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Zur Beurteilung der Situation

5. August 1954
Informationsdienst Nr. 2279 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Zu politischen Tagesfragen wird im Allgemeinen wenig Stellung genommen. Bei den wenigen Diskussionen spricht man über den Schritt von Dr. John1 und über die Note der Sowjetregierung.2 Diskussionen zur Genfer Konferenz3 treten nur noch ganz vereinzelt auf, wobei man über die bereits bekannten Argumente diskutiert.

Zum Schritt von Dr. John, Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, treten überwiegend positive Diskussionen auf, wobei man zum Ausdruck bringt, dass dies ein gewaltiger Schlag für die Adenauer-Clique4 ist. Hierzu ein charakteristisches Beispiel: Ein Kumpel vom [Wismut-]Schacht 6 aus Oberschlema,5 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Der Übertritt Dr. Johns von Westdeutschland nach der DDR ist ein Beweis, dass die Politik Adenauer zum Ruin führt. Die Menschen werden aufgeweckt und sagen sich von der Adenauer-Politik los. Es gibt genügend patriotische Kräfte in Westdeutschland, die den Kampf für die Verständigung zwischen Ost und West führen, jedoch müssen sie mehr von den Volksmassen unterstützt werden.«

Einige Werktätige bezweifeln, dass Dr. John es mit seiner Handlungsweise ehrlich meinte. Ein Ingenieur vom VEB Wälzlagerwerk Fraureuth, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »John ist bestimmt eine wichtige Person in Westdeutschland, aber wer weiß, ob er es ehrlich meint. Es gilt, seine Angaben genau zu überprüfen.«

Ein Pförtner aus dem VEB Bodenbearbeitungsgerätewerk Leipzig: »Meiner Ansicht nach ist hier Vorsicht geboten. Ich bezweifle noch, dass es dieser John ehrlich meint. Wenn ja, begrüße ich seine Tat natürlich auch.«

Nur ganz selten werden negative Stimmen zur Handlungsweise von John bekannt. Ein Arbeiter aus dem VEB Simsonwerk, [Bezirk] Suhl: »Dieser John hat sich drüben an der Menschheit vergangen und musste abhauen. Ich habe schon gehört, dass er wieder abgeschoben werden soll.«

Missstimmungen bestehen in einigen Betrieben wegen Lohnfragen usw. Unter den Arbeitern des VEB Konservenfabrik Frankfurt/Oder herrscht schlechte Stimmung wegen der niedrigen Tarife für die Lohnzahlung. Aus diesem Grunde wandern auch viele Arbeiter, meist ungelernte Kräfte, in andere Betriebe über. Dadurch ist in der Konservenfabrik ein Arbeitskräftemangel zu verzeichnen.

Unter den Reichsbahnangestellten (Transitfahrer) wird ebenfalls über die Lohnfrage diskutiert. Falls keine Erhöhung der Löhne erfolgt, wollen sie in den Heimatorten Arbeit suchen. Außerdem ist noch schlechte Stimmung, da die Trennungsgelder niedriger geworden sind.

In dem VEB Leipziger Baumwollspinnerei verließen zahlreiche Facharbeiter ihren Arbeitsplatz, weil sie so wenig verdienten. Diese Arbeiter arbeiteten an neuen Maschinen, die erst eingefahren werden mussten und demzufolge lag der Grundlohn der Arbeiter bei 0,98 DM. Durch diesen Umstand müssen die anderen Kollegen Überstunden machen.

Im Benzinwerk Ost des VEB Böhlen,6 [Bezirk] Leipzig, herrscht unter den Arbeitern eine starke Missstimmung über die Erhöhung des Solls. Die Arbeiter erfüllten bis zwei Tage vor Monatsschluss ihren Plan mit 104 Prozent. Von Berlin erhielt das Werk Anweisung, dass das Soll um 10 000 t heraufgesetzt sei. Deshalb konnten sie ihr Monatssoll nur mit 93 Prozent erfüllen. Daraufhin erhielten die Arbeiter keine Prämien.

In der Großkokerei Mathias Rakosi, Lauchhammer, [Bezirk] Cottbus, herrscht unter der Belegschaft Missstimmung. Es wird erzählt, dass bei einer Revision der Kasse der BGL FDGB-Mittel zum Einkauf von Geburtstagsgeschenken für die Spitzenfunktionäre verwendet wurden. Weiter wird erzählt, dass sich der Parteisekretär, BGL-Vorsitzender und Werkleiter 1 000 DM Taschengeld aus dem Direktorenfonds für eine Reise nach Ungarn genommen hätten. Diesbezüglich will man sich an Walter Ulbricht7 wenden, um alle Missstände in diesem Werk aufzudecken.

Produktionsschwierigkeiten bestehen in einigen Betrieben wegen Material- und Arbeitskräftemangel sowie schlechten Materials.

Im Stahlwerk Riesa ist gegenwärtig in beiden Rohrwerken starke Diskussion über schlechtes Material im Gange. Wenn 500 Rohre gewalzt werden, werden ca. 50 Prozent in den Schrott geworfen. Die Ursache ist das schlechte Material, welches aus dem Martin-Werk geliefert wird.

Im VEB Holzverarbeitung Geisleden8 ist wegen Materialschwierigkeiten ein Rückgang der Planerfüllung auf 86 Prozent zu verzeichnen. Unter den Kollegen ist eine Unzufriedenheit aufgetreten, da sie im Leistungslohn arbeiten und aus diesem Grunde Lohnausfall haben.

Im VEB EOW Dingelstädt,9 [Bezirk] Erfurt, sind dadurch Produktionsschwierigkeiten aufgetreten, dass nicht genügend Reissverschlüsse vorhanden sind. Die Fertigung muss zzt. auf Knopfverschlüsse umgestellt werden, wodurch wiederum Absatzschwierigkeiten entstehen. Es ist bereits ein Lagerbestand von 150 000 DM vorhanden.

Im VEB Industriewerk in Rauenstein, [Bezirk] Suhl, fehlt es an Zement, sodass bereits eine Abteilung stillgelegt werden musste. Weiterhin fehlte es an 1 1/5-mm-Blechen.

Im VEB IKA Sonneberg,10 [Bezirk] Suhl, fehlt es an Messingblechen, Automatenstahl und Tiefziehblechen. Es besteht die Gefahr, wenn bis Ende dieser Woche kein Blech eintrifft, dass die Fertigung zum Stillstand kommt. Alle bis jetzt in Berlin geführten Verhandlungen blieben ohne Erfolg.

In der Volkswerft Stralsund sind die Schweißer über die schlechte Qualität der Elektroden unzufrieden. Des Öfteren werden die Schweißarbeiten beanstandet, wozu die Schweißer erklären, dass sie mit diesen Elektroden keine bessere Arbeit liefern können.

In der Gemeinde Lauscha, [Bezirk] Suhl, fehlt es den Glasbläsern an Pappe zur Verpackung. Ein Exportauftrag nach Kanada im Werte von 300 000 DM ist bereits fertig, kann jedoch durch das Fehlen von Verpackungsmaterial nicht versandt werden. Dabei ist zu bemerken, dass am 15.8.[1954] Liefertermin ist. Falls der Termin nicht eingehalten wird, ist der Vertrag ungültig.

Im VEB Gaselan Berlin bestehen Materialschwierigkeiten, sodass der Plan in der Gaszählerproduktion nicht erfüllt werden kann.

Die Privatfirma Breuning und Langer, Mulda,11 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, kann wegen Materialmangel die Export- und Staatsaufträge nicht erfüllen. Es handelt sich hierbei um 660 Festmeter Holz, die benötigt werden.

Im VEB Vereinigte Teppichwerke in Oelsnitz musste infolge der schlechten Belieferung mit Braunkohlenbrikett die Produktion in der Färberei eingestellt werden. Dabei ist zu bemerken, dass der Betrieb sämtliche Winterreserven aufgebraucht hat.

Produktionsstörungen

Im Steinkohlenwerk »Martin Hoop« in Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sind in letzter Zeit erhebliche Produktionsschwierigkeiten infolge Zerreissens von Panzerketten zu verzeichnen.

