Zur Beurteilung der Situation
6. Februar 1954
Informationsdienst Nr. 2107 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Der Verlauf der Viererkonferenz wird weiterhin von einem großen Teil der Arbeiter und Angestellten interessiert verfolgt.1 In Diskussionen kommt oft zum Ausdruck, dass sie die Reden des Außenministers Molotow2 begrüßen und die Vorschläge der SU, besonders zur Deutschlandfrage,3 sowie das Memorandum der Regierung der DDR zustimmend aufnehmen.4 Dabei wird meist nur allgemein von den Vorschlägen gesprochen5 und nur im geringen Umfang zu bestimmten Vorschlägen Stellung genommen. Ein großer Teil der Arbeiter des Sägewerks Fürstenberg, [Bezirk] Potsdam, bringt zum Ausdruck, dass sie erkennen, dass der Außenminister Molotow mit seinen Vorschlägen den Frieden in der Welt unbedingt erhalten will.
Die Brigade »Franz Godzor« vom Fortschritt Schacht 1 des Mansfeld Kombinats »Wilhelm Pieck« in Eisleben, [Bezirk] Halle, fuhr am 5.2.1954 aus Anlass der Vorschläge des Genossen Molotow eine Stoßschicht. Die Kumpels sehen in den Vorschlägen des Genossen Molotow eine große Errungenschaft für die Werktätigen ganz Deutschlands.
Zum Vorschlag des Genossen Molotow, dass vor der Durchführung von Wahlen die Besatzungstruppen aus Deutschlands abziehen sollen, wird bisher nur vereinzelt diskutiert. Überwiegend sind die bekannt gewordenen Stimmen positiv. Sie stammen oft von fortschrittlichen Arbeitern und Angestellten, weniger von Indifferenten. In der Abteilung Löterei des VEB Simsonwerkes in Suhl diskutieren die Kollegen positiv zu dem neusten Vorschlag von Außenminister Molotow, z. B. sagte der Kollege [Name] (ehemaliger Faschist), jetzt parteilos: »Ich verstehe nicht, dass die Vorschläge Molotows, die real sind, von den übrigen Außenministern abgelehnt werden.«
Die Kollegen der Plankommission beim Rat des Kreises Hildburghausen, [Bezirk] Suhl, brachten zum Ausdruck, dass Molotow mit seinem Vorschlag jedem ehrlichen Deutschen aus dem Herzen gesprochen hat. Sie verpflichteten sich, sofort in Haus- und Hofgemeinschaften erneut über diesen Vorschlag zu diskutieren.
Der Instrukteur des Bezirksvorstandes der IG Textilbekleidung Leder von Gera (SED) sagte Folgendes: »Molotow treibt die westlichen Außenminister mit seinen Vorschlägen immer mehr in die Enge. Wir alle wollen doch wirklich freie Wahlen haben und keine amerikanischen.6 Deshalb ist der Vorschlag Molotows – Abzug der Besatzungstruppen vor Durchführung der Wahl – richtig und gleichzeitig ein Vertrauensbeweis der SU gegenüber der deutschen Arbeiterklasse.«
In ablehnenden Stimmen kommt zum Ausdruck, dass die Besatzungsmächte verbleiben müssten, da sie die Wahlen vorbereiten würden und strittige Fragen zu klären hätten. Diese Stimmen kommen überwiegend aus Kreisen der Angestellten.7 Eine Brigade im Reichsbahnausbesserungswerk Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, verweigerte bei der neuen Unterschriftensammlung, ihre Unterschriften zu geben.8 Die Kollegen erklärten Folgendes: »Wir wollen erst freie Wahlen und dann eine gesamtdeutsche Regierung.«
Ein parteiloser Angestellter vom Postamt Schwerin: »Die Bildung einer provisorischen Regierung ist nach meiner Ansicht nicht notwendig, da die Besatzungsmächte an der Ausarbeitung eines Wahlgesetzes beteiligt sein werden und so auch die Regierung einsetzen.«9
Der Hauptbuchhalter aus der Farbenfabrik Nerchau, [Bezirk] Leipzig: »Wenn jetzt selbst die Besatzungsmächte sofort abziehen würden, so hätten wir hier Volkspolizei und drüben wäre die Stummpolizei.10 Dadurch würde es niemals zu einer Einigung kommen.«
Diskussionen gegen die Vorschläge des Außenministers Molotow sind weiterhin im geringen Umfang von Arbeitern und Angestellten bekannt geworden. Darin wird hauptsächlich gefordert, dass »freie Wahlen« abgehalten und die Oder-Neiße-Grenze revidiert werden soll.11
Der Bezirk Dresden meldet, dass Provokateure in mehreren Betrieben verstärkt versuchen, feindliche Argumente unter den Arbeitern zu verbreiten. Als Argumente treten besonders in Erscheinung: »Warum werden die Reden der westlichen Außenminister nicht vollständig veröffentlicht. Wenn man die Westsender einstellt, so könnt ihr über diese Reden vollständig Bescheid erhalten. Wie ist es möglich, dass sich die Außenminister nicht einigen, wenn sie sich doch zum Essen zusammenfinden. Die Außenminister mögen dafür sorgen, dass die Umsiedler wieder heimkehren können. Wir wollen freie Wahlen, wie sie in Westdeutschland durchgeführt wurden.«
Der größte Teil der Beschäftigten in der Karbidfabrik der Chemischen Werke Buna, [Bezirk] Halle, will freie Wahlen unter der Bedingung, dass jeder wählen kann, was er will. Sie sind der Meinung, dass dadurch die SED einen Schlag bekommen wird und abtreten muss.
Im Schamottewerk Wetro Dresden vertreten selbst Mitglieder der ZBGL feindliche Auffassungen in Bezug auf die Oder-Neiße-Grenze, dies wirkt sich auf die Stimmung im Gesamtbetrieb sehr stark aus.
Ein Arbeiter im VEB Textilmaschinen Neustadt,12 [Bezirk] Gera: »Wir bekommen nicht eher Frieden, bis die alten Grenzen durch Revidierung der Oder-Neiße-Grenze wieder geschaffen sind. Deshalb hat es gar keinen Zweck, wenn man so lange verhandelt. Wenn diesmal wieder nichts zustande kommt, dann kommt wieder einmal ein 17. Juni.«
Ein Arbeiter aus dem VEB Metallgusswerk aus Leipzig: »Adenauer13 ist doch mit einer großen Stimmenmehrheit gewählt worden.14 Das zeigt doch, dass es drüben wirklich freie Wahlen waren. Unsere Wahlen im Jahre 1950 dagegen waren falsch. Wir durften dabei nicht einmal Bleistifte anwenden.«15
Kollegen einer Abteilung des LEW Henningsdorf, [Bezirk] Potsdam: »Wir wollen keinen Krieg, aber ein neues Deutschland und unbedingt freie und geheime Wahlen, aber nicht so wie 1950, wo auf dem Zettel bloß ja und nein stand, sondern es müssen alle Parteien aufgeführt sein.«
Ein Tischler aus dem Reichsbahnausbesserungswerk Halberstadt, [Bezirk] Magdeburg: »Molotow soll machen, dass er nach Russland kommt. Das deutsche Volk lässt sich nicht bolschewisieren. Wenn die Arbeiter sich einig sind, werden sie die Bolschewiken zum Teufel jagen. Wenn es einmal anders kommen sollte, dann reichen die Bäume und Telegrafenmaste nicht aus, um die Kommunisten aufzuhängen.«
Negative Stimmen gegen das Memorandum der Regierung der DDR werden besonders aus dem Bezirk Potsdam bekannt, wonach das Memorandum störend für die Konferenz sein könnte. Ein parteiloser Arbeiter aus der Abteilung Hochbau der Bau-Union Brandenburg: »Das Memorandum ist zu hart und wird von den Außenministern nicht anerkennt werden.«
Zweifelnde Stimmen zu einem erfolgreichen Ausgang der Konferenz werden weiterhin von Arbeitern und besonders Angestellten aufgrund der negativen Haltung der Westmächte vor allem aus den Bezirken Magdeburg, Frankfurt und Karl-Marx-Stadt laut. Im Elektromotorenwerk Wernigerode, [Bezirk] Magdeburg, wird vonseiten der Beschäftigten die Viererkonferenz sehr skeptisch beurteilt. Die Belegschaft ist zum großen Teil der Meinung, dass kein positives Ergebnis herauskommen wird. Diese Stimmung wird besonders charakterisiert durch die Diskussion eines Lagerführers, Mitglied der SED: »Das Potsdamer Abkommen ist vollkommen überholt.16 Wir brauchen ein Abkommen nach dem heutigen politischen Stand.«
Ein parteiloser Klempner aus dem Kreisbaubetrieb Jena, [Bezirk] Gera: »Wir brauchen uns gar keine Mühe mehr zu geben, als Werktätige für den Frieden zu kämpfen. Die Kapitalisten lassen sich da nicht reinreden und machen doch, was sie wollen, das zeigt ja die Berliner Konferenz.«
Diskussionen, in denen zum Ausdruck kommt, dass eine Einigung der Großmächte sowieso nicht zustande komme, werden von Arbeitern und Angestellten bekannt. Für den Inhalt dieser Diskussionen sind folgende Stimmen charakteristisch. Ein parteiloser Schlosser vom Motoreninstandsetzungswerk Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg: »In Berlin kommt keine Einigung zustande, weil Molotow von seinem Standpunkt nicht abgeht und dementsprechend keine Möglichkeit gegeben ist, die Spannung zu mildern. Eden17 hat auf der Konferenz erklärt, es sei nicht richtig, dass man in der DDR eine Streitmacht unterhält.18 Es ist richtig, wenn die Streitkräfte von der DDR und Westdeutschland sich zusammenschließen und in die EVG einbezogen werden.«19
Eine parteilose Verkäuferin bei der HO Wismut20 in Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die vier Mächte werden sich nie einig, das liegt an der SU. Da die SU nur ihre kommunistischen Interessen vertritt.« Ein Vorarbeiter vom Reichsbahnausbesserungswerk Halberstadt, [Bezirk] Magdeburg, parteilos: »Die sollen ihre Koffer packen und nach Hause fahren. In Berlin erzielen sie doch keine Einigung, wir sehen es doch in der Frage der freien Wahlen.«
Aus Kreisen der Intelligenz sind allgemein nur wenig Stimmen bekannt geworden,21 da sie sich in Diskussionen zurückhält. Ein parteiloser Ingenieur von der Mathias-Thesen-Werft Wismar, [Bezirk] Rostock: »Was soll ich zur Viererkonferenz Stellung nehmen, ich bin unpolitisch. Ich habe zwar ab und zu die Zeitung gelesen und auch von anderen Kollegen darüber gehört, aber kann mir kein Urteil darüber erlauben. Ich stelle meine Arbeit dem Werk zur Verfügung und alles andere interessiert mich nicht.«
Vereinzelt wurde heute wieder von Werktätigen gefordert, dass man auch die Reden der westlichen Außenminister veröffentlichen sollte. Ein Arbeiter aus dem VEB Farben und Lackfabrik Leipzig: »Es ist Verdummung der Massen, wenn der Wortlaut der Erklärungen der westlichen Außenminister nicht veröffentlicht wird. Wir haben kapituliert und deshalb kein Recht zur Teilnahme an der Konferenz. Aufgrund der Verhältnisse vor dem 17.6.[1953] muss es sowieso bald zum Platzen kommen.« Ein parteiloser Arbeiter aus dem VEB Wolltuch Görlitz, [Bezirk] Dresden: »Was unsere Zeitungen schreiben ist alles Lug und Trug. Warum veröffentlicht man nicht den vollen Wortlaut der Reden der westlichen Außenminister.«
Unzufriedenheit herrscht unter den Kollegen des VEB Porzellanwerk Weißwasser, [Bezirk] Cottbus, da sie neuerdings Porzellanware nur zum Erzeugerpreis kaufen können, während sie vorher verbilligt waren.
Weitere Produktionsschwierigkeiten wegen Kohlenmangel sind aus den Bezirken Karl-Marx-Stadt und Dresden bekannt.22 So muss im VEB Blechwalzwerk Olbernhau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, an allen Walzstraßen, VEB Textilveredlungswerk Glauchau Werk 1 und 2 (500 Arbeiter) und die Mechanische-Weberei im Oppach,23 [Bezirk] Dresden, die Produktion eingestellt werden.
Mangel an Leder besteht beim VEB Lederwarenwerk Lengenfeld, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt. Wodurch der Produktionsplan für Januar 1954 nur mit 63 Prozent erfüllt wurde. Automatenstahl fehlt im RFT Messgerätewerk Zwönitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wodurch in Kürze das Fließband im Zweigwerg Thalheim eingestellt werden muss. Im RAW Perleberg,24 [Bezirk] Schwerin, fehlen Bandagen für die Radreifen, wodurch mit einem Produktionsstillstand in den nächsten Tagen zu rechnen ist.
Handel und Versorgung
Im Bezirk Halle bestehen in einigen Kreisen Schwierigkeiten in der Kohlenversorgung. Im Kreis Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt, bestehen ebenfalls Schwierigkeiten in der Belieferung mit Briketts nicht nur für [die] Bevölkerung, sondern auch für die Zentrale Industrie. Die Pionier-Republik in Altenhof,25 das VEG in Hohenfinow, die Konsumkunsthonig- und Marmeladenfabrik Eberswalde, der Konsumverband Eberswalde und andere Institutionen sind nur mit 30 bis 40 Prozent ihres zustehenden Kontingents beliefert worden. Im Britzer Eisenwerk,26 EKM Finow27 u. a. Betrieben sind durch ausbleibende Belieferung ebenfalls Schwierigkeiten in der Durchführung der Produktionsaufgaben aufgetreten. Um diese Mängel zu beseitigen, wurden 1 000 Tonnen Briketts aus dem Kontingent der Bevölkerung herausgenommen, was aber dazu führte, dass Krankenhäuser, Schulen usw. nicht geheizt werden können.28
Im Kreis Angermünde hat das Gaswerk für die Herstellung von Gas nur noch für fünf Tage Kohlen vorrätig.
