Direkt zum Seiteninhalt springen

Zur Beurteilung der Situation

7. Februar 1954
Informationsdienst Nr. 2109 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Breite Kreise der Werktätigen in den Betrieben verfolgen nach wie vor interessiert die Verhandlungen auf der Außenministerkonferenz.1 Viele nehmen aber auch wenig Notiz von den politischen Problemen.2 So ist für das Wochenende, wie auch für den Montag typisch, dass das Sporttoto einen der Hauptgesprächsstoffe darstellt. Verbreitet ist auch die Tendenz, die sich z. B. in der Wismut3 zeigt. Dort sagten einige Kumpel: »Was sollen wir noch groß sagen. In den Erklärungen steht alles drin, was wir wollen.4 Durch unsere Unterschriften haben wir dies auch noch bekräftigt.5 Jetzt sollen die Außenminister nur so arbeiten, dass sie die Vorschläge unserer Regierung in die Tat umsetzen.«

Durch die neuerlichen Vorschläge Molotows,6 besonders über den Abzug der Besatzungstruppen vor freien demokratischen Wahlen,7 auch über die Durchführung einer Volksbefragung,8 sind die positiven Stimmen etwas umfangreicher geworden. Die Sympathie der Arbeiter gegenüber der SU, wie auch die Antipathie gegenüber den Westmächten sind gewachsen.9 Das ist zwar noch keine allgemeine Erscheinung und tritt vor allem dort auf, wo wirkungsvoll und gut agitiert wird.

Am 5.2.1954 fand in den Buna-Werken eine Versammlung statt, in der Genosse Schirdewan10 sprach.11 Eine Brigade brachte nach dieser Versammlung zum Ausdruck: »Wenn Außenminister Eden12 den Wunsch hat, dass ein zukünftiges Gesamtdeutschland genauso aussehen soll, wie gegenwärtig Westdeutschland, dann erwidern wir ihm: ›Da machen wir nicht mit.‹« Ähnliche Stellungnahmen liegen noch von mehreren Brigaden des Werkes vor.

In diesem Zusammenhang muss aber auch erwähnt werden, dass die zweifelnden Stimmen etwas zugenommen haben.13 Dabei begrüßen viele die Vorschläge Molotows, weil aber die Westmächte diese Vorschläge erneut abgelehnt haben, haben sie die Hoffnung auf eine Einigung verloren. Andere meinen schlechthin, auf der Konferenz werde es zu keiner Einigung kommen.14 Ein parteiloser Arbeiter aus dem Synthese-Werk Schwarzheide, [Bezirk] Cottbus: »Der Russe will ja das Gute. Bloß der Franzose, der Engländer und der Schweinehund Dulles15 ist immer dagegen, und die sind nun mal in der Mehrzahl.«

Ein Arbeiter aus der Streichgarnspinnerei Pößneck, [Bezirk] Gera: »Es ist ja ganz schön und gut, was Molotow alles verlangt. Aber Dulles geht nicht darauf ein. Und wenn sich die beiden jetzt nicht einig werden, dann knallt es bestimmt nächstes Jahr wieder.«

Ein Arbeiter aus dem Synthese-Werk Schwarzheide, [Bezirk] Cottbus: »Die Außenminister werden genauso wieder auseinandergehen, wie sie gekommen sind. Eine Einigung wird wohl nicht erzielt werden.«

Im Bahnbetriebswerk Rummelsburg wird unter der Belegschaft oft so diskutiert, dass auf der Konferenz wohl über Deutschland gesprochen werde, dass aber zum Schluss doch keine Einigung zustande komme.

Im Reichsbahnausbesserungswerk Potsdam sagten mehrere Arbeiter, dass sie sich von der Konferenz nicht viel erhoffen, da ja die drei Westmächte doch alle unter einer Decke stecken würden.