Im Kraftwerk Lauterwerk,12 [Bezirk] Cottbus, fiel die Turbine I aus. Die Ursache, Heißlaufen der Stopfbüchse an der Kühlwasserpumpe. Die Reparaturen dauern voraussichtlich 48 Stunden.

Durch einen Erdrutsch im ausgekohlten Tagebau der Brikettfabrik »Impuls« Senftenberg, [Bezirk] Cottbus, wurde die 15 000-KV-Leitung gestört, wobei für 30 Minuten die Versorgung mit Strom in der Stadt Senftenberg ausfiel.

Gerücht: Aus der Peenerwerft Wolgast, [Bezirk] Rostock, wurde bekannt, dass das Küchenpersonal darüber diskutiert, dass durch die entstandenen Unwetterschäden13 wieder die Brotkarten eingeführt werden sollen, weil nicht genügend Getreide geerntet werden kann.

Handel und Versorgung

Dem Verderb ausgesetzte bzw. verdorbene Waren

Im Bezirk Neubrandenburg lagern 20,7 t Speisehartfett, für die keine Absatzmöglichkeit besteht. Am 26.7.1954 teilte das Ministerium für Handel und Versorgung mit, dass dieses Speisefett gegebenenfalls an die Öl- und Margarinewerke Rostock zurückgeliefert werden kann. Dieses Werk verweigert aber die Annahme. In einigen Kreisen ist dieses Fett schon grün angelaufen und bedarf der schnellsten Umarbeitung. Im Zusammenhang damit muss mitgeteilt werden, dass auf Mitteilung des Konsumgenossenschaftsverbandes die Fa. Frost,14 [Bezirk] Leipzig, Süßwarenfabrik ihre Verträge in der Produktion, besonders in Milchbonbon nicht einhalten konnte, weil ihr Speisehartfett fehlt. Außerdem lagern im Kühlhaus Prenzlau, [Bezirk] Neubrandenburg, immer noch 937 t Schmalz aus Importen von China und Amerika, welches schon verdorben ist.

Bei der DHZ Leder in Frankfurt lagern Damenimportstiefel zu Hunderten von Paaren, die durch schlechte Lagerung bereits von Schimmel befallen sind, ohne dass eine Abhilfe geschaffen wurde.

Kartoffelfehlplanung

Laut Anordnung der VEAB Frankfurt müsste die VEAB Angermünde, [Bezirk] Frankfurt, Kartoffeln bis auf Widerruf an die VEAB Eberswalde liefern. Am 31.7.1954 lehnte die VEAB Eberswalde die weitere Abnahme der Kartoffellieferungen ab, da sie selbst genügend hätte. Eine neue Sendung von 18 Waggons Kartoffeln musste die VEAB Angermünde wieder zurücknehmen, wodurch 1 000 DM Transportkosten entstanden.

Zigarettenmangel (besonders billige Sorten) ist in einzelnen Kreisen des Bezirkes Karl-Marx-Stadt, im Kreis Stadtroda, [Bezirk] Gera, und in den Kreisen Worbis, Weimar, Nordhausen, [Bezirk] Erfurt, zu verzeichnen. Im Kaliwerk Thomas Müntzer in Worbis, [Bezirk] Erfurt, z. B. gab es am 3.8.[1954] überhaupt keine Zigaretten und die Kumpel erklärten: »Wenn es morgen keine Zigaretten gibt, fahren wir nicht ein.« Maßnahmen zur Behebung dieses Mangels sind eingeleitet.

In Berlin klagt die Fleischerinnung, dass dem Fleischerhandwerk jetzt Schweine mit Kopf und Beinen geliefert werden, die Fleischer aber nicht in der Lage sind, die Köpfe und Beine – Markenwerk 1: 2 – zu verkaufen, auch nicht zur Wurstherstellung zu verwenden, da in der warmen Jahreszeit die Nachfrage nach Kochwurst gering ist. Es besteht die Gefahr des Verderbens und das Fleischerhandwerk erwartet Maßnahmen, zumal der Magistrat von Groß-Berlin trotz Kenntnis nichts unternommen hat.