Die Konsumgenossenschaft Weißenfels hat in verschiedenen Verkaufsstellen größere Mengen an Schokolade [zu] lagern, die zum Teil schon unansehnlich sind. Es wird der Vorschlag gemacht, diese Schokolade auf Kindermarken zu verbilligten Preisen abzugeben.
Im Kreis Lobenstein, [Bezirk] Gera, ist im ganzen Kreisgebiet seit dem 3.2.1954 kein Benzin mehr zu bekommen.
In der Vereinsbrauerei Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, lagern für das Kontor für Import und Lagerung ca. 200 Tonnen Fleischkonserven der Staatsreserve. Bei der Kontrolle durch das Amt für Handel und Versorgung wurde festgestellt, dass sich diese Konserven bereits seit Juni 1953 in diesem Lager befinden. Die Konserven sind in Kartons verpackt, die aufgrund eines hohen Feuchtigkeitsgrades und einer Temperatur von ca. 11 Grad Wärme vollständig von der Feuchtigkeit durchdrungen sind. Größere Mengen dieser Dosen weisen bereits Rostansatz auf. Das Amt für Handel und Versorgung hat dem Kontor für Import und Lagerung sowie der Abteilung Lebensmittelindustrie in Karl-Marx-Stadt bereits des Öfteren davon Mitteilung gemacht und auf den Zustand hingewiesen.
Landwirtschaft
Aufgrund der letzten Vorschläge des sowjetischen Außenministers Molotow auf der Viererkonferenz hat sich die Stimmung auf dem Lande gebessert. War in den vergangenen Tagen ein Anwachsen der zweifelnden Stimmen zu bemerken, so zeigt sich heute die Zunahme hoffnungsvoller positiver Diskussionen unter den Landarbeitern, besonders der MTS, auch der VEG, unter den Klein- und Mittelbauern und Genossenschaftsbauern.29 Besonders überwiegen die positiven Diskussionen unter den vorgenannten Schichten laut Berichten in den Bezirken Magdeburg, Leipzig und Neubrandenburg. Konkrete Äußerungen zu bestimmten Vorschlägen des Genossen Molotow, wie Durchführung einer Volksbefragung für den Abschluss eines Friedensvertrages gegen EVG-Vertrag, Bildung einer provisorischen Regierung und Durchführung freier demokratischer Wahlen bei vorhergehendem Abzug der Besatzungstruppen, gibt es jedoch noch verhältnismäßig wenige.
In der MTS Zittau, [Bezirk] Dresden, erklärte ein Traktorist: »Wenn der Amerikaner den Vorschlag Molotows ablehnt, welcher sich auf den Abzug der Besatzungsmächte noch vor den Wahlen bezieht, so wird es einmal der Amerikaner sehr bitter bereuen müssen.«
Ein Landarbeiter vom VEG Lüssow, [Bezirk] Rostock, sagte: »Der Genosse Molotow hat sehr gute Vorschläge gemacht. Die Volksbefragung ist das einzig Richtige. Dann braucht man nicht lange zu überlegen, sondern dann wäre der Wille des deutschen Volkes eindeutig geklärt.«
Eine Arbeiterin vom VEG Zschortau, [Bezirk] Leipzig: »Der Vorschlag des Genossen Molotow über die Durchführung einer Volksbefragung in ganz Deutschland ist zu begrüßen. Er gibt uns Deutschen die Möglichkeit, selbst zu entscheiden. Meiner Ansicht nach, ist der größte Teil des deutschen Volkes für den Frieden.«
Die Genossenschaftsbauern der LPG »Neues Deutschland«, Kreis Perleberg, [Bezirk] Schwerin, sandten an die Viererkonferenz eine Resolution, worin zum Ausdruck kommt, dass sie die letzten Vorschläge des sowjetischen Außenministers (Abzug der Besatzungstruppen und Durchführung freier demokratischer Wahlen) unterstützen.
Die Traktoristen der MTS Bruchhagen, [Bezirk] Frankfurt, verpflichteten sich, sämtliche Traktoren bis zum Tage der Bereitschaft einsatzbereit zu haben,30 um somit ihren Beitrag zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands zu leisten. Damit wollen sie bekunden, dass sie sich voll und ganz hinter das Memorandum der Regierung der DDR stellen.
