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Zur Beurteilung der Situation

11. September 1954
Informationsdienst Nr. 2311 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Die Preissenkung1 steht noch immer im Mittelpunkt der Gespräche. Die Diskussionen haben sich gegenüber dem Vortage nicht verändert. Die Diskussionen stammen größtenteils von Arbeitern und sind überwiegend positiv. Von den Arbeitern wird oft errechnet, wieviel sie durch die Preissenkung einsparen können. Verschiedentlich bringt man die Preissenkung in Verbindung mit den Volkskammerwahlen2 und verpflichtet sich, aus Dank für die Preissenkung die Stimme den Kandidaten der Nationalen Front3 zu geben. Die Werktätigen der volkseigenen Betriebe übernehmen aus Anlass der Preissenkung zahlreiche Produktionsverpflichtungen.

Die Kollegen der Abteilung Rohbau der Rathenower Optischen Werke verpflichteten sich, ihren Jahresproduktionsplan bis zum 21.12.1954 vorfristig zu erfüllen und forderten alle Kollegen auf, ihrem Beispiel zu folgen.

Ein Arbeiter aus dem Stahlwerk Silbitz, [Bezirk] Potsdam:4 »Es ist im wahrsten Sinne eine Arbeiter- und Bauernregierung, die sich bemüht, die Lebenslage aller Schichten der Bevölkerung zu verbessern. Ich habe zwei Kinder und von meinem Lohn kann ich jetzt monatlich 46,20 DM mehr ausgeben als vor der Preissenkung. Dadurch hat sich mein Lebensstandard erhöht. Ich erkläre mich darum freiwillig bereit, als Agitator vor den Volkswahlen mitzuwirken, denn für eine solche Politik lohnt es sich zu kämpfen.«

Ein Arbeiter aus Gräfenroda, [Bezirk] Erfurt: »Das ist doch ganz natürlich, wenn unsere Regierung den Lebensstandard unseres Volkes verbessert, dass das dazu beiträgt am 17. Oktober [1954] unsere Stimme den Kandidaten der Nationalen Front zu geben.«

In negativen Diskussionen wird die Preissenkung oft als Wahlpropaganda hingestellt. Andere äußern, dass man die Preise für Fleisch und Butter hätte senken müssen, da dies notwendiger gewesen wäre als andere Waren. Weiter tritt die Meinung auf, dass die Preise der Waren, die jetzt gesenkt wurden, sowieso wieder steigen. Ein parteiloser Bergarbeiter aus Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Man macht wieder einen Haufen Geschrei um diese Dinge und der Erfolg ist nur gering. Fleisch und Butter wurden ja doch nicht gesenkt. Ich bin ja gespannt, wie der nie gekannte Wohlstand 1955 aussieht.«

Die Arbeiter aus dem Betonwerk Frankfurt/Oder: »Die Regierung kann ja die Preise senken, in einem ¼ Jahr sind die Preise doch wieder so wie sie waren und dann können sie wieder eine Preissenkung machen.«

Ein parteiloser Arbeiter aus dem VEB Edelstahlwerk [Freital-]Döhlen, [Bezirk] Dresden: »Die Preissenkung wurde nur wegen der Wahl durchgeführt. Man will uns dadurch nur beeinflussen.«

Zur Volkskammerwahl werden außer den Stimmen, die im Zusammenhang mit der Preissenkung stehen, nur vereinzelt Diskussionen geführt.

Unter den Reichsbahnarbeitern und Angestellten herrscht immer noch Unzufriedenheit über die Lohnfrage. Den Kleinlokführern vom Güterbahnhof Rudolstadt, [Bezirk] Gera, werden in gewissen Abständen Prämien als Lohnausgleich für ihren geringen Verdienst gezahlt, um eine Abwanderung in die volkseigenen Betriebe zu verhindern.