Diese zweifelnden und abwartenden Stimmen sind besonders in Eisenbahnerkreisen verbreitet. Anhaltend sind die negativen und feindlichen Meinungsäußerungen.16 Darin wird vereinzelt gegen die Vorschläge Molotows argumentiert, in stärkerem Umfange werden die Revidierung der Oder-Neiße-Grenze (besonders im Bezirk Potsdam) und die Durchführung von »freien Wahlen« in westlichem Sinne gefordert. Dabei wird oft behauptet, die sowjetische Delegation lehne den Eden-Plan ab, weil sie Angst habe, dass die SED nicht genug Stimmen bekomme.17 Geringer spielen negative Elemente mit dem Gedanken eines neuen 17. Juni. In diesen feindlichen Stimmen lassen sich meist sehr deutlich die RIAS-Argumente erkennen.18 Einige bringen sogar unverhohlen zum Ausdruck, dass sie Westsender hören und dass dort Gesagte gutheißen. Aus dem Bezirk Frankfurt/Oder werden Stimmen laut, die sich in provokatorischer Weise gegen die Fahrkartensperre nach Berlin wenden.19 Wenn diese negativen und feindlichen Stimmen auch nicht an Umfang gewonnen haben, so treten sie doch wie in den letzten Tagen etwas offener auf.

Ein Arbeiter aus dem Elektrostahlgusswerk Leipzig: »Ich glaube nicht an die Ehrlichkeit des Vorschlages von Molotow. Dies ist nur wieder so ein Pferdefuß, denn der weiß ja selber, dass er bei einer Wahl hinten runterrutschen wird.«

Ein Abteilungsleiter aus dem Eisenwerk Waren, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Potsdamer Beschlüsse lehne ich ab,20 denn sie bedeuten für uns Versklavung. Von der Konferenz halte ich nichts, denn alle vier Außenminister vertreten den Standpunkt ihres Landes. Molotows Vorschläge lehne ich auch ab, denn so freundlich sind die Russen gar nicht, ich kenne sie genau.«

Im VEB Sägewerk Wittstock, [Bezirk] Potsdam (60 Beschäftigte) diskutieren fast alle Kollegen gegen die Oder-Neiße-Grenze. Einer von ihnen sagte: »Die Russen sollen uns unsere Gebiete wiedergeben, die sie uns weggenommen haben, und die Oder-Neiße-Grenze verschwinden lassen.«

Ein Wismut-Kumpel aus Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Es wird nicht zu einer Einigung kommen, so lange die Oder-Neiße-Grenze besteht. Ich höre nachts öfter die Westsender. Dort kommen ganz andere Meldungen über die Viererkonferenz durch als bei uns.«

Eine Arbeiterin aus der Pappenfabrik Weißwasser,21 [Bezirk] Cottbus: »Die Oder-Neiße-Grenze ist nicht richtig. Das Land gehört nicht den Polen, sondern den Deutschen. Die Freundschaft zur SU ist deshalb nur eine erzwungene Sache.«

Zwei Arbeiter aus dem VEB Modul Karl-Marx-Stadt: »Warum führt man nicht sofort gesamtdeutsche freie Wahlen unter internationaler Kontrolle durch. Aber sie haben Angst, dass sie dabei absaufen können und wieder arbeiten müssen.«

Ein Wismut-Kumpel aus Oberschlema: »Was Molotow sagt ist nicht immer ausschlaggebend. Man soll erst freie Wahlen durchführen und dann eine Regierung bilden. Unsere Staatsmänner sind nicht vom Volke gewählt, sondern von den Russen. Wenn freie Wahlen kommen, dann können wir ja sehen, wo die SED bleibt.«

Ein Arbeiter von der Schiffswerft Fürstenberg, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Die Russen wollen nur diktieren; wenn sie etwas zurückweichen würden, würde auch eine Einigung erzielt werden. Bei den freien Wahlen müssten alle Parteien und Organisationen zugelassen werden, auch die faschistischen.«

Ein Ingenieur aus dem Kombinat Böhlen,22 [Bezirk] Leipzig: »Wenn in Deutschland Wahlen durchgeführt werden, dann wird die SPD die meisten Stimmen erhalten und die SED wahrscheinlich stark abrutschen.«

Ein Zugführer von der Reichsbahn Frankfurt/Oder: »Der 17. Juni ruht noch nicht. Man hört und merkt, dass ein zweiter 17. Juni vorbereitet wird. Sonst würde das Volk nicht so schimpfen. Dann wird es aber schlimmer wie beim ersten Mal. Dann muss sich unsere Regierung verantworten, aber anders als damals.«

