Direkt zum Seiteninhalt springen

Zur Beurteilung der Situation

10. Juni 1954
Informationsdienst Nr. 2231 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Im Mittelpunkt der politischen Diskussionen steht weiterhin die Volksbefragung.1 Der Umfang hat sich gegenüber dem Vortage etwas vergrößert. Meist äußern sich Arbeiter und Angestellte zur Volksbefragung. Die Intelligenz verhält sich interesselos. Der überwiegende Teil der Stimmen sind positiv. Darin drückt man Freude über die Durchführung der Volksbefragung aus, weil man dort den Friedenswillen kundtun kann. Jedoch tritt oft die Meinung auf, dass die Volksbefragung nicht notwendig sei, da doch alle für den Frieden sind.

Feindliche Elemente lehnen die Volksbefragung ab, indem sie äußern, dass die Volksbefragung nicht nötig ist, da sie zu viel Geld kostet. Dieses solle man lieber den Arbeitern geben, andere treten für die Adenauer-Regierung ein.

Über die Preisherabsetzung2 sind uns nur wenig Stimmen bekannt geworden. In den positiven Stimmen wird zum Ausdruck gebracht, dass dies ein weiterer Erfolg des neuen Kurses unserer Partei und Regierung ist.3

Ein Arbeiter vom Wasserstoff- und Sauerstoffwerk in Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt (parteilos): »Wir werden es noch öfters erleben, dass unsere Regierung die Preise senkt, ohne vorher groß darüber zu sprechen. Meiner Meinung nach, kommen jetzt langsam die Auswirkungen vom Erlass der Reparationszahlungen zum Ausdruck.4 Wenn wir nun noch ein einheitliches Deutschland hätten und einen geregelten innerdeutschen Handel, wären die Erfolge noch größer, weil wir dann für unsere Industrie noch mehr Rohstoffe hätten.«

Folgende negativen Stimmen wurden uns zur Preisherabsetzung bekannt. Ein Arbeiter aus dem »Martin-Hoop«-Werk in Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt (parteilos): »Sie haben sicher wieder einmal Zeug auf Lager, was sie sonst nicht loswerden. Darum machen die eine Preissenkung, die sollen lieber mal eine Preissenkung mit den anderen Artikeln machen.«

Ein Ingenieur von den Leuna-Werken »Walter Ulbricht«: »Dass die Leute sich nicht schämen, so etwas noch hervorzuheben.« Ein Konstrukteur desselben Betriebes: »Das ist eine glatte Veräppelung des Vollkes.«

Feindliche Elemente, besonders in Berlin, versuchen die Arbeiter am 17.6.1954 zu einer Demonstration zu gewinnen, zur Beeinflussung benutzen sie die öffentlichen Verkehrsmittel, wie Omnibus. Eine Arbeiterin aus dem VEB Stern-Radio Berlin: »Am 17.6.1954 wird doch alles ausfallen, weil demonstriert wird. Am 17. Juni [1954] müssen wir marschieren, um zu zeigen, dass wir ›hinter unserer Regierung stehen‹.« Dieselbe Diskussion tauchte im VEB Stahl- und Blechbearbeitung Berlin-Weißensee5 auf. Als die Kolleginnen gefragt wurden, wo sie das herhaben, gaben sie an, dies von einer Gruppe von Männern in dem Omnibus Linie 45 gehört zu haben.

Im VEB Igelit Berlin-Weißensee6 äußerten sich zwei Kolleginnen: »Am 17.6.[1954] werden wir demonstrieren. Da wird nur bis 13.30 Uhr gearbeitet und anschließend demonstriert. Das steht doch überall angeschlagen.«

Ein Hauer aus dem »Martin-Hoop«-Werk in Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Bald ist es soweit. Hoffentlich sind wir diesmal auch dabei und können mit zuschlagen. Wenn ihr mal einen von der Geheimorganisation braucht, dann kommt zu mir, wir leben noch.«

Aus Berlin und dem Bezirk Magdeburg wird uns bekannt, dass vereinzelt Arbeiter für diese Zeit Urlaub einreichen, um den 17.6.[1954] in Westberlin »feiern« zu können. Von der Baustelle Krankenhaus [Berlin-]Friedrichshain wird mitgeteilt, dass eine Brigade geschlossen am 12.6.[1954] ihren Jahresurlaub antritt. Es liegt die Vermutung nahe, dass einige Kollegen dieser Baustelle bzw. dieser Brigade den 17. Juni [1954] in Westberlin feiern wollen. (Von dieser Baustelle wurden im Mai dieses Jahres einige Provokateure vom 17.6.[1953] verurteilt.)

Ein Arbeiter aus Hohenwarthe,7 [Bezirk] Magdeburg, äußerte: »Jeder, der am 17.6.1954 nach Westberlin fährt, erhält ein Paket mit Essware.«

Weiterhin wurden uns noch andere verschiedenartige Beispiele zum 17. Juni bekannt. Ein Arbeiter vom Erzbunker Trünzig,8 [Bezirk] Gera: »So eine VEB Sauwirtschaft. Es wäre das Beste, wenn man nach dem Westen ginge, aber ich habe ja Kinder und da geht es nicht. Die Sonne scheint erst für uns wieder, wenn ein neuer 17. Juni kommt. Lieber lasse ich mich ins Zuchthaus werfen, als dass ich das Maul halte.«

Ein Zimmermann von der Bau-Union Strausberg, [Bezirk] Frankfurt: »Man könnte eigentlich am 17.6.[1954] zu Hause bleiben. Ich möchte aber nicht auffallen, dass ich mich hinter den 17.6.[1953] stelle.«

Im VEB Waggonbau Görlitz, [Bezirk] Dresden, äußerte ein Arbeiter aus der Holzspritzerei: »Haltet jetzt die Schnauze in politischen Dingen, denn jetzt hat wegen dem 17. Juni eine neue Verhaftungswelle begonnen.«

Produktionsschwierigkeiten treten in verschiedenen Betrieben auf. Die Ursachen hierfür sind Materialmangel, schlechtes Material, Mangel an Aufträgen.

