte. Was haben wir mit China zu tun? Nun, wir werden abwarten, was noch kommt.«
Eine Hausfrau aus Berlin-Grunewald: »Aha, die traurige Konferenz hier in Berlin. Es war schon Gestank vorher wegen der Probleme. Nein, schon wegen des Hauses und des Ortes und die Klugen haben nachgegeben, das freche, ungezogene Kind hat seinen Willen, aber jetzt, wo es um Deutschland und Österreich gehen soll, plärrt man von einer Seite von Korea und Rot-China.20 Es wird nicht lange dauern und die Konferenz fliegt auf. Erwartet ja nichts von dieser Zusammenkunft. Einer will immer etwas anderes, warum auch, wegen Deutschland, einer melkenden Kuh, darüber freut sich jeder Bär und außerdem die feste Freundschaft mit dem ostdeutschen Volk, so etwas verliert man nicht gern, da sagt man eben schwarz statt weiß und umgekehrt. Hoffentlich lassen sich die anderen nicht als Hampelmänner gebrauchen.«
Aus dem Ausland werden Telegramme an die Viermächtekonferenz gesandt, worin der Wunsch auf friedliche Lösung der Deutschlandfrage zum Ausdruck gebracht wird. So bringt z. B. ein Friedenskomitee aus Merogis,21 Frankreich, die Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Deutschlandproblems zum Ausdruck. Der gleiche Wunsch wird von drei Frauen aus Houlles,22 Frankreich, zum Ausdruck gebracht.
Anlage vom 3. Februar 1954 zum Informationsdienst Nr. 2102
Stimmung zur Viermächtekonferenz
Betriebe
In den bekannt gewordenen Stimmen äußert sich ein nicht geringer Teil der Werktätigen aus den Betrieben positiv zu den Vorschlägen des Genossen Molotow. Besonders in Betriebsversammlungen spricht man sich gegen die ablehnende Haltung der drei westlichen Außenminister aus. So wird z. B. aus dem Bezirk Suhl berichtet, dass unter den Versammlungsteilnehmern eine große Aufgeschlossenheit festzustellen ist. Besonders die Kollegen der Abteilung Schmiede im VEB ABUS Suhl brachten ihre Empörung über die Ablehnung der Teilnahme deutscher Vertreter zum Ausdruck.23 Es wurde eine Entschließung ausgearbeitet, in der die Teilnahme deutscher Vertreter gefordert wird. Ähnlich in der Brigade der DSF im VEB Feinmesszeugwerk Suhl. In der Entschließung wurde zum Ausdruck gebracht, dass die deutsche Frage auch eine Angelegenheit der Deutschen sei. Die Teilnahme deutscher Vertreter wird erneut gefordert.
Die gleiche positive Stimmung wird aus dem Bezirk Halle berichtet, wonach in allen Betrieben des Mansfeld Kombinats »Wilhelm Pieck« in Eisleben Protestresolution gegen die ablehnende Haltung der drei westlichen Außenminister, verfasst und angenommen.
Der Hauer [Name 2] vom [Wismut-]Schacht 6 Oberschlema,24 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Unsere Brigade folgt aufmerksam dem Verlauf der Konferenz. Molotow treibt die anderen mit seinen klaren Vorschlägen immer mehr in die Enge.« Der Hauer [Name 3] fügte hinzu: »An dem Verlauf der Konferenz sieht man immer wieder die klare Außenpolitik der SU.«
Der Aufdrücker [Name 4] vom [Wismut-]Schacht 250 Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Westmächte sind sich in der Frage des EVG-Vertrages nicht einig.25 Die SU dagegen hat in Molotow einen Sprecher auf der Konferenz, der die Einmütigkeit des ganzen Friedenslagers zum Ausdruck bringt.«
Der Schlosser [Name 5] beschäftigt im Bahnbetriebswerk Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die deutsche Frage kann nur mit uns Deutschen gemeinsam gelöst werden. Man kann den Deutschen keine ausländischen Beobachter oder gar eine militaristische Regierung aufzwingen.«
Ähnliche Meinungsäußerungen werden zum Memorandum der DDR bekannt. Die Bürohilfe [Name 6] von der Mathias-Thesen-Werft Wismar, [Bezirk] Rostock: »In dem Memorandum unserer Regierung an die Großmächte sehe ich einen Schritt, der von allen Arbeitern nur begrüßt werden kann. Ich bin froh darüber, dass sich der sowjetische Außenminister Molotow für uns Deutsche auf der Konferenz so einsetzt.«
In einer Reihe negativer Diskussionen kommt eine gegenteilige Meinung zum Ausdruck. Ein Arbeiter aus Geismar, [Bezirk] Erfurt: »Den Iwan haben sie jetzt sehr in der Zange. Seine Vorschläge werden von den westlichen Besatzungsmächten nicht angenommen, weil sie zur Versklavung Deutschlands führen. Wenn man freie Wahlen durchführen würde, sind die Roten sowieso durch.«
Der Arbeiter [Name 7] von der Neptunwerft Rostock: »Ich höre die freien Sender, gerade jetzt bei der Außenministerkonferenz wird uns vieles verschwiegen. Die meisten Vorschläge bringt Dulles und bei uns wird es so hingestellt, als wenn Molotow nur gute Sachen bringt. Der Russe soll nicht so stur sein, sondern auch einmal nachdenken.«
Ein Angestellter der Reichsbahn in Erfurt: »Die Großmächte sollen uns freie und geheime Wahlen machen lassen und wir werden wissen, wie wir zu wählen haben. Nicht so wie die letzte Wahl in der DDR war, wo es nur ein ja oder nein gab und nicht mal Kabinen vorhanden waren, wo man geheim wählen konnte.«
Landwirtschaft
Aus dem vorliegenden Material wurden von einer ganzen Reihe Stimmen die Ausführungen des Genossen Molotow mit Hoffnung und Erwartung aufgenommen. Ein Teil verurteilt die ablehnende Haltung des amerikanischen Außenministers Dulles. Der werktätige Bauer [Name 8] (parteilos) wohnhaft Jüterbog, [Kreis] Strasburg, [Bezirk] Neubrandenburg:26 »Molotow ist der Einzige, der die Interessen der werktätigen Bevölkerung vertritt. Die westlichen Außenminister gehen darauf aus, dass die Konferenz ohne Erfolg auseinanderfliegt. Das Ablieferungssoll werde ich 100-prozentig erfüllen, um so für ein Gelingen der Konferenz beizutragen.«
Der Traktorist [Name 9] (parteilos) von der MTS Brüssow, [Kreis] Pasewalk, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich verstehe nicht, dass Dulles die Teilnahme deutscher Vertreter ablehnt, wo er vorher die Tagesordnung von Molotow angenommen hat.«
Die Genossenschaftsbauern der LPG in Streichwitz, [Kreis] Fürstenberg, [Bezirk] Frankfurt/Oder, verurteilten in einer Protestresolution die ablehnende Haltung des amerikanischen Außenministers und forderten die Teilnahme deutscher Vertreter.
Von einer Reihe Stimmen wird ebenfalls positiv das Memorandum der Regierung der DDR begrüßt. Der Bauer [Name 10, Vorname] aus Schöndorf, [Kreis] Schleiz, [Bezirk] Gera: »Ich begrüße das Memorandum, denn diese neun Punkte, welche Grotewohl aufzeigt,27 sind meines Erachtens die Grundlage für ein einheitliches, demokratisches Deutschland.«
Ein großer Teil der Landbevölkerung verhält sich passiv, uninteressiert oder zweifelt. Ein Kleinbauer [Name 11, Vorname] aus Seebenau, [Kreis] Salzwedel, [Bezirk] Magdeburg: »Wir haben bedingungslos kapituliert und haben keinen Einfluss auf die Konferenz. Dort das Kapital und hier die Demokratie, das kann sich doch nicht vertragen.« Der Bauer [Vorname Name 12], aus Berthelsdorf, [Kreis] Freiberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ob wohl etwas Positives herausspringt? Die Gegensätze sind ja mächtig groß, aber besser ist immer noch verhandeln, als mit Gewalt etwas zu erreichen.«
Ein geringer Teil negativer Stimmen wurde bekannt, teilweise auch feindliche. Wegen der Unterschiedlichkeit der Argumentation werden einige angeführt. Ein Fischermeister aus Cunnersdorf, [Kreis] Kamenz, [Bezirk] Dresden: »Gerade in der Frage Oder-Neiße-Grenze gärt es im Volk.« Der werktätige Bauer [Vorname Name 13] aus Loburg, [Bezirk] Magdeburg: »Wenn Molotow in der Frage der Oder-Neiße-Grenze nicht nachgibt, wird es zu keiner Einigung kommen.«
Der Mittelbauer [Name 14] aus Groß Mühlingen, [Bezirk] Magdeburg: »Aus der Viererkonferenz wird doch nichts herauskommen. Der Russe muss nachgeben, oder es gibt einen neuen 17. Juni.«
Der Großbauer [Name 15] aus Seegeritz, [Kreis] Leipzig: »Von der Konferenz verspreche ich mir nicht viel. Mir sind die Amerikaner lieber, die haben mir nur eine Kuh aus dem Stall geholt und dazu noch bezahlt. Man soll bei uns ›freie Wahlen‹ durchführen wie in Westdeutschland.«
Ein Arbeiter des VEG Pessin, [Kreis] Nauen, [Bezirk] Potsdam: »In der DDR ist alles Scheiße. Wir sprechen so viel von der deutsch-sowjetischen Freundschaft, aber Molotow sagte in seiner Ansprache, die SU wird niemals vergessen, was die Deutschen in der SU angerichtet haben.«
Der Großbauer [Name 16] aus Kuschkow, [Kreis] Lübben, [Bezirk] Cottbus: »Die Unterschriftensammlung aus Anlass der Berliner Konferenz war eine Wahl der Kommunisten. Wenn ich da unterschrieben hätte, hätte ich ja schon die Kommunisten gewählt.« … und weiter äußerte er: »In Reuter28 und Schumacher29 haben wir unsere besten Vertreter verloren. Der Militarismus liegt dem Deutschen eben in den Knochen, wir müssen eben marschieren.«
Ein Bauer aus Apolda, [Bezirk] Erfurt: »Es kommt doch bald anders, dann werde ich Dich schon dahin bringen wo du hingehörst. Wir werden schon um unsere Heimat kämpfen.« (Diese Äußerung wurde gegenüber einem fortschrittlichen Lehrer getan.)
Bevölkerung
Ein nicht geringer Teil der Bevölkerung begrüßt die Bemühungen des Genossen Molotow und unterstützt seine Vorschläge. Die Angehörigen der DHZ Lebensmittel in Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg, verfassten eine Protestresolution und forderten Vertreter zur Lösung der deutschen Frage.
Ein Rentner aus Schmölln, [Bezirk] Leipzig: »Das Memorandum der DDR zeigt uns ganz klar den Weg seit 1945, nämlich, dass die SU alleine es war, die das Potsdamer Abkommen30 eingehalten hat, während es die Westmächte gebrochen haben.«
Ein Zahnarzt aus Lübben, [Bezirk] Cottbus: »Der sowjetische Außenminister Molotow legt sich sehr für das deutsche Volk ins Zeug. Er verlangt, dass deutsche Vertreter gehört werden und kämpft so für den Frieden in der ganzen Welt, aber die westlichen Vertreter vertreten in erster Linie das Kapital.«
Ein Angestellter aus Grevesmühlen, [Bezirk] Rostock: »Wenn die drei westlichen Außenminister ebenso wie Molotow den Willen zur Entspannung der Lage haben, dann werden auch gute Resultate erzielt. In den weiteren Verhandlungen wird es sich zeigen, wer ehrlich ist und den Willen für eine Verständigung hat.«
Wie aus den vorliegenden Berichten ersichtlich ist, spricht sich ein Teil der Bevölkerung für die vom Westen propagierten freien Wahlen und gegen die Teilnahme Chinas an der Konferenz aus. Ein Lehrer aus Weißenfels, [Bezirk] Halle: »Ich bin für freie Wahlen, aber nicht für solche, wie sie 1950 in der DDR durchgeführt wurden.31 Alle Mühe und Arbeit, die sich die Friedensfreunde machen, ist umsonst und hat keinen Zweck.«
Ein Angestellter aus Warnow, [Bezirk] Rostock: »Man soll uns das Recht geben, eine Regierung zu wählen, wie wir sie haben wollen. Später können dann die vier Mächte darüber entscheiden, eine Konferenz einberufen und Friedensverhandlungen führen.«
Eine Lehrerin aus Neustrelitz, [Bezirk] Neubrandenburg: »Es liegt nicht im Interesse aller Deutschen, dass Rot-China an der Konferenz in Berlin teilnehmen soll. Es wäre doch in erster Linie richtig, über die deutsche Frage zu diskutieren.«
Westberlin
Ein Arbeiter aus Westberlin: »Die Alliierten beziehen immer schon vorher eine feste Linie, dadurch betreiben sie der SU gegenüber eine Vogel-friss-oder stirb-Politik.«
In der AEG Brunnenstraße32 werden von den Arbeitern viel Zeitungen des demokratischen Sektors gelesen und sie erwarten Positives von der Konferenz.
Ein Geschäftsmann spricht sich für freie Wahlen aus, die vorher von einer provisorischen deutschen Regierung vorbereitet sein müssten. Er ist gegen die Übernahme eines Wahlsystems von anderen Ländern und hält das Wahlsystem von vor 1933 als das geeignetste.
Ein Westberliner Arbeitsloser: »Die drei halten ja zusammen und werden den Russen immer wieder überstimmen.«
Ein Arbeitsloser: »Die großen Vier sind sich ohnehin einig, dass Deutschland gespalten bleiben muss, da es sonst wieder zu stark würde.«
Ein Westberliner Sportjournalist: »Die SU stimmt niemals freien Wahlen zu und deshalb kommt es nicht zu einer Einigung.«
Eine Angestellte der Redaktion der »Freien jungen Welt«:33 »Es kommt doch nichts dabei heraus, der Russe gibt nicht nach.«
Ein Stummpolizist34 äußerte: »Meine Herren es wird doch etwas anderes, als ihr es euch vorgestellt habt, herauskommen. Weshalb habt ihr immer gesagt, Molotow sagt immer nein. Nun sagt er immer ja, was nun? Ihr müsst über Russland nicht immer so schwarzsehen.«
Ein Molkereibesitzer ist der Ansicht, dass nur ein unbesetztes und einiges Deutschland lebensfähig ist. Er sprach sich für Militär aus, da er darin die einzige Möglichkeit sieht, die Erwerbslosigkeit zu beseitigen.