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Zur Beurteilung der Situation

12. Februar 1954
Informationsdienst Nr. 2119 zur Beurteilung der Situation

Stimmung in der DDR

Nach den Berichten der Bezirke sind keine wesentlichen Veränderungen in der Stimmung der Bevölkerung festzustellen.

Feindtätigkeit

Einzelne Flugblattfunde wurden aus den Bezirken Potsdam, Frankfurt/Oder und Karl-Marx-Stadt gemeldet. In Magdeburg wurden vereinzelt Hetzschriften durch die Post versandt.

Die Stimmung im demokratischen Sektor von Groß-Berlin

Das Interesse der Bevölkerung an der Außenministerkonferenz1 hat in den letzten Tagen merklich nachgelassen. Teilweise sind die Diskussionen darüber stark abgeflaut. Von allen Schichten werden Zweifel über den Ausgang der Konferenz in der Deutschlandfrage geäußert. In einzelnen Betrieben kommt diese Interesselosigkeit darin zum Ausdruck, dass bestimmte Teile der Belegschaft die Versammlungen, die anlässlich der Viererkonferenz gehalten werden,2 verlassen oder den Diskussionen darüber ausweichen, wie z. B. im VEB 7. Oktober3 und im Kraftwerk Rummelsburg.

Die Interesselosigkeit zeigt sich auch noch darin, dass die Diskussionen über wirtschaftliche Forderungen sich verstärken, wie z. B. über Lohnerhöhungen für Meister und Ausgabe der Lebensmittelkarten für die Bevölkerung der DDR mit der gleichen Zuteilung wie für Groß-Berlin. Von einem großen Teil der Bevölkerung werden jedoch die Vorschläge des Genossen Molotow4 anerkannt und die Zustimmung in den Gesprächen zum Ausdruck gebracht.5

Ein Kollege vom Ministerium für Eisenbahnwesen, Hauptverwaltung Reiseverkehr, sagte: »Die freien Wahlen sind nur so möglich, wie es Außenminister Molotow bereits mehrmals zum Ausdruck gebracht hat. In Westdeutschland, wo Presse, Rundfunk usw. unter dem Einfluss monopolkapitalistischer Geldgeber stehen, kann nur ein von ihnen erzwungenes Wahlergebnis zustande kommen.«6

Kollegen vom Progress-Filmvertrieb erklärten: »Wir sind durchaus selbst in der Lage, unsere Angelegenheiten in Deutschland allein zu regeln. Wir begrüßen besonders den Vorschlag des Genossen Molotow, die Truppen noch vor den Wahlen, bis auf kleine Kontingente, abzuziehen.7 Wir erwarten, dass uns ein einheitliches Deutschland in der Entwicklung auf unserem Fachgebiet weit größere Möglichkeiten bietet.«8

Ein Kollege aus den Berliner Möbelwerken stellte in einer Diskussion die Forderung, gleiche Lebensmittelkarten in der DDR wie in Berlin auszugeben. Wenn das nicht zu erfüllen sei, sollte man den Kollegen, die in der DDR wohnen, einen Ausgleich aus den Direktorenfonds zahlen, damit sie sich zusätzlich Lebensmittel kaufen können. Ähnliche Diskussionen gibt es im ganzen Betrieb.

Im VEB 7. Oktober fand am 10.2.1954 eine Belegschaftsversammlung statt, auf der der Ministerpräsident Otto Grotewohl9 sprach. Anwesend waren ca. 700 Arbeiter und Angestellte. Am Schluss der Versammlung waren jedoch nur noch 500 Personen anwesend. Die übrigen haben während der Versammlung den Raum verlassen.10 Es handelt sich hierbei besonders um Jugendliche aus dem Lehrkombinat. Anschließend äußerte sich ein Mitglied der SED: »Man sollte lieber arbeiten und nicht so viel Versammlungen machen.« Ein anderer Kollege sagte: »Es war ja ganz richtig, was Otto Grotewohl sagte, aber man müsste auch die andere Seite hören.« Ein dritter vertrat die Meinung, die Fragestellung bei der Wahl – Krieg oder Frieden – ist nicht richtig, sondern man müsste die Frage stellen, Ost- oder Westdeutschland?11

Auch im Kraftwerk Rummelsburg fand am 9.2.1954 eine Belegschaftsversammlung statt. Es nahmen ca. 150 Personen daran teil. Der Beifall nach Beendigung des Referates war sehr schwach. Zur Diskussion meldete sich niemand. Ein Teil der Kollegen hat die Versammlung verlassen, ein anderer während der Versammlung geschlafen.12 Die negativen Elemente betonen in Diskussionen, dass bei Verhinderung oder Nichtdurchführung freier Wahlen im westlichen Sinne, beim Scheitern der Konferenz, wahrscheinlich ein Krieg unvermeidlich ist. Objektivistische Tendenzen, Forderung nach Veröffentlichung auch der Reden der westlichen Außenminister in unserer Presse, werden von diesen Kreisen lebhaft unterstützt und in die Diskussionen hineingetragen.