Im BW Gera haben 19 Lokführer und 46 Lokheizer mehr als drei Monate keinen FDGB-Beitrag entrichtet. Ein diesbezüglicher namentlicher Aushang wurde in der Nacht vom 7. zum 8.6.1954 von unbekannten Tätern mit Tintenstift verschmiert.

In dem VEB Buntweberei Clara Zetkin Langensalza, [Bezirk] Erfurt, wurde in der Zeit vom 5.6. bis 8.6.1954 folgende Schädlingsarbeit durchgeführt. So wurden im Maschinenhaus von der Dampfmaschine drei Schrauben des Reglers gelöst. Des Weiteren das Manometer verstellt, sodass beim Anlaufen der Dampfmaschine kein Wasserstand vorhanden gewesen wäre. Außerdem sind in zwei Abteilungen Treibriemen von mehreren Maschinen entfernt und versteckt worden. Diese Riemen wurden bis auf zwei Stück wieder aufgefunden. An BPO-Sekretär und Meister werden seit ca. vier Wochen selbstangefertigte Drohbriefe verschickt.

Handel und Versorgung

Schwierigkeiten in der Versorgung mit HO-Fleischwaren bestehen noch in den Bezirken Cottbus, Halle,9 Karl-Marx-Stadt und Erfurt. (In den letzten beiden Bezirken hat es sich etwas gebessert.) Im gesamten Bezirk Gera ist eine Besserung eingetreten und im Bezirk Suhl mangelt es nur noch an Rindfleisch.

In den Kreisen Neuruppin und Belzig, [Bezirk] Potsdam, ist die Versorgung mit HO-Margarine ungenügend. Im Kreis Neuruppin ist das Kontingent bereits überzogen und es fehlen ca. 8 t. Diese wurden angefordert, aber nicht bewilligt. In den gleichen Kreisen kann der Bedarf an Weizenmehl und Nährmitteln nicht gedeckt werden. (Diese Nährmittel werden oft in großen Mengen gekauft und vermutlich als Hühnerfutter verwendet.)

In Ellefeld, Kreis Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, traf ein Waggon Kohlrabi aus der ČSR ein. Beim Entladen wurde festgestellt, dass diese verdorben waren. Es handelt sich hierbei um eine Menge von 4 910 kg. (Die Kohlrabis waren nicht ordnungsgemäß in Kisten verpackt, sondern lagen lose über 1 m hoch im Waggon.)

Landwirtschaft

Nach wie vor stehen die wirtschaftlichen Belange im Mittelpunkt des Interesses. Nur im geringen Maße wird zu politischen Tagesfragen Stellung genommen. (Über die Volksbefragung wird im Anhang berichtet.) Des Öfteren stehen im Vordergrund der Diskussionen die Futtermittelversorgung und die Düngemittel-Beschaffung. Zum Beispiel sagte ein Bauer aus Elsnig, [Bezirk] Leipzig: »Ich bin sehr verärgert, dass ich durch die BHG keine Futtermittel bekomme, obwohl ich noch Übersollmengen liefere.«

Im Bezirk Cottbus sind Bauern beunruhigt wegen der anhaltenden Trockenheit. Bei vielen Bauern lohnt es sich gar nicht Heu zu machen, da aufgrund des Futtermangels das anfallende Grünfutter gleich verfüttert wird. Durch die schlechte Futtergrundlage ist der Rinderbestand bei vielen Bauern sehr schlecht, sodass sie ihr Soll wahrscheinlich nicht erfüllen können. Im Bezirk Rostock tritt unter den Bauern die Befürchtung auf, dass durch die Trockenheit das Sommergetreide frühreif wird.

Über die mangelhafte Düngemittelbelieferung äußerte ein Neusiedler aus Putbus, [Bezirk] Rostock: »Ich bin bloß neugierig, wann wir dieses Jahr den Kunstdünger für das Sommergetreide bekommen. Bestimmt erst dann, wenn es zu spät ist. Das ist die reinste Sabotage.«

Im Bezirk Karl-Marx-Stadt klagen Bauern über eine schlechte Belieferung von Wirtschaftsgegegenständen, die sie dringend benötigen. Dazu äußerte ein Mittelbauer aus Langenchursdorf:10 »Schon jahrelang bemängeln wir in jeder Versammlung und überall, dass es keine Eimer gibt, die wir so dringend brauchen. Man hört absolut nichts von der Kritik, die man ansetzt. Ich finde, dass es eine große Schlamperei ist. Man redet immer viel, ohne danach zu handeln.«

Von den MTS und LPG

Im Kreis Riesa, [Bezirk] Dresden, fehlen Sammelpressen für die Mähdrescher Stalinnetz 4.11 Unter anderem benötigt die MTS Wölfnitz drei Stück.

Im Bezirk Leipzig bestehen bei einzelnen LPG Schwierigkeiten in der Beschaffung von Arbeitskräften, besonders jetzt, für das Rübenverziehen. Die LPG »Neuer Weg« in Kossa, [Bezirk] Leipzig, bat deshalb ihren Patenbetrieb,12 das Sägewerk Kossa,13 um Bereitstellung von ca. 20 Arbeitern für einen einmaligen Arbeitseinsatz zum Rübenverziehen. Da der Betriebsleiter das ablehnte, war die LPG gezwungen, Arbeitskräfte aus der Stadt zu nehmen und einen Stundenlohn von 1,00 DM zu zahlen.

