Zur Beurteilung der Situation
26. Juni 1954
Informationsdienst Nr. 2245 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Über politische Tagesfragen wird im geringen Umfange gesprochen. Im Mittelpunkt dieser Diskussionen steht die Volksbefragung,1 worüber im Anhang berichtet wird. Daneben wird bisher ganz vereinzelt gegen den Überfall auf Guatemala protestiert,2 meist in Versammlungen. So wurden in Kurzversammlungen zum Überfall auf Guatemala von folgenden Betrieben Protestresolutionen verfasst: von den meisten Abteilungen des Stickstoffwerkes Piesteritz, [Bezirk] Halle, zwei Abteilungen des Schlepperwerkes Brandenburg, allen Abteilungen des Braunkohlenwerkes Zeitz, [Bezirk] Halle. Eine Brigade dieses Betriebes verpflichtete sich, in diesem Zusammenhang, drei Hochleistungsschichten zu fahren.
Die meisten Diskussionen der Werktätigen, werden über verschiedenartige betriebliche und örtliche Angelegenheiten geführt.
Missstimmung besteht in einigen Betrieben wegen Lohnfragen. Im RAW Greifswald, [Bezirk] Rostock, werden starke Diskussionen über den Lohn geführt. So erhält z. B. ein Dienstvorsteher auf den Bahnhöfen die gleiche Entlohnung wie die Schreibkräfte in der Direktion. Die Diskussionen laufen darauf hinaus, dass auf der Reichsbahnkonferenz 1953 in Halle ein Beschluss gefasst wurde, wonach das Lohngefüge der Reichsbahn zu überprüfen ist, was jedoch noch nicht geschah.3
Im Schuhkombinat Seifhennersdorf, [Bezirk] Dresden, erfolgte eine Artikelumstellung, wodurch Wartezeiten entstehen. Die Arbeiter sind darüber unzufrieden, dass die ausgefallene Arbeitszeit nicht im Durchschnittslohn, sondern nur 90 Prozent des Zeitlohnes gezahlt werden.
Im Kraftwerk Berlin-Rummelsburg sind die Frauen, die als Schalttafelwärterinnen und Maschinisten [tätig sind], darüber unzufrieden, dass sie nicht die gleiche Entlohnung erhalten wie die Männer, da sie dieselbe Tätigkeit ausführen. Obwohl die Überprüfung durch die Lohnkommission ergab, dass die Forderungen berechtigt sind, hat der Betriebsleiter eine Höhergruppierung bisher abgelehnt.
Die Besatzung des Trawlers 204 des Fischkombinates Rostock beschwert sich über die an Bord gekommenen Lebensmittel. Sie erhielten z. B. Leberwurst in Büchsen, deren Verbrauchstermin auf 1953 festgesetzt ist. Spinat war schon völlig welk und gelb, als er an Bord genommen wurde. Vonseiten der Besatzung wird vorgeschlagen, beim Löschen der Frachten nicht nur auf die Menge, sondern auf die Qualität zu achten, da durch unsachgemäße Handlungsweise sehr viel Schaden entsteht. Dementsprechend müsste auch die Entlohnung sein.
Die Werker in der Mathias-Thesen-Werft Wismar beklagen sich darüber, dass die Kinderkrippe »Käthe Kern« erst ab 7.00 Uhr geöffnet ist. Dadurch haben sie eine Stunde Arbeitsausfall, wenn sie ihre Kinder dorthin bringen. Außerdem sei die Beaufsichtigung und Sauberkeit in der Kinderkrippe sehr mangelhaft.
Im Kunstseidenwerk Premnitz, [Bezirk] Potsdam, lehnen einige Kollegen den Vorschlag ab, dass ein Diplomingenieur, der eine neue Spinnmaschine aufgestellt hat, als Nationalpreisträger ausgezeichnet wird. Sie begründen es damit, dass z. B. die Entlüftung bei dieser Anlage falsch angelegt sei, wodurch in den letzten Tagen elf Arbeiter erkrankten.
Im VEB Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal, [Bezirk] Gera, haben in letzter Zeit mehrere Intelligenzler gekündigt, wodurch die Produktion des Betriebes gefährdet ist.
In der Schuhfabrik Torgau, [Bezirk] Leipzig, lagern etliche Tonnen Abfall oder was in einem anderen Betrieb noch verarbeitet werden könnte. Diesbezügliche Vorschläge an den Rat des Bezirkes, Abtlg. Industrie, wurden abgelehnt und mitgeteilt, dass das Leder zu verbrennen sei, um Kohle einzusparen (wird überprüft).4
Vom Fischkombinat Rostock wurden am 18.6.1954 für den Transport von Frischfisch bei der Reichsbahn 18 Tiefkühlwagen bestellt. Die Reichsbahn beschaffte jedoch nur neun Waggons, wodurch der Frischfisch der Gefahr des Verderbens ausgesetzt war. Vonseiten des Fischkombinats wurde daraufhin festgestellt, dass im Bahnhof Bramow vier leere Tiefkühlwagen standen. Erst nach mehrmaliger Anforderung wurden diese von der Reichsbahn zur Verfügung gestellt.
Im Kraftwerk Trattendorf, [Bezirk] Cottbus, fragen in letzter Zeit viele aus Westdeutschland zurückgekehrte Bewohner der DDR um Arbeit an. Sie sind bereit, sofort als Bauhilfsarbeiter anzufangen und sind mit der niedrigsten Lohnstufe zufrieden.
Produktionsschwierigkeiten, die wegen Material- und Arbeitskräftemangel entstanden.
Dem IFA-Werk Horch-Zwickau5 wurde vom Zulieferbetrieb Lenkwagenwerk Triptis6 mitgeteilt, dass keine Lenkstöcke mehr geliefert werden können. Dadurch ist ein reibungsloser Ablauf der Produktion nicht mehr gewährleistet.
Im VEB Spinnstoffwerk »Otto Buchwitz« in Glauchau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, mangelt es an Rohstoffen, wodurch ein Produktionsausfall im Monat Juni von ca. 600 t Zellwolle entstehen wird.
Im VEB Herko in Sonneberg sind die gelieferten Tuche von schlechter Qualität. So musste der Betrieb in den letzten Tagen 120 000 qm an die Lieferbetriebe zurückgeben. Aus diesem Grunde musste der Zweigbetrieb in Geschwenda,7 [Kreis] Ilmenau, die Produktion fast einstellen.
Im VEB Verkehrsbetrieb Dresden mangelt es an Blankelektroden. Im VEB Waggonbau Niesky, [Bezirk] Dresden, ist zu wenig Walzmaterial vorhanden. Außerdem fehlen Fachkräfte in der Schweißerei.
Im »Karl-Liebknecht«-Werk Magdeburg8 ist die Erfüllung des Halbjahresplanes gefährdet, da nicht genügend Material und Arbeitskräfte vorhanden sind.
Im VEB Ziegelwerk Woldegk, [Bezirk] Neubrandenburg, ist wegen Arbeitskräftemangel ein erheblicher Planrückstand in der Fertigung von Ziegelsteinen vorhanden.
Handel und Versorgung
Die HO Lebensmittel Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, beschwert sich, dass sie, seit die DHZ ab 1.1.1954 die Großhandelsfunktion vom staatlichen Einzelhandel übernommen hat, im 1. Quartal ca. 150 000 DM Umsatzausfall zu verzeichnen hat.
Im Kreis Pirna, [Bezirk] Leipzig,9 herrscht seit einigen Tagen ein Mangel an Benzin auf Marken und auf HO-Basis. Das wirkt sich dahingehend aus, dass bei Warenauslieferungen Fuhrwerke benutzt werden müssen.
Im Bezirk Suhl wurde der kommunale und genossenschaftliche Handel aufgefordert, das Frischgemüse aus dem Bezirk Mecklenburg, Brandenburg und Sachsen10 zu holen. Der Privathandel hingegen bezieht das Gemüse aus Erfurt und hat aus diesem Grunde den Vorteil, das Gemüse frischer und billiger verkaufen zu können.
Aus den Bezirken Magdeburg, Halle, Suhl und Gera wird berichtet, dass es an Zigaretten mangelt. Besonders an »Turf« und »Salem«, was auf Rohstoffmangel zurückzuführen ist.
Dem Konsum in Prettin, [Bezirk] Cottbus, wurden 99 kg Schmalz geliefert, welcher noch aus dem Jahr 1952 stammt und zum Verkauf nicht mehr angeboten werden kann.
Im Konsum Meißen, [Bezirk] Dresden, lagern 3 t Schokoladenerzeugnisse, die wegen zu hoher Preise keinen Absatz finden.
Der DHZ Quedlinburg, [Bezirk] Halle, wurden 800 kg Räucherfisch geliefert, der bereits verdorben war. Im Konsumlager Quedlinburg besteht die Gefahr, dass 500 kg Speck verderben.
Landwirtschaft
Im Vergleich zu den Vortagen hat sich in der Stimmung der Landbevölkerung keine wesentliche Veränderung ergeben. Nach wie vor wird in geringem Maße zu den politischen aktuellen Problemen Stellung genommen. Im Mittelpunkt der politischen Diskussionen steht die Volksbefragung; darüber wird im Anhang berichtet.
Vorwiegend besteht das Interesse für wirtschaftliche Belange. In der Gemeinde Garz, [Bezirk] Potsdam, beschweren sich die werktätigen Bauern, dass sie von der BHG den zustehenden Dünger nicht geliefert bekommen.11
Im Kreis Zeitz, [Bezirk] Halle, gibt es unter den Bauern Beschwerden über die ungenügende Belieferung mit Kopfdünger, der für die Hackfrüchte dringend benötigt wird.
Im Kreis Zossen, [Bezirk] Potsdam, beklagen sