Zur Beurteilung der Situation
12. Februar 1954
Informationsdienst Nr. 2118 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Viermächtekonferenz:1 Wie bereits am Vortage berichtet, hat das Interesse für die Konferenz wesentlich nachgelassen und eine abwartende Haltung macht sich bei einem großen Teil der Arbeiter, stärker bei den Angestellten und der Intelligenz, bemerkbar. So zeigte ein großer Teil der Beschäftigten, besonders die Intelligenz im VEB Ausbau Magdeburg, eine abwartende Haltung gegenüber der Viermächtekonferenz. Ein Angestellter des VEB Bau Neubrandenburg: »Wir müssen erst einmal abwarten, ob überhaupt ein positives Ergebnis von der Viermächtekonferenz erzielt wird.«
Von einem großen Teil der Werktätigen werden Zweifel geäußert, dass die Konferenz in Berlin nicht den gewünschten Erfolg bringt.2 Es zeigt sich aber bei einem nicht geringen Teil der Werktätigen, dass sie die Vorschläge des Genossen Molotow3 auf der Berliner Konferenz begrüßen,4 da sie den Interessen des deutschen Volkes entsprechen. So sieht ein großer Teil der Belegschaft des »Ernst-Thälmann«-Werkes Magdeburg5 in der Konferenz keinen Erfolg, begrüßt aber die Vorschläge des sowjetischen Außenministers. Ähnlich ist die Lage auch im Werkzeugbau des »Karl-Liebknecht«-Werkes Magdeburg,6 bei ehemaligen Umsiedlern und der Intelligenz des VEB Wälzkörperfabrik Bad Liebenstein, [Bezirk] Suhl, im VEB Textilveredlungswerk Greiz, [Bezirk] Gera, im VEB Werk Königsee,7 [Bezirk] Gera, und in den Magdeburger Verkehrsbetrieben.
Die Kollegen der Werkstatt III der Farbenfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle, begrüßen die Vorschläge Molotows, besonders den Vorschlag über Abzug der Besatzungstruppen,8 da dies ein wichtiger Punkt zur weiteren Entwicklung Deutschlands ist. Ebenfalls werden die Vorschläge Molotows von einem großen Teil der Beschäftigten vom Bau 751 der Leuna-Werke »Walter Ulbricht« Halle, des Rollenbaus des »Karl-Liebknecht«-Werkes Magdeburg, des Wismut-Schachtes 2509 und der Kunstharzpresserei in Neustadt,10 [Bezirk] Suhl, begrüßt.
Die Forderung auf Veröffentlichung der Reden und Vorschläge der westlichen Außenminister wird immer wieder von einem Teil der Werktätigen erhoben. Dies kommt besonders in der Abteilung II des VEB IKA Sonneberg,11 [Bezirk] Suhl, und unter Bahnangestellten der Reichsbahn in Gera zum Ausdruck.
Von einem kleineren Teil der Werktätigen werden negative bzw. feindliche Meinungen zum Ausdruck gebracht. Dabei stehen im Vordergrund die Forderungen »freie Wahlen«12 nach westlichem Muster und Revidierung der Oder-Neiße-Grenze. Letztere Forderung wird besonders von ehemaligen Umsiedlern gestellt. Diese feindlichen Äußerungen treten noch in verschiedenen Formen in Erscheinung (Hetze gegen die SU und DDR, Verweigerung von Unterschriften unter Resolutionen usw.).13
Bei diesen feindlichen Stimmen zeigt sich besonders der westliche Einfluss. Desgleichen treten diese Stimmen in Privatbetrieben stärker als In VEB in Erscheinung. Ein Kollege der Abteilung Werkspedition der Filmfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle, forderte gesamtdeutsche freie Wahlen mit Zulassung aller Parteien, auch der faschistischen.14 Dies wurde auch von anderen Kollegen dieser Abteilung geäußert. Dabei bringt man weiter zum Ausdruck, dass es sich ja dann zeigen wird, wer die Mehrheit bekommt. Sind es die Kommunisten, dann sollen die in die Regierung, sind es die anderen, dann die.
Von Angestellten und Intelligenzlern des »Ernst-Thälmann«-Werkes Magdeburg werden »freie Wahlen« gefordert, jedoch braucht keine faschistische Partei zugelassen zu werden. Im privaten Baubetrieb Kowatzki Schwerin werden von einigen Angestellten »freie Wahlen« gefordert, desgleichen von der privaten Autoreparaturwerkstatt Boche in Schwerin.15
Ein Arbeiter vom VEB Maschinenbau Görlitz, [Bezirk] Dresden: »Man hat beim neuen Kurs16 einsehen müssen, dass vieles falsch war, man wird es auch bei der Oder-Neiße-Grenze einmal einsehen müssen.«
Im VEB LOWA Görlitz,17 [Bezirk] Dresden, verweigern in der Abteilung Holzverarbeitung Kollegen die Unterschrift für eine Resolution über Forderung einer Volksabstimmung.18
Ein Arbeiter der Fa. Gester & Hörath in Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Konferenz kann ausgehen wie sie will, die Hauptsache ist, dass eine Regierung an die Macht kommt, die uns leben lässt und nicht so eine, wie wir armen Teufel sie in der Zone haben. Molotow frisst sich auf Kosten der Arbeiter den Bauch voll, währenddessen die drei westlichen Außenminister die Verpflegung selbst mitbringen.«
Ein Schrankenwärter aus Miesterhorst, [Bezirk] Magdeburg: »Ich höre den westdeutschen Sender, im Westen ist doch alles besser und es wird bald ein zweiter 17. Juni kommen.« (In seinen Diskussionen hetzt er gegen die DDR und die Viererkonferenz und verherrlicht dabei den Westen.)
Ein Kontrolleur vom Georgi-Dimitroff-Werk,19 Schleiferei, in Magdeburg: »Molotow will China als 5. Macht haben, wir aber fordern ›freie Wahlen‹ so, wie die Vertreter des Westens. Der 17.6.[1953] war der beste Beweis dafür, was ›freie Wahlen‹ sind. Eines Tages werden die Westdeutschen Arbeiter ›freie Wahlen‹ fordern und wir werden mit ihnen demonstrieren. Dann gibt es einen neuen 17.6.[1953], die jetzige Regierung haben wir ja nicht gewählt.«
Handel und Versorgung
Die HO Wismut, Hauptgeschäftsleitung Gera wurde bisher von den Vertragspartnern noch nicht mit Textilien beliefert und ist auf die alten Bestände von 1953 angewiesen.
Bei den Verkaufsstellen der Konsumgenossenschaft Gransee, [Bezirk] Potsdam, lagern noch 6 000 Paar schweinslederne Arbeitsschuhe zum Preise von 10,00 DM pro Paar, aus dem Jahre 1953. Diese können nicht abgesetzt werden, weil die qualitätsmäßig besseren Arbeitsschuhe aus Rindsleder nur 9,50 DM kosten.
Landwirtschaft
Wie bereits am Vortage berichtet, lässt das Interesse der Landbevölkerung an der Außenministerkonferenz nach. Außerdem ist eine gewisse politische Uninteressiertheit festzustellen. Meist mit allgemeinen Äußerungen wird zu den Vorschlägen des Genossen Molotow von den Landarbeitern und werktätigen Bauern Stellung genommen. Man bringt zum Ausdruck, dass man für den Frieden ist und die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands wünscht.
Die fortschrittlichen Kräfte, hierbei viele Angehörige der MTS, drücken sich konkret aus und verurteilen den Eden20-Plan21 und den EVG-Vertrag22 sowie das ablehnende Verhalten der westlichen Außenminister zu den Vorschlägen des Genossen Molotow. Gering sind noch die Stimmen zu den letzten Vorschlägen Molotows. Ein werktätiger Bauer aus Bleckenrode, [Bezirk] Erfurt: »Die neuen Vorschläge von Molotow, wo sechs Monate später, sämtliche Besatzungsmächte abziehen sollen, müssten tatsächlich in Erfüllung gehen.«
Ein werktätiger Bauer aus Markwerben, [Bezirk] Halle: »Ich wünsche mir nur eins, dass die Einheit Deutschlands hergestellt wird und ich in Frieden meinen Acker bestellen kann.«
Die Stimmen, die ausdrücken, dass die Konferenz kein Ergebnis bringen wird, wachsen. Bei vielen früher hoffenden Stimmen macht sich jetzt eine gewisse Enttäuschung bemerkbar. Eine ganze Reihe dieser Stimmen ist mit den Vorschlägen Molotows einverstanden, ist aber der Meinung, dass die SU zu schwach sei, um sich gegenüber den Westmächten durchzusetzen.23 In Wennungen, [Bezirk] Halle, äußern die meisten Bauern: »Molotows Vorschläge sind ja nicht schlecht, aber die Russen müssen vor der Stärke der Westmächte zurückweichen.«
Ein Landarbeiter aus Rövershagen,24 [Bezirk] Rostock: »Die Außenminister sind jetzt bald drei Wochen zusammen und haben bisher noch keine Einigung der Deutschlandfrage getroffen. Es hat keinen Zweck mehr, dass sie noch länger zusammensitzen. Sie werden auseinandergehen und die Sache bleibt wie sie war.«
Vielfach weicht man auf dem Lande, besonders unter den Einzelbauern, politischen Diskussionen aus, indem man wirtschaftliche Belange in den Vordergrund schiebt. In der Gemeinde Buchholz, [Bezirk] Potsdam, gehen die Bauern gar nicht auf Diskussionen über die Viererkonferenz ein, sondern beklagen sich über zu hohe Sollveranlagung und andere Dinge. Bei der Unterschriftensammlung,25 die in dieser Gemeinde sehr schlecht verlief, äußerten viele Bauern: »Wenn unsere Regierung uns nicht in wirtschaftlicher Beziehung hilft, geben wir auch keine Unterschriften.«
Unter den negativen und feindlichen Stimmen, die vorwiegend aus großbäuerlichen Kreisen kommen, herrschen die Argumente »freie Wahlen«, »freie Wirtschaft« und Revision der Oder-Neiße-Grenze vor.
In der Gemeinde Banzendorf, [Kreis] Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, diskutieren viele Einwohner wie folgt: »Wir wollen die Einheit Deutschlands, aber eine Einheit mit ›freier Wirtschaft‹.«
Ein werktätiger Bauer – NDPD – aus Kletzin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Bodenreform war ein Landraub und bei einer Einheit Deutschlands muss man den Junkern das Land wiedergeben.«26
Ein Großbauer aus Klötze, [Bezirk] Magdeburg: »Am besten, ist wir beten, damit die Außenminister der Westmächte mit ihren Forderungen durchkommen.«
In der Gemeinde Barsikow, [Bezirk] Potsdam, ist folgendes Gerücht im Umlauf: »Wenn die Konferenz scheitert, wird ein zweiter 17. Juni kommen.«
Stimmung der übrigen Bevölkerung
Von der Bevölkerung wird der Konferenzverlauf weiterhin verfolgt und eine Entspannung der internationalen Lage erwartet. Jedoch hat, wie schon am Vortage berichtet, das Interesse nachgelassen, da die Deutschlandfrage vorläufig abgeschlossen wurde. In den allgemein geführten Diskussionen kommt zum Ausdruck, dass die Bevölkerung an der Erhaltung des Friedens interessiert ist, besonders Frauen treten für den Frieden ein. In den Diskussionen und Aussprachen mit politisch aufgeklärten Menschen kommt klar zum Ausdruck, dass alle Vorschläge des Genossen Molotow volle Anerkennung finden.
Eine Hausfrau aus Crimmitschau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich bin mit den Vorschlägen der SU voll und ganz einverstanden. Ich will nicht, dass meine Kinder wieder dem Imperialismus geopfert werden und in einem neuen Krieg ums Leben kommen. Wenn auch die Außenministerkonferenz bis jetzt noch nicht die erwarteten Erfolge gebracht hat, so ist sie trotzdem ein Baustein zur Festigung des Friedens.«
Von einem nicht geringen Teil der Bevölkerung wird nach dem vorläufigen Abschluss der Deutschlandfrage kein positives Ergebnis mehr erwartet und die Diskussionen zur Konferenz treten in den Hintergrund. Ein Schuhmacher aus Bad Lausick, [Bezirk] Leipzig: »Ich hatte mir von der Konferenz mehr versprochen, aber wie man jetzt sieht, ist es nur Rederei, die nichts Positives für uns Deutsche bringt.«
In der Werbeabteilung des Kreiskonsumverbandes Kölleda, [Bezirk] Erfurt, wird von einem großen Teil der Belegschaft zur Konferenz erklärt, es kommt ja doch nichts dabei heraus und ist alles zwecklos.
Eine Hausfrau aus Rambin, [Bezirk] Rostock: »Ich glaube, dass die Konferenz zerschlagen wird, weil der Ami alles ablehnt und die anderen ausweichen.«
Ein Bäckermeister aus Potsdam: »Politisch bin ich vollkommen uninteressiert. Soweit ich von anderen über die Konferenz gehört habe, werden die sich doch nicht einig.«
In der Universitätsklinik Rostock wurden bei ca. 900 Beschäftigten von nur 400 Personen die Unterschriften für die Teilnahme deutscher Vertreter an der Konferenz gegeben.27 Eine Schwester erklärte dabei: »Was soll der Quatsch, die machen ja doch was sie wollen, hört nun endlich auf damit.«28
Negative und feindliche Äußerungen treten weiter wie in den Vortagen auf. Grundlage für die negativen bzw. feindlichen Diskussionen bilden die vom westlichen Rundfunk verbreiteten Lügenmeldungen: »freie Wahlen«, Revidierung der Oder-Neiße-Grenze und Hetze gegen die SU und die DDR sind die am stärksten auftretenden Formen negativer Äußerungen.29
Ein Fotograf aus Rittersgrün, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Wahlen in der DDR sind keine ›freien Wahlen‹, dagegen die in Westdeutschland sind frei und demokratisch.«
Eine Pfarrersfrau aus Leubsdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Es ist doch egal, ob Krieg oder kein Krieg ist, gemordet wird ja sowieso. Auch wir wollen Frieden und Einheit, aber anders als es bei uns unter der Arbeiter- und Bauernmacht ist.«
Eine Hausfrau aus Neustrelitz, [Bezirk] Neubrandenburg: »Wenn die Konferenz vorbei ist, wird es noch einen schlimmeren Tag als den 17. Juni [1953] geben.«
Ein Angestellter aus Reinstädt, [Bezirk] Gera: »Wir müssen sofort ›freie Wahlen‹ haben, dann wird sich herausstellen, welches System von der Bevölkerung gewählt wird.«
Ein ehemaliger Umsiedler aus Schönebeck, [Bezirk] Magdeburg: »Man soll die Umsiedler wieder in ihre Heimat lassen, dann ist Ruhe und Frieden in der Welt.«
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriften: Vereinzelte Flugblattfunde (ältere Ausgaben) werden aus den Bezirken Schwerin, Cottbus, Gera, Rostock und Suhl, etwas stärker aus den Bezirken Potsdam und Karl-Marx-Stadt berichtet.
Hetzbriefsendungen, die vom Empfänger bei der VP abgegeben wurden, werden vereinzelt aus dem Bezirk Schwerin, Gera, Potsdam und Rostock gemeldet. Auch hier handelt es sich um bereits bekannte Hetzschriften.
Größere Mengen von Hetzschriften der KgU30 und FDP wurden in den Bezirken Potsdam und Gera sichergestellt.
Antidemokratische Schmierereien, wie Hakenkreuze und Beschmieren von Plakaten wurden vereinzelt aus den Bezirken Schwerin, Suhl und Dresden berichtet.
Versuchte Diversion: In dem VEB Tuchfabrik Forst, [Bezirk] Cottbus, wurden Metallgegenstände in den Reißwolf geworfen. Sachschaden konnte verhindert werden (Täter festgenommen).
Vermutliche Brandstiftung: Am 9.2.1954 brannte ein Holzhaus der Grenzkommandantur Jübar, [Bezirk] Magdeburg, in unmittelbarer Nähe der D-Linie nieder. Sachschaden: 150 000 DM.
Einschätzung der Situation
Gegenüber dem Vortage sind keine wesentlichen Veränderungen in der Lage festzustellen. Zu den Vorschlägen Molotows vom 10. Februar [1954] liegen erst vereinzelte Äußerungen vor.
Anlage 1 (o. D.) zum Informationsdienst Nr. 2118
Anhang: Unzufriedenheit von Arbeitern und Angestellten in einigen Betrieben Ansteigen des Krankenstandes in einigen Betrieben
Unruhe besteht unter einem Teil der Intelligenz im VEB Metallgusswerk Leipzig. Die Ursache dafür ist, dass auf einer Parteiaktivkonferenz mitgeteilt wurde, dass der leitende Kopf des Betriebes verändert werden soll, da ein großer Teil davon schon zu Zeiten des IG-Farbenkonzerns gearbeitet hätte. Dadurch zeigt sich bei der Intelligenz des Werkes ein Rückgang in ihrer Arbeit.
Unzufriedenheit besteht bei den Arbeitern im VEB Mähdrescherwerk Weimar, [Bezirk] Erfurt, weil durch Stromsperren die Arbeiter ihre Arbeitszeit nicht einhalten können.
Unzufriedenheit durch Kohlenmangel besteht in der Abteilung Färberei der Plüschweberei Hainichen,31 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, durch Materialmangel in dem VEB Lederwarenfabrik Lengefeld, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, und in den VEB Nagelwerken Heiligenstadt,32 [Bezirk] Erfurt.
Ansteigen der Krankenmeldungen wird aus einigen Betrieben, besonders aber von der Reichsbahn, gemeldet. So sind im Kali-Werk »Glück auf« Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, 15 Prozent der Arbeiter durch Grippe erkrankt. Im IFA-Werk Sondershausen,33 [Bezirk] Erfurt, kam durch die hohe Zahl der Kranken die Produktion 1½ Tage in Rückstand.
Im Bahnhof Cottbus sind 12,6 Prozent Krankmeldungen und im Bahnbetriebswerk Senftenberg ca. 25 Prozent. Im Bahnbetriebswerk Cottbus wurde bei einer Krankontrolle am 11.2.[1954] festgestellt, dass von zehn krank gemeldeten Kollegen nur zwei als wirklich Kranke angetroffen wurden.
Im Bahnbetriebswerk Parchim, [Bezirk] Schwerin, waren am 8.2.1954 13 Kollegen erkrankt und am 11.2.1954 waren es bereits 15. Im Bahnbetriebswerk Rostock war der Stand am 8.2.1954 14 Prozent. Die Leitung der Betriebsparteiorganisation in Rostock ist der Meinung, dass der hohe Krankenstand auf die Hetze der westlichen Sender zurückzuführen sei.
Anlage 2 (o. D.) zum Informationsdienst Nr. 2118
Anhang: Auszüge aus der Westpresse
»Der Tag«34 vom 12.2.1954 schreibt:35 »Wochenlang hatte die SED versucht, freie Wahlen als ›faschistische Losung‹ und deutschen Interessen widersprechend zu diskriminieren. Als Endcoup beschloss sie, einen ›Volksentscheid‹ unter dem Motto ›EVG oder Friedensvertrag‹ durchzuführen. Allein bereits bei der vorsichtigen Ankündigung dieses Volksbetruges kam es zu den schweren Auseinandersetzungen zwischen Partei und Bevölkerung,36 die inzwischen für die SED bedrohliche Formen angenommen haben und die man nicht durch bagatellisierende Dementis aus der Welt schaffen kann.
Zahlreiche Betriebe melden ›Arbeite-langsam-Streiks‹, gegen die sie im Einzelnen nicht vorzugehen vermögen. Vor HO-Geschäften und Konsum-Läden der Zone kam es zu erregten Auseinandersetzungen zwischen Bevölkerung und SED-Funktionären, sodass in Potsdam, Leipzig, Brandenburg und Magdeburg Volkspolizei eingesetzt werden musste. Warum werden seit vergangenem Freitag alle Personenzüge von starken SED-Kommandos durchsucht?«
Der »Telegraf« veröffentlicht am 12.2.1954 einen Artikel unter der Überschrift: »SED gibt Widerstand zu.«37 »Das Mitglied des SED-Politbüros, Oelßner,38 hat unzweideutig den Widerstand der Sowjetzone gegen die starre Haltung Molotows in der Frage freier Wahlen zugegeben. Es sei bisher nicht gelungen, in der Bevölkerung alle Illusionen über freie Wahlen zu zerschlagen, erklärte der Funktionär auf einer SED-Kreisdelegiertenkonferenz in Wittenberg.«39
Anlage 3 vom 12. Februar 1954 zum Informationsdienst Nr. 2118
Stimmung zur Viermächtekonferenz
Betriebe
Wie bereits berichtet, ist das Interesse für die Konferenz zurückgegangen bei einem Teil der Arbeiter, stärker bei den Angestellten und der Intelligenz, während die Zweifel an einem Erfolg der Konferenz bei einem großen Teil der Werktätigen wachsen. Von einem nicht geringen Teil der Werktätigen werden die Vorschläge des Genossen Molotow meist im Allgemeinen begrüßt, da sie den Interessen des deutschen Volkes entsprechen.
Die Wäscherin [Name 1] vom Textilveredlungswerk Greiz, [Bezirk] Gera: »Ich hoffe, dass es den Außenministern gelingen wird, die Deutschlandfrage zu klären. Es muss vor allem die Aufgabe aller Deutschen sein, die Forderungen des sowjetischen Außenministers zu unterstützen.«
Der Bauführer [Name 2] vom VEB Bau-Neustrelitz, [Bezirk] Neubrandenburg: »Der neue Vorschlag des Außenministers Molotow vom 10.2.1954, Abzug der Besatzungstruppen innerhalb eines halben Jahres, ist gut. Hierauf müssten nun auch die westlichen Außenminister reagieren.«
Der Verkaufsstellenleiter [Name 3] der Konsumgenossenschaft in Zeulenroda, [Bezirk] Gera: »Die Vorschläge Molotows sind ein Beweis, dass die Sowjetunion sich wirklich ernsthaft um die Sicherheit eines einigen Deutschlands bemüht. Wenn die drei westlichen Außenminister ebenso wie Molotow eine ehrliche und offene Politik in der Deutschlandfrage betreiben würden, würde der Einheit nichts mehr im Wege stehen und auch die Sicherheit in Europa wäre garantiert.«
Negative bzw. feindliche Äußerungen kommen von einem kleineren Teil der Werktätigen, worin im Vordergrund die Forderungen: Freie Wahlen und Revision der Oder-Neiße-Grenze, daneben Hetze gegen die Sowjetunion und die DDR, Verweigerung von Unterschriften unter Resolutionen u. a. stehen.
Der Meister [Name 4] vom VEB Nagema Germania Karl-Marx-Stadt: »Die Vorschläge des sowjetischen Außenministers sind nur Propaganda und verfolgen den Zweck, die Konferenz zu keinem Resultat kommen zu lassen. Denn ›freie Wahlen‹ werden von Molotow verhindert.«
Der Arbeiter [Name 5] von der Volkswerft Stralsund, [Bezirk] Rostock: »Die Russen sollen durch [sic!] wirklich mal freie Wahlen in Deutschland zulassen, dann werden sie sehen, dass die Mehrheit der Bevölkerung ihr System ablehnt.«
Der Arbeiter [Name 6] vom VEB Mähdrescherwerk Weimar, [Bezirk] Erfurt: »Grotewohl40 ist der Lump, der an der Oder-Neiße-Grenze schuld ist. Deshalb muss die Außenministerkonferenz diese Frage klären.«
Der Zimmermann [Name 7] von den Baubetrieben Frankenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Molotow kommt mit seiner Sturheit nicht weiter, er stützt sich nur immer wieder auf China,41 aber es wird nicht mehr lange dauern und er muss wieder abhauen.«
Kollege [Name 8] aus dem VEB Kloster Veßra,42 [Kreis] Hildburghausen, [Bezirk] Suhl: »Ich bekomme auf meinem Radio nur RIAS und erkläre mich mit den Vorschlägen der westlichen Vertreter einverstanden. Bei uns wird der Westen als Kriegsverbrecher hingestellt, dabei wird im Westen kein Wort vom Krieg gesprochen.«
Der Kontrolleur [Name 9] vom Georgi-Dimitroff-Werk Magdeburg: »Der 17.6.[1953] war die beste freie Wahl. Eines Tages werden die Westdeutschen freie Wahlen fordern und wir werden mit ihnen demonstrieren, dann gibt es einen neuen 17.6.[1953].«
Landwirtschaft
Auf dem Lande zeigt sich, dass das Interesse der Landbevölkerung an der Außenministerkonferenz nachgelassen hat. Es macht sich eine gewisse Uninteressiertheit bemerkbar. Von den fortschrittlichen Kräften wird der Eden-Plan und EVG-Vertrag verurteilt. Die Stimmen, die von der Konferenz kein Ergebnis erwarten, nehmen zu, eine gewisse Enttäuschung erfasst breite Kreise.
Der Bauer [Vorname Name 10] wohnhaft in Bleckenrode, [Bezirk] Erfurt, sagte: »Die neuen Vorschläge von Molotow, wo sechs Monate später sämtliche Besatzungsmächte abziehen sollen, müssten tatsächlich in Erfüllung gehen.«
Der Kollege [Name 11] von der MTS Colditz, [Bezirk] Leipzig: »Ich bin nur gespannt, welche Ausrede die drei Westmächte über den neuen Vorschlag von Molotow bringen werden. Meiner Ansicht nach sind die Westmächte bis jetzt noch auf keinen Vorschlag konkret eingegangen. Man sieht hier gleich, wer die Interessen unseres Volkes vertritt.«
Der Landarbeiter [Name 12] aus Rövershagen, [Bezirk] Rostock: »Die vier Außenminister sind jetzt bald drei Wochen zusammen und haben bisher noch keine Einigung in der Deutschlandfrage erzielt. Es hat ja keinen Zweck mehr, noch länger zusammenzusitzen. Sie gehen auseinander und die Sache bleibt wie sie war.«
Die feindlichen Elemente treten nach wie vor mit den gleichen Argumenten auf: »freie Wahlen«, »freie Wirtschaft« und verbreiten Gerüchte, die besagen, dass nach der Viererkonferenz die LPG aufgelöst werden und alles anders wird. In der Gemeinde Banzendorf, [Bezirk] Potsdam, diskutieren viele Einwohner wie folgt: »Wir wollen die Einheit Deutschlands, aber eine Einheit mit ›freier Wirtschaft‹.«
In der Gemeinde Barsikow, [Bezirk] Potsdam, sind folgende Argumente im Umlauf: »Die Außenminister sind sich einig, sie tun nur, als wären sie sich uneinig. Wenn die Konferenz scheitert, wird ein zweiter 17. Juni [1953] kommen.«
Der Bauer [Name 13] aus Kuschkow, [Bezirk] Cottbus: »Mit der Außenministerkonferenz wird doch nichts. Der einzige Punkt, der in Ordnung geht, ist wohl der, dass gesamtdeutsche Wahlen kommen. Dadurch wird nämlich das jetzige System verschwinden.«
Der Mittelbauer [Name 14] aus Syhra, [Bezirk] Leipzig: »Molotow mit seinen Vorschlägen bringt noch die ganze Konferenz zum Auffliegen. Warum erklärt er sich nicht mit den Vorschlägen der westlichen Außenminister einverstanden. Dann wird es für uns Bauern bestimmt anders, wir wollen eine ›freie Wirtschaft‹ wie in Westdeutschland.«
Bevölkerung
Von der Konferenz der Außenminister wird allgemein eine Entspannung der internationalen Lage erwartet. Jedoch hat, wie schon am Vortage berichtet, das Interesse nachgelassen, da der größte Teil der Bevölkerung nicht mehr an eine Einigung in der Deutschlandfrage glaubt. Während von den fortschrittlichen Kräften die Vorschläge Molotows aktiv unterstützt werden, sind andere der Meinung, dass es keinen Zweck habe, etwas zu tun, da ja beide Seiten Recht haben wollten.
Die Lehrerin [Name 15] aus Neustrelitz: »Die Durchführung ›freier Wahlen‹ in Deutschland kann nur die Sache der Deutschen selbst sein. Deshalb hat Molotow Recht, wenn er zuerst eine provisorische gesamtdeutsche Regierung vorschlägt. Die allein ist in der Lage, wirklich freie Wahlen durchzuführen.«
Die Schwester [Name 16] in der Kinderklinik der Universitätsklinik Rostock sagte zur Unterschriftensammlung: »Was soll der Quatsch, die machen ja doch was sie wollen. Hört nun endlich auf damit.«
Die Hausfrau [Name 17] aus Rambin, [Bezirk] Rostock: »Ich glaube, dass die Konferenz zerschlagen wird, weil der Ami alles ablehnt und die anderen ausweichen.«
Der Lehrer [Name 18] (parteilos) von der Grundschule Neustrelitz: »Die in Berlin werden wohl nicht mehr zu einer Einigung kommen, denn das ist klar, jeder will recht haben.«
Feindliche Äußerungen treten in gleichem Maße und mit den gleichen »Argumenten« wie an den Vortagen auf, wobei insbesondere »freie Wahlen« und Revidierung der Oder-Neiße-Grenze gefordert werden.
Der Angestellte [Name 19] aus Reinstädt, [Bezirk] Gera: »Ich kann nicht verstehen, warum Molotow so stur auf seinem Standpunkt steht, erst eine provisorische Regierung zu bilden und dann ›freie Wahlen‹ durchzuführen. Wir müssen sofort freie Wahlen haben, dann wird sich herausstellen, welches System von der Bevölkerung gewählt wird.«
Der Fleischermeister [Name 20] aus Halberstadt, [Bezirk] Magdeburg: »Aus purer Angst, alles zu verlieren, lassen sie hier die freien Wahlen nicht zu, denn sonst hätten wir die Einheit Deutschlands.«
Der parteilose Handschuhfabrikant [Name 21] aus Holzhausen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die SED kann die freien Wahlen nicht gebrauchen, weil sie weggeblasen würde, schneller als sie denken. Ich habe jetzt mit vielen Arbeitern gesprochen, die alle auf freie Wahlen warten.«
Der Umsiedler [Name 22] aus Schönebeck, [Bezirk] Magdeburg: »Man soll die umgesiedelten Deutschen wieder in ihre Heimat zurückbringen, dann wird wieder Ruhe und Frieden in der Welt sein.«
Die Hausfrau [Name 23] aus Leubsdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Sie sollen doch die Oder-Neiße-Grenze wieder abschaffen, damit das Gebiet wieder zu uns kommt, dann können die Umsiedler wieder in ihr altes Gebiet zurückkehren und bei uns werden wieder freie Wohnungen.«
Westberlin
Im Allgemeinen nehmen die Zweifel an einem erfolgreichen Verlauf der Konferenz in der Westberliner Bevölkerung zu und werden die Diskussionen zur Konferenz geringer, wogegen eine gleichgültige Haltung und eine gewisse Mutlosigkeit wachsen. Positive Stimmen, die die Hoffnung auf ein günstiges Ergebnis der Konferenz beinhalten und sich für die Vorschläge der Sowjetunion aussprechen, stammen meist von Arbeitern.
Ein Arbeiter aus Westberlin: »Im Westen spricht man von freien Wahlen, verhaftet aber gleichzeitig Kommunisten. Ebenso würden freie Wahlen laut Eden aussehen.«
Eine Hausfrau aus Westberlin: »Die Ablehnung der Vertreter aus Ost und West durch Adenauer43 ist ungeheuerlich. Bei der friedlichen Lösung der deutschen Frage müssen unbedingt Deutsche mitsprechen.«
In negativen Stimmen werden vor allem »freie Wahlen« gefordert und wird gegen die Sowjetunion gehetzt.
Ein Arbeiter aus Berlin-Schöneberg: »Wie es bisher aussieht, wird es wohl mit freien Wahlen nichts werden. Aber Molotow muss sich die Sache noch sehr überlegen, wenn er keinen zweiten 17. Juni [1953] haben will.«
Ein Arbeiter aus Berlin-Wilmersdorf: »Hoffentlich kommen die Russen zu der Einsicht, dass es doch alles keinen Zweck hat, denn Deutschland will frei sein und die sollen sich in ihr Land zurückziehen.«
Ein Jugendlicher aus Westberlin: »Die Konferenz ist zurzeit festgefahren. Jeder hat einen Friedensplan herausgebracht und jeder sagt: Der unsrige ist der richtige Plan. Das Ende vom Lied wird sein, dass sie so auseinandergehen, wie sie gekommen sind.«