Die negativen Diskussionen auf dem Lande, geführt hauptsächlich von großbäuerlichen Elementen, Feinden unserer DDR und schwankenden Elementen unter den werktätigen Einzelbauern, besonders den Mittelbauern, halten weiterhin an.31 Hierbei stehen die Fragen der Oder-Neiße-Grenze, der »freien Wahlen« und »freier Wirtschaft« im Mittelpunkt der Diskussionen. Auffallend ist jedoch, dass im Zusammenhang mit diesen Diskussionen sich die Hetze gegen die DDR auch in wirtschaftlichen Fragen in einigen Bezirken verstärkt. Hervorzuheben die Bezirke Frankfurt und Schwerin. In der Gemeinde Bismark, [Bezirk] Magdeburg, wohnen 1 200 Umsiedler. Hier gibt es über die Frage der Oder-Neiße-Grenze heftige Diskussionen. Unterstützung finden diese besonders durch den Oberbuchhalter der Stadtverwaltung Mitglied der LDP,32 der äußerte: »Im Potsdamer Abkommen steht ausdrücklich, dass die Grenzen erst nach Abschluss eines Friedensvertrages festgelegt werden.«33
Ein werktätiger Bauer, wohnhaft in Oltschlot, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich würde gern in meine ehemalige Heimat nach Hinterpommern zurückkehren. Die Westmächte dringen mit Recht auf die Annullierung der Oder-Neiße-Grenze.34 Die Polen würden gerne wieder das Land den Deutschen geben, denn die haben genauso wenig Lust zum Arbeiten, wie die Umsiedler in der DDR.« Über diese Frage gibt es auch in anderen Bezirken noch starke Diskussionen, besonders im Bezirk Frankfurt/Oder.
Ein Mittelbauer aus Pasewalk, [Bezirk] Neubrandenburg: »Der USA-Außenminister ist der größte Diplomat der Welt. In der SU herrscht der Staatskapitalismus, und Russland wird in Berlin nie etwas erreichen. Denn es ist allgemein bekannt, dass es in der SU genau wie in England reiche und arme Menschen gibt. Die Industriezentren der SU glänzen von Prunk und Bauwerken und darum herum ist auch alles Mist. Die DDR betreibt die Ausräuberung des Mittelbauern und die LPG sind unrentabel.«
Ein Großbauer aus Langen Brütz,35 [Bezirk] Schwerin, erklärte: »Molotow bringt immer wieder die alten Vorschläge, welche schon einige Jahre alt sind. Aber der amerikanische Außenminister Dulles hat ihm geantwortet, wenn er nichts Neues weiß, dann solle er es lieber ganz sein lassen, denn diese alten Sachen wären ja nur langweilig und führen doch zu keinem Ziel.«
In der letzten Blocksitzung der Gemeinde Viezen, [Bezirk] Schwerin (anwesend 26 Personen) forderten die Teilnehmer, dass nicht erst eine provisorische Regierung gebildet wird, sondern sofort freie und geheime Wahlen durchgeführt werden, die sich über ganz Deutschland erstrecken.
In der MTS Jänkendorf, [Bezirk] Dresden, treten vier Arbeiter in Diskussionen sehr negativ auf: »Bei einer gesamtdeutschen Wahl werden wir für den Westen stimmen, da es uns dann besser gehen wird«, sagen sie. Diese vier Arbeiter machen die Maßnahmen unserer Regierung zur Verbesserung der Lebenslage und die Beschlüsse zur Wiedervereinigung Deutschlands fortlaufend verächtlich und beeinflussen auf diese Weise die Stimmung der Belegschaft in negativer Hinsicht.
Einige werktätige Bauern und Genossenschaftsbauern des Bezirkes Leipzig diskutieren in der Form, dass die Rede des Genossen Otto Grotewohl36 am Mittwoch zu scharf gewesen sei und die westlichen Außenminister angegriffen hätte.37 Ein LPG-Bauer aus Badrina,38 [Bezirk] Leipzig: »Wenn ich mit verhandeln will, dann darf ich nicht so wie Otto Grotewohl über die westlichen Außenminister sprechen. Man schimpft über die Remilitarisierung in Westdeutschland. Was machen wir denn mit unseren ›Olivgrünen‹? Es ist zwar freiwillig, aber im Grunde genommen doch Militär.«39
Ein Mitglied der FDJ der MTS Sondershausen: »Mit dem Vorschlag des Außenministers der UdSSR, mit Deutschland einen Friedensvertrag zu schließen, bin ich einverstanden. Ich bin aber nicht damit einverstanden, dass Streitkräfte aufgestellt werden. Denn wenn wir für den Frieden sind, brauchen wir keine Streitkräfte. Der Deutsche ist doch so, wenn er ein Gewehr bekommt, macht er eine Kanone daraus. Dass wir eine Marine zum Handel brauchen, ist mir klar, aber nicht wozu wir Flieger brauchen. Ich fasse jedenfalls kein Gewehr an und wenn sonst was kommt.«
Auf einem Ausspracheabend in der Gemeinde Wilmersdorf, [Bezirk] Frankfurt, wurde größtenteils negativ von den anwesenden Bauern diskutiert. So sagte ein werktätiger Bauer: »Ich bin gern bereit, meine Wirtschaft anderen zur Verfügung zu stellen, denn da hat man wenigstens sein Geld. Das niedrigste Subjekt ist doch der Bauer. Wenn meine Frau einkaufen will, muss ich erst das Futter vom Vieh verschieben. Im Ausbeuter-Staat bezahlte man uns einen ganzen Zentner Getreide, heute werden uns nur 90 Pfund bezahlt, das ist Betrug. Wenn wir keine Unterstützung bekommen, gehen wir vor die Hunde. Wir werden unser Schwein auffressen und sagen dann auf Wiedersehn. Ihr braucht euch nicht zu wundern, wenn wir im Frühjahr alle weg sind. Die Regierung soll uns sagen, wo wir Geld hernehmen sollen, um die Futtermittel zu kaufen. Das Getreidesoll wird nicht gesenkt. 100 Zentner Getreide bringen 15 Zentner Kleie. Warum gibt man uns dieses nicht. Ihr presst uns mehr aus wie die Ausbeuter, warum gebt ihr uns keinen Stickstoff. Ich möchte mal wissen, wo die ganzen Kartoffeln bleiben. Mir ist unverständlich, dass Polen aus der hungrigen DDR Kartoffeln holen. Ihr könnt uns nicht dumm machen, gebt uns dieselben Bedingungen wie der LPG, dann können wir auch unsere Schulden bezahlen.« Diesen Worten wurde vonseiten der Anwesenden starker Beifall gezollt. Andere Diskussionen wurden in ähnlich negativer Weise geführt.40
LPG: Im Kreis Bützow, [Bezirk] Schwerin, wurde festgestellt, dass mehrere LPG des Kreises beim Jahresabschluss eine Unterbilanz aufzuweisen haben, z. B. die LPG Boitin 100 000 DM, LPG Zernin41 210 000 DM, LPG Baumgarten 174 000 DM; andere LPG haben eine Unterbilanz von 40 bis 90 000 DM.
MTS: In den einzelnen MTS-Bereichen des Bezirkes Gera kursiert das Gerücht, dass niemand zur MTS als Schichtfahrer gehen soll. Wenn nach der Außenministerkonferenz die Einheit Deutschlands besteht, werden die MTS sowieso aufgelöst und die Traktoren auf die einzelnen Dörfer verteilt.
Die MTS Kirchberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, hat Schwierigkeiten in der Ersatzteilbeschaffung.
Im Kreis Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, werden die Abschlüsse der Jahresverträge mit den MTS nur schleppend durchgeführt. Ursachen: Einerseits legen die verschiedenen Schichten der Landbevölkerung in diesem Kreis noch eine abwartende Haltung an den Tag und sagen, dass sie erst die Viererkonferenz abwarten wollen. Zum anderen versuchen die Großbauern die werktätigen Bauern zu beeinflussen, die Jahresverträge mit den MTS nicht abzuschließen,42 indem sie den Einzelbauern einreden, die MTS sei ein Pleitebetrieb und die Großbauern müssten doppelt und dreifach bezahlen.
Im Ortsteil Ruhn, [Bezirk] Schwerin, führen die dortigen Bauern Klage über die schlechten Maßnahmen der Bürgermeisterin, Mitglied der CDU.43 Im Ort herrschen schlechte Wohnverhältnisse. Die Bürger wohnen in unwürdigen Wohnungen. So wohnt eine Familie in einem ausgebauten Hühnerstall, bei dem die Decke bald einstürzt. Bei der Ablieferung stellt diese Bürgermeisterin an die Genossen der SED die höchsten Anforderungen und bemerkt: »Ihr Mitglieder der SED könnt diese Aufgaben schon meistern, sonst müsst ihr in unsere Partei eintreten.« Die Bauern verlangen die Abberufung der Bürgermeisterin.
Stimmung der übrigen Bevölkerung
Zum Vorschlag des Genossen Molotow über den Abzug der Besatzungstruppen vor der Durchführung freier demokratischer Wahlen liegen noch wenig Stimmen vor. Diese sind jedoch meist positiv. Allgemein wird in diesen Stimmen dieser Vorschlag als Weg zur Einheit und zu wirklich freien demokratischen Wahlen begrüßt. Zugleich wird von einem Teil zum Ausdruck gebracht, dass die Westmächte diese positiven Vorschläge deshalb ablehnen, weil sie darum [sic!] ihren Einfluss verlieren würden. Ein parteiloser Geschäftsführer aus Rostock: »Eine freie Wahl ohne Beaufsichtigung der Besatzungsmächte ist richtig. Wenn die Geldsäcke die Wahlen finanzieren, dann wird es ein Reinfall für uns sein und wir werden wieder auf dem Schlachtfelde für nichts und wieder nichts verbluten.«
Ein Angestellter, Mitglied der SED der HO-Gaststätten Grevesmühlen, [Bezirk] Rostock: »Diesen Vorschlag, den Molotow gemacht hat, werden die Westmächte nie akzeptieren, denn sie wissen genau, dass dann auf jeden Fall ein Deutschland auf demokratischer Grundlage errichtet wird, und die Westmächte werden dann in Europa keinen Einfluss mehr haben.«
Bei den negativen Stimmen zu den Vorschlägen der sowjetischen Delegation kommt offen [eine] feindliche Einstellung zum Ausdruck. Zum Teil wird oben genannter Vorschlag als Falle betrachtet, da die SU nicht für »freie Wahlen« sei. Besonders sind diese Stimmen in Geschäftskreisen vorhanden. Ein Tankstellenbesitzer aus Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Molotow kann Reden halten und Vorschläge bringen wie er will. Die Westmächte, vor allen Dingen der Ami, gehen auf keinen Kompromiss ein. Wenn Molotow neuerdings auch auf den Abzug der Besatzungstruppen aus ganz Deutschland pocht, um dann auch freie Wahlen durchzuführen, so betrachte ich dies als Falle.«
Ein parteiloser Ofensetzer aus Plauen: »Bei den Verhandlungen der vier Großen kann man ganz deutlich erkennen, dass sich die sogenannten kapitalistischen Staaten von dem Mann aus dem Osten nicht einschüchtern lassen. Wenn Molotow in seiner gestrigen Rede zum Ausdruck bringt, den Abzug aller Besatzungstruppen durchzuführen und dann freie Wahlen, so ist die westliche Seite bestimmt dafür.44 Nehmen wir aber Russland her, so wollen diese nur die Amis loshaben, um Gesamtdeutschland zu bolschewisieren. Für die freien Wahlen bin ich jederzeit, denn es gibt schon genug Stimmzettel.«
In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass in allen Schichten besonders bei Intellektuellen und in kleinbürgerlichen Kreisen der Gedanke über die Durchführung »Freier Wahlen« im westlichen Sinne große Verbreitung gefunden hat. Oft wird die Volkswahl 1950 in der DDR nicht als Wahl anerkannt und unsere Regierung nicht als gewählt betrachtet. Ein Student von der Technischen Hochschule Dresden: »Zur Einheit Deutschlands werden endlich ›freie Wahlen‹ durchgeführt werden müssen. Wie dann die Pankow-Regierung abschneidet,45 liegt doch klar auf der Hand. Die werden ja von nicht einmal 10 Prozent der Stimmen gewählt. Die Presse und der Rundfunk erklären immer vom ›Willen des Volkes‹. Wie dieser Wille am 17. Juni [1953] zum Ausdruck gekommen ist, ist doch klar. Das wird natürlich seinen Niederschlag auf die Wahlen haben.« Nach den vorliegenden Berichten treten dort mehrere solcher negativen Meinungen auf.
Ein Buchhalter, LDP,46 aus Pirna, [Bezirk] Dresden: »Molotow hält den Außenministern der Westmächte wieder vor, was er schon vor fünf Jahren gesagt hat und freie Wahlen lässt er nie zu. Normalerweise ist unsere Regierung gar nicht mehr tragbar.«
Ein Friseurmeister aus Eisleben, [Bezirk] Halle: »Bei einer Wahl würden Pieck47 und Ulbricht48 bestimmt nicht wieder gewählt, weil sie Russen sind.49 Grotewohl würde eventuell infrage kommen.« Auf die Frage, ob er die Volkswahlen nicht miterlebt hätte, wo unsere Regierung gewählt wurde, erklärte er: »Dies waren keine Wahlen, sondern lediglich eine Befragung und er selbst betrachtet die Regierung als nicht gewählt und vom deutschen Volk auch nicht anerkannt.« Er war der Meinung, dass selbst bei eventuell stattfindenden Wahlen 75 Prozent der Mitglieder der SED ihre Funktionäre Pieck und Ulbricht nicht wieder wählen würden.
