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Zur Beurteilung der Situation

17. Juni 1954
Informationsdienst Nr. 2237 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Über politische Probleme wird unter den Werktätigen nur gering diskutiert. Die meisten Diskussionen befassen sich mit der Volksbefragung,1 wobei sich im Wesentlichen keine Änderungen in Inhalt und Umfang gegenüber dem Vortage ergeben haben.

Zum 17.6. wurden nachfolgende feindliche Stimmen bekannt. Ein Arbeiter aus der Tbc-Heilstätte Bad Reiboldsgrün, Kreis Auerbach, sagte: »Es tut sich in der nächsten Zeit etwas, was den 17.6.1953 noch in den Schatten stellt. Da kommt es aber schlimmer.« Ein 17-jähriger Dachdeckerlehrling aus Plamag,2 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte: »Am 17.6.1954 wird es anders.«

Ein Kapseldreher aus dem Porzellanwerk Kahla, [Bezirk] Gera: »Der 17.6.1953 ist nicht von westlichen Agenten vorbereitet und durchgeführt worden, sondern fand aufgrund der Unzufriedenheit der Arbeiter in der DDR spontan statt, denn die Bauarbeiter von Berlin haben ja zuerst angefangen.«3

Ein Zugschaffner vom Hauptbahnhof Gera: »In der Luft liegt etwas, die Auseinandersetzung folgt. Es ist bloß noch nicht soweit. Ein Krieg gegen die ›Russen‹ ist unvermeidlich, den könnt ihr auch nicht aufhalten. Diesmal wird es für die ›Russen‹ böse ausfallen.« Ein Glasmacher aus dem VEB Glashütte Weißwasser,4 [Bezirk] Cottbus: »Ein neuer 17. Juni [1953] muss doch wieder kommen und dem Präsidenten Wilhelm Pieck5 müsste der Kopf runtergeschlagen werden.« (Inzwischen wurde dieser Arbeiter republikflüchtig.)

In der Bau-Union in Wünsdorf, [Bezirk] Cottbus,6 wurde vonseiten der Betriebsleitung der Vorschlag gemacht, als Zeichen der Verbundenheit mit der Regierung eine Stunde länger zu arbeiten. Unter Pfeiffen und Trampeln lehnte die Belegschaft dieses ab.

Nach einer Kurzversammlung im VEB Schraubenfabrik Finsterwalde, [Bezirk] Cottbus, äußerte ein Arbeiter von der Hofkolonne: »Dass ein 17. Juni wiederkommen muss, das ist auch höchste Eisenbahn.« Ein Arbeiter aus dem EKS,7 [Bezirk] Franfurt, äußerte: »Es ist schade, dass der 17.6.1953 nicht geklappt hat. Jetzt haben sie schon wieder die Hosen voll, denn wenn der Tag noch einmal kommt, ist es besser organisiert und sie werden eine Pleite erleben. Das Volk ist reif dazu und es wird nicht mehr lange dauern.«

Ein Meister aus der Reparaturabteilung des Dimitroff-Werkes Magdeburg (SED), der zur Wache anlässlich des 17. Juni [1954] eingeteilt wurde, äußerte: »Dass er niemals einen Karabiner tragen werde.« Ein Kollege aus den Karl-Marx-Werken Magdeburg äußerte: »Na, am 17. Juni [1954] wird gefeiert.«

Nach noch nicht überprüften Meldungen ist im EKS, [Bezirk] Frankfurt, das Gerücht im Umlauf, dass in Merseburg am 17.6.1954 ein Sitzstreik durchgeführt wird. Bisher soll es noch keinen großen Umfang haben.

Verschiedentlich traten Missstimmungen auf, deren Ursachen meist Norm- und Lohnfragen sind. Ein Kollege vom VEB Plasta in Sonneberg, [Bezirk] Suhl, sagte, »dass in dem Betrieb Normenerhöhungen vorgenommen wurden, ohne vorher mit den Kollegen darüber zu sprechen«. Die Diskussionen und die Stimmung sind in diesem Betrieb daraufhin schlecht.

In dem VEB Leukalhütte Muskau,8 [Kreis] Weißwasser, [Bezirk] Cottbus, wurden im letzten Monat in einigen Abteilungen Normberichtigungen durchgeführt. Dadurch werden Lohnschmälerungen bis zu 30 Prozent eintreten.

Auf der Baustelle Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, kündigte eine gesamte Maurerbrigade. Sie arbeiten zzt. an einem Bauvorhaben mit vielen Ecken und Pfeilern, wo nun aufgrund der Kündigungen die Norm nicht erfüllt werden kann.

Auf der Außenbaustelle Hagenow der Bau-Union Schwerin kündigten gestern zwei und heute eine Maurerbrigade geschlossen. Die Kollegen geben die verschiedensten privaten Gründe für ihre Kündigungen an, wie z. B. in Zukunft am Heimatort bei ihrer Familie arbeiten zu wollen usw.

Der [Wismut-]Schacht 126 in Johanngeorgenstadt9 hat seinen Plan nur zu ca. 60 Prozent erfüllt. Das ist dadurch entstanden, dass man bei den Gesteinshärteprüfungen besondere Bohrmaschinen verwendete, die die Bohrzeit gewaltig herabsetzen und nicht die Bohrmaschinen der Hauer. Dementsprechend waren die Normen ziemlich hoch festgesetzt. Unter den Hauern hat dies eine große Verärgerung ausgelöst.

Unter den Bauarbeitern der Bau-Union Friedrichswerth, [Bezirk] Erfurt, sind Unzufriedenheiten aufgetreten, da in Friedrichswerth die gleichen Normen wie in Stalinstadt bestehen, obwohl dort günstigere Bohrverhältnisse zu verzeichnen sind. Einige gute Facharbeiter haben ihre Arbeitsplätze verlassen und sind in andere Betriebe abgewandert (wird noch überprüft).

In den Plattenbrüchen in Theuma, Kreis Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, ist eine Missstimmung unter der Belegschaft zu verzeichnen, welche auf die Entlohnung zurückzuführen ist. Von den Kollegen wurde ein Schreiben bis zum Bundesvorstand des FDGB nach Berlin geschickt, was aber abgelehnt zurückkam. Einige Arbeiter äußerten hierzu: »Nun sollen sie ihren Dreck selbermachen. Entweder wir gehen zur Wismut oder wir müssen andere Maßnahmen ergreifen.«

Die Zimmerleute der Bau-Union Frankfurt/Oder im Kreise Beeskow haben in verschiedenen Fällen ihre Norm mit 140 Prozent erfüllt und nur für 102 Prozent Lohn erhalten. Trotz Versprechen wurde das Geld nicht nachgezahlt. Dadurch ist unter den Arbeitern eine Missstimmung eingetreten.

Im LEW Hennigsdorf,10 [Bezirk] Potsdam, ist zzt. eine Fluktuation an Drehern, Fräsern, Hoblern und Bohrwerksdrehern zu verzeichnen. Diese Arbeitskräfte wechseln in einen Falkenseer Betrieb über, der Landmaschinen herstellt und nach Berlin-Tarif bezahlt.

In der Kammgarnspinnerei Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, ist ebenfalls eine Fluktuation von Arbeitskräften zu verzeichnen, weil die Arbeiter mit den Lohnbedingungen nicht zufrieden sind. Um den Arbeitskräftemangel zu überbrücken, stellt der Betrieb Jugendliche von 15 bis 16 Jahren in großer Anzahl ein. Die Lehrlinge in der Kammgarnspinnerei sind nun missgestimmt, weil sie während ihrer Lehrzeit nur 50,00 und 85,00 DM erhalten, während die ungelernten Jugendlichen bereits mit einem Stundenlohn von 0,74 bzw. 0,85 DM eingestellt werden. Die Meister und Angestellten des Betriebes sind ebenfalls unzufrieden, weil nach den letzten Lohnerhöhungen der Gruppen I bis VIII mehrere Schlosser und Handwerker verdienstmäßig mit den Meistern und Angestellten mit großer Verantwortung und Fachkenntnissen gleichkommen und höherliegen.

Produktionsstörungen

Im VEB Möbelfabrik Triebes,11 [Bezirk] Gera, brach am 16.6.[1954] in der Abteilung Zuschneiderei in der Motoranlage ein Brand aus. Ursache: Vermutlich durch übermäßige Erhitzung des Öls infolge Motorenschaden. Schaden ca. 1 000 DM.

Im VEB Gardine Pausa,12 [Bezirk] Gera, entstand am 16.6.[1954] ein Brand in der Gleichrichteranlage. Ursache, vermutlich technischer Art.

Im Eisenhüttenwerk Thale, [Bezirk] Halle, kam es zu einer Maschinenstörung. Ursache: Überhitzung des Öls, wodurch es hart wurde und festklemmte. Produktionsausfall 70 t. Einige Stunden später riss die Kreuzspannschraube derselben Maschine. Produktionsausfall 85 t.

Beim Durchfahren der Unterführung der Hauptverladung in der Großkokerei Mathias Rakosi Lauchhammer, [Bezirk] Cottbus, wurde eine Lok stark beschädigt, da sie an einer herunterhängenden Schurre13 hängenblieb. Sachschaden 8 000 DM.

Im Werk Böhlen,14 [Bezirk] Leipzig, erfolgte am 16.6.[1954] eine Explosion in der Kammer IV. Ursache noch nicht geklärt. Vier Arbeiter wurden leicht verletzt. Produktionsausfall pro Tag: ca. 3–00 t [sic!] Benzin.

Im VEB Kaliwerk »Glückauf« Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, ereignete sich am 16.6.[1954] im Schacht IV eine Explosion. Ursache: Vermutlich durch Entzündung von Munition, die dort im letzten Krieg gelagert wurde. Zwei Arbeiter erlitten Verbrennungen.

Massenerkrankungen

Im Reparaturwerk für Großraumfahrzeuge Dresden erkrankten am 11.6.[1954] 28 Kollegen an schwerem Durchfall nach dem Mittagessen (Hering mit Salzkartoffeln und Mayonnaise). Ursache wird noch ermittelt.

Handel und Versorgung

  • Im Bezirk Schwerin fehlt es an Stärkeerzeugnissen und Frischgemüse.

  • Im Bezirk Magdeburg an Hülsenfrüchten und Bohnenkaffee.

  • Auf der Insel Rügen Massenbedarfsgüter.

  • Im Bezirk Gera teilweise Fischwaren und Frischgemüse, Wasser- und Melkeimer.

  • In Apolda [und] Gera Margarine, Fleisch- und Süßwaren.

  • In Görlitz lagern 26 t Fett als Überstände. Ein Teil Speck lagert schon ein halbes Jahr. In anderen Schlachthöfen des Bezirks treten ähnliche Erscheinungen auf.

  • Im Kreis Altentreptow, [Bezirk] Neubrandenburg, ist Gefrierfleisch dem Verderb ausgesetzt, weil es nicht wie früher 1: 2, sondern 1: 1 verkauft wird und die Bevölkerung diesen Verkauf ablehnt.

  • Durch Sperrung der Kreditgewährung von der Notenbank für die DHZ Lebensmittel Dresden soll die Versorgung in den nächsten elf Tagen vor der Volksbefragung dort infrage gestellt sein.

  • In Potsdam sind durch falsche Planung größere Überstände von Kopfsalat dem Verderb ausgesetzt.

  • Im Bezirk Halle macht sich durch verstärkten Einkauf von Nährmitteln (wahrscheinlich für Futterzwecke) ein Mangel an Nährmitteln bemerkbar, wovon auch das Säuglings- und Entbindungsheim in Kroppstedt15 betroffen ist.

Landwirtschaft

Zu den politischen Tagesfragen nimmt die Landbevölkerung nur wenig Stellung, die wenigen Stimmen zur Volksbefragung sind meist positiv, kommen in der Mehrzahl aus dem sozialistischen Sektor und beeinhalten im Allgemeinen den Wunsch zur Erhaltung des Friedens, um der friedlichen Arbeit nachgehen zu können. Hierzu ein Beispiel: Ein werktätiger Bauer aus Blosenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sagte: »Wir brauchen den Frieden, damit wir unsere Felder bestellen können. Wir wollen lieber 10-mal mehr auf unsere Felder fahren, als abermals in einen neuen Krieg ziehen.«

Teilweise wird die Volksbefragung als überflüssig bezeichnet, da ja doch alle für den Frieden sind und keiner den Krieg wünscht, was zum Teil auf die mangelhafte Aufklärung bzw. schlechte Vorbereitung zurückzuführen ist. So erklärte zum Beispiel ein großer Teil der Bewohner aus Neuendorf, [Bezirk] Potsdam: »Wir sind doch für den Frieden. Einen Krieg will keiner mehr. Zu was dann eine Volksbefragung?«

Feindliche Elemente, besonders aus den Kreisen der Groß- und zum Teil Mittelbauern benutzen die Volksbefragung zu neuer Hetze. Ein Großbauer aus Criewen, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Ich kann jeden Tag meinen Hof in Polen sehen. Da soll ich bei der Volksbefragung meine Stimme für den Frieden in östlichem Sinne geben? Es wird mir schwerfallen, die richtige Entscheidung zu treffen, weil im Westen doch vielleicht etwas zu erwarten ist. Wenn das im vergangenen Jahr besser organisiert gewesen wäre, wäre es auch gelungen.« Ein Bauer aus Neukirch, [Bezirk] Dresden: »Die Stimmzettel zur Volksbefragung müsste man durchstreichen und darauf schreiben: ›Wir fordern freie Wahlen‹.«

Die wirtschaftlichen Fragen stehen bei der Landbevölkerung im Vordergrund der Diskussionen. Im der MTS Polenz, [Bezirk] Dresden, fehlen Ersatzteile für Lkw, wie Bremsteile, Reifen für Traktoren und Grasmähbalken. Dadurch ist ein rechtzeitiger Ernteeinsatz nicht möglich. In Milkwitz, [Kreis] Bautzen, [Bezirk] Dresden, fehlt Gaskoks für die Schmiede.

In den Kreisen Parchim, Bützow, [Bezirk] Schwerin, fehlen in den MTS Ersatzteile für Landmaschinen, in Güstrow seit drei Wochen Zündkerzen (Heizwert 175.) In Lübzin liegen drei RS 1516 still. Es fehlen Ersatzteile.

In der Schweinemastanstalt VEG Redefin, [Bezirk] Schwerin, fehlen 600 Läuferschweine, die von den Zubringerbetrieben Boddin und Wittenberg17 nicht geliefert werden. Dadurch entsteht ein Ausfall von 1 000 Ztr. Fleisch am Jahresende.

Zu Unstimmigkeiten kam es in einigen MTS des Bezirkes Frankfurt, z. B. MTS Tornow, wegen Lohnrückstufungen und Entzug der Kartoffelkarten für Mitarbeiter, die über 2 Ar Kartoffeln angebaut haben.

Übrige Bevölkerung

Über politische Tagesfragen wird im Allgemeinen wenig gesprochen. Bei diesen wenigen Diskussionen steht die Volksbefragung im Mittelpunkt. Die bekannt gewordenen Stimmen sind meist positiv. Der Inhalt der positiven Diskussionen hat sich gegenüber dem Vortage nicht verändert. Ganz vereinzelt wurden uns feindliche Diskussionen bekannt. Ein Lagerleiter des Konsum-Lebensmittellagers Forst, [Bezirk] Cottbus: »Den Quatsch mache ich nicht mit, aufklären tue ich im Geiste frei nach Horst Wessel«.18

Über den 17.6.[1954] wurden uns folgende feindliche bzw. negative Stimmen bekannt. Eine Apothekersfrau aus Rengersdorf, [Bezirk] Dresden: »Am 17.6.[1954] geschieht im Betrieb nichts, aber dafür am 30.7.[1954], da wird ein neuer Putsch durchgeführt.« Eine Hausfrau aus Quedlinburg, [Bezirk] Halle: »Drüben im Westen ist der 17.6. ein Feiertag,19 für uns aber ein Trauertag. Wenn die Russen nicht gewesen wären, hätte die Sache geklappt. Wenn es man geklappt hätte, wäre alles in bester Ordnung.«

Ein Taxifahrer aus Potsdam organisiert einen Ausflug mit Motorbooten zum 17.6.[1954], angeblich anlässlich des katholischen Feiertages Fronleichnam. Als er weitere Personen aufforderte, an diesem Ausflug teilzunehmen, äußerte er: »Von Berlin ist Anweisung gegeben worden, den 17.6.1954 als den katholischen Feiertag zu feiern und den ursprünglichen 17. auf den 18.6.1954 zu verlegen.«20

Eine Jugendliche aus Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg, äußerte bezüglich der Verlegung von Fronleichnam vom 17.6. auf den 20.6.[1954]: »So eine Angst haben sie, dass sie sogar den Umzug zu Fronleichnam verbieten.«

Aus Rade, [Kreis] Jessen, [Bezirk] Cottbus, wurde durch einen Betriebsschutzangehörigen bekannt, dass man am 17.6.1954 eine Feierstunde im Sinne der Juni-Provokation durchführen will.

Erkrankungen: 15 Personen erkrankten durch Verabreichung von Lungenhaschee in der HO-Gaststätte »Genossenschaftsheim« Karl-Marx-Stadt (Brechreiz und Durchfall). Vermutlich war das Fleisch nicht mehr einwandfrei.

Die Kollegen im Postamt Rathenow, [Bezirk] Potsdam, sind der Ansicht, dass die Lohnfrage nicht richtig gelöst wird. Hierbei berufen sie sich auf eine Verordnung vom Juni/Juli 1953, die eine Lohnzulage für qualifizierte Kräfte beinhaltet.21 Diese Lohnzulage wurde den technischen Kräften auf dem Postamt nicht gewährt, weil sie als Angestellte geführt werden, trotzdem aber von der Gewerkschaft in Potsdam andere Versprechungen gemacht wurden. Eine andere Verfügung besagt, dass die Kraftfahrer der deutschen Post im Leistungslohn arbeiten können, was die Kraftfahrer auch wollen. Eine Rückfrage bei der Gewerkschaft in Potsdam ergab aber, dass der Leistungslohn für diese Kraftfahrer nicht infrage kommt. Die Kollegen des Postamtes diskutieren in der Form, dass alle Verordnungen und Verfügungen nichts nützen, wenn sie nicht durchgeführt werden.

Gerücht: In der Gemeinde Wiesenburg, [Bezirk] Potsdam, kursiert das Gerücht, dass sowjetische Offiziere Aufzeichnungen von verschiedenen Häusern und Straßen gemacht hätten und dass in Kürze Häuser geräumt werden müssen.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftverteilung

Unbekannte Feindzentrale:22 Cottbus 10 000, Gera 98, Schwerin 300, Karl-Marx-Stadt 6 122.

»Deutsche der Bundesrepublik«:23 Wismutgebiet 120, Neubrandenburg 624, Frankfurt 54 000.

SPD-Ostbüro:24 Gera 8, Erfurt 3 100, Halle 38, Suhl 1 026, Erfurt 2 000.

FDP-Ostbüro: Gera 5, Neubrandenburg 51.

NTS:25 Neubrandenburg 13, Frankfurt 80, Dresden 4.

In tschechischer Sprache: Karl-Marx-Stadt 47, Dresden 272.

Die Flugblätter wurden in der Mehrzahl sichergestellt.

Antidemokratische Tätigkeit

In insgesamt drei Fällen wurden in den Bezirken Schwerin, Potsdam und Frankfurt/Oder Plakate zur Volksbefragung abgerissen. In den Bezirken Erfurt, Magdeburg, Halle, Suhl, Rostock, Gera und Potsdam kam es zu vereinzelten Schmierereien von Hetzlosungen, die sich zum großen Teil gegen die Volksbefragung richteten. In vereinzelten Fällen handelt es sich auch um das Anbringen von Hakenkreuzen. In Pennigthal,26 Kreis Jena, [Bezirk] Gera, wurde ein Feldteil in Form eines Hakenkreuzes besonders stark gedüngt, wodurch jetzt nach Aufgehen der Saat ein Hakenkreuz im Feld deutlich zu erkennen ist.

In Malchin, Kreis Waren,27 [Bezirk] Neubrandenburg, wurde eine Hinweistafel zum Abstimmungslokal von unbekannten Tätern entfernt und in ein Gebüsch geworfen.

In Marzahna, Kreis Brandenburg,28 [Bezirk] Potsdam, wurde ein Schaukasten des DFD zertrümmert und an die Haustüren von DFD-Funktionärinnen wurde »W und [Dreizack]«29 angeschmiert.

In Potsdam wurde eine schwarz-rot-goldene Fahne von zwei angetrunkenen Jugendlichen heruntergerissen. Zwei Zivilisten, welche sie daran hindern wollten, griffen sie tätlich an. Die Täter wurden festgenommen.

Gefälschte Schreiben: Eine Gemeinde im Kreis Hettstedt und sechs Gemeinden im Kreis Quedlinburg, [Bezirk] Halle, erhielten gefälschte Schreiben des VPKA, dass vom 16. bis 18.6.1954 sämtliche Veranstaltungen abzusagen sind und Schlafstellen für die VP-Helfer eingerichtet werden müssen.

Drohungen gegenüber Funktionären: Am 16.6.1954 wurde gegen 14.40 Uhr bei dem »Verdienten Eisenbahner« und Volkskammerabgeordneten Hermenau30 in Schwerin von einer unbekannten Person angerufen und der Ehefrau mitgeteilt, dass sich ihr Mann auf dem morgigen Tag vorbereiten soll, dann würden sie es ihm zeigen, was 17. Juni heißt.

Der Bürgermeister von Georgenthal, Kreis Gotha, [Bezirk] Erfurt, erhielt einen anonymen Brief, in welchem gedroht wird, dass am 17.6.1954 das Bürgermeisteramt gestürmt werden soll.

Nach einer Diskussion mit Jugendlichen in einer Gaststätte in Lübben, [Bezirk] Cottbus, die eine westdeutsche Delegation provozierte, wurden der anwesende BGL-Vorsitzende des Trikotagenwerkes Spree und der Abteilungsleiter für Sozialwesen vom Rat der Stadt nach Verlassen der Gaststätte von unbekannten Tätern angegriffen und niedergeschlagen.

Die in der Strafvollzugsanstalt Hoheneck,31 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, inhaftierten Zeugen Jehovas32 setzen unter den Strafgefangenen ihre Feindtätigkeit fort (Produktionsrückgang, Verdacht der Diversion an Maschinen, Abreißen von Lohnabrechnungen und Statistiken). Die anderen Strafgefangenen werden dahingehend beeinflusst, dass bald die Befreiung käme. Das hat zur Folge, dass die Anweisungen des Wachpersonals nur mangelhaft befolgt werden.

Vermutliche Feindtätigkeit

Die BS-Wache des VEB Sodawerke Buchenau, Kreis Eisenach, [Bezirk] Erfurt, erhielt einen fingierten Telefonanruf, wonach die FDJ-Kreisleitung Auskunft über die Parteileitung verlangte und fragte, ob alles in Ordnung ist. Das Gespräch wurde durch eine Gegenfrage unterbunden.

Jugendliche und Erwachsene des Kreises Oschersleben fuhren mit den Fahrrädern nach Hadmersleben, [Bezirk] Magdeburg, um an einem katholischen Jugendtreffen teilzunehmen. Das Treffen fand ohne Genehmigung statt.

In der LPG »Ernst Thälmann« in Oschatz, [Bezirk] Leipzig, verendeten am 16.6.1954 ca. 20 Schweine. Vorläufige Untersuchungen ergaben den Tod durch Vergiftung. Bei einem Großbauern aus Steina, Kreis Döbeln, [Bezirk] Leipzig, erkrankten ebenfalls fünf Stück Jungvieh an einer Viehvergiftung.

Im VEB Baumaschinenwerk Eilenburg,33 [Bezirk] Leipzig, entgleiste am 16.6.1954, gegen 10.00 Uhr der 2,8 t-Kran der Halle III. Ursache: quergelegtes Brett über der Kranbahn.

Im Edelstahlwerk Döhlen, Kreis Freital,34 [Bezirk] Dresden, sollte nach dem Ausfall des Magnetkranes ein Reservemotor, welcher vom Februar bis April zur Generalüberholung war, eingesetzt werden, dabei wurde festgestellt, dass sich in dessen Kugellager Sand befand.

Im VEB Ifa Phänomenwerk Bautzen,35 [Bezirk] Dresden, wurde das Sitzkissen eines Fahrzeuges ca. 5 cm mutwillig zerschnitten.

Im Stahlwerk Gröditz, [Bezirk] Dresden, befanden sich im Schrott der Tempergießerei der Kopf einer Handgranate und Teile einer Panzerfaust.

Im Bezirk Potsdam wurden in zwei Fällen an Bürger der DDR falsche Hinweise betreffs Volksbefragung gegeben. Einem Landwirt wurde gesagt, dass das Kreuz in den Kreis gehört, wo »EVG«36 steht. Eine Einwohnerin von Treuenbrietzen, Kreis Jüterbog, wurde von einer unbekannten Person aufgesucht und ihr gesagt, dass sie auf dem Stimmzettel einen dritten Kreis einzeichnen und darin ihr Kreuz machen solle. Damit würde sie die Interessen der deutschen Nation vertreten und Adenauer37 wählen. Die beiden bereits eingezeichneten Kreise würden bedeuten: der erste, »die Stimme den Amerikaner und der zweite die Stimme den Russen« zu geben (noch nicht überprüft).

Westberlin

Am 16.6.1954 nahmen ca. 4 000 bis 5 000 Personen an der Kundgebung auf dem Oranienplatz teil. Unter den Teilnehmern befand sich eine Delegation aus Thüringen und Magdeburg in Stärke von ca. 60 Personen, die eine Botschaft der »unterdrückten Ostzonenbewohner« verlas und erklärte, dass sie weiterkämpfen werde, bis das »Terrorregime gestürzt ist«. Der Beifall war mäßig, hauptsächlich klatschte nur die erste Reihe.

In großer Anzahl wurden Hetzschriften und Flugblätter verteilt. Bewohner des Demokratischen Sektors wurden von der Stummpolizei38 aufgefordert, den DS einzeln zu betreten.

Am 14.6.1954 fand in Berlin-Charlottenburg eine Versammlung der »Berliner Gesellschaft 1948 e. V.« statt,39 auf der Rainer Hildebrandt40 sprach. Unter anderem sagte er zum Scheitern des 17.6.[1953], dass die westlichen Dienststellen im entscheidenden Moment mit der Leitung versagten. Bei seinen Ausführungen kam ganz offensichtlich zum Ausdruck, dass westliche Dienststellen den 17. Juni [1953] organisiert hatten.

Anlage 1 vom 17. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2237

Produktionsschwierigkeiten, die in verschiedenen Betrieben meist wegen Materialmangel infolge Terminverzögerungen durch Zulieferbetriebe und wegen Arbeitskräftemangel auftreten

Über diese Schwierigkeiten herrscht oft Unzufriedenheit unter den Kollegen. In der Neuhofer Konservenfabrik, [Bezirk] Potsdam, fehlt Gemüse. Die Arbeitskräfte sind nicht ausgelastet und müssen mit Gelegenheitsarbeiten beschäftigt werden. Sie können aber nicht entlassen werden, weil bei einem großen Arbeitsanfall die Arbeitskräfte wieder fehlen würden.

Im Hüttenzementwerk Ost in Stalinstadt fehlt Klinker, welcher schon seit längerer Zeit vom Kalk- und Zementwerk Rüdersdorf schlecht geliefert wird. Ein Arbeiter äußerte: »Wir von unserer Brigade wollen gern unseren Produktionsplan erfüllen bzw. übererfüllen aber wenn dieser Zustand nicht bald geändert wird, bleiben wir immer das Schlusslicht.« Ähnliche Diskussionen gibt es auch im Reifenwerk Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder In Finow wird seit ca. einem Jahr an Wohnblöcken gebaut, die bis zum Juni 1954 bezugsfertig sein sollen. Voraussichtlich sollen sie jetzt im Oktober oder November soweit sein, weil es an Material mangelt. Ein ähnlicher Zustand herrscht teilweise auch in Erkner und anderen Wohnblockbauten.

Im VEB Eichsfelder Strumpfwarenfabrik, Heiligenstadt, [Bezirk] Erfurt, sind Schwierigkeiten aufgetreten, weil die Zubringerbetriebe ihre Terminverträge nicht einhalten, und es besteht die Gefahr, dass einige Produktionsabteilungen völlig zum Stillstand kommen. Ähnliche Schwierigkeiten sind im Fernmeldewerk Arnstadt zu verzeichnen. Der Zubringerbetrieb Treptower Transformatorenwerk41 liefert keine Dreiwähler. Da der Arnstädter Betrieb auch keine Stahlrohre erhält, ist der Lieferauftrag von 3 000 bis 4 000 Kühlschränken für den Massenbedarf gefährdet.

Im VEB Sägewerk Welzow,42 [Bezirk] Cottbus, fehlt wasserfester Leim. Dieser Leim wurde vom ehemaligen SAG-Betrieb Piesteritz bezogen. Seit dieser Betrieb in Volkseigentum überging, ist die Belieferung sehr mangelhaft geworden.43

In der Karbidfabrik Buna,44 [Bezirk] Halle, macht sich der Arbeitskräftemangel sehr stark bemerkbar. Die Kollegen sind teilweise sehr ungehalten, weil sie Freischichten fahren müssen. Laut Stellenplan fehlen 50 Kollegen. Im Bau G 32 des Buna-Werkes trat ein Engpass in der Beschaffung von Ersatzteilen ein. Die Lieferbetriebe haben große Materialsorgen, wodurch sich die Liefertermine verschieben. Es handelt sich um Redlerketten, Bechwerkketten45 und Vergaserersatzteile für die Acetylenfabrik. Die Lieferfirmen sind VEB »Karl-Liebknecht«-Werk Magdeburg46 und VEB Mühlenbau Dresden-Zschachwitz.47

Zur Ergänzung des gestrigen Berichtes über die Ausfälle der Siemens-Martin-Öfen im Stahlwerk Thale wird bekannt,48 dass keine Generalreparaturen durchgeführt werden, da keine Mittel dafür vorhanden sind.

In der Spinnerei und Weberei Ebersbach, [Bezirk] Dresden, wird die geregelte Produktion gefährdet, weil die Fa. AGFA Wolfen in Bitterfeld die Zellwolle sehr unregelmäßig liefert.

Im VEB Glasfabrik Brockwitz, [Bezirk] Dresden, besteht ein sehr starker Arbeitsmangel, sodass es in den letzten acht Wochen zu Produktionseinschränkungen gekommen ist.

Anlage 2 vom 17. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2237

Stimmung in Betrieben des demokratischen Sektors von Berlin

Über aufgetretene negative Diskussionen bei den durchgeführten Versammlungen mit dem Thema: »Ein Jahr neuer Kurs«49 wird aus folgenden Betrieben berichtet.

Im VEB Berliner Metall-, Hütten- und Halbzeugwerke Niederschöneweide wurde in der Rohlingsdreherei in der Diskussion über den neuen Kurs von einem Kollegen die Forderung gestellt, die Löhne und Lebensmittelkarten zu erhöhen oder die Preise zu senken. Dieser Forderung schlossen sich mehrere Kollegen an.

Im VEB Wälzlagerfabrik [Berlin-Lichtenberg] brachten Kollegen zum Ausdruck, dass die Preise noch zu hoch sind, die Warenstreuung besser sein müsste und mehr Massenbedarfsgüter auf dem Markt notwendig wären.

In der Abteilung Lohnbüro wurde zu den Beschlüssen vom 9. und 11.6.1953 nicht Stellung genommen,50 sondern man ging auf die Angelegenheit einer Kollegin ein, deren Mann bis 1945 Leiter der NSV im Bezirk Lichtenberg war, 1945 verhaftet wurde und bis heute nicht zurückgekehrt ist. Die Kollegen diskutierten, dass man kein Vertrauen zu den Maßnahmen der Regierung haben kann, wenn neun Jahre nach dem Kriegsende keinerlei genaue Auskünfte über den Verbleib des Mannes der Kollegin gegeben werden können.

Eine weitere Diskussion fand in der Schleiferei des Betriebes statt, bei der eine Kollegin äußerte: »Die Kollegen gehen alle kaputt, wenn weiter in drei Schichten gearbeitet wird. Der Lohn der Arbeiter ist so gering, dass sie nicht einmal ins Kino gehen können. Die Karten für die Schwerbeschädigten sind so gering, die Wohnungen in der Stalinallee zu teuer.« Eine andere Kollegin erklärte: »Um überhaupt leben zu können, war ich jetzt gezwungen, in eine Laube zu ziehen.«

Über schlechte Arbeitsmoral von Bauarbeitern wird Folgendes berichtet: Im VEB Isodont Weißensee51 arbeiten Bauhandwerker von der Treuhandfirma Herkler52 Weißensee, Pistoriusstraße 106. Von diesen Arbeitern hat am 10.6.[1954] eine fünfköpfige Putzerkolonne plötzlich mit der Arbeit aufgehört und erklärt, sie wird nicht weiterarbeiten, sondern kündigen, weil es zu warm im Raum und zu schlechte Luft sei. Die Kolonne verließ am 10.6.[1954] während der Arbeitszeit die Baustelle. Eine neue Putzerkolonne nahm am 12.6.[1954] mit zehn Mann die Arbeit auf, am 14.6.[1954] wollte auch diese Kolonne nicht weiterarbeiten und kündigen. Als Grund gaben sie an, dass sich der von der Fa. Merkler [sic!] gelieferte Mörtel für Deckenputz nicht eigne und es deshalb keinen Zweck für sie hat, weiterzuarbeiten. Die Hinweise des Poliers, dass mit der nächsten Fuhre wieder Deckenmörtel kommt, ließen sie unbeachtet. Die zehn Mann kauften sich in der Betriebs-HO Schnaps und betranken sich während der Arbeitszeit.

Aus dem VEB Bau-Union wird berichtet, dass unter den Bauarbeitern die Tendenz verbreitet wird, dass man weniger arbeiten muss, um die Bauleitung zu zwingen, die Normen herabzusetzen. Diese Bestrebungen wurden durch die technische Abteilung unterstützt. Im selben Betrieb ist eine Brigade äußerst negativ. Sie wurde aus arbeitstechnischen Gründen nach der Baustelle Wotanstraße versetzt. Auch hier traten sofort Unruhe und Unzufriedenheit ein, nachdem die Brigade die Arbeit aufgenommen hatte.

Ein Arbeiter der Baustelle Autobauhof Weißensee berichtete, dass eine gewisse Unzufriedenheit unter den Kollegen durch Wegnahme der HO-Verkaufsstelle in der vergangenen Woche vorhanden ist. Als Begründung wurde angeführt, dass die Verkaufsstelle unrentabel ist, dies trifft aber nach Meinung der Berichtenden nicht zu, da Kollegen mehrerer Betriebe dort eingekauft haben. Jetzt müssen die Kollegen bis zum TRO II53 laufen, um etwas einkaufen zu können. Diese Verkaufsstelle ist aber nur während der Arbeitszeit geöffnet, sodass beim Einkaufen Arbeitszeit verloren geht.

Die Intellektuellen des VEB Schering54 kamen am 10.6.[1954] in Grünau zusammen, wozu [Name] einen Bericht über den Vortrag, den Minister Selbmann55 in Leuna vor dem wissenschaftlichen Rat gehalten hat, gab. Laut Tagesordnung sollte eine Resolution, die von Chemikern in der DDR über das Verbot der Wasserstoffbomben gefasst wurde, verlesen und zur Diskussion gestellt werden. Zum Erstaunen der Anwesenden wurde festgestellt, dass die Resolution nicht vorhanden war.

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