Direkt zum Seiteninhalt springen

Zur Beurteilung der Situation

16. September 1954
Informationsdienst Nr. 2315 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Die Diskussionen über die Preissenkung vom 6.9.1954 stehen noch weiterhin im Vordergrund,1 nehmen jedoch an Umfang weiter ab. Der Inhalt der Diskussionen hat sich gegenüber den Vortagen nicht verändert. Nachfolgend einige Beispiele zu negativen Äußerungen:

Ein parteiloser Angestellter, wohnhaft in Annaberg: »Die Preissenkung ist ganz gut und schön, aber die Butter ist ja noch viel zu teuer. Naja, wir brauchen ja keine, das ist für uns ein Luxusartikel. Die fressen nun die Bonzen.«

Ein Reichsbahnarbeiter aus Frankfurt/Oder: »Was ist denn schon geschehen? Es wird viel Wind gemacht. Die Butter ist aber nicht billiger geworden.«

Ein Reichsbahnarbeiter aus Beeskow, [Bezirk] Frankfurt: »Die Preissenkung hat man nur durchgeführt, um bei der Wahl etwas zu erreichen.2 Die Sachen, die wir brauchen, werden nicht gesenkt. Nach der Wahl werden die Preise wieder steigen.« Ähnliche negative Diskussionen werden im Bezirk Frankfurt/Oder besonders in den Reichsbahnbetrieben und im Eisenhüttenkombinat geführt.

Ein Kollege aus dem VEB Stuhlfabrik Neuhausen, Kreis Marienberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die mussten ja vor der Wahl noch eine Preissenkung durchführen, sonst wären sie abgerutscht.«

Ein Arbeiter aus dem VEB Maschinen- und Apparatebau Grimma, [Bezirk] Leipzig: »In ein paar Wochen kostet alles wieder genauso viel wie vor der Preissenkung. Das haben wir ja schon öfter erlebt.«

Zu den Volkswahlen ist der Umfang der Diskussionen immer noch gering. Meist äußern sich Arbeiter und Angestellte nur, wenn sie gefragt werden bzw. in Versammlungen. Neben meist positiven Stimmen, in denen die einheitliche Kandidatenliste begrüßt wird, der Regierung das Vertrauen ausgesprochen wird und Produktionsverpflichtungen übernommen werden, sind negative Äußerungen nur vereinzelt vorhanden. So äußerte z. B. ein Kollege vom Bahnbetriebswerk Cottbus: »Wir müssten bei uns eine Opposition haben. Denn jetzt werden z. B. Volkskammerbeschlüsse so gefasst, indem einer sie vorschlägt und alle anderen die Hände heben müssen. Das Gleiche ist auch bei der Wahl.«

Über die Erklärung des Außenministeriums der UdSSR vom 10.9.19543 wird nur ganz wenig, meist von fortschrittlich organisierten Menschen, gesprochen. Unter einem großen Teil der Werktätigen ist die Erklärung nicht bekannt. In den Äußerungen wird die Erklärung begrüßt als weiterer Beweis der Friedenspolitik der Sowjetunion. Ein Meister (SED) aus dem Landmaschinenwerk Barth, [Bezirk] Rostock: »In der Note der Sowjetunion kommt klar der Friedenswille der SU zum Ausdruck, denn sie zeigt auf, welche Gefahr darin besteht, wenn Westdeutschland einem Militärblock angehört.«

Anlässlich einer Sammlung für die streikenden Arbeiter in Westdeutschland im VEB Maxhütte Unterwellenborn, [Bezirk] Gera, äußerten sich einige Kollegen negativ.4 So sagte z. B. ein parteiloser Kollege (ehemaliger Umsiedler): »Ich hätte schon oft genug Veranlassung gehabt zum Streiken. Mir ist schon so viel Unrecht geschehen, seitdem ich hier bin. Aber ich wollte mal sehen, was man mit mir macht, wenn ich die Wahrheit sage.« Ein anderer Kollege äußerte sich ähnlich und fügte hinzu: »Diese Sammlungen übertreffen ja noch die der Nazis. Ich lasse mich aber nicht zwingen, irgendetwas zu geben. Schon gar nicht von den SEDisten.«

Über Lohnfragen besteht in einigen Betrieben Unzufriedenheit.

In mehreren Abteilungen des Braunkohlenwerkes Profen, [Bezirk] Halle, fordern die Arbeiter, die im Jahre 1952 in eine niedrige Lohnstufe eingestuft wurden und sich in der Zwischenzeit qualifiziert haben, eine höhere Lohnstufe. Die BGL und die BPO erklärten jedoch, dass eine Höherstufung nicht erfolgen kann. Darüber sind die Kollegen verärgert.

Im VEB Steingutfabrik Coswig, [Bezirk] Dresden, hat ein Teil der Arbeiter gekündigt, da sie mit ihrem Verdienst nicht einverstanden waren. Angeblich können sie in anderen Betrieben bei leichterer Arbeit mehr verdienen. Dadurch besteht ein Arbeitskräftemangel bei den Brennöfen und ist der gesamte Betriebsplan gefährdet.

In den Betrieben der Ziegelindustrie des Bezirks Cottbus wird zum Teil diskutiert, dass die Entlohnung zu gering sei und eine Lohnerhöhung durchgeführt werden müsste. Die Folge hiervon ist eine Fluktuation nach der Baustelle Trattendorf und dem Bergbau.