Ein Lehrer aus Weißenfels, [Bezirk] Halle: »Ich bin gegen eine Volksabstimmung, weil da nur verlangt wird, ja oder nein zu sagen.50 Ich bin für demokratische Wahlen, wo jeder geheim wählen kann, was er will.«
Ein aus der SED ausgeschlossener Angestellter aus Potsdam äußerte gegenüber einem FDJ-Instrukteur: »Wenn freie Wahlen kommen, welche vor der Tür stehen, dann geht die SED ein und die CDU steht an der Spitze. Du wirst noch einmal zufrieden sein, wenn du von mir einen Teller Suppe bekommst. Wenn du mich wegen dieser Äußerung anzeigst, gehe ich eben ins Zuchthaus, aber ich bin noch jung und komme wieder, wir werden die Herren in Zukunft sein. Der Kommunismus wird verwelken. Du bist ja nur ein kleines Würstchen, aber die Großen werden auf den Knien rutschen.«
Nach wie vor wird insbesondere von Umsiedlern über die Oder-Neiße-Grenze negativ diskutiert. Ein Teil erhofft sich durch »freie Wahlen« die Möglichkeit zur Rückkehr in die alten Gebiete. Eine Hausfrau aus Schiffmühle, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Man sollte geheime Wahlen durchführen, dann kann ich wenigstens wieder in meine Heimat zurück.«
Einzelne negative Elemente bringen ihre Erwartungen auf neue feindliche Aktionen unverhohlen zum Ausdruck. Der zweite Bürgermeister, LDP, von Schönau, [Bezirk] Erfurt, sagte zum Bürgermeister: »Ich habe den westlichen Rundfunk gehört und dieser hat durchgebracht, dass die feindlichen Agenturen in der DDR [sic!] so gefestigt und ausgebaut sind, dass es ein Leichtes ist, mit schärferen Maßnahmen wie bisher gegen die DDR vorzugehen. Dies soll auch geschehen, wenn sich bei uns nicht etwas zugunsten des Westens ändern wird.«
Feindtätigkeit
Flugblätter und Postwurfsendungen wurden in geringer Anzahl in den Bezirken Potsdam, Suhl, Dresden und Karl-Marx-Stadt festgestellt. In den Lostüten der Geldlotterie der Volkssolidarität wurden in den Bezirken Erfurt und Gera Landkarten gefunden, welche die SU mit ihren ursprünglichen Grenzen zeigt.51 Erläuterungen und Städtenamen sind russisch geschrieben.
Hetzlosungen wurden in einer Schule in Bischofswerda, [Bezirk] Dresden, und in einer Schiffs- und Bootswerft in Rostock angeschmiert mit Forderungen nach »freien Wahlen«.
In Apolda, [Bezirk] Erfurt, wurde ein handschriftlich verfasstes Flugblatt an eine Anschlagsäule angebracht, dieses rief zum Streik und zum Sturz der Regierung auf.
Terror: Von Unbekannten wurden einer Instrukteurin der FDJ-Kreisleitung Kamenz, [Bezirk] Dresden, das Partei- und FDJ Abzeichen von der Bluse gerissen.
Diversion: Eine Wismut-Fabrik erhielt bereits mehrmals von den Chemischen Werken Wolfen,52 [Bezirk] Halle, Salzsäure, die mit Benzol verunreinigt und dadurch unbrauchbar war.
Im »Martin-Hoop«-Werk 4 in Zwickau53 trat eine Förderstörung von zwei Stunden ein. Auf ein Förderband wurden von noch nicht bekannten Personen zwei Holzkeile geworfen, die durch Festklemmen in der Umkehrrolle das guterhaltene Förderband zerrissen.
Vermutliche Feindtätigkeit
Brände: In der LPG Striegnitz, [Bezirk] Dresden, brach am 5.2.1954, gegen 5.30 Uhr im Hauptgebäude ein Brand aus.
Einschätzung
Die Diskussionen und Meinungen zu Molotows Vorschlägen sind überwiegend positiv. Jedoch äußern sich die meisten Menschen nur allgemein, ohne eingehender dazu Stellung zu nehmen. Zum Vorschlag vom 4.2.1954, Abzug der Besatzungstruppen, sind Diskussionen noch gering, aber überwiegend zustimmend. In den letzten Tagen hat die Parole »freie Wahlen« im westlichen Sinne in allen Kreisen der Bevölkerung, besonders in kleinbürgerlichen Kreisen, stärker beeinflusst. Der Gegner tritt jetzt in Diskussionen und anderer feindlicher Tätigkeit wieder offener in Erscheinung.