Landwirtschaft

Über politische Tagesfragen diskutiert die Landbevölkerung durch die Inanspruchnahme bei der Ernte zurzeit noch weniger als an den Vortagen. Zur Genfer Konferenz, zur Sowjetnote und zum Fall Dr. John wurde daher nur ganz vereinzelt Stellung genommen. Diese Stimmen sind meist positiv und stammen hauptsächlich15 aus dem sozialistischen Sektor der Landwirtschaft. Ein Landarbeiter aus dem VEG Wolkwitz, [Bezirk] Neubrandenburg, sagte zur Genfer Konferenz: »Dass die Verhandlungen in Genf fruchtbringend gewesen sind, beweist uns die Einstellung des Krieges in Vietnam.16 Auf diese Art und Weise wird es auch uns möglich sein, die Einheit Deutschlands herzustellen.«

Zum Schritt Dr. Johns. Ein Arbeiter der Feldbrigade aus der LPG Heidenau, [Bezirk] Dresden, sagte: »den Schritt, den Dr. John gemacht hat, wird der Bevölkerung in Westdeutschland die Augen weiter öffnen. Wenn noch mehr solche Persönlichkeiten der Bundesrepublik zu uns kommen, dann verlieren die dort drüben noch ganz den Kopf.«

In der Hauptsache befasst sich die Landbevölkerung mit wirtschaftlichen Fragen und mit den Mängeln auf dem Lande.

Im Kreis Teltow, [Bezirk] Potsdam, klagen die Bauern über die VEAB, die bei dem abgelieferten Getreide 28 bis 30 Prozent Feuchtigkeit anrechnet, obwohl der Roggen im trockenen Zustand (mit 14 Prozent Feuchtigkeitsgehalt) geliefert wird. Beim Abzug der Feuchtigkeitsgrade verwendet die VEAB Teltow keinen Feuchtigkeitsmesser. Ein Dispatcher der MTS Ludwigsfelde, [Bezirk] Potsdam, sagte hierzu, dass die Anrechnung der hohen Feuchtigkeitsgrade Unsinn ist, weil das Getreide sich bei 30 Prozent Feuchtigkeit gar nicht mähen lässt. Er sagte weiter, wenn das die werktätigen Bauern erfahren, werden sie kein Getreide mehr mit dem Mähdrescher mähen lassen.

Im Kreis Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg, geht unter den Bauern das Gerücht um, dass aufgrund der Hochwasserkatastrophe die Bauern Mecklenburgs doppelt abliefern müssen. Ein Neubauer aus der Gemeinde Penzlin sagte hierzu: »Mit der Ablieferung müssen wir jetzt wohl noch warten, denn durch das Hochwasser werden wir jetzt doppelt abliefern müssen. In den nächsten Tagen wird das erhöhte Ablieferungssoll herauskommen.«

Aus der LPG Tacken, [Bezirk] Schwerin, beabsichtigen einige Mitglieder, wegen dem diktatorischen Auftreten des Vorsitzenden auszutreten.

Übrige Bevölkerung

Über politische Tagesfragen wird innerhalb der übrigen Bevölkerung nur sehr wenig Stellung genommen. Zur Note der Sowjetregierung sowie zum Abschluss der Genfer Konferenz wurden heute keine Stimmen bekannt. Diskussionen über den Schritt des Dr. John sind ganz vereinzelt. Sie stammen meist von fortschrittlichen Kräften, überwiegend von Angestellten der Verwaltung, vereinzelt von Angehörigen der bürgerlichen Parteien. Sämtliche Meinungen sind positiv. Man äußert darin, dass dieser Schritt ein Zeichen der Schwäche und des Zerfalls des Adenauer-Regimes ist und hofft teilweise, dass noch weitere verantwortliche Staatsangestellte der Bonner Regierung zur DDR übergehen werden.

Ein Angestellter aus Neubrandenburg (SED): »Der Fall Dr. John ist ein Zeichen, dass die Regierung in Westdeutschland morsch und am Zerfallen ist. John ist nicht der Letzte, der zu uns gekommen ist.«

Ein Sparkassenangestellter aus Marienberg (CDU), [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Durch das Übertreten des ehemaligen Präsidenten des Bonner Amtes für Verfassungsschutz Dr. John kann man die Stärke des Weltfriedenslagers, in welches auch die DDR einbezogen ist, sowie die Auswirkungen der Erfolge der Genfer Konferenz ersehen.«

Vielfach führt die Bevölkerung aus Stralsund Klagen über das Auslandsreisebüro. Eine Frau aus Stralsund hatte einen Antrag gestellt, der fünf Monate lang nicht beantwortet wurde, obwohl sie mehrmals nachfragte. Ein Zahnarzt aus Stralsund musste sechs Stunden im Auslandsreisebüro warten und erlebte dabei, wie ein Schweizer Kaufmann einer VP-Angestellten die Papiere vor die Füße warf und rief: »Wer will denn hier Handel treiben, die DDR mit mir oder ich mit Euch?« Er verließ demonstrativ das Büro, nachdem er acht Stunden auf die Einreisegenehmigung gewartet hatte.

Zur Verurteilung des ehemaligen Kreissekretärs der LDPD in Sangerhausen, [Bezirk] Halle, äußerte sich ein Mitglied der LDP aus Stolberg:17 »Dieses Urteil schlägt dem Fass den Boden aus. Es wirkt sich unbedingt negativ auf die Arbeit der LDP aus. Bereits jetzt hat der Vorsitzende der LDP Stolberg seine Funktion niedergelegt, weil er sich nicht wegen Äußerungen einsperren lassen wollte.«18

Eine Angestellte der Stadtverwaltung Meißen, [Bezirk] Dresden, erklärte allen Kraftfahrern, dass es ab diesem Monat keine Benzinmarken mehr gäbe und dass das Benzin nur noch auf HO-Basis zu beziehen wäre. Hierbei handelt es sich um ein Gerücht.

In Berlin ist ein Teil der Eltern von Kindern, die das Ziel der 8. Klasse erreicht haben, nicht damit einverstanden, dass diesen Kindern nicht die Möglichkeit gegeben wird, einen Beruf zu erlernen. Sie führen als Argument an, dass nicht immer derjenige der beste Arbeiter wird, der auch in der Schule der beste Schüler war. Zum größten Teil handelt es sich um Kinder aus Arbeiterfamilien, die aufgrund mangelhafter Leistungen in der Schule von diesen Maßnahmen betroffen werden.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:19 Karl-Marx-Stadt 4 980, Erfurt 1 408, Halle 30 000, Cottbus 3 000, Frankfurt 6 000.

KgU:20 Dresden 11.

UFJ:21 Rostock 80.

DGB-Ostbüro: Leipzig 700.

NTS:22 Karl-Marx-Stadt 18, Potsdam 2 500.

»Tarantel«:23 Karl-Marx-Stadt 159.

Versch[iedener] Art: Potsdam 1 500.

In Römhild, Kreis Meiningen, [Bezirk] Suhl, wurden selbstgefertigte Hetzschriften gefunden.

Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.

Antidemokratische Tätigkeit: In Stahnsdorf, [Kreis] Potsdam, und Halle wurden Hetzlosungen festgestellt.

Brandstiftung: In der LPG Rosenhagen, Kreis Grevesmühlen, [Bezirk] Rostock, brannte durch Brandstiftung ein Schafstall ab. Ein der Tat Verdächtiger wurde festgenommen.

Diversionen: In Langenapel, Kreis Salzwedel, [Bezirk] Magdeburg, befand sich ein verrosteter Karabinerlauf in einer Rapsgarbe. Durch rechtzeitiges Entdecken konnte die Beschädigung des Mähdreschers verhindert werden.

In der Gemeinde Parum, Kreis Hagenow, [Bezirk] Schwerin, wurde ein Binder auseinandergebaut und die montierten Teile verstreut.

In der Gemeinde Lüttow, Kreis Hagenow, [Bezirk] Schwerin, wurde ein mit 1 000 l Treibstoff gefülltes Fass von dem Abfüllstand heruntergestoßen und versucht, es zu öffnen.

Auf einem Gerstenfeld der LPG Schilfa, Kreis Sömmerda, [Bezirk] Erfurt, war ein ca. 50 cm langer, daumenstarker verrosteter Eisenstab in den Boden gerammt, wodurch zwei Messerklingen des Mähdreschers S 424 abgebrochen wurden.

Bei einem Mittelbauern der Gemeinde Roggenhagen, Kreis Neubrandenburg, wurden große Steine in den Rapsgarben eingepresst, wodurch der Dreschsatz beschädigt wurde.

Vermutliche Feindtätigkeit

Im VEG Kaltenhausen, Kreis Jüterbog, [Bezirk] Potsdam, ist die Zahl der verendeten Schweine seit Mai 1954 ständig gestiegen. Im Juni und Juli wurden Ferkeltyphus und Fleischvergiftung festgestellt. Der Tierarzt kann die Ursachen nicht klären und vermutet, dass die Schutzimpfungen gegen die Schweinepest Schuld haben, da die Krankheiten nur bei den Tieren auftreten, die von der Aufzucht in die Mastanstalt kommen und vorher geimpft werden.

In der MTS Fröhden, Kreis Jüterborg, [Bezirk] Potsdam, wurden drei Mähbinder beschädigt, was vermutlich auf Feindtätigkeit zurückzuführen ist. Der technische Leiter gab an, dass alle drei Maschinen auf ihre Einsatzbereitschaft überprüft worden sind und die Beschädigungen nur infolge der fehlenden Bewachung geschehen konnten.

In der Gemeinde Zitz, Kreis Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, wurde der Ventilator des Druschsatzes durch einen Schraubenschlüssel zerstört. Der Schraubenschlüssel wurde vermutlich nach der Montage des Druschsatzes in der Maschine gelassen.

Westberlin

Am 30.7.1954 fand in Spandau eine Sitzung der »Interessengemeinschaft der Pächter auf Bahnanlagen« statt. Hier erklärte der Schriftführer und Rechtsbeistand, dass die Verhandlungen zwischen Senat und den Besatzungsmächten soweit gediehen seien, dass in nächster Zeit mit einer Übernahme der S-Bahn Westberlins in die Bundesbahn zu rechnen ist.25

Anlage 1 vom 5. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2279

Stimmung zur Note der Sowjetregierung an die Westmächte vom 24. Juli 1954

Weiterhin wird nur ganz vereinzelt zur Note Stellung genommen. Die meisten Diskussionen hierüber werden im Zusammenhang mit Gesprächen zur Genfer Konferenz geführt. Man äußert sich anerkennend über die Sowjetunion, da sie alles tut, um den Frieden zu erhalten. Gleichzeitig wird gefordert, dass man über die Deutschlandfrage verhandelt. Durch die Erfolge auf der Genfer Konferenz hat man neue Hoffnungen bezüglich der Deutschlandfrage geschöpft.

Meist äußern sich Arbeiter der volkseigenen Betriebe, weniger Angestellte. Aus der Landbevölkerung, wo die Ernte im Vordergrund steht und aus der übrigen Bevölkerung wurden heute keine Stimmen bekannt. Vereinzelt verhalten sich Kollegen skeptisch gegenüber dem Erfolg der Note.

Ein Kumpel aus dem [Wismut-]Schacht 6 in Oberschlema, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wir müssen die deutsche Frage genauso zum Erfolg bringen, wie es Genf gegenüber den Völkern Frankreichs und Vietnams bewiesen hat. Die Note der SU wird uns dabei eine große Hilfe sein.«

Ein Haldenarbeiter vom [Wismut-] Objekt »IV. Parteitag«, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt:26 »Dass das Deutschlandproblem auf friedlichem Wege gelöst werden kann, darin bestärkt mich die neue Note der Sowjetunion in meiner Zuversicht.«

In der Abteilung Sortierung des Kunstseidenwerkes Premnitz, [Bezirk] Potsdam, brachten mehrere Kollegen bei einer Unterschriftensammlung für die Zustimmung zum Vorschlag der SU zum Ausdruck: »Wir unterschreiben gern, aber ob es Zweck hat, ist die zweite Frage. Wir haben schon so oft unterschrieben, aber geändert hat sich bis jetzt nichts.«

Eine Angestellte aus dem VEB Papierfabriken Grünhainichen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich begrüße die Note der SU an die Westmächte, in der eine Konferenz aller europäischen Staaten zur Sicherung des Friedens vorgeschlagen wird. Die UdSSR ist die Macht, die immer wieder versucht, Probleme durch gemeinsame Verhandlungen zu lösen. Die Genfer Verhandlungen haben gezeigt, dass es aufgrund von Verhandlungen möglich war, endlich die Waffen zum Schweigen zu bringen. Das Gebot der Stunde ist, die Internationale Sicherheit in Europa zu schaffen. Für uns Deutsche gilt es, alle Kräfte für den Frieden und die Einheit einzusetzen.«

Ein Arbeiter aus Wiederau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die kollektive Sicherheit, das ist die einzige richtige Politik, auch wenn Amerika nicht mitmacht, so sind die anderen Staaten ausschlaggebend.«

Anlage 2 vom 5. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2279

Auswertung der Westsendungen

Über die Energieversorgung in der DDR hetzt der Sender »Freies Berlin«, dass in den Wintermonaten wieder damit zu rechnen ist, dass die Haushalte ohne Strom sind, da die vorhandenen Kapazitäten der Energiebetriebe nicht zur vollen Versorgung mit Strom ausreichten. Als Ursache werden wie bereits in früheren Sendungen wieder »Demontagen« und fehlende Möglichkeiten der Erweiterung der Energieanlagen genannt.

Zu den von den gegnerischen Kräften verbreiteten Gerüchten über Mängel in der Lebensmittelversorgung hetzt der RIAS, dass diese Gerüchte dadurch entstünden, weil es überall an den notwendigsten Dingen fehlen würde und es heißt weiter: »Gerüchte kann man nicht allein durch Dementis widerlegen, sondern nur durch eine offene und verständliche Darlegung der Situation.« Dabei nimmt der RIAS Bezug auf die jetzt gegebenen Rechenschaftsberichte,27 in denen nicht so viel von Erfolgen geredet werden sollte. In einer anderen Sendung über die Rechenschaftsberichte der Genossen Grotewohl28 und Ebert29 beschuldigt der RIAS die Genossen der Lüge, indem er verschiedene Zahlen gegenüberstellt und dabei eine Differenz feststellen will.

Über den Jugendbau in Trattendorf30 hetzt der RIAS, dass die Jugendlichen dort nur als billige Arbeitskräfte ausgenutzt würden. Die Hetze wird erweitert auf die Jugend-HO, Jugendpostämter usw., wo die Jugendlichen Aufgaben älterer Facharbeiter erfüllen müssten, aber dafür weniger Lohn erhielten.

Gegen die Leipziger Messe31 hetzt der RIAS in einer Sendung. Er sagt, dass jegliche Abschlüsse mit der DDR keinen Zweck hätten, da die Verpflichtungen nicht eingehalten würden. Als Beispiel wird ein Abschluss mit den Solinger Schneidwaren vom vorigen Jahr angeführt, wodurch die DDR die Waren nicht bezahlt werden könnten. Das Angebot der Staaten aus dem sozialistischen Lager, hetzt der RIAS weiter, sei »dürftig« und deshalb könnte auch der Verkauf an den östlichen Markt nur gering sein, da der Gegenwert fehle.

Mit der Gegenüberstellung der bäuerlichen Handelsgenossenschaften in Westdeutschland zu der »Bäuerlichen Handelsgenossenschaft« der DDR32 verbindet der RIAS eine üble Hetze gegen dieselbe. Sie hätte einen aufgeblähten Verwaltungsapparat, die Funktionäre würden auf Kosten der Bauern leben und die BHG würden den gesamten Handel in der Landwirtschaft als »Handelsmonopol« bestimmen. Die Handelsgenossenschaften im Westen dagegen werden in den Himmel gehoben. RIAS hetzt dann weiter, dass die Versorgung der landwirtschaftlichen Betriebe mit den notwendigen Geräten aber auch nicht gewährleistet sei, da die BHG gar nicht die notwendigen Waren habe. Diese Behauptung soll bewiesen werden durch das Beispiel des derzeitigen Sensenmangels.

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