Ein Dispatcher aus dem Eisenhüttenkombinat »J. W. Stalin«: »Bei uns wird alles so hingestellt, als wäre nur das richtig, was der Russe sagt. Das andere taugt scheinbar nichts. Alle, die jetzt so schreien, haben mal ein schlimmes Ende. Denn die sind drüben alle registriert, und keiner wird verschont bleiben.« Eine Arbeiterin aus dem gleichen Werk: »Die haben wohl Angst, dass jemand nach Berlin fährt und ihnen mal die Meinung sagt, weil sie die Fahrkarten nach Berlin gesperrt haben.«

Objektivistische Tendenzen treten nach wie vor auf, allerdings nur gering. Darin wird gefordert, die Reden aller Minister zu veröffentlichen und die »Hetze« gegen die Westmächte einzustellen. In fast allen Betrieben, so wird aus Cottbus gemeldet, taucht die Meinung auf, dass man die Reden der westlichen Außenminister veröffentlichen müsse, um sich ein klares Bild machen zu können.

Ein Arbeiter aus dem VEB Gubener Wolle Guben, [Bezirk] Cottbus: »Man sollte bei uns nicht so viel Hetzpropaganda machen. Täglich sieht man Karikaturen über Adenauer23 in der Zeitung. Man spricht immer über Westdeutschland, dass dort viel Hetze gegen die DDR getrieben wird. Bei uns ist es aber bald noch schlimmer.«

Der Kohlenmangel bereitet in den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Erfurt und Potsdam noch größere Schwierigkeiten.24 Im Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf, [Bezirk] Potsdam, fielen vorübergehend zwei Elektroöfen aus. Im Kalksandsteinwerk Niederlehme, [Kreis] Königs Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam, musste die Produktion eingestellt werden.

In einigen Fällen hat sich die Lage schon etwas gebessert. Im Blechwalzwerk Olbernhau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, kann am 8.2.1954 die Produktion wieder aufgenommen werden, weil Kohlen eingetroffen sind. Im Kaliwerk Volkenroda, [Bezirk] Erfurt, ist die Produktion für die nächsten drei Tage gesichert. Die Parteiorganisation hatte durch andere Betriebe Hilfe organisiert.

Handel und Versorgung

Im Bezirk Rostock bestehen Schwierigkeiten in der Versorgung der Industrie mit Brennstoffen.25 So hat z. B. die Warnow-Werft Warnemünde nur noch für zwei Tage, die Neptun-Werft für drei bis vier Tage, die Volkswerft Stralsund für fünf Tage, die Peene-Werft Wolgast für fünf Tage und das Großkraftwerk Rostock-Bramow für zwei Tage Brennstoffe vorrätig.

Unter der Landbevölkerung des Bezirkes Halle führt man Klage, über schlechte Versorgung mit landwirtschaftlichen Bedarfsartikeln, wie Futter- und Wassereimer, auch über mangelnde Zuteilung von Weizenkleie, die für die Viehaufzucht benötigt wird.

Aus dem Bezirk Karl-Marx-Stadt wird berichtet, dass in einigen Kreisen des Bezirkes Mangel an Winterkleidung für Traktoristen besteht, sodass in letzter Zeit ein erhöhter Krankenstand zu verzeichnen ist.

Die BHZ meldet hohe Lagerbestände an Süßwaren und Dauerbackwaren. Es wird vorgeschlagen, diese zu verbilligten Preisen zu verkaufen, um die Überbestände umzusetzen.

Landwirtschaft

Der Verlauf der Viererkonferenz erweckt das breiteste Interesse bei einem großen Teil der Landbevölkerung.26 Besonders werden von breiten Kreisen der werktätigen Einzelbauern, Genossenschaftsbauern und den Landarbeitern die Vorschläge des Genossen Molotow begrüßt und die Bemühungen der sowjetischen Staatsmänner, um den Abschluss eines Friedensvertrages für Deutschland, in den Diskussionen gewürdigt. Die Stimmung unter den einzelnen Schichten der Landbevölkerung weist gegenüber den Vortagen keine wesentlichen Veränderungen auf. Gab es gestern nur vereinzelte Diskussionen zu den letzten Vorschlägen des Genossen Molotow, wie freie demokratische Wahlen bei vorherigem Abzug der Besatzungstruppen, Volksbefragung für einen Friedensvertrag gegen EVG-Vertrag,27 so haben diese Diskussionen bis heute an Umfang zugenommen.28 Die Diskussionen der Kleinbauern, auch Mittelbauern, Genossenschaftsbauern und Landarbeiter sind größtenteils positiv.

Ein werktätiger Bauer aus Liepgarten, [Bezirk] Neubrandenburg: »Wenn die Westmächte an einer Wiedervereinigung unseres Vaterlandes interessiert sind, dann müssen sie jetzt nach der Erklärung des Außenministers Molotow und dem Memorandum unserer Regierung29 ihre Einwilligung geben. Vor einer gesamtdeutschen Wahl muss erst eine gesamtdeutsche Regierung gebildet werden.«

Ein LPG-Mitglied aus Schattenberge, [Bezirk] Magdeburg: »Mit Spannung verfolge ich täglich den Rundfunk in Bezug auf die Viererkonferenz. Es ist erwähnenswert, wie sich Molotow für die deutschen Belange einsetzt. Ich begrüße es, dass die SU bereit ist, bis zum Herbst 1954 einen Entwurf für einen Friedensvertrag auszuarbeiten.«

Sogar ein Großbauer aus Groß Lunow, [Bezirk] Neubrandenburg, äußert sich positiv: »Wir wollen keine Terrorwahlen, wie im September 1953 in Westdeutschland,30 sondern Volksentscheid und Abzug der Besatzungstruppen, wie es Molotow vorschlägt, gegen EVG-Vertrag für einen Friedensvertrag.«

Diese Äußerungen sind jedoch bei Großbauern Einzelerscheinungen, denn die überwiegende Mehrzahl der Großbauern und schwankenden, von diesen beeinflussten Schichten hegt große Zweifel, nimmt eine abwartende und häufig negative Stellungnahme in Diskussionen zur Viererkonferenz ein. Die Hauptprobleme sind nach wie vor, die Frage der »freien Wahlen«, der »freien Wirtschaft« und der Oder-Neiße-Grenze.31

Ein werktätiger Bauer aus Japenzin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich bin dafür, dass richtige freie Wahlen durchgeführt werden. Die Außenminister des Westens sagen mit Recht, dass die Vorschläge von Molotow für freie Wahlen nicht richtig sind. Die Westmächte wollen die Einheit Deutschlands und richtige freie Wahlen, wie sie sein müssen. Auf eine Einigung braucht man nicht zu rechnen, da die Westmächte freie Wahlen der Weimarer Zeit wollen, welche Molotow ablehnt.«

Ein LPG-Bauer aus Commichau, [Bezirk] Leipzig: »Ich erwarte nichts Gutes von der Viererkonferenz, denn die vier Großmächte werden ohne Erfolg auseinandergehen. Man sollte doch die Vorschläge von Dulles über freie Wahlen annehmen, denn die Wahlen bei uns im Jahre 1950 waren keine demokratischen.32 In Westdeutschland dagegen sind die Wahlen richtig durchgeführt worden. Wenn es so kommt wie der Russe will, bekommen wir die russischen Methoden, wie Kolchosen. Ich will ein freier Bauer sein und bin gegen die Zwangswirtschaft bei uns.«

Als der Bürgermeister von Banzendorf, [Bezirk] Potsdam, die schwarz-rot-goldene Fahne hissen wollte, anlässlich der Viererkonferenz, sagten ihm verschiedene Bauern: »Lass das mal ruhig sein, denn es kommt doch bald anders und dann brauchst du die Fahne nicht mehr zu hissen. Warte erst mal die Konferenz ab.«

Die werktätigen Bauern in Baruth, [Bezirk] Potsdam, vertreten die Meinung, dass bei einer Volksbefragung der größte Teil der Bevölkerung für den Westen stimmen würde. Hierzu sagte ein Einzelbauer: »Die vier Mächte werden sich nicht einig und wenn sie eine Volksbefragung durchführen, dann fallen die meisten Stimmen den Westmächten zu. Bei uns in der DDR sieht es so aus, dass die meisten Funktionäre nur wegen der hohen Gehälter arbeiten.«