Über den sehr schlechten Zustand des Fußbodens in der Fernmelde-Kabelfabrik beim VEB Kabelwerk Oberspree Berlin besteht unter den Kollegen eine Missstimmung. Der schadhafte Fußboden war schon wiederholt die Ursache für Betriebsunfälle. Das Ministerium für Maschinenbau, Hauptverwaltung Kabel, erklärte hierzu, dass kein Geld vorhanden sei, um den Fußboden auszubessern.

Über die Einführung der Fahrmarken (Kontrollmarken)5 in den Schiefergruben Lehesten, Kreis Lobenstein, [Bezirk] Gera, sind negative Diskussionen größeren Umfangs aufgetreten. Die Kollegen sehen nicht die Notwendigkeit dieser Maßnahme ein. Wortführend bei diesen Diskussionen sind besonders ehemalige aktive Nazis. So äußerte z. B. ein ehemaliger SS-Freiwilliger: »Ihr seid keine Arbeitervertreter, sondern Arbeiterverräter.« Ähnlich äußerte sich ein Zimmermann, welcher ehemaliger Betriebsobmann und Ortsgruppenleiter der NSDAP war. Ein anderer Kollege sagte: »Da sieht man wieder mal, dass es kein Mitbestimmungsrecht der Werktätigen gibt, sondern alles diktiert wird.«

Ein hoher Krankenstand ist im RAW Halle zu verzeichnen. Von 2 768 Werktätigen sind zurzeit 201 arbeitsunfähig. Davon sind 47 Kollegen an einer Bindehautentzündung erkrankt. Diese Erkrankung tritt in sämtlichen Abteilungen auf. Auch im Stadtkreis Halle wurde ein Anwachsen der Bindehauterkrankungen festgestellt.

Schwierigkeiten bei der Planerfüllung wegen laufender Änderungsforderungen vonseiten des Zentralen Konstruktionsbüros Wolgast und der VP See6 hat der VEB Jachtwerft Berlin-Köpenick. Darüber sind die Arbeiter der Jachtwerft verärgert, weil sie erst etwas einbauen müssen und dann wieder ausbauen.

Produktionsschwierigkeiten

In den Chemischen Werken Buna, Bau B 17, mangelt es an Essigsäure, wodurch zurzeit nicht gearbeitet werden kann. Außerdem wird wegen Strommangel im gesamten Werk der Produktionsplan nicht erfüllt.

Bei der Bau-Union Magdeburg sowie bei der Bau-Union Berlin besteht ein großer Zementmangel. So mussten z. B. verschiedene Baustellen in den Stadtbezirken Treptow und Köpenick deshalb stillgelegt werden.

In der Peene-Werft Wolgast besteht immer noch ein Mangel an Arbeitskräften, da keine Unterkunftsmöglichkeiten vorhanden sind. Von der Hauptverwaltung Schiffbau wurde bereits am 26.8.1954 versprochen, diese Frage zu regeln, jedoch wurde bis jetzt noch nichts unternommen.

Der VEB Steingutfabrik Coswig, [Bezirk] Dresden, erhält seit August 1954 sehr schlechte Rohkohle geliefert. Die Verwendung dieser Kohle ist nur nach Umbau der vorhandenen Kesselanlage möglich.

Produktionsstörungen

Am 14.9.1954 fiel im VEB Holz in Liebenwalde,7 [Bezirk] Potsdam, das Gatter durch Bruch der Lenkerschnalle aus. Das Gatter kam erst am 9.9.[1954] von einer Generalüberholung zurück. Die Ursache und die Schadenhöhe sind noch nicht bekannt.

Am 14.9.1954 wurde in der Abteilung 6 des »Karl-Marx«-Werkes Zwickau8 Rauchentwicklung festgestellt, jedoch die Arbeit nicht eingestellt. Am 15.9.[1954] brach in der Abteilung ein Brand aus. Die Untersuchungen sind noch im Gange.

Handel und Versorgung

In einigen VEAB des Bezirkes Frankfurt lagern größere Mengen Speisekartoffeln, die dem Verderb ausgesetzt sind. In den VEAB Reichenberg und Herzfelde, [Kreis] Strausberg, z. B. lagern bereits seit 14 Tagen insgesamt 1 300 Ztr.9 Speisekartoffeln. In der VEAB Blumberg, [Kreis] Bernau, ist von 15 t für den Transport bestimmter Speisekartoffeln der größte Teil verfault. Die Ursachen dafür werden verschiedentlich mit dem Mangel an Transportmitteln zu begründen [sic!]. Im Kreis Saalfeld, [Bezirk] Gera, dagegen besteht eine ernsthafte Verknappung an Kartoffeln, sodass der Bedarf nicht voll gedeckt werden kann. Die Hauptursache dafür liegt an den Lieferungen aus Mecklenburg. Mehrere Waggons davon sind von Braunfäule befallen und dadurch für den menschlichen Genuss unbrauchbar.

Die Schwierigkeiten in der Versorgung mit Zigaretten sind in den Bezirken Halle und Suhl noch nicht behoben.