Ein Kollege von der Reichsbahn Gera äußerte zum Parteisekretär: »Macht was ihr wollt, wir haben die Nase voll, wenn ihr uns nicht höhere Löhne gebt, kommen wir zu keiner Versammlung mehr.«

Bei der Auszahlung des Lohnes am 7.9.1954 war unter den Kollegen der Pumpenfabrik Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg, eine Missstimmung zu verzeichnen, da die Abrechnung nicht stimmte. Dies war schon mehrmals der Fall. Daraufhin weigerten sich die Kollegen, ihren Gewerkschaftsbeitrag zu zahlen. Ein parteiloser Dreher äußerte: »Wofür zahlen wir eigentlich so hohe Gewerkschaftsbeiträge? Andere zahlen auch nicht und leben auch, vielleicht noch besser wie wir.«

In der Bau-Union Küste, [Bezirk] Rostock, bestehen Schwierigkeiten in der Beschaffung von Autodecken der Größe 550 × 16. Weiter fehlt es an Ersatzteilen für EMW-Wagen wie Stoßdämpfer, Vorderradlager und an Freilaufersatzteilen für IFA F 9.5 Wenn keine Autodecken geliefert werden, können die Regierungsaufträge nicht termingemäß erfüllt werden.

Handel und Versorgung

Im Bezirk Potsdam kommt es immer wieder vor, dass bei den VEAB Frühkartoffeln lagern, die vom kommunalen Großhandel nicht abgenommen werden. Bei der VEAB Fredersdorf z. B. lagern zzt. 250 Zentner Frühkartoffeln. In verschiedenen Kreisen des Bezirkes Karl-Marx-Stadt dagegen mangelt es an Kartoffeln. So sagte z. B. der Verkaufsstellenleiter des Konsums in Marienberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Kartoffelversorgung ist gegenwärtig das einzige heikle Problem, was mir Kopfschmerzen macht, denn die uns zugestellten Mengen reichen bei Weitem nicht aus. Was hierbei keinen Spaß macht, ist, dass man zzt. von den Hausfrauen viel anhören muss, indem sie im Laden herumschimpfen und kein Verständnis für die augenblickliche Situation haben, obwohl ihnen von dem Verkaufspersonal die Ursachen aufgezeigt werden.«

In der Konsumfleischerei Teuchern, Kreis Hohenmölsen, [Bezirk] Halle, sind am 8.9.1954 wiederum 132 kg Mettwurst verdorben.

Mangel an Fleisch, Eiern, Süßwaren und Backwaren ist in den HO-Geschäften des Kreises Hettstedt, [Bezirk] Halle, zu verzeichnen.

Landwirtschaft

Die Preissenkung steht immer noch im Vordergrund der Diskussionen, die meist positiv sind. In verschiedenen Bezirken wurden wieder eine Reihe Selbstverpflichtungen als Dank und zur weiteren Verbesserung des Lebensstandards übernommen. Die LPG Plantz,6 [Bezirk] Schwerin, verpflichtete sich, ihre Erntearbeiten bis zum 18.9.1954 abzuschließen und 500 Liter Milch und drei Schweine zusätzlich zu liefern.

Die MTS Lübstorf, [Kreis] Schwerin, erklärte sich bereit, ihren Plan mit 108 Prozent zu erfüllen und 100 freiwillige Stunden für das Nationale Aufbauprogramm7 zu leisten.

Ein werktätiger Bauer aus Papendorf, Kreis Pasewalk, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Preissenkung zeigt, dass sich unsere Regierung um das Wohl der Bevölkerung sorgt und ständig darauf bedacht ist, die Lebenslage in der DDR zu verbessern. Wir Bauern müssen alles daran setzen, um unsere Aufgaben dem Staat gegenüber so schnell wie möglich zu erfüllen, damit der Staat sein gestecktes Ziel noch schneller erreichen kann.«

Eine werktätige Bäuerin aus Teurow, Kreis Königs Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam: »Ich begrüße die Preissenkung, denn diese Preissenkung wird unserer Regierung auch weiterhelfen, den Lebensstandard noch zu erhöhen. Für uns Bauern war die Margarine noch immer zu teuer, aber jetzt werden wir uns reichlich überlegen, Butter zum Backen und Braten zu verwenden. Wenn wir für billiges Geld Margarine bekommen. Wir können dadurch mehr Milch auf freie Spitzen abliefern,8 sodass hierdurch die Möglichkeit geschaffen wird, dass auch die Preise für Butter in absehbarer Zeit gesenkt werden können.«

Negative bzw. feindliche Äußerungen wurden nur vereinzelt, hauptsächlich bei Mittel- und Großbauern, festgestellt. Die Frau eines Mittelbauern aus Koblentz, Kreis Pasewalk, [Bezirk] Neubrandenburg: »Diese neue Preissenkung ist nur eine Mache unserer Regierung zur Volkskammerwahl. Aber die Leute wählen doch was sie wollen und wenn noch drei Preissenkungen kommen.«

Im Bezirk Rostock wird von verschiedenen Bauern die Meinung vertreten, dass nach dieser Preissenkung die Freien Spitzen wegfallen werden.