Übrige Bevölkerung

Die Mehrzahl der Diskussion unter der Bevölkerung über die Volksbefragung ist positiv. Man betrachtet sie oft als eine Selbstverständlichkeit für die Erhaltung des Friedens und die Einheit Deutschlands. Der Umfang über die Gespräche zur Volksbefragung ist jedoch immer noch gering. Ein Einwohner aus Leipzig erklärte hierzu: »Die Volksbefragung muss trotz ihrer Selbstverständlichkeit, ob Krieg oder Frieden, gut vorbereitet werden. Der Friedenswille der einzelnen Menschen muss so klar zutage treten, dass bereits am ersten Tage alle Einwohner ihre Pflicht getan haben.«

Ein selbstständiger Schlossermeister aus Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Volksbefragung wird ein gewaltiger Erfolg und wir werden bald die Einheit haben.«

In bürgerlichen Kreisen lehnt man die Volksbefragung teilweise mit feindlichen Argumenten ab. Die Frau eines Bäckermeisters aus Ilsenburg, [Bezirk] Magdeburg, sagte: »Wie stellen sie sich das vor, wenn sie sagen, das sind Wahlen für den Frieden. Es wird ja doch nicht anders. Wir bleiben geteilt und die Besatzungen machen mit uns was sie wollen. Wir hier in der Sperrzone14 sind überhaupt im Gefängnis. Wir dürfen hier nicht einmal unsere Angehörigen aus dem Westen zu Besuch empfangen, und auf der anderen Seite sagt man ›Deutsche an einen Tisch‹.15 Es ist lächerlich, dass man uns so verdummt.«

In der Gemeinde Dermbach, [Bezirk] Suhl, traten Diskussionen in Bezug auf die Volksbefragung auf, in denen zum Ausdruck kommt, dass es heißen müsste »Für Pieck16 oder Adenauer«.17 Diese Diskussionen kamen hauptsächlich aus den Kreisen der CDU.

Eine Gastwirtin aus Halle äußerte sich in feindseliger Stimmung zu ihren Stammgästen wie folgt: »Im Westen stehen sie ganz auf unserer Seite und sind bereit, uns beizustehen, damit der Bolschewismus aus unserem Lande verschwindet. Wie man mir im Vertrauen sagte, wollen sie uns drüben in allem unterstützen, damit wir nochmals einen 17.6.[1953] herbeiführen können. Die Russen werden diesmal keine Gelegenheit mehr haben, mit den Panzern aufzufahren, denn da geschieht von drüben etwas ganz anderes, was ich jetzt noch nicht sagen darf. Nun wisst ihr Bescheid. Ich habe es satt hier mit dieser Lügenpropaganda. Ich werde meine Stimme bei der Volksbefragung denen entziehen, weil ich überzeugt bin, dass der EVG-Vertrag nicht zu einem Krieg führen wird, sondern zu unserer Befreiung.«18

Zur Verurteilung Dertingers19 wird die Meinung vertreten, dass die Strafe für solche Verbrecher zu niedrig ist, wie folgende Beispiele zeigen.

Eine Hausfrau aus Großenhain, [Bezirk] Dresden: »Ich finde die Strafe für solche Verräter an der Sache der Arbeiterklasse, die ihre Funktionen für solche Machenschaften ausgenutzt haben, viel zu milde. Solchen müsste der Kopf runter.«

Ein Angestellter bei der HO-Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt (parteilos) sagte: »Diesen Dertinger müsste man den Kopf abhauen, denn dann würden es sich die anderen merken, nicht das Gleiche zu tun. Berija20 ist ja auch erschossen worden.«

Eine Hausfrau diskutierte in der Fischhalle in Weißenfels wie folgt: »Endlich erfahren wir, was mit der Dertinger-Verschwörer-Clique geschehen ist. Meines Erachtens ist die Strafe für solche Verbrecher noch zu gering. Alle jene Leute, die sich am Aufbau unserer Republik vergehn, müsste man viel härter bestrafen. Hoffentlich liest die Bevölkerung genau die Presse, damit jeder erkennt, was diese Verbrecher in Wirklichkeit im Schilde führten.«

Die Preisherabsetzung wird begrüßt und die Erwartung ausgesprochen, dass noch mehr Waren im Preis herabgesetzt werden müssten.21 Teilweise wird sie als Selbstverständlichkeit und teilweise mit Misstrauen aufgefasst. So brachte eine Hausfrau aus Bad Lausick,22 [Kreis] Geithain, [Bezirk] Leipzig, zum Ausdruck: »Man soll doch nicht so viel von einer großen Preissenkung sprechen. Ich bin der Meinung, dass es doch bald einmal wieder Zeit wird, eine Preissenkung für alle Artikel zu bringen. Oder will man das erst so kurz vor den Volkswahlen machen? Na, dann ist es bestimmt zu spät.«

Auch im Kreis Rathenow, [Bezirk] Potsdam, wird die Preissenkung zwar begrüßt, zugleich aber treten wiederholt Fragen auf, wie z. B.: »Hoffentlich werden die Preise nicht nach und nach wieder erhöht, wie es bis jetzt immer der Fall war, z. B. bei Fischkonserven und Damenunterwäsche.«

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverbreitung

SPD-Ostbüro:23 Leipzig 500, Gera, Erfurt und Dresden einige. (Es handelt sich meist um ältere Ausgaben.)

NTS:24 Potsdam 518, Dresden 40, Halle 26, Frankfurt einige. Inhalt: Größtenteils in russischer Schrift. Geringer Teil Hetze gegen das II. Deutschlandtreffen.25

In tschechischer Schrift: Karl-Marx-Stadt 2 110, Dresden 235.

KgU:26 Dresden einige.

Der größte Teil wurde mittels Ballons eingeschleust und sichergestellt.

In Döbeln,27 [Bezirk] Leipzig, wurden erneut Hetzschriften gefunden, die mit Handdruckkasten hergestellt wurden. Inhalt: Aufforderung an die Bevölkerung, mit der Arbeiter- und Bauernmacht Schluss zu machen.