Mängel in der Verteilung mit Fleisch- und Wurstwaren bestehen in Strausberg und Stalinstadt. In Stalinstadt z. B. ist zu verzeichnen, dass der Konsum keine Fleischwurst und Backwaren hat, während die Privatgeschäfte in Fürstenberg stets frische Ware in größerer Auswahl zur Verfügung haben. In Bützow, [Bezirk] Schwerin, kann der Bedarf an HO-Fleischwaren nicht gedeckt werden. Durch die schlechte Abstimmung zwischen Schlachthof und VEAB Bützow wurden dort in den letzten zwei Tagen sogar die Wurstwaren auf Marken knapp. Eine schlechte Belieferung mit Wurstwaren ist auch in Weißenfels, [Bezirk] Halle, und im Bezirk Erfurt zu verzeichnen. In verschiedenen Kreisen des Bezirkes Halle außerdem mit Eiern.

Im Kreis Herzberg, [Bezirk] Cottbus, klagen die Hausfrauen, dass die gekaufte Butter nach zwei Tagen schwarze Flecke bekommt.

Im Kreis Parchim, [Bezirk] Schwerin, klagen die Landgemeinden über das Ausbleiben der vom Bezirksrat versprochenen Verkaufszüge der HO und des Konsums.

Landwirtschaft

Im Mittelpunkt der politischen Tagesfragen stehen die Rechenschaftslegungen,10 jedoch ist die Beteiligung verhältnismäßig gering. Dabei zeigt sich, dass dort, wo sie gut vorbereitet werden und die Referenten auf die örtlichen Belange eingehen, auch meistens gute Resultate erzielt werden, wie z. B. in Altenhagen, [Kreis] Altentreptow, [Bezirk] Neubrandenburg, wo die Versammlung durch die Abgabe einer Selbstverpflichtung der LPG »Freier Bauer«, bis zum 17.10.[1954] 10 000 Liter und bis Jahresende 35 000 Liter Milch zusätzlich zu liefern, einen positiven Verlauf hatte.

Im Gegensatz dazu ist zu verzeichnen, dass verschiedentlich eine bessere Aufklärung notwendig ist. Das zeigt sich auch darin, dass fast ausschließlich nur die persönlichen Belange zur Diskussion stehen, während über die Bedeutung der Volkswahl noch große Unklarheiten herrschen. In Butzow, [Kreis] Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, z. B. äußerte man: »Was werden das für Wahlen? Man kann wählen was man will, es wird doch nicht anders.«

Interesselosigkeit und feindliche Einstellungen sowie die Ablehnung der gemeinsamen Liste ist zum größten Teil bei den großbäuerlichen Elementen und den bürgerlichen Parteien zu verzeichnen, wie z. B. im Bezirk Leipzig, wo besonders im Kreis Döbeln die Arbeit zur Vorbereitung der Volkskammerwahl der bürgerlichen Parteien sehr mangelhaft ist und eine größere Anzahl dieser Mitglieder eine ablehnende Haltung gegen die gemeinsame Kandidatenliste einnehmen.11

In der Versammlung in Beilrode, [Kreis] Torgau, [Bezirk] Leipzig, waren nur 45 Personen erschienen. Es waren meist Landarbeiter und Hausfrauen. Aus den Kreisen der Bauern besuchte niemand die Versammlung. Darüber hinaus war ebenfalls kein Genosse der Parteileitung anwesend.

In der am 13.9.1954 stattgefundenen Rechenschaftsablegung in Narsdorf, [Kreis] Geithain, [Bezirk] Leipzig, waren nur sieben Jugendliche, drei Lehrer, ein werktätiger Bauer und drei Arbeiter anwesend. Zur gleichen Zeit wurde von der Kirche ein Lichtbildervortrag durchgeführt, der sehr gut besucht war, besonders von Frauen der Groß- und Mittelbauern.

In der Gemeinde Fohrde, Kreis Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, diskutierten einige Einwohner, dass bei der Volksbefragung12 alle ungültigen und unbeschriebenen Stimmscheine für gültig erklärt worden seien und man sagte, dass man zur Volkswahl gar nicht erst hingehen wolle.

In der Schweinemästerei Bornim, [Stadt] Potsdam, diskutierte man: »Warum wird überhaupt gewählt? Es ist keine richtige Wahl, wenn man nur auf einer Liste wählen kann.«

Oftmals treten in den Versammlungen Diskussionen auf, die auf eine Beeinflussung durch den RIAS schließen. Zum Beispiel ist in den Gemeinden Tornow und Göritz, Kreis Prenzlau, [Bezirk] Neubrandenburg, das feindliche Argument der »freien Wirtschaft« verbreitet.

In diesem Zusammenhang erklärte ein Bauer aus Seehausen, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Beispiele, die uns der Referent aus der Westpresse bringt, stehen ja nur in der Linkspresse. Die Rechtspresse schreibt ganz anders. Ich habe alles verloren und durch wen? Durch die, die hinter uns kamen, die ›Russen‹. Hier darf man nicht so sprechen, wie man will.«

Mängel und Missstände

In einer Bauernberatung einiger Gemeinden des Kreises Weißenfels, [Bezirk] Halle, wurde die mangelhafte Bereitstellung von Wintergerste für die Herbstbestellung kritisiert13 und eine schnelle Belieferung des Saatgutes gefordert.

Das Bezirkskontor für landwirtschaftliche Ersatzteile Dresden klagt über die mangelhafte Belieferung von Ersatzteilen aus dem Lieferwerk für Bodenbearbeitungsgeräte Leipzig. Trotz wiederholter Mahnungen ist die Lieferung von 1 200 Stück 10 Z- und 10 ZW-Scharen für das 3. Quartal nicht erfolgt. Die MTS Radeburg, [Kreis] Dresden, kann infolgedessen den plangebundenen Aufträgen der LPG nicht nachkommen.

Die MTS des Bezirks Rostock haben Schwierigkeiten in der Beschaffung von Ersatzteilen aller Art, besonders für Kartoffelrodemaschinen.

In letzter Zeit beschweren sich wiederholt Mitglieder der LPG und werktätige Bauern, dass die Arbeit der MTS schlechter geworden ist. Die Genossenschaftsbauern der LPG Buchholz, [Bezirk] Potsdam, beklagen sich, dass zwei Dreschsätze, die jetzt dringend benötigt werden, von der MTS nicht repariert werden. Ferner, dass die LPG sich bei den Erntearbeiten nur auf freiwillige Helfer stützen kann, weil die MTS sich nicht um die LPG kümmert. Das Gleiche trifft auch bei den werktätigen Bauern zu.

In verschiedenen LPG des Kreises Bitterfeld, [Bezirk] Halle, herrscht Unzufriedenheit, weil die Produktenverteilung nicht sofort nach der Ernte vorgenommen wurde, die von den Genossenschaftsbauern gefordert wird, jedoch nach dem Statut nicht zulässig ist. Einige Mitglieder sind deswegen nicht zur Arbeit erschienen.

Im VEB Gartenbau Dresden wollen die Heizer der Niederdruckkessel ihr Arbeitsverhältnis lösen, mit der Begründung, dass ihr Einkommen zu niedrig sei. Dadurch besteht die Gefahr, dass der Betrieb im kommenden Winter ohne Heizer ist. Dieser Betrieb hat aber eine große Bedeutung im Export von Rosen und Azaleen.

Schweinepest wurde in der Gemeinde Döschwitz, [Kreis] Zeitz, [Bezirk] Halle, und der LPG Roitzsch, Kreis Bitterfeld, [Bezirk] Halle, festgestellt. Insgesamt wurden 108 Schweine notgeschlachtet. Es besteht die Gefahr, dass der Gesamtbestand von 200 Schweinen der LPG dem Schlachthof zugeführt werden muss.

Auf dem VEG Hohenbrünzow, [Kreis] Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg, wurde eine Bakterienkrankheit bei Schafen (Diplokokken) festgestellt. Bisher sind 65 Schafe verendet. Der Kreistierarzt [Name] behauptet, dass es für diese Seuche kein Serum gibt.

Übrige Bevölkerung

Die Diskussionen über die Preissenkung nehmen weiterhin an Umfang ab. Im Vergleich zu den Vortagen ist der Inhalt unverändert. Zu aktuellen politischen Problemen wird nach wie vor wenig Stellung genommen. Zum Beispiel wurden zu der Erklärung des Außenministeriums der UdSSR vom 10.9.1954 sowie zu dem Interview des Genossen Molotow mit einem japanischen Chefredakteur14 nur ganz vereinzelt Äußerungen bekannt. Zum Beispiel sagte ein Lehrer aus Quedlinburg, [Bezirk] Halle: »Wir sehen wieder an der Erklärung des Genossen Molotow, dass die UdSSR immer bereit ist, mit jedem kapitalistischen Land in Handelsbeziehungen zu treten. Voraussetzung jedoch ist immer, dass man keine aggressiven Pläne gegen das Land des Friedens hegt.«

Ein Einwohner aus Reurieth, [Bezirk] Suhl: »Ich begrüße den neuen Vorschlag der SU, denn dieser und die kollektive Sicherheit in Europa15 sind der einzige richtige Weg für Frieden und Völkerfreundschaft.«

Negativ dazu äußerte sich ein Geschäftsmann (parteilos) aus Mühlhausen, [Bezirk] Erfurt: »Eine neue Viererkonferenz16 darf nicht zustande kommen, sonst siegen die Kommunisten.« Ein Pfarrer aus Seebach, [Bezirk] Erfurt: »Dass eine neue Viererkonferenz nicht zustande kommt, dafür werden schon die kirchlichen Kreise sorgen.«

Weiterhin ist zu verzeichnen, dass zur bevorstehenden Volkswahl nur im geringen Maße Stellung genommen wird. Die Äußerungen sind überwiegend positiv. Darin wird zum Ausdruck gebracht, dass unsere Regierung ihr Vertrauen besitzt, dass sie mit der Aufstellung der gemeinsamen Liste einverstanden sind und dass sie deshalb am 17. Oktober [1954] für die Kandidaten der Nationalen Front17 stimmen werden. So sagte z. B. ein Arzt aus dem Kreis Güstrow, [Bezirk] Schwerin: »Ich bin mir dessen bewusst, dass unsere Regierung alles tun wird, um eine friedliche Vereinigung unseres zerrissenen Vaterlandes zu erzielen. Auch wir wollen nur eins, für den Frieden arbeiten, um so unseren Kindern eine glückliche Zukunft zu sichern. Meine Stimme gehört am 17. Oktober [1954] den Kandidaten der Nationalen Front.«

Negative Äußerungen sowie die Forderungen nach Parteiwahlen kommen vorwiegend aus den Reihen der bürgerlichen Parteien sowie von kleinbürgerlichen Elementen. Dabei wenden sie sich mit ihren Äußerungen in der Hauptsache gegen die führende Rolle unserer Partei. So erklärte z. B. ein LDPD-Mitglied aus Stadtroda, [Bezirk] Gera: »Hier bei uns hat die SED einen Kuhhandel mit unserer Partei gemacht. Die SED hat den Bürgermeisterposten hier in Stadtroda inne, dafür bekam die LDPD einen Volkskammerabgeordneten zugeschanzt. In Zukunft wird dann nur noch das gemacht, was die SED bestimmt und so sieht die Volkskammerwahl in der ganzen DDR aus, alles nur Bluff für die Bevölkerung.«

Ein Geschäftsmann, ebenfalls aus Stadtroda: »Ich halte nichts von den Wahlen. Die Parteien können nicht ihre eigenen Kandidaten aufstellen und wir müssen wählen, wen die SED bestimmt. Zur Wahl gehe ich, weil ich sonst Gefahr laufe, auf die schwarze Liste zu kommen.«

Ein Tischlermeister aus Burg, [Bezirk] Magdeburg, sagte zu einem Mitglied der NDPD: »Ihre Partei war feige, dass sie dem Blockausschuss zur Volkswahl zugestimmt hat. Sie hätte auf Parteiwahlen bestehen sollen, dann hätte man der SED gezeigt, wie das Volk wirklich über sie denkt.«18

In einer Mitgliederversammlung der NDPD in Dedeleben, [Bezirk] Magdeburg, wurde diskutiert: »Man müsste alle Blockparteien gegen die SED abstimmen lassen und die Blockparteien zur Erreichung der Stimmenmehrheit, außer der SED, in einem Block zusammenschließen.«19

Ein LDPD-Mitglied aus Gransee, [Bezirk] Potsdam: »Ich werde aus der Partei austreten, denn es ist doch keine Blockpolitik, wenn die SED alle leitenden Stellen besetzt hält. Die SED braucht uns jetzt nur, aber wenn die Wahl vorüber ist, dann drücken sie uns, wo sie nur können.«

In Bergsdorf bei Berlin beschwert sich die Bevölkerung über das Benehmen der KVP-Angehörigen.20 Es kommt zu Äußerungen wie z. B.: »Wenn sie nicht so viel Geld ausgezahlt bekämen, würden sie auch nicht so viel saufen. So gut möchten wir einmal unseren Urlaub verleben, wie die ihren Dienst versehen.« Oder: »Wo hat es früher so etwas gegeben, dass man sich viermal in der Woche volllaufen lassen kann, bis einer umfällt, anderenfalls im Lokal randalieren kann, wie man will.« Ein anderer Einwohner sagte: »Reibereien zwischen den einzelnen Waffengattungen hat es ja früher auch gegeben, aber nicht so etwas wie jetzt, dass sie sich gegenseitig schlagen bis zur Bewusstlosigkeit. Man ist hier seines Lebens nicht mehr sicher.«

Die Bewohner des Ortsteiles Berlin-Blankenfelde klagen über das Fehlen einer Entwässerungsanlage. Dieses Objekt ist schon seit Langem geplant. Bei starken Regenfällen läuft die Jauchegrube über und die Jauche ergießt sich über die Straße. Daraus ergibt sich die Gefahr einer Seuchenbildung.

In Saßnitz auf Rügen herrscht zurzeit großer Mangel an Trinkwasser. Von der Bau-Union werden auf der Baustelle Seemannsheim täglich größere Mengen Trinkwasser zum Einspülen des Bodens dazu verwendet. Darüber ist die Bevölkerung sehr empört und verlangt eine sofortige Abstellung dieses Zustandes.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverbreitung

SPD-Ostbüro:21 Karl-Marx-Stadt 125, Frankfurt 250, Dresden 12, Cottbus und Rostock einzelne.

NTS:22 Dresden 7.

In tschechischer Spr[ache]: Dresden 27.

»Der Tag«:23 Frankfurt 100.

Diversionen: In der Nacht vom 12. zum 13.9.[1954] wurde von unbekannten Tätern der Dreschsatz der MTS Barnitz, [Kreis] Meißen, [Bezirk] Dresden, beschädigt. Es wurden in die Trommel des Dreschsatzes mehrere Ziegelsteine geworfen.

In Rückersdorf, [Kreis] Sebnitz, [Bezirk] Dresden, wurden während der Mittagspause in den Dreschsatz der MTS zwei Holzklötze geworfen. Schaden entstand nicht, da dieses rechtzeitig bemerkt wurde.

Gerücht: In Coswig und Meißen, [Bezirk] Dresden, kursiert hauptsächlich unter den Hausfrauen das Gerücht, dass am 18.9.1954 die Welt untergehen würde.24

Im Bezirk Potsdam werden an Abgeordnete, die die Rechenschaftslegung in den Kreisen durchführen, gefälschte Referentenaufträge versandt. Die Unterschriften der gefälschten Aufträge tragen den Namen Fritz Otto und werden mit dem Siegel »Sekretariat« versehen, während die richtigen Aufträge vonseiten der Nationalen Front mit dem Siegel »Büro« gestempelt werden.25 Darin werden die Referenten aufgefordert, zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem anderen Bezirk zu sprechen.

In Dessau-Alten, [Bezirk] Halle, wurde ein amerikanischer Pkw, der mit einer amerikanischen Militär- und einer Zivilperson besetzt war, von der KVP festgehalten, weil beobachtet wurde, dass von diesen Personen die Anlagen der KVP fotografiert wurden.

Vermutliche Feindtätigkeit

In der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch wurde ein Wasserbecken von 500 cbm Fassungsvermögen völlig entleert. Vom Werk Oberoderwitz, [Kreis] Löbau, [Bezirk] Dresden, wurde ständig Wasser nachgepumpt, sodass insgesamt 1 100 cbm Trinkwasser verloren gingen. Gestern Vormittag hatte aus diesem Grunde die Stadt Neugersdorf kein Wasser, jedoch ist jetzt die Versorgung mit Wasser wieder gesichert.

Anlage 1 vom 16. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2315

Stimmung zur Leipziger Messe

Die diesjährige Leipziger Messe hat allgemein bei den Besuchern sowie Ausstellern des In- und Auslandes lebhaften Beifall gefunden. Immer wieder wurde betont, dass durch die Teilnahme der zahlreichen kapitalistischen Länder die Messe internationalen Charakter trug. Die Werktätigen aus den Betrieben gaben ihrer Freude Ausdruck, dass es ihnen ermöglicht wurde, die Messe zu besuchen, um sich ein Bild zu verschaffen über den Leistungsstand unserer volkseigenen Industrie sowie von den Fortschritten der Sowjetunion und den Volksdemokratien auf dem Gebiete der Wirtschaft. So sagte zum Beispiel ein Angestellter aus der Farbenfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle: »Es ist ohne Zweifel, dass die internationale Messe in Leipzig immer größeren Aufschwung bekommt. Ich bin vor allem erfreut, dass Arbeiter und Angestellte die Messe besuchen können, nicht wie es früher war, dass nur Geldleute und Geschäftsleute die Möglichkeit dazu hatten.«

Ein Arbeiter aus dem »Thomas-Müntzer«-Schacht Kreis Sangerhausen, [Bezirk] Halle: »Ich bin von der Leipziger Messe begeistert. Jeder konnte sich von den Fortschritten unserer Wirtschaft überzeugen. Es kam auch deutlich zum Ausdruck, dass in der Sowjetunion und in den Volksdemokratien nur für den Frieden gearbeitet wird und dass sich dadurch der Lebensstandard laufend verbessert. Enttäuscht bin ich nur darüber, dass man nichts kaufen konnte.«

Ein Messebesucher aus Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl: »Auf der diesjährigen Messe war ein großer Umschwung unserer volkseigenen Industrie festzustellen. Es gab auch Unstimmigkeiten bei einigen Besuchern, z. B. darüber, dass der Stand unserer Fischindustrie Rostock ca. 100 Sorten Fischkonserven zeigte, die aber im vergangenen Jahr in unseren Geschäften nicht zu haben waren. Es wurde die Frage aufgeworfen, wo die Konserven alle hinkommen.«

Einige Geschäftsleute aus der DDR gaben ihrer Enttäuschung Ausdruck, dass sie beim Kauf besonders gefragter Bedarfsartikel immer wieder feststellen mussten, dass diese Waren nur für den Export bestimmt sind. So äußerte z. B. eine Inhaberin eines Konfektionsgeschäftes in Sondershausen, [Bezirk] Erfurt: »Ich war zur Messe und hatte die Absicht, einige Abschlüsse für mein Geschäft zu tätigen, aber an fast allen guten Waren war ein Schild mit dem Vermerk, nur für den Export bestimmt. Was nützt also die Produktion von Qualitätswaren, die von der Bevölkerung so gefragt sind, wenn sie nur für den Export sind. Ich bin in dieser Hinsicht von der Messe sehr enttäuscht.«

Großes Interesse zeigten immer wieder die Einkäufer aus Westdeutschland und des kapitalistischen Auslandes an Verkaufsabschlüssen mit der DDR sowie mit den Ländern des Ostens. Am Messestand des Chemischen Werkes Buna äußerte ein Vertreter einer ägyptischen Importfirma: »Wir sind sehr interessiert an allen Produkten des Buna-Werkes. Wir wollen uns nicht mehr nur damit begnügen, die Produkte zu kaufen, die uns die ›DHZ‹-Chemie anbietet, sondern wir wollen von allen Produkten haben. Die Amerikaner geben uns wohl Kredite, aber nur für die Rüstungsindustrie. Dadurch, dass der Amerikaner den Import ägyptischer Waren ablehnt, verschlechtert sich die Lage in unserem Land immer mehr.«

Anlage 2 vom 16. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2315

Bericht über die Rechenschaftslegung und Agitationseinsätze im demokratischen Sektor von Berlin

In vielen Versammlungen und bei Agitationseinsätzen beschwerte sich die Bevölkerung über die schlechte Arbeit der volkseigenen Wohnungsverwaltung und zum anderen wurde in der Hauptsache über persönliche und soziale Fragen gesprochen.

Bei den Rechenschaftslegungen im Bezirk Köpenick, der aus fast nur alten und sehr unmodernen Häusern besteht, wurde in den Diskussionen fast nur über die Mängel in der Wohnungsfrage gesprochen. Die Bewohner forderten, dass auch einmal etwas für sie getan werden muss. Die Toiletten sind größtenteils auf den Höfen und die Häuser sind meist nicht unterkellert, sodass zum Teil recht baufällige Holzschuppen zur Unterbringung des Brennmaterials dienen. Diese Fragen wurden von dem anwesenden Vertreter der volkseigenen Wohnungsverwaltung unbefriedigt geklärt.

Im Wohnbereich 20 (Mitte) äußerte ein Bürger, nachdem der Volksvertreter noch einmal auf die Erfolge unseres Aufbaus hinwies: »Das wollen wir nicht hören, uns interessieren unsere Wohnungssorgen.« Er verließ daraufhin den Versammlungsraum, ihm schlossen sich weitere 22 Personen an.

Bei einem Agitationseinsatz in Bezirk Mitte (Linienstraße 55–57) zeigten sich die Bewohner sehr ablehnend und verärgert. Die Ursache dafür ist, dass in den Häusern unmögliche Zustände herrschen. Zum Beispiel ist in einem Haus für 19 Mieter nur eine Toilette auf dem Hof, die derart baufällig ist, dass bereits der Boden eingebrochen ist. Die Mieter brachten zum Ausdruck, dass noch andere Mängel vorherrschen, die seit Jahren den betreffenden Dienststellen sowie dem Oberbürgermeister bekannt gegeben werden. Es sind schon einige Kommissionen dagewesen, aber bis heute hat sich noch nichts geändert. Sie äußerten: »Was sollen wir zur Wahl gehen, es ist doch alles zwecklos.«

In einem Wohnungsbereich des Bezirkes Mitte beschwerte sich die Bevölkerung über die Arbeit der volkseigenen Wohnungsverwaltung (Anklamer Straße). Von dort werden laufend Mahnungen über Mietrückstände ausgeschrieben an Mieter, die ihren Verpflichtungen nachkommen. Zum Beispiel ist ein Mieter schon zwei Jahre aus diesem Wohnbereich verzogen und wird von der Verwaltungsstelle mit einem Mietrückstand von 690 DM weitergeführt. Solche Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.

In einer Versammlung im Wirkungsbereich 28 (Pankow) lehnten die anwesenden Bürger es ab, dass in den Neubauten HO-Verkaufsstellen eröffnet werden. Sie wünschen zwei Konsum-Verkaufsstellen für Fleischwaren und Lebensmittel. Weiter kritisierten sie, dass so viel ungelerntes Personal beim Konsum beschäftigt ist. Verschiedene erhoben Vorwürfe gegen die Vertreter der Abteilung Handel und Versorgung, die trotz Einladung nicht zur Versammlung erschienen sind.

Im Bezirk Köpenick wurden die Verkehrsverhältnisse stark kritisiert. Besonders schlecht soll die Autobus-Linie A 27 verkehren. Dieser Mangel veranlasste verschiedene Bürger zu den Äußerungen: »Das ist die Sorge um den arbeitenden Menschen.« »Die können ja gar nicht regieren, denn auf allen Gebieten klappt es nicht.« »Die sollen uns noch einmal zu einer Versammlung einladen, das ist doch alles bloß Schwindel, was dort erzählt wird.«

In den Bezirken Treptow und Mitte wurde gefordert, dass die Ausweiskontrolle beim Einkauf besser durchgeführt werden soll und dass eine stärkere Kontrolle zur Verhütung des Verschiebens von Waren nach Westberlin einsetzen müsste.26

In den Wohnbezirken 32 und 38 (Friedrichshain) wurde verschiedentlich in den Diskussionen zum Ausdruck gebracht, dass es nicht gerecht sei, dass Rentner so eine niedrige Lebensmittelkarte bekommen und diejenigen mit den hohen Gehältern obendrein noch hohe Lebensmittelrationen erhalten.27

Anlage 3 vom 16. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2315

Auswertung von Hetzschriften

KgU28

In einem Hetzbrief unter der Überschrift »An die Funktionäre des Kreises Köthen« hetzt man gegen die Volkskammerwahlen. Besonders wendet man sich gegen die Rechenschaftslegungen und will im Zusammenhang damit beweisen, dass die Errungenschaften in der DDR und die Preissenkung vom 6.9.1954 nur ein »Propagandarummel« sei[en]. Deshalb fordert man die Bevölkerung auf, Hamstereinkäufe in Margarine, Schlachtfett und Speiseöl zu tätigen; weiter heißt es dort wörtlich »denn die Warendecke wird bei Weitem nicht ausreichen, dass eine laufende Versorgung gewährleistet ist«, jedoch sollen andere Waren, die durch die Preissenkung ebenfalls billiger geworden sind, nicht gekauft werden, da es angeblich »Ladenhüter« seien und man »… dadurch dem Pankower Planstrategen …«29 eine große Sorge abnehmen würde, denn die staatlichen Lager sind überall »mit nicht absetzbaren Ladenhütern und Ausschusswaren gestapelt«.

Weiter werden die Funktionäre aufgefordert, durch Schädlingstätigkeit bei der »Zerschlagung der DDR« mitzuhelfen.

Dieser Hetzbrief ist mit der Unterschrift »Widerstandsgruppe Bezirk Halle/Saale« versehen.

Ostbüro des DGB30

In der Hetzschrift »Freie Tribüne«31 unter den Überschriften »Ulbricht32 vergeudet unser Geld für Wahltheater« und »Wahl ohne Wahlmöglichkeiten« wendet man sich gegen die einheitliche Kandidatenliste der Nationalen Front, indem es dort heißt: »Was Ulbricht im trauten Ver[…]33 mit Warnke34 am 17.10.[1954] wieder über die Bühne gehen lassen will, hat mit ›Wahl‹ nicht das Allergeringste zu tun«, da »Kandidaten nur von Vereinigungen aufgestellt werden«. Weiter versucht man mit Argumenten wie »von Wahlkabinen und Umschlägen für die Stimmzettel ist überhaupt nicht mehr die Rede« die Volkskammerwahlen als undemokratisch hinzustellen. Vor allem versucht man die Bevölkerung der DDR von der Wahl fernzuhalten, indem es dort heißt, »dass die Wahl nutzlos Millionen Mark vergeudet«, wo man »für das Geld hätte Tausenden von Arbeitern Arbeitskleidung und Hunderten von Familien Wohnungen geben können«.

Anlage 4 vom 15. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2315

Auswertung der westlichen Rundfunksendungen

Im RIAS versucht Dr. Friedenau35 vom UFJ36 Stimmung zu machen für Spionage und Widerstand gegen die DDR. Dabei bemüht er sich, die Spionage im Interesse feindlicher Agenturen37 als eine Sache (er sagt Widerstand) zum Nutzen der Bevölkerung darzustellen. Wörtlich: »Das Ziel des echten Widerstandes, zwar dem Regime zu schaden, aber dadurch der Bevölkerung zu helfen.«

Weitere Sendungen befassen sich mit der Hetze gegen den FDGB, gegen die Werbung zur KVP,38 gegen die Preissenkung, gegen die FDJ und mit der »Behinderung« der privaten Unternehmer in der DDR, ohne neue Argumente zu bringen.

Der SFB macht Propaganda für die Westberliner Industrie-Ausstellung am Funkturm,39 die am 25. September [1954] eröffnet wird, um die Bevölkerung der DDR zu veranlassen, Westberlin zu besuchen.40

Um das Vertrauen der Künstler zur Politik der Partei und Regierung zu untergraben und sie zu veranlassen, die DDR zu verlassen, bringt SFB Lügen über die Kultur- und Personalpolitik im Theaterwesen. Wörtlich Folgendes: »In der vergangenen Woche verurteilte der 1. Strafsenat des Bezirksgerichts Dresden den Dramaturgen der Dresdner Staatsoper Dr. Günter Haußwald wegen Boykotthetze und Verbindung mit dem Westen zu vier Jahren Zuchthaus.41 In der Urteilsbegründung wird ihm vorgeworfen, staatsfeindliche Tendenzen in den Opernspielplan gebracht zu haben. Außerdem habe er in westdeutschen Zeitungen über das Kulturleben in der DDR geschrieben, wodurch er das Ansehen der DDR und ihre Bemühungen um gesamtdeutsches Kulturleben herzustellen, gefährdet habe. Sie können sich, verehrte Hörer, wahrscheinlich nicht vorstellen, wie staatsfeindliche Tendenzen im Spielplan einer Oper aussehen. Der Fall Haußwald zeigt, dass es eine Illusion ist, zu glauben, der unpolitische Künstler könne auf die Dauer mit den Kommunisten zusammenarbeiten.«

Der SFB macht Propaganda für den Besuch Westberliner Gymnasien durch Schüler aus der DDR. Wörtlich: »In zwei Westberliner Schulen sollen auf Beschluss des Senats Sonderklassen für Sowjetzonenabiturienten eingerichtet werden.42 Die Ostabiturienten können die Reifeprüfung an einer Westberliner Schule nur nach Absolvierung eines 13. Schuljahres ablegen. In den vergangenen Jahren mussten sie in die bestehenden 12. Klassen eingewiesen werden, um später am Unterricht der 13. Klasse teilnehmen zu können. In Zukunft stehen den Ostabiturienten an der Sophie-Scholl-Schule in Schöneberg und am Goethe-Gymnasium in Wilmersdorf insgesamt 18 Sonderklassen zur Verfügung, auf denen sie das 13. Schuljahr durchmachen können. Es wird damit gerechnet, dass in diesem Jahr 600 bis 700 Schüler aus der Sowjetzone sich für die Westberliner Reifeprüfung anmelden werden.«

Der RIAS verbreitet folgende Lügenmeldungen:

  • »… dass sich von den etwa 19 000 Pionierleitern während der Ferienlageraktion etwa 6 000 moralische und sittliche Verfehlungen zu Schulden haben kommen lassen«, um den Pionierverband in den Augen der Eltern in Misskredit zu bringen und damit die weitere Pionierarbeit unmöglich zu machen.

  • Zur Beunruhigung der Bauern verbreitet RIAS erlogene Meldungen über die angebliche Bedrohung der Bauern mit Verhaftungen und Enteignungen, »falls sie nicht umgehend ihr gesamtes Getreide abliefern würden«. Den gleichen Zielen dienen auch Lügenberichte über »Zwangsdrusch« bei Bauern, die ihr Soll nicht erfüllen können.

  1. Zum nächsten Dokument Zur Beurteilung der Situation

    17. September 1954
    Informationsdienst Nr. 2316 zur Beurteilung der Situation

  2. Zum vorherigen Dokument Zur Beurteilung der Situation

    15. September 1954
    Informationsdienst Nr. 2314 zur Beurteilung der Situation