Bei den Rechenschaftslegungen9 im Kreis Nebra, [Bezirk] Halle, wird in den Gemeinden besonders über die »Freie Wirtschaft« und die schlechte Arbeit der MTS gesprochen. Es wird dort zum Ausdruck gebracht, dass man die MTS auflösen und die Maschinen den Bauern zur Verfügung stellen soll.

Im Kreis Hettstedt, [Bezirk] Halle, treten in verschiedenen Gemeinden Schwierigkeiten mit der Erfassung auf. In der Gemeinde Ritzgerode z. B., wo das Ergebnis 17 Prozent beträgt, sympathisiert der Bürgermeister mit den Großbauern. Die gleiche Erscheinung ist in Braunschwende, wo nur 7 Prozent erfasst wurden und in Hermerode, wo ein CDU-Bürgermeister amtiert, 14 Prozent. In Frankleben10 stellten einige ehemalige Groß- und auch Kleinbauern den Antrag auf Herabsetzung des Solls.11

In den Landgemeinden des Bezirkes Potsdam treten in Versammlungen besonders Mitglieder bürgerlicher Parteien, zum Teil auch die DBD, für getrennte Listen ein. Auch werktätige Bauern argumentieren als Fürsprecher der Groß- und Mittelbauern für die RIAS-Parolen der »Freien Wirtschaft«.

Ein Mitglied der DBD und werktätiger Bauer aus der Gemeinde Brück, Kreis Belzig, [Bezirk] Potsdam, argumentierte in einer Versammlung: »Warum sollen wir eigentlich als Demokratische Bauernpartei Deutschlands12 gemeinsam mit den übrigen Parteien und Organisationen gemeinsame Kandidatenlisten aufstellen? Wir würden bei Parteiwahlen mit der SED Schritt halten, so stark sind wir doch!« Weiter forderte er die »Freie Wirtschaft« mit der Begründung, dass die Bauern ohne vorgeschriebene Wirtschaftspläne freier und besser arbeiten könnten.

Der Vorsitzende der Nationalen Front aus Lüttgenrode,13 [Kreis] Halberstadt, [Bezirk] Magdeburg, sagte: »Eure Zwiebeln braucht ihr nicht mehr zu ernten, denn in Kürze ist der Amerikaner hier.«

Der Vorsitzende der Gemeindevertretung Sagast, [Bezirk] Potsdam (Mitglied der SED), äußerte sich zu einem werktätigen Bauern, der im Zuge14 eines Brigadeeinsatzes 40 Zentner Getreide abzuliefern sich bereiterklärte, Folgendes: »Denke an Deine Familie und an Dein Vieh. Ich selbst kann auch nichts liefern und würde auch nicht liefern. Es sollten endlich einmal die Rückstände gestrichen werden.« Vom 1. Kreissekretär der SED auf sein schlechtes Verhalten hingewiesen, antwortete er wie folgt: »Wir haben keine deutsche Regierung, wir werden vom Ausland regiert, wir haben eine russische Regierung, das können wir nicht mehr dulden.«

Die Durchführung des Drusches und die Ablieferung des Getreides werden im Bezirk Schwerin teilweise durch den hohen Feuchtigkeitsgehalt gehemmt. Dadurch vertreten die Bauern die Auffassung, die Heuernte durchzuführen und das Getreide ausschwitzen zu lassen. Diese Meinung wird durch das bürokratische Verhalten der VEAB Parchim unterstützt, indem diese alles Getreide, das den Feuchtigkeitsgrad 18 Prozent übersteigt, nicht annimmt. Ein anderer Grund ist, dass durch den Feuchtigkeitsgehalt des Getreides dieses von der VEAB nur als Futtermittel angenommen wird, wodurch den Bauern ein größerer finanzieller Verlust entsteht. Dieses Beispiel ist im Kreis Parchim keine Einzelerscheinung und stärkt die Bauern in ihrer Auffassung ihre Ablieferungspflicht noch zurückzustellen. Hinzu kommt die RIAS-Meldung von einer vorgesehenen Senkung des Ablieferungssolls, die in den bäuerlichen Kreisen verbreitet wird.

Schwierigkeiten sind im Kreis Schmölln, [Bezirk] Leipzig, bei der Durchführung der Druscharbeiten. Es sind bisher 59,3 Prozent erfüllt, was auf die ungenügend vorhandenen Druschsätze zurückzuführen ist. In anderen Kreisen liegen die Druscharbeiten wesentlich höher.

In der MTS Ammelshain, [Kreis] Grimma, [Bezirk] Leipzig, besteht ein Mangel an Lichtmaschinen für die Zugmaschinen RS 30. Diese Traktoren wurden ohne Lichtmaschinen geliefert und können aufgrund dessen nicht zur Schichtarbeit eingesetzt werden.

In der MTS Stralendorf, [Bezirk] Schwerin, wurde festgestellt, dass die Hauptverwaltung noch nicht die notwendigen Mittel für die Lohnzahlung angewiesen hat. Gleiche Erscheinungen wurden auch von anderen MTS-Stationen bekannt.

Übrige Bevölkerung

Weiterhin wird in größerem Maße über die Preissenkung gesprochen. Die Äußerungen sind überwiegend positiv. Vorwiegend nehmen dazu Hausfrauen und Rentner Stellung. In den positiven Äußerungen kommt zum Ausdruck, dass sie der Regierung dankbar sind, weil die Preise für Fettigkeiten so erheblich gesenkt wurden, die am nötigsten im Haushalt gebraucht werden. Übereinstimmend erklärten sie, dass die Preissenkung ein neuer Beweis unserer ständigen Aufwärtsentwicklung ist.

Eine Hausfrau aus Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich freue mich, dass bei der Preissenkung auch die Milch mit gesenkt wurde, denn dadurch können wir alten Leute uns auch einmal Milch kaufen. Es ist auch sehr schön, dass das Fett um so Vieles billiger geworden ist. Unser Staat hat vom Kleinen aufgebaut und war bis jetzt immer bemüht, unser Leben zu verbessern und ich habe Vertrauen, dass es auch weiterhin so bleibt.«

Eine Rentnerin aus Krummenhennersdorf,15 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Für das Geld, was ich vor der Preissenkung für ein Pfund Margarine ausgeben musste, bekomme ich jetzt noch zusätzlich eine Flasche Öl. Das macht sich gerade für uns Rentner besonders bemerkbar und wir haben uns bestimmt über diese Preissenkung sehr gefreut.«

Teilweise wird bemängelt, dass die Preise für Fleischwaren und Butter nicht auch gesenkt wurden, oder dass die niedrigen Kartengruppen besser mit Fleisch und Butter beliefert werden sollten. Sie sind der Meinung, dass sich darüber die Bevölkerung noch mehr freuen würde. Eine Hausfrau aus Magdeburg: »Ich bin erfreut über die Preissenkung. Jedoch könnte man die Lebensmittelkarten D und E16 mit etwas mehr Butter beliefern, dann brauchte sie im Moment gar nicht billiger zu sein.«

Eine Hausfrau aus Teltow, [Bezirk] Potsdam: »Die Preissenkung ist ganz schön und gut, aber ich hätte erwartet, dass auch die Butter und das Fleisch billiger werden würde.«

Von negativen und feindlichen Elementen wird die Preissenkung weiterhin als ein »Wahlmanöver« hingestellt. So sagte z. B. ein Verwaltungsangestellter aus Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wir haben ja einen Arbeiterstaat und da kann wenigstens der Arbeiter Margarine essen, deswegen hat man vor der Wahl die Preise gesenkt. Die anderen können ja die Butter bezahlen. Das ist alles Betrug und Dummenfang, damit ja nur alles zur Wahl hingeht.«

Ein Einwohner aus Bad Doberan, [Bezirk] Rostock: »Die Preissenkung ist nur eine Wahlpropaganda. Die Preise wurden nur für die Waren gesenkt, die sie sonst nicht loswerden. Auf der einen Seite wird etwas billiger und auf der anderen Seite wird Ware teurer.«

Eine Angestellte aus Leipzig: »Die wollen doch nur groß tun mit ihrer Preissenkung wegen der Wahl. Fleisch und Wurst sind trotzdem noch genauso teuer wie einst.«

In den Diskussionen über die Volkswahl handelt es sich nach wie vor in der Hauptsache um die Aufstellung der gemeinsamen Kandidatenliste. Das wird von der Mehrheit begrüßt und negativ darüber wird größtenteils nur in den Reihen der bürgerlichen Parteien gesprochen. Sie fordern Parteiwahlen mit der Begründung, dass nur so von einer demokratischen Wahl gesprochen werden könnte, oder dass sich nur dadurch die Stärke der einzelnen Parteien feststellen lässt.

Ein NDPD-Mitglied aus Neugersdorf, [Bezirk] Dresden: »Ich zweifle an der Notwendigkeit gemeinsamer Wahllisten und halte eine Listenwahl für richtiger. Selbst bei der Mehrheit der NDPD bliebe der Führungsanspruch der Arbeiterschaft gesichert, da ja auch in der NDPD Arbeiter sind.«

Ein Gastwirt aus Werdau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Durchführung der Volkswahl hat meiner Meinung nach nichts mit Demokratie zu tun. Eine wirkliche Demokratie stelle ich mir anders vor. Zumindest stellt da jede Partei einzeln ihre Kandidaten auf. Die SED hat Angst vor der Wahl und deshalb sind sie zu der Einheitsliste gekommen.«

Ein LDPD-Mitglied aus Hohenstein-Ernstthal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Man soll mir ja in der Ostzone nicht von Demokratie reden. Schon allein die Wahlen beweisen, dass es bei uns keine Demokratie gibt. Nur dort herrscht welche, wo man frei seine Partei wählen kann. Die SED hat nur Angst für ihren Bestand, deshalb führt sie das nicht durch.«

Aus den Kreisen der Gewerbetreibenden wurde Folgendes bekannt: Ein Malermeister aus Friesau, Kreis Lobenstein, [Bezirk] Gera: »Das ist eine große Wirtschaft, dass man keine Reifen bekommt. Man hat in Leipzig gesagt, dass an eine Lieferung für Privatleute für das Jahr 1954/55 nicht zu denken sei. Das ist der ständig steigende Wohlstand in der DDR

Zu einem Ausspracheabend mit Einzelhändlern in der Gemeinde Diesdorf, [Bezirk] Magdeburg, waren sechs Einzelhändler erschienen, welche alle zur Diskussion sprachen. Sie beklagten sich, dass sie SVK-Beiträge bezahlen müssen, aber keinen Anspruch auf einen Kuraufenthalt von der SVK haben, weil sie keine Werktätigen sind.

Ein Einzelhändler erklärte, dass der private Einzelhandel gegenüber dem staatlichen und genossenschaftlichen Handel benachteiligt wird, indem man vorher für diesen die besten Stücke heraussucht. Das wäre ihm besonders bei dem letzten Sonderverkauf aufgefallen.

Aus dem demokratischen Sektor von Berlin wurde Folgendes bekannt: Zurzeit werden im Ermelerhaus in der Breiten Straße (Ratsbibliothek) teurere Restaurierungsarbeiten durchgeführt.17 Die Abteilung Allgemeine Verwaltung und Kunst hat mehrmals die Einstellung dieser Arbeiten verlangt, weil das Gebäude vom Schwamm befallen ist. Die Abteilung Allgemeine Verwaltung und Kunst steht auf dem Standpunkt, dass die dafür verwandten Gelder 12 000 DM unnütze Ausgaben sind.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:18 Rostock 308, Gera 197, Erfurt 35, Dresden und Karl-Marx-Stadt einige.

NTS:19 Potsdam 21 800, Cottbus 37, Neubrandenburg 11.

In tschechische Sprache: Dresden 23.

DGB:20 Gera 18.

»Der Tag«:21 Potsdam 1 500, Halle einige.

»Berliner Montagsecho«:22 Potsdam 600.

Alte Hetzschriften zum 17. Juni, unbekannter Herkunft: Potsdam 4 000–5 000, Wismutgebiet23 19.

UFJ:24 Neubrandenburg 50.

Die Mehrzahl der Hetzschriften wurde sichergestellt und gelangte nicht in die Hände der Bevölkerung.

Terror: In der Nacht vom 8. zum 9.9.[1954] wurde vor dem Gasthaus in Zerre, Kreis Hoyerswerda, [Bezirk] Cottbus, ein FDJler, der auf der Großbaustelle Trattendorf beschäftigt ist, von unbekannten Personen überfallen und niedergeschlagen unter der Äußerung: »Ihr Kommunistenschweine, was wollt ihr hier auf der Baustelle.«

Auf der Straße von Zerre nach Spremberg wurde am 8.9.[1954] der Korrespondent der »Jungen Welt«25 im Kraftwerk Trattendorf von einem Bauarbeiter beschimpft und geschlagen. Der Täter wurde festgenommen.

Diversion: In der Nacht vom 8. zum 9.9.[1954] wurden im Privatsägewerk Gebrüder Saran in Potsdam in das Hauptlager der Dampfmaschine Stahlschleifspäne geworfen. Die Dampfmaschine wird abends für die Energieversorgung der Stadt Potsdam eingesetzt.

Anlage 1 vom 10. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2311

Hetzschriften

KgU26

Gegen die in den Rechenschaftslegungen aufgezeigten Erfolge der DDR richten sich Hetzbriefe, die an Funktionäre des Kreises Staßfurt geschickt werden (z. B. Bürgermeister). Darin heißt es u. a., dass eine »Versorgungskrise« bei Nahrungsmitteln und Konsumgütern bestehe. Diese Lage würde sich verschlechtern, da die Regierung »keine Devisen für den Einkauf von Lebensmitteln« besitze.

Zur Volkswahl selbst wird dann aufgefordert, sofern für den Einzelnen daraus keine Gefährdung entsteht, den Wahlschein ungültig zu machen.

Ferner wird in diesem Brief gegen westdeutsche Delegationen gehetzt und vor ihnen »gewarnt«. Jedoch fordert man: »Überredet sie, in der DDR zu bleiben. Wenn sie auch zurzeit auf Anordnung der östlichen Abwehrorgane bevorzugt behandelt werden, so wird das nach einer gewissen Zeit eingestellt und sie werden, genau wie Ihr, eines Tages den bolschewistischen Schwindel erkennen.«

Abschließend wird die Anweisung erteilt, dass die Funktionäre in ihren Stellungen bleiben sollen und feindliche Tätigkeit ausüben. Dazu droht man: »Eines Tages werden Sie gefragt werden: Was haben Sie für und was haben Sie gegen die SED-Herrschaft getan?«

Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen

Der UFJ versendet jetzt die Nr. 4 einer für den Bezirk Cottbus bestimmten Hetzschrift mit dem Titel »Lausitzer Freiheitsbote«. Darin wird unter anderem Folgendes behandelt.

Unter der Überschrift »Entlarvter Wahlbetrug« wird in bekannter Weise das Ergebnis der Volksbefragung als gefälscht hingestellt.27 Man schreibt dazu weiter, dass in der DDR keine Wahlpflicht besteht und deshalb die Aufforderung der Wahlhelfer, zur Wahl zu gehen, »den Tatbestand der Nötigung erfüllen«. Außerdem seien auf Anweisung des Ministeriums des Innern alle nicht oder doppelt angekreuzten Stimmzettel sowie durchgestrichene oder mit SED-feindlichen Bemerkungen versehene als Stimmen für den Friedensvertrag gezählt worden.

Diese »Fälschungen« seien dadurch schnell erkannt worden, weil »Mitarbeiter der deutschen Selbsthilfe28 oft unmittelbar nach Beendigung der Wahlhandlung den UFJ informierten« (damit geben sie Anweisung für die Volkswahlen). Den Wahlvorständen droht man damit, dass »die Wahlvorstände, … die solchen Wahlbetrug zuließen …« in der Belastetenkartei des UFJ29 registriert wurden.

Die bekannten Parolen der Deutschen Selbsthilfe werden wiederum abgedruckt, diesmal unter der Überschrift »Was ist jetzt zu tun«.

Die Verunglimpfung von SED-Mitgliedern und -Funktionären sowie die Hetze gegen die SU wird fortgesetzt in kleineren Notizen unter der Überschrift »Was nicht in der ›Lausitzer Rundschau‹30 steht«, in denen von »Schandurteilen, Untaten von Besatzungssoldaten« usw. die Rede ist.

Zur Beunruhigung der Arbeiter der Grube »Conrad« in [Groß] Kölzig, Kreis Forst, schreibt man, dass die Pumpenanlagen der Grube bereits vor einem halben Jahr überholt werden sollten, was jedoch nicht geschah. Deshalb könne wegen Wassermangel »das Kraftwerk nicht mehr arbeiten, die Kumpels sich nicht mehr waschen und im Falle eines Brandes besteht kaum eine Löschmöglichkeit«.

Gegen die staatlichen Notariate wird, wie bereits mehrfach unter der Überschrift »Private Notare bevorzugen«, gehetzt, da von den staatlichen Notaren »geprüft wird, ob auch alles die Billigung … der SED finden kann …, man nie sicher ist, ob der rechtsunkundige staatliche Notar nicht grobe Fehler macht, und es natürlich auch keine Geheimhaltungspflicht gibt«. Man beruft sich hierbei darauf, dass die Ausbildung der Volksrichter31 im »Schnellzugtempo« erfolgte.

Zur Diskriminierung der Volkspolizei wird unter der Überschrift »Vopo mordet Arbeiter« von einem Prozess gegen einen Volkspolizisten vor dem Stadtbezirksgericht Berlin-Köpenick, »das bereits funktionierende, noch nicht offiziell gewordene Oberste Militärgericht der KVP«,32 berichtet, der angeblich auf einen Arbeiter schoss. Gleichzeitig hetzt man gegen die Staatsanwaltschaft und die Objektivität der Gerichte.

Stimmung aus Westberlin

Vom Ostbüro der SPD wurde am 28.8.[1954] in den Bezirken Kreuzberg, Schöneberg und Wilmersdorf eine Fragebogenaktion gestartet, um die Meinung der Bevölkerung zum bevorstehenden Wahlkampf festzustellen. 850 Fragebogen wurden ausgefüllt und bei der Auszählung am 2. und 3.9.[1954] ergab sich Folgendes:

1.) 80 Prozent der Befragten sind gegen die bestehende Regierungsform, da sie keine deutsche, sondern eine amerikanische sei.

2.) 100 Prozent sind gegen die Außenpolitik Adenauers,33 weil sie nicht die Wiedervereinigung und eine Viermächtekonferenz vorsieht. Davon sprachen 30 Prozent von einer Kriegspolitik.

3.) 70 Prozent lehnen eine Wiederbewaffnung im Sinne der EVG ab.34 30 Prozent sind für die Wiederbewaffnung, weil dadurch die Arbeitslosen von der Straße kommen würden.

4.) Über die Stellungnahme der SPD zur EVG sind 60 Prozent der Meinung, die SPD hat überhaupt keinen Standpunkt. 20 Prozent bejahen ihn und 20 Prozent sagten, dass die SPD die Hauptschuld am Misslingen der EVG trage.

5.) Zur Frage, welche Partei am meisten zur Wiedervereinigung beitrage, sind alle der Ansicht, dass keine Partei etwas dazu tun kann, sondern nur die Alliierten.

6.) Die Herstellung der Einheit Deutschlands wünschen alle durch friedliche Verhandlungen der vier Großmächte.

7.) Bei der Wahl am 5.12.195435 wollen 60 Prozent für die CDU stimmen und 40 Prozent für die SPD. Der FDP wird kein Vertrauen geschenkt, da in ihr zu viele Nazis sind.

Anlage 2 vom 10. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2311

Auswertung der westlichen Rundfunksendungen

Der RIAS versucht mit seinen Sendungen über das Gesundheitswesen der DDR dieses bei der Bevölkerung in Misskredit zu bringen. Zum Teil soll damit auch die Bevölkerung beunruhigt werden, z. B. durch folgende Erklärung: »Diese unzureichenden Schutzmaßnahmen erleichtern die Typhusverbreitung im Stadtgebiet von Zwickau und Chemnitz. In der Bergbau-Zweijahresschule, im Kinderferienlager Friedersdorf, in Ebersbach, im Kreis Löbau und in anderen Orten. Es ist schmerzlich, wenn ungenügend entwickelte, also unzulängliche Heilmittel der volkseigenen Industrie diese Seuchenausbreitung nicht verhindern konnten.« Des Weiteren wird mit »unzureichender Medikamentenversorgung« und Ärztemangel argumentiert.

Die Ärzte mit Privatpraxis in der DDR beunruhigt man mit Behauptungen über beabsichtigte finanzielle Benachteiligungen und Beschneidung ihrer Entscheidungsfreiheit in fachlichen Dingen. RIAS behauptet, die Verschlechterung der Lage der Ärzte wäre mit einem neuen »Vertrag zur Regelung der ärztlichen Versorgung durch niedergelassene Ärzte«36 ab 1. Oktober [1954] beabsichtigt. Die Ärzte werden aufgefordert, sich gegen diesen Vertrag zur Wehr zu setzen, um sein Inkrafttreten zu verhindern.

In anderen Sendungen bemüht sich der RIAS immer wieder nachzuweisen, dass in Westdeutschland der Lebensstandard höher wie in der DDR ist.

Der SFB spricht von »ernsthaften Reibungen zwischen den Handelspartnern im Ostblock«. Damit versucht er das Vertrauen zur Planwirtschaft in der DDR und zur SU zu untergraben. SFB argumentiert dabei mit den Materialschwierigkeiten im Schiffsbau, Terminverzögerungen bei der Ausführung sowjetischer Aufträge und angeblicher Nichteinhaltung der Lieferverpflichtungen in Schiffsblechen seitens der SU.

Anlage 3 vom 11. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2311

Stimmung zur Leipziger Messe37

Die Gespräche über die diesjährige Messe haben größtenteils positiven Inhalt. Immer wieder wird betont, dass sie stark beeindruckt sind von dem hohen Leistungsstand der Industrie der demokratischen Länder und von der starken Beteiligung der kapitalistischen Länder. So sagte z. B. ein Geschäftsmann aus Naumburg, [Bezirk] Halle: »Es ist eine Dummheit von den Menschen, die glauben, sie könnten nur mit den Amerikanern oder dem Westen Handel treiben. Wer die Ausstellung der bulgarischen Volksrepublik und der Sowjetunion gesehen hat, ist anderer Meinung.«

Vereinzelt wird von Arbeitern, Angestellten und Angehörigen der technischen Intelligenz Klage geführt, dass zu wenig Messeausweise zur Verfügung stehen. Zum Beispiel hatten im VEB SM Kirow-Werk Leipzig bisher nur zwei Ingenieure die Möglichkeit zum Messebesuch. Alle anderen Ingenieure können die Messe nicht besuchen, wenn sie nicht einen Tag Lohnausfall haben wollen. Sie sind darüber empört, dass ihnen vom Betrieb nicht die Möglichkeit gegeben wird, die Messe zu besuchen und ihre Kenntnisse zu erweitern.

Im Wesentlichen ergeben die Gespräche mit westdeutschen und ausländischen Besuchern keine neuen Argumente. Die Aufnahme von Handelsbeziehungen mit den Ländern des Ostens, die Lage in Westdeutschland und der DDR stehen weiterhin im Mittelpunkt. Dabei trägt die Mehrzahl solcher Äußerungen positiven Charakter. Zum Beispiel sagte ein Ingenieur aus Nürnberg: »Die Leipziger Messe war schon immer ein großer Handelsplatz der ganzen Welt. Ich bin aber erstaunt über die Entwicklung der DDR. Bei uns erzählt man, dass die DDR noch immer von dem ›Russen‹ verwaltet wird. Das ist aber nicht der Fall. Auch zeigt die Preissenkung, dass es den Menschen hier besser geht, denn bei uns steigen die Preise laufend. Die Intelligenz hat bei uns keine Möglichkeit, sich frei zu entfalten.«

Bemerkenswert sind folgende Zeilen, die am englischen Stand im Ringmessehaus angebracht sind: »Die Leipziger Messe dient der Förderung normaler Handelsbeziehungen der friedliebenden Völker in Ost und West. Das britische Volk erkennt immer mehr, dass der ständige Fortschritt der Sowjetunion im neuen China und in den Volksdemokratien nicht durch den Kalten Krieg verhindert werden kann …«

Negative Äußerungen aus diesen Kreisen sind verhältnismäßig gering und richten sich in der Hauptsache gegen die DDR und Sowjetunion. Zum Beispiel äußerte ein Vertreter aus Hannover: »Die Preissenkung nützt den Menschen in der Ostzone wenig, denn nach 14 Tagen werden die Artikel wieder teurer. Die Preissenkung ist doch nur ein Manöver, denn der Staat hat doch hier gar kein Geld, um die Preise zu senken.«

Ein Vertreter einer westdeutschen Landmaschinenfabrik: »Die DDR und auch die ›Russen‹ bauen alles nur nach und haben keine Entwicklung.«

In der Versorgung macht sich bemerkbar, dass der Bedarf bei Bohnenkaffee nicht gedeckt werden kann. Es kommt jetzt verschiedentlich beim Verkauf vor, dass die Käufer danach Schlange stehen müssen.

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