Die bereits bekannten Postsendungen der KgU zum 17. Juni mit dem Siegel DDR, Streikkomitee Mitteldeutschlands, wurden weiterhin an volkseigene Betriebe, LPG, MTS usw. in zehn Bezirken verschickt.

Folgende Hetzparole wurde am 9.6.1954 im VEB »7. Oktober« Berlin an der Toilette angeschmiert: »17.6., Tag der Volksbewegung, Tag des Aufruhrs«.

Am 6.6.1954 wurden in Fischbach, [Bezirk] Suhl, von unbekannten Tätern einige Plakate zur Volksbefragung abgerissen.

Vermutliche Feindtätigkeit

In der Zellstoff- und Papierfabrik Blankenstein, [Bezirk] Gera, wurde am 8.6.1954 die Dampfleitung der Faserplattenanlage (modernste und größte der DDR) von unbekannten Tätern abgeschaltet. Dadurch ist das Parahin28 mit den Holzspänen erkaltet und kann nur unter größten Bemühungen von den Stahlplatten beseitigt werden. Schaden über 2 000 kg. Platten können nicht produziert werden, die gesamte Schicht und zahlreiche Frauen müssen zur Reinigung eingesetzt werden.

Am 8.6.1954 kam es im Gelatinebetrieb des Sprengstoffwerkes Schönebeck, [Bezirk] Magdeburg, aus unbekannten Gründen zu einer Explosion, wodurch ein Arbeiter getötet und drei leicht verletzt wurden. Sachschaden: ca. 75 000 DM. Aufgrund dieses Unfalles verlangen die Arbeiter höhere Löhne und langsameres Arbeiten.

Westberlin

Für die »Zeugen Jehovas«29 aus dem demokratischen Sektor findet am 11., 12. und 13. Juni [1954] in der Onkel-Bläsig-Schule in Berlin Britz30 eine Kreistagung statt.

Der »Bund Junger Deutscher«31 gibt durch Sonderrundschreiben bekannt, dass von unbekannter Seite Einladungen zu einer »Totengedenkfeier« am 13.6.1954 an einzelne Mitglieder der Organisation verteilt wurden. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der BJD jedoch am 17.6.[1954] durch eine Abordnung an den »Feierlichkeiten für die Toten im Freiheitskampf« gegen den Bolschewismus gedenken wird.

Einschätzung der Situation

Über die Volksbefragung wird weiterhin meist positiv gesprochen, jedoch sind breite Kreise der Bevölkerung bis jetzt noch nicht genügend aufgeklärt, deshalb sind sich noch viele über die Bedeutung im Unklaren.

Schwierigkeiten bestehen weiterhin noch in der Produktion einiger Betriebe, in einigen Bezirken in der HO-Fleischversorgung und in der Landwirtschaft wegen Futter und Dünger.

Feindliche Elemente versuchen in Einzelfällen in den Bezirken, häufiger in Berlin, Stimmung zu machen für neue Provokationen.

Anlage 1 vom 9. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2231

Anhang über Missstimmung wegen Lohnfragen und Materialschwierigkeiten

Missstimmungen bzw. negative Diskussionen über Lohn- und Gehaltsfragen wurden uns aus verschiedenen Betrieben bekannt. Im VEB Hartpappenwerk Polenz, [Bezirk] Dresden, herrscht Unzufriedenheit unter den Arbeitern, da sie eine niedrigere Lohngruppe erhalten als ein ähnlicher Betrieb des Nachbarortes Neustadt. Weiter ist ein Teil der Facharbeiter darüber verärgert, dass sie zu anderen Arbeiten eingesetzt werden, wo sie ca. 30,00 DM monatlich weniger verdienen.

In der Bau-Union Dresden herrscht große Unzufriedenheit, da man den Arbeitern vor kurzer Zeit die 0,10-M-Schmutzzulage, die sie bereits drei Jahre erhalten, ohne mit ihnen zu sprechen, abgezogen hat.

Im RAW Jena wurden mit Wirkung vom 1.6.1954 25 Kollegen um eine Lohngruppe zurückgestuft. Das führte ebenfalls zu einer gewissen Unlust an der Arbeit. Es werden dort die Worte: »Mensch, sei nicht so dumm, arbeite nicht so viel, wir bekommen es sowieso nicht bezahlt.« (Die Arbeiter bekommen monatlich ca. 15,00 bis 20,00 DM weniger Lohn.)

In den Chemischen Werken Buna, [Kreis] Merseburg, ist ein Arbeitskräftemangel an Elektroschweißern und Lokführern entstanden. Man brachte zum Ausdruck, wenn Arbeiter sich in diesen Berufen qualifiziert haben, dieselben aber dann, wenn sie ihren Beruf beherrschen, das Chemische Werk Buna verlassen, weil sie woanders mehr Lohn erhalten.

Materialschwierigkeiten treten in verschiedenen Betrieben auf.

Im VEB Maschinen- und Transportanlagenbau in Coswig, [Bezirk] Dresden, bestehen Schwierigkeiten in der Materialzufuhr. So musste der Betrieb von der Serienproduktion auf die Einzelproduktion umgestellt werden. Es lagern 60 halbfertige Transportbänder, welche nicht fertiggestellt werden können, da es an Gummibändern, Gussteilen und Ketten fehlt.

Dem Funkwerk Dabendorf, [Bezirk] Potsdam, wurde aus Sachsen Guss geliefert, bei dessen Verarbeitung die Fräser in sehr kurzer Zeit stumpf werden. Als Ursache wurde festgestellt, dass sich in dem Guss Sand befindet. Die Herstellungsfirma der Gussteile ist noch nicht bekannt.

Im VEB Wachstuch Reuen,32 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, mangelt es an Geweben für die Wachstuch- und Kunstlederproduktion, weil die Zulieferbetriebe ihren Lieferungsverpflichtungen nicht nachkommen.

Eine schlechte Erfüllung des Planes ist auch im VEB Bekleidungswerk Bergen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, zu verzeichnen, wo in der Fertigung von Uniformteilen Lücken entstanden, die auf die mangelhafte Planung zurückzuführen sind.

In der Produktion der Schweißelektroden Finsterwalde (VEB),33 [Bezirk] Cottbus, sind seit einigen Tagen Schwierigkeiten aufgetreten, da vom TEWA-Drahtwerk Finsterwalde kein Schweißdraht angeliefert wurde. Eine Rücksprache mit dem Werkleiter dieses Betriebes ergab, dass die Monatspläne für April und Mai nur mit 64 Prozent erfüllt worden sind, da dieser Betrieb ebenfalls Materialschwierigkeiten hatte.

Im VEB Märkische Ölwerke Wittenberge bestehen Absatzschwierigkeiten für Öl und Schrot. Das zuständige Ministerium in Berlin hat es untersagt, über den Plan hinaus zu produzieren. Von den Ölwerken wurden an die Margarinefabrik MILKA-Pratau 350 t Öl geliefert. Dieser Betrieb nahm die Lieferung nicht entgegen. Aus diesem Grunde stehen die Ölwerke vor großen Schwierigkeiten und wenn der Plan nicht übererfüllt werden darf, wird der Arbeitsplan bereits am 12.6.[1954] erfüllt. In den Ölwerken würde somit ein zwangsläufiger Stillstand bis zum Quartalsende eintreten.

Anlage 2 vom 10. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2231

Stimmen zur Volksbefragung der Landbevölkerung

Der Umfang der Stimmen zur Volksbefragung ist gering, meist wird dazu nur in den LPG, VEG und MTS Stellung genommen, verschiedentlich auch von organisierten (DBD) Einzelbauern. Die Äußerungen sind überwiegend positiv. Darin wird größtenteils zum Ausdruck gebracht, dass sie an der Erhaltung des Friedens interessiert sind und daher gern ihre Stimme für den Frieden geben. Zum Beispiel erklärte ein Mitglied der LPG »Florian Geyer« aus Eilenburg: »Wir sind für den Frieden und werden auch immer dafür kämpfen. Wir wollen beweisen, bei der Volksabstimmung, dass die LPG-Bauern nicht für den Krieg sind.«

Ein Mitglied von der LPG Stitz,34 [Bezirk] Gera: »Die Genossenschaftsbauern müssen bei der kommenden Volksbefragung die ersten sein, welche ihre Stimme für den Frieden geben. Ich schlage vor, dass wir auf unserer LPG gemeinsam zur Abstimmung gehen.«

Ein werktätiger Bauer (DBD) aus Treuen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Der letzte Krieg hat mich als Umsiedler aus der Heimat geworfen. Jetzt habe ich hier als Neubauer angefangen und schwer gearbeitet. Es darf kein Krieg wiederkommen. Ich werde jedenfalls bei der Volksbefragung und immer für den Frieden stimmen.«

Für einen Teil der Einzelbauern ist folgende Einstellung typisch. Darin zeigt sich das vorwiegende Interesse für wirtschaftliche Fragen. Ein Bauer aus Peckatel,35 [Bezirk] Neubrandenburg: »Erst soll die MTS ihre Verträge vom vorigen Jahr erfüllen. Darüber soll man sprechen und dann erst über die Volksbefragung.«

In der Gemeinde Remplin, [Bezirk] Neubrandenburg, vertreten fast alle Bauern die Meinung, wenn sie keine Kleie bekommen, gehen sie nicht zur Volksbefragung. Das Gleiche ist auch in der Gemeinde Trockenborn, [Bezirk] Gera, zu verzeichnen. Hier ist der Grund die Wildschweinplage. Die Bauern vertreten die Meinung, dass erst etwas gegen die Wildschweinplage getan werden müsse, dann erst gingen sie zur Volksbefragung. (Geschürt wird dies durch sieben Personen, die früher im »Stahlhelm«36 organisiert waren.)

Teilweise wird auch die Bedeutung der Volksbefragung nicht erkannt. So z. B. sagte ein Mittelbauer aus Jänkendorf, [Bezirk] Dresden: »Was nützt das, wenn wir im Juni die Volksbefragung durchführen. Die westdeutsche Regierung wird sich weniger um die Volksbefragung kümmern.«

Ein Bauer aus Allmenhausen,37 [Bezirk] Erfurt: »Diese Fragestellung bei der Volksbefragung finde ich komisch. Es ist doch klar, dass keiner Krieg will. Daher finde ich das überflüssig.«

Vereinzelt wurden negative bzw. feindliche Stimmen bekannt. In Osterburg, [Bezirk] Magdeburg, versuchte eine Großbäuerin Personen zu beeinflussen, nicht zur Volksbefragung zu gehen, u. a. sagte sie, es wäre besser, wenn ein Krieg kommt, damit dieses System zusammenbricht. (Diese Bäuerin trat bereits am 17. Juni 1953 negativ in Erscheinung.)

Die Versammlungen anlässlich der Volksbefragung verlaufen allgemein gut. Es werden zahlreiche Verpflichtungen abgegeben, bereits am ersten Tag schon zur Volksbefragung zu gehen. Nur vereinzelt gibt es negative Erscheinungen, z. B. wird die Versammlungs-Kampagne in der Gemeinde Reppinichen, [Bezirk] Potsdam, vom Bürgermeister (SED) gar nicht unterstützt. Er äußerte gegenüber Aufklärern: »Führt hier bloß keine Versammlung durch. Es sind schon ganz andere hergekommen und die haben wir mundtot gemacht.«

In der Gemeinde Jännersdorf, [Bezirk] Potsdam, war eine Versammlung angesetzt, zu der der Referent nicht erschien (ein Genosse vom FDGB). Darüber herrscht Verärgerung in der Gemeinde, weil es nicht das erste Mal ist, dass der Referent nicht erschien.

Anlage 3 vom 10. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2231

II. Deutschlandtreffen der FDJ

Die Stimmung der zurückgekehrten Teilnehmer ist nach den bisherigen Meldungen allgemein gut, meist sind die Teilnehmer sehr begeistert über die Eindrücke und Erlebnisse, die sie in Berlin gewonnen haben. Diese Stimmung hat sich teilweise auch auf die beim Empfang in den Heimatorten anwesende Bevölkerung übertragen. Die Anteilnahme der Bevölkerung war gering.

Verschiedentlich wurde von den Teilnehmern die Organisation bei der Verpflegung, Kartenverteilung bei Veranstaltungen und bei der Abfahrt aus Berlin bemängelt. So blieben z. B. beim Abtransport der 1. Delegation des Bezirkes Rostock ca. 1 000 Jugendliche zurück, weil der S-Bahn-Sonderzug nur für 500 Teilnehmer Platz hatte und dadurch der Anschluss für den Sonderzug nach Greifswald verpasst wurde. Dadurch mussten die 1 000 Jugendlichen einige Zeit auf den II. Sonderzug nach Greifswald warten. Ein Jugendlicher aus Frankfurt/Oder: »Diesmal hat alles geklappt. Nur im Kartenverteilen gab es noch Pannen. Weiterhin hätte man die Jugendlichen besser auswählen müssen, denn es waren viele dabei, die sich sonst um nichts kümmern und nur ein angenehmes Vergnügen haben wollten.« Solche Mängel hatten jedoch keinen Einfluss auf die Stimmung der FDJler.

Laut Meldung der Trapo38 wurde in der Nacht vom 7. zum 8. Juni [1954] ein FDJ-Zug kurz hinter dem Bahnhof Berlin-Friedrichshagen mit Steinen beworfen, wodurch eine Jugendfreundin am Kopf verletzt wurde und ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.

Anlage 4 vom 10. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2231

[ohne Titel]

Die Westpresse zur Volksbefragung

In den Veröffentlichungen über die Volksbefragung stand bis jetzt die Forderung nach Wahlkabinen im Vordergrund. Weiterhin wurden anhand der Durchführungsbestimmungen Versuche unternommen, über eine angeblich »undemokratische Wahl« zu berichten: z. B. Fehlen von amtlichen Umschlägen für die Stimmscheine, nichtöffentliche Auszählung der Stimmen.

Es hieß in der Sendung des RIAS »Kommentare und Berichte« vom 2.6.1954: »… Sollte die SED sich aber diesmal tatsächlich zu Wahlzelle und Umschläge entschließen, dann wird die Frage der offenen und geheimen Auszählung zur wichtigsten überhaupt.«

Nach der Herausgabe der weiteren Durchführungsbestimmungen zur Verordnung über die Volksbefragung39 ist der RIAS nicht mehr in der Lage, Gegenargumente zur Durchführung der Volksbefragung zu bringen. Er nimmt deshalb nur vereinzelt dazu Stellung und spricht die Hoffnung aus, dass einzelne Funktionäre die Verordnung nicht einhalten, damit man dann wieder über eine »undemokratische Wahl« herziehen kann.

Hetze gegen die Landwirtschaft

Der RIAS setzt sich im Landfunk mit der Frage der Kartoffelversorgung in der DDR auseinander und versucht durch die schwarzmalende Schilderung bei der Bevölkerung Beunruhigungen im Hinblick auf die kommende Ernte hervorzurufen.

Der Sender »Freies Berlin« brachte in den Nachrichten vom 5.6.1954 eine Meldung über angebliche Hamsterfahrten in die Landkreise des Bezirkes Schwerin (bes[onders] aus sächsischem Industriegebiet). Als Gegenmaßnahme würde die VP Großeinsätze und Beschlagnahmen durchführen.

Schwerindustrie

Mit der Zerpflückung eines Artikels des »ND« über die Notwendigkeit der Entwicklung der Schwerindustrie40 will der RIAS nachweisen, dass »die Stahlwerke und die Hütten der Zone … zum Rüstungspotenzial der SU …« gehören. Dieser Artikel setzt die von der Westpresse beschrittene Linie fort, die Bevölkerung über angebliche Rüstungsindustrie auf Kosten der Konsumgüterindustrie zu beunruhigen.

Meldungen zum 17. Juni 1954

Die Westpresse vom 10.6.195441 berichtet von zwei beabsichtigten Kundgebungen zum 17.6.[1954].

a) Am 16.6.1954, 20.00 Uhr, findet auf dem Oranienplatz für die Bevölkerung des demokratischen Sektors42 da sie »am 17.6.1954 arbeiten muss«. Es werden sprechen: Ollenhauer,43 Generalsekretär der norwegischen Arbeiterpartei Haakon Lie,44 Scharnowski,45 Otto Suhr46 und Joachim Lipschitz.47 Zu dieser Veranstaltung werden bereits Handzettel verteilt, um die Bevölkerung des demokratischen Sektors einzuladen.

b) Am 17.6.1954, vor dem Schöneberger Rathaus. Es sprechen Franz Blücher48 und Ollenhauer. In Bonn findet am 16.6.1954 ein »feierlicher Staatsakt« statt.49

Auszug aus »Der Abend« vom 8.6.1954: »… deutsche Ärzte, davon etwa 2 000 aus der Sowjetzone treffen sich vom 9. bis 13.6.1954 in den Messehallen am Funkturm zum 3. deutschen Kongress für ärztliche Fortbildung.«50

Der Sender »Freies Berlin« verbreitete am 7.6.1954 die Meldung, dass die Grenzpolizei der DDR von 20 000 auf 30 000 Mann verstärkt werden soll. Das solle sich besonders an der Oder-Neiße-Grenze auswirken.

Anlage 5 vom 9. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2231

Hetzschriften zum 17. Juni

I. In den von den verschiedensten Feindzentralen51 verbreiteten Hetzschriften wird meist ohne konkrete Aufgabenstellung der 17. Juni 1953 genannt und in den meisten Fällen als »Tag des Volksaufstandes« verherrlicht, z. B.

a) »Ausschuss demokratischer Arbeiter in der SBZ«: »… der Gedenktag wirklicher Freiheit ist für uns der 17. Juni 1953.«

b) »Freie deutsche Arbeiterbewegung in der SBZ«: »Vergesst nicht die ermordeten Kameraden vom 17. Juni [1953], bekämpft erst recht die bolschewistischen Tyrannen.«

c) Flugzettel mit »Friedensglocke« und der Überschrift: »Zum 17. Juni« mit der Verherrlichung der »Kameraden, die im Kampf um den 17. Juni [1953] ermordet wurden …«.

Bei diesen Hetzschriften handelt es sich meist um Schriften im Kleinstformat (7 × 5 cm), die in den letzten Wochen in größeren Mengen mit Flugblättern anderer Art gefunden wurden.

II. In einer geringen Anzahl anderer Hetzschriften werden einzelne Aufgaben gestellt:

a) »Freie Deutsche Arbeiterbewegung in der SBZ«: »Alle Räder stehen still, wenn der freie deutsche Arbeiter es will. Denkt an die Helden des 17. Juni [1953]!« (Kleinstformat)

b) »Widerstandsgruppe ›Freiheit‹ in der von den Bolschewisten besetzten Zone Deutschlands«52: »Aufruf an alle Widerstandskämpfer in unserer Zone«.

Mit Verdrehung der Losung über das Jahr der großen Initiative53 heißt es, dass »es die höchste Zeit ist, die große Initiative zu ergreifen«. Über das »Wie« wird dann in einer Verleumdung über die Ergebnisse der Außenministerkonferenz in Berlin54 geschrieben, »dass sich der 17. Juni [1953] nicht wiederholen wird … Auf diese harmlose Art können wir bei den Roten nichts erreichen. Wir werden vielmehr am Tage unserer gewohnten Arbeit nachgehen und sonst jede Gelegenheit ausnützen, … der DDR zu schaden. … Darum fort vom passiven Widerstand! Das Jahr der großen Initiative erfordert auch von uns größte Aktivität!«

c) In der Hetzschrift »›Telegraf-Wochenspiegel‹ 20. Woche«55 wird eine Art der »Widerstandsarbeit« in einem Artikel »Schlagt sie mit ihren Waffen« noch näher bezeichnet: Wenn ein Arbeiter nicht in der Lage sei, eine »Verpflichtung zur Normenerhöhung« zu verweigern, solle man entsprechend »der Methode Steinbach56 … die Maschine mit der Spitzengeschwindigkeit fahren, bis sie zusammenbricht …! Sagt, ihr habt für die Milliarde gekämpft,57 wenn die Kurbelwellen durch die Gegend fliegen …!«

d) Die KgU versendet mit dem Siegel der DDR und Unterschrift »Streikkomitee Mitteldeutschlands« unterstempelte Schreiben an die verschiedensten Stellen der DDR (einzelne Bürger, LPG, VEB, MTS, Fachschulen, Kreisleitungen der SED), die sich ausschließlich mit dem 17. Juni 1954 befassen. Darin werden die Arbeiter gewarnt, sich »nicht zu unüberlegten Handlungen hinreißen zu lassen«. Darin heißt es: »Wir gehen nur dann geschlossen und erneut zu aktiven Handlungen über, wenn Erfolgsaussichten bestehen, das Joch der Unterdrücker endgültig abzuschütteln.«

Die wirtschaftliche Situation wird als »immer katastrophaler« werdend bezeichnet und über Unrentabilität der VEB, »Störungen in der Versorgung« berichtet. Danach werden die Forderungen aufgestellt: »Rücktritt der Regierung«, »Freilassung politischer Gefangener«, »Freie Wahlen unter Zulassung der westdeutschen Parteien, einschließlich der KPD«(!).

Wenn die Forderungen nicht erfüllt werden, droht man mit »Kleinkrieg, wie in der ČSR, Polen und Rumänien«. Partei- und Verwaltungsfunktionäre werden aufgefordert, innerhalb ihrer Stellen »den Kampf anonym als Einzelgänger« zu unterstützen unter der Losung: »Deckung geht vor Schussfeld«.

III. Die Flugblätter der Feindzentralen haben nach wie vor als Zeichen des Widerstandskampfes das »W«.58 Zum Buchstaben »A«59 wurde bisher nicht übergegangen. Nun tritt die Forderung der NTS auf, ihr Zeichen »[Dreizack]«60 mit dem »W« zu vereinen und alle Feindtätigkeit unter dem Zeichen »W« durchzuführen. In den letzten Tagen traten bereits kleine Flugzettel der NTS in russischer Sprache auf, die dieses gemeinsame Zeichen trugen.

In einem mehrseitigen Flugblatt der NTS werden darüber hinaus Ratschläge gegeben, wie Stempel und Propagandamaterial für diese Feindtätigkeit angefertigt werden sollen.

Anlage 6 vom 9. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2231

Äußerungen von westdeutschen Besuchern über ihre Eindrücke in der Deutschen Demokratischen Republik

Größtenteils bringen die westdeutschen Besucher ihr Erstaunen über die sozialen und kulturellen Einrichtungen, über die Förderung der Jugend und über die bisherigen Erfolge unseres Aufbaus zum Ausdruck. Sie äußern verschiedentlich, dass sie davon nichts wussten, weil die westdeutschen Zeitungen darüber nichts schreiben, sondern nur die DDR verleumden. Nachfolgend einige Beispiele.

In Stralsund brachten die Delegierten einer Hamburger Hafenarbeiter-Delegation zum Ausdruck, dass sie über die Errungenschaften erstaunt sind. Vor allem auch, dass die meisten Betriebe Arbeiter suchen, im Gegensatz zu Westdeutschland, wo laufend welche entlassen werden. Sie versprachen, drüben mit den Menschen über ihre Eindrücke zu sprechen. Ein Teilnehmer dieser Delegation äußerte gegenüber einem Arbeiter aus Stralsund: »Seid auf der Hut, dass ihr das alles erhaltet, damit auch wir eines Tages so schön leben können wie ihr. Am meisten staune ich über die sozialen Einrichtungen.«

Teilnehmer einer Delegation, die unter anderen im Kreis Köthen, [Bezirk] Halle, VEB Betriebe besichtigten, brachten ihr Erstaunen über die kulturellen und sozialen Einrichtungen, besonders über die Betriebsambulatorien zum Ausdruck. Zur Lage in Westdeutschland sagte ein Arbeiter: »Bei uns im Ruhrgebiet lagern ungeheure Mengen Kohle, die nicht abgesetzt werden können. Dadurch wird das Gespenst der Arbeitslosigkeit immer größer. Hier dagegen herrscht ein Mangel an Arbeitskräften. Sehr erstaunt bin ich über die Entwicklungsmöglichkeiten der Jugend. Bei uns müssen die meisten Studenten durch Nebenarbeiten ihr Studium selbst finanzieren.«

Ein Jugendlicher, der in Suhl weilte, äußerte: »Ich bin erstaunt über die sozialen Einrichtungen in den Betrieben. Diese Dinge sind der Bevölkerung in Westdeutschland nicht bekannt, weil es in den Privatbetrieben solche Einrichtungen nicht gibt.«

Ein Jugendlicher, der in Greifswald zu Besuch war, erklärte: »Ich möchte gern hier in der DDR bleiben. Ich habe erkannt, dass hier wirklich etwas für den Arbeiter getan wird. Die Zeitungen drüben berichten nur immer, dass die Menschen hier unterdrückt werden. Ich soll drüben in die Söldnerarmee gepresst werden, das ist auch der Hauptgrund, warum ich hierbleiben möchte.«

Auf der Fahrt nach Gotha brachten im Zug einige westdeutsche Besucher zum Ausdruck, dass sie über den Aufschwung in der DDR erstaunt sind und dass in Westdeutschland nichts davon berichtet wird. Des Weiteren äußerten sie sich zu dem Arbeitslosenproblem drüben. Sie sagten, dass zum Beispiel in ihrem Heimatort in Bayern nur zwei Arbeiter nicht arbeitslos sind.

Ein Arbeitsloser, der bei seinen Eltern in Grimmen, [Bezirk] Rostock, weilte, äußerte: »Gewiss gibt es auch bei euch in der DDR noch Schwierigkeiten, aber diese können überwunden werden. Sie sind gar nichts gegen die, mit denen wir in Westdeutschland zu tun haben. Ich bin zum Beispiel schon zwei Jahre arbeitslos und habe eine fünfköpfige Familie zu ernähren.«

Einige Jugendliche von der Organisation »Falken«,61 die unter anderen Franfurt/O. besuchten, waren beeindruckt von unserem Aufbau und von der Unterstützung, die unsere Regierung der Jugend zuteil werden lässt. Der Delegationsleiter erklärte: »Wir werden uns niemals in eine Söldnerarmee pressen lassen. Wir kämpfen für eine glückliche Zukunft in einem geeinten Deutschland. Wir haben viel mehr gemeinsam, als wir vorher angenommen haben.«

Eine Arbeiterdelegation aus Oberhausen, die das Braunkohlen-Werk Osternienburg, [Bezirk] Halle, besuchte und vorher eine Schule besichtigt hatte, brachte zum Ausdruck, dass der Lehrstoff bei uns in den 6. bis 8. Klassen dem Lehrstoff der Oberschulen in Westdeutschland gleichkommt. Außerdem waren sie erstaunt, dass bei uns die Prügelstrafe abgeschafft ist, was bei ihn[en] drüben nicht der Fall ist. Als sie eine MTS im Kreis Köthen besuchten, waren sie überrascht über die vielen Neuanschaffungen von Maschinen, ohne dass die MTS Schulden dabei gemacht hat. Erstaunt waren sie auch, dass die Kleinbauern sehr unterstützt werden von den MTS. Drüben wird erzählt, dass in den MTS Panzerfahrer ausgebildet werden.

Eine Arbeiterdelegation aus Gelsenkirchen, die in Dessau das Gasgerätewerk besichtigte, brachte zum Ausdruck, dass drüben die Frauen in der gleichen Branche nur 60 Pfg. verdienen und hier 1,80 DM. Auch gibt es drüben nicht so schöne Einrichtungen in den Betrieben für die Arbeiter, wie zum Beispiel Baderäume, Sanitätsräume oder Kindergärten. Des Weiteren waren sie erstaunt über den Aufbau von Dessau und Magdeburg und vor allem, dass die schönen Wohnungen für die Arbeiter gebaut werden. Ein Arbeiter sagte: »Während man bei uns im Westen von nix ›Kultura‹ im Osten spricht, bin ich erstaunt über das herrliche Landestheater in Dessau, das von Arbeitern besucht wird. Ins Theater gehen, bedeutet bei uns für die Arbeiter Luxus. Auch sind hier die Nahrungsmittel billiger, nur einige Textilien sind hier teurer.«

  1. Zum nächsten Dokument Zur Beurteilung der Situation

    11. Juni 1954
    Informationsdienst Nr. 2232 zur Beurteilung der Situation

  2. Zum vorherigen Dokument Zur Beurteilung der Situation

    9. Juni 1954
    Informationsdienst Nr. 2230 zur Beurteilung der Situation