Ein Arbeiter – Mitglied der SED – von der MTS Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg, sagte: »Einen Abzug der Besatzungstruppen vor der Wahl kann ich mir nicht vorstellen, denn die Polizei bei uns und die drüben haben doch verschiedene Meinungen. Wenn sie dann aufeinanderprallen, gebe es doch eine Revolution. Nach meiner Meinung müssten die vier Siegerstaaten jeder ein Wahlgesetz vorlegen und das Volk entscheidet durch eine Volksbefragung, welcher Wahlvorschlag angenommen wird.«

In einer Bauernversammlung der Gemeinde Merzdorf, [Kreis] Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, wo über die Haus- und Hofgemeinschaften gesprochen wurde,33 nahmen die Anwesenden gegen die Gründung Stellung. Die Bewohner dieser Gemeinde begründeten ihre ablehnende Haltung damit, dass die Kollegen der Kreisverwaltung sich bisher ihre Wünsche und Beschwerden zwar notierten, aber keine Änderung eingetreten ist. Sie sagten, dass sie deshalb kein Vertrauen zur Kreisverwaltung mehr haben können.

Die zweifelnden Stimmen haben hauptsächlich Folgendes zum Inhalt:

Ein Landarbeiter vom VEG Loßnitz, [Kreis] Freiberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wenn man sich die Viererkonferenz betrachtet, so kann man kein Fünkchen Hoffnung mehr erhaschen. Was soll nur aus uns werden. In den Händen von ein paar solchen Herren liegt nun die Zukunft Deutschlands. Wenn wir fortwährend der Streitapfel sein sollen, so kann man uns doch gleich vernichten.«

Der parteilose Arbeitsorganisator der MTS Oettersdorf, [Bezirk] Gera: »Und wieder haben die westlichen Außenminister den neuen Vorschlag Molotows abgelehnt. Ich persönlich bin der Meinung, dass alle ausländischen Truppen Deutschland verlassen sollen und dann werden wir unsere Wahlen schon durchführen. Zwei Wochen ist nun schon beraten worden und nichts ist dabei herausgekommen. Es wird schon noch so weit kommen, dass die Außenministerkonferenz wieder ganz aufliegt.«

Im Bezirk Karl-Marx-Stadt herrscht unter einigen Bauern noch weiterhin große Unzufriedenheit und Diskussion über die Anweisung des Zentralvorstandes der VdgB, dass Großbauern über 20 ha aus den Ortsvorständen der VdgB auszuschließen sind.34 In der Gemeinde Klaffenbach kam es vor, dass zwei fortschrittliche Bauern von 20 und 21 ha ausgeschlossen wurden, was von den übrigen Bauern als Überspitzung angesehen wird und zur Folge hat, dass die Arbeit des Vorstandes brachliegt.

Im Bezirk Frankfurt/Oder liegt teilweise ein schlechtes Ergebnis der Unterschriftensammlung vor. Es wird festgestellt, dass Parteien und Massenorganisationen nicht mit dem genügenden Ernst diese Aufgabe lösten. In fünf Gemeinden wurden unter 60 Prozent Stimmen abgegeben, in 14 Gemeinden 60 Prozent in elf Gemeinden 70 Prozent, in 17 Gemeinden 80 Prozent und in fünf Gemeinden 91 Prozent, in 20 Gemeinden 100 Prozent.

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Die vorliegenden Stimmen zum Vorschlag des Genossen Molotow über den Abzug aller Besatzungstruppen vor der Durchführung freier demokratischer Wahlen sind in der Mehrzahl positiv. Immer wieder wird zum Ausdruck gebracht, dass dieser Vorschlag dem Willen aller ehrlichen Deutschen entspricht und seine Verwirklichung erst freie demokratische Wahlen ermöglicht. Jedoch äußerten bereits beim Bekanntwerden dieses Vorschlages viele Stimmen Zweifel daran, dass die Westmächte dem zustimmen werden. Ein Angestellter beim Rat des Kreises Geithain, [Bezirk] Leipzig: »Der Vorschlag des sowjetischen Außenministers Molotow über den Abzug der Besatzungstruppen vor den Wahlen mag schon richtig sein. Aber die aus dem Westen lassen sich doch auf keinen Vorschlag der Russen ein.«

Der Bürgermeister (CDU) aus Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Der neue Vorschlag Molotows ist gut, aber dass die Westmächte diesem Vorschlag zustimmen, vor allem dem Abzug der Besatzungsmächte noch vor den Wahlen, das glaube ich nicht. Man muss sehen, was in den letzten Monaten seitens der Westmächte noch getan wurde, um ihre Militärstützpunkte noch zu verstärken und weiter auszubauen. Trotzdem muss es für das gesamte Volk ein Ruf für verstärkte Einsatzbereitschaft und Aktivität zur Stärkung des Friedenslagers in Ost und West sein.«

Ein parteiloser Sattlermeister aus Saalburg, [Bezirk] Gera: »Ich bin ja gespannt, was nun wieder herauskommt auf den neuen Vorschlag Molotows, noch vor den Wahlen aus Deutschland die Besatzungstruppen abzuziehen. Dass das die Westmächte wieder ablehnen, kann ich schon im Voraus sagen, denn dem Ami geht es doch in Westberlin und Westdeutschland ganz gut. Ich wünsche jedoch, dass sie auch einmal eine schwere Pleite erleben würden.«

In gleichem Umfange wie bisher halten die Diskussionen über »freie Wahlen« im westlichen Sinne an. Besonders kleinbürgerliche Kreise hegen hierbei bestimmte Hoffnungen auf einen Sieg der reaktionären Kräfte. In einigen Stimmen wird die Volkswahl von 1950 mit den »Hitlerwahlen« verglichen. Dabei werden die »Hitlerwahlen« als demokratische Wahlen dargestellt im Gegensatz zu den Oktoberwahlen 1950. Ein Gastwirt aus Steinkirchen, [Bezirk] Cottbus: »Die Wahlen in der Ostzone waren ein Hohn. Die Hitlerwahlen waren ja noch Gold dagegen, die hatten wenigstens den geheimen Charakter gewahrt.«

Eine Hausfrau aus Güldendorf, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Die Wahlen, die bisher in der DDR durchgeführt wurden, waren keine richtigen Wahlen, da man nicht in die Wahlkabine gehen konnte, sonst wurde man als staatsfeindlich angesehen. Bei Hitler ist das anders gewesen, da konnte man in die Kabine gehen und da wussten die Leute, was sie wollten.«

Ein Stellmacher aus Saalfeld, [Bezirk] Gera: »Ich bin kein Politiker, ich bin Handwerker und weiter interessiert mich nichts. Vor allem soll doch Molotow die Vorschläge der Westmächte annehmen, damit gesamtdeutsche Wahlen durchgeführt werden können. Nach den gesamtdeutschen Wahlen wird es schon werden wie es werden soll.«

Ein Fleischermeister aus Groß Schönau, [Bezirk] Dresden: »Es ist doch nichts einfacher als freie Wahlen abzuhalten und das Ergebnis davon wird uns sagen, was werden soll. Einer von beiden wird natürlich sein Ränzlein packen müssen.«

Ein Ingenieur vom Zentralen Konstruktionsbüro Warnemünde, [Bezirk] Rostock: »Die Bildung der provisorischen Regierung ist doch nicht nötig. Wir wollen doch erst wählen und alles andere findet sich dann schon.«

In gleichem Maße wie bisher halten auch besonders unter den Umsiedlern die Diskussionen über eine Revision der Oder-Neiße-Grenze an. Eine parteilose Hausfrau aus Frankfurt/Oder: »Man weiß nicht, was bei dieser Konferenz herausspringen wird. Wir leben hier zwar nicht schlecht, aber es ist ungerecht, dass man uns aus unserer Heimat herausgeworfen hat. Die Polen lassen alles verrotten und bestellen nichts. Wir hätten doch dort leben können. Vielleicht können wir doch noch mal nach unserer Heimat zurück. Die Westmächte werden nicht mit der Oder-Neiße-Grenze einverstanden sein, sondern sie wollen, dass die Grenze so bleibt, wie sie 1945 war.«

Ein Gastwirt aus Jüterbog, [Bezirk] Potsdam: »Wenn heute auf der Außenministerkonferenz und in der Presse gesagt wird, dass die vier Großmächte schon immer für die Friedensgrenze an der Oder-Neiße waren, so kann ich nur sagen, dass Dulles schon lange nicht damit einverstanden war und der amerikanische Außenminister wird sich auch dafür einsetzen, dass dieses Gebiet wieder an Deutschland zurückgegeben wird.«35

Direkt feindliche Stimmen treten weiter nur in geringer Anzahl auf, besonders kleinbürgerliche Elemente geben hierbei ihrer Meinung Ausdruck. Ein Gastwirt aus Borau, [Bezirk] Halle: »Der Abzug aller Besatzungstruppen vor den Wahlen könnten den Russen so passen, aber die Amis wissen schon, was sie wollen, sie werden nicht rausgehen.«

Ein Einkäufer vom Konsum Kreisverband Cottbus: »Dulles hat dem Außenminister Molotow anständig Zunder verschrieben und er hatte recht mit den Ausführungen über die DDR, denn hier sind tatsächlich mehr Militärs als in Westdeutschland. Meine Meinung ist, dass, wenn freie Wahlen stattfinden würden, die Mehrzahl für Westdeutschland ist.« Zum EVG-Vertrag sagte er, dass dieser durch den Zusammenschluss mehrerer Länder die Garantie gebe, dass es nicht so schnell zu einem Kriege kommen könnte.

Aus Torgau und Wittenberg wird gemeldet, dass in den letzten drei Tagen verstärkt Fahrkarten nach dem Bahnhof Teltow verkauft wurden. Von Teltow aus benutzen die Fahrgäste die S-Bahn nach Westberlin, um so die Fahrkartensperre zu umgehen.

Die KVP-Dienststelle Blankenfelde meldet, dass der Personenverkehr aus dem Kreis Zossen nach Westberlin in den letzten Tagen um 30 Prozent angestiegen ist. Man führt dies auf die »Grüne Woche«36 in Westberlin zurück.

Organisierte Feindtätigkeit

Flugblätter wurden in geringer Anzahl in den Bezirken Potsdam und Frankfurt/Oder festgestellt.37

Antidemokratische Hetze: Im Bezirk Cottbus wurden von Unbekannten einzelne Plakate der Nationalen Front38 entfernt.39

Vermutliche Feindtätigkeit

Brände: Im VEB Wattepolsterfabrik Ketzin,40 [Bezirk] Potsdam, brach ein Brand aus, bei dem eine Baracke mit mehreren Maschinen ausbrannte. Der Schaden beträgt ca. 20 000 DM.

In Neustadt (Orla), [Bezirk] Gera, wurde eine volkseigene Brauerei (15 Beschäftigte) durch einen Brand zu 70 Prozent vernichtet.

Im VEB Chemie-Werke Kahla,41 [Bezirk] Gera, entstand durch eine Explosion mit nachfolgendem Brand ein Schaden von 2 000 DM.

Gerüchte: In Jahnsdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurde unter der Bevölkerung das Gerücht verbreitet, dass es am 30. März [1954] zu neuen Aktionen wie am 17.6.[1953] kommen würde.

Einschätzung der Situation

Die Diskussionen zum letzten Vorschlag Molotows über [den] Abzug der Besatzungstruppen noch vor den Wahlen, haben in allen Kreisen der Bevölkerung zugenommen und sind überwiegend zustimmend.

Das Verhalten der Westmächte auf der Konferenz hat die Ablehnung ihrer Politik, besonders in den Betrieben, verstärkt. Aus dem gleichen Grund nehmen hauptsächlich auch die Zweifel der Bevölkerung an einem positiven Ergebnis zu.

  1. Zum nächsten Dokument Zur Beurteilung der Situation

    8. Februar 1954
    Informationsdienst Nr. 2110 zur Beurteilung der Situation

  2. Zum vorherigen Dokument Zur Beurteilung der Situation

    6. Februar 1954
    Informationsdienst Nr. 2108 zur Beurteilung der Situation