Ein Zugabfertiger vom Bahnhof Schöneweide sagt über die Viermächtekonferenz: »Die Russen werden hier ja doch keine freien Wahlen durchführen lassen, denn dann wollen die in der ČSR, Ungarn und Rumänien auch freie Wahlen haben und dann ist der Russe hier erledigt. Wir wollen einen Friedensvertrag haben und die Freiheit, weiter nichts.«

Bei der Firma Richter und Co der IG Bau-Holz äußerten sich sechs Kollegen in einer Kurzversammlung völlig negativ. Sie forderten die Übergabe von West- und Ostpreußen sowie Oberschlesien und traten für freie und geheime Wahlen nach dem Muster vom 6. September 195313 und für die Vorschläge der westlichen Außenminister ein.

Ein Referent von der HV Kraft- und Arbeitsmaschinen14 ist der Meinung, dass die sowjetischen Vorschläge auf Senkung der Besatzungskosten und Erlass der Reparationen und Nachkriegsschulden Westdeutschlands überspitzt seien.15 Diese werden die Westmächte sowieso nicht anerkennen. Weiterhin sagte er, dass man nicht so ohne Weiteres dem Abzug der Besatzungstruppen zustimmen könne, da dann ein deutscher Bürgerkrieg drohe.

Ein Genosse von der Deutschen Notenbank äußerte: »Wir können nichts ändern, die Außenminister werden sich nicht einig. Das ganze Problem lässt sich nicht friedlich lösen, der einzige Ausweg besteht im Krieg, in welchem sich zeigt, wer der Stärkere ist.«

Stimmen aus Westberlin

Die zweifelnden Diskussionen an einem günstigen Verlauf der Konferenz halten weiterhin in der Westberliner Bevölkerung an wie am Vortage. Die positiven Stimmen zur Außenministerkonferenz, die die Hoffnung auf einen erfolgreichen Ausgang ausdrücken und die Vorschläge der SU unterstützen, stammen von Arbeitern, Erwerbslosen und kleinen Geschäftsleuten.16

Ein Siemens-Arbeiter aus Westberlin: »Wir hatten schon öfters ›freie Wahlen‹ und doch ist das Leben nicht besser geworden. An diesen ›freien Wahlen‹ ging die Weimarer Republik zugrunde und zwar deswegen, weil es keine wirklichen freien Wahlen waren.«

Ein Kohlenarbeiter aus Westberlin: »Es wäre angebracht, eine Abstimmung in ganz Deutschland über den Vorschlag Molotows zur Frage EVG17 oder Friedensvertrag durchzuführen. Ich selbst bin entschiedener Gegner des EVG-Vertrages.«

Ein Arbeitsloser aus Westberlin: »Nun bin ich schon wieder fünf Monate ohne Arbeit. Ich setzte alle Hoffnung auf die Viererkonferenz. Ich kann es einfach nicht verstehen, dass eine so wichtige Deutschlandbesprechung ohne deutsche Vertreter durchgeführt wird. Molotow hat mir aus dem Herzen gesprochen.«18

Ein Geschäftsmann aus Berlin-Wedding: »Ich habe bisher alles begrüßt, was getan wurde, um den Frieden zu erhalten. Man kann Molotow nur dankbar sein, dass er sich für das deutsche Volk solche Mühe gibt.«

Negative und feindliche Äußerungen, die sich vor allem gegen die Ablehnung der »freien Wahlen« vonseiten der SU richten, stammen vor allem von Angestellten und größeren Unternehmern.

Eine Angestellte aus Berlin-Charlottenburg: »Herr Molotow gibt sich die größte Mühe, keine Einigung herbeizuführen. Es wäre wirklich traurig, wenn es zu keinen Wahlen käme. Warum hat Herr Molotow so große Angst, wo er doch immer meint, das Volk ist mit der Führung so einverstanden.«

Ein Angestellter aus Berlin-Tempelhof: »Herr Molotow hat dafür gesorgt, dass bis jetzt noch nichts erreicht worden ist. Der Russe will eben ein Gesamtdeutschland nur in seinem Sinne. Zu allen anderen Vorschlägen sagt er ›Njet‹.«

Ein Angestellter aus Berlin-Grunewald: »Die Berliner Konferenz scheint festgefahren. Die Welt wird nichts für Deutschland tun. Es ist alles auf Sturm aufgestellt und ich befürchte neue Unruhen in der Sowjetzone.«

Die Durchfahrt der sowjetischen Delegation verlief ohne Vorkommnisse.

Stimmen aus Westdeutschland

Der überwiegende Teil der uns vorliegenden Stimmen aus Westdeutschland bringt den Wunsch zum Ausdruck, dass durch die Viererkonferenz die Einheit Deutschlands zustande kommen möge. Die positiven Stimmen davon äußern die Meinung, dass bei einigermaßen Vernunft eine Lösung gefunden und die Gegensätze überbrückt werden könnten.

Ein Arbeiter aus Coburg, Württemberg-Baden:19 »Hoffentlich fliegt die Konferenz nicht auch wieder auf, denn das wäre nicht gut für uns. Allmählich müsste doch jedem klar werden, dass der Osten den Westen und der Westen den Osten braucht. Diese Tatsache allein müsste schon eine vernünftige Lösung bringen.«

Ein Arbeiter aus Neu-Ulm: »Hoffen wir auch, dass endlich die Vernunft spricht und kein Auseinandergehen kommen möge, ohne den Lichtblick für alle Völker und auch für die Deutschen.«

Sehr zahlreich sind die zweifelnden Stimmen, die an eine Einigung der vier Außenminister auf der Konferenz nicht glauben.20 Eines Teils geht man davon aus, dass sich zwei Systeme gegenüberstehen, wobei keiner nachgibt und jeder nur ein Deutschland nach seinem Muster herzustellen wünscht. Zum anderen geht man davon aus, dass die vier Mächte sich darin einig wären, wie sie am besten Deutschland ausbeuten können.

Ein Angestellter aus Kempten: »Die Großen in Berlin werden sich wieder eine Weile Theater vorspielen und dann bleibt alles beim Alten. Manchmal verliert man den Glauben an den guten Willen, Deutschland zu vereinigen.«

Ein Intelligenzler aus Karlsruhe: »Da sitzen vier Außenminister von fremden Staaten in Berlin, sollen über Deutschland beraten und jeder von ihnen hat vordringlichere, eigene Interessen. Deutschland steht draußen vor der Tür in seinem eigenen Hause. Einig sind sich die Vier nur in dem einen Punkt, Deutschlands Kraft auf immer niederzuhalten. Eine dieser Voraussetzungen ist die Nicht-Wiedervereinigung.«

In einigen Äußerungen werden Wahlen im westlichen Sinne gefordert. Umsiedler hoffen auf eine Rückkehr in die alten Gebiete.

Ein Arbeiter aus Warmensteinbach: »Hoffentlich gelingt es bald die Zonengrenzen zu beseitigen und dass eine gemeinsame Regierung kommt, die jeder in freier Wahl bestimmen kann.«

Ein Neubürger aus Itersbach: »Wir wollen unsere Hoffnung und unser Vertrauen auf die Berliner Konferenz setzen, dass Deutschland wieder vereinigt wird und dass wir wieder in unsere Heimat zurückkehren können.«

Anlage vom 12. Februar 1954 zum Informationsdienst Nr. 2119

Tätigkeit der Westsender

RIAS 12.2.1954

Ausschnitt aus der Rede Ernst Scharnowskis21

Viele werden diesen gesicherten Lebensabend nicht bis zum Ende ihres Lebens in Bautzen, in Waldheim22 oder irgendwo verbringen müssen und wir hoffen nur, dass wir diese Freunde eher befreien, als es den Machthabern auf der anderen Seite lieb ist.

RIAS 11.2.1954

Dass die Sowjets und ihre deutschen Helfer damit schlecht beraten waren, sagte ihnen ebenfalls Ernst Reuter.23 Es widerspricht allen geschichtlichen Erfahrungen, dass auf die Dauer ein Volk wie das deutsche so niedergehalten werden kann, wie es die sowjetischen Machthaber in Ostdeutschland wollen und sich einbilden. Die zu feige sind, ihr eigenes Volk vor die Möglichkeit einer freien Wahl zu stellen, weil sie genau wissen, dass sie davongejagt werden würden.

Der Kreuzberger Bezirksbürgermeister Kressmann24 schlug vor, die Berliner sollten den in der Stadt versammelten Außenministern und der Weltöffentlichkeit in einem Schweigemarsch zeigen, wo sie stünden.25

Hamburg 11.2.195426

In den Stahlwerken Henningsdorf und Brandenburg ist es in den letzten Tagen zu Protesten von Arbeitern wegen der ständigen Erhöhung der Arbeitsnormen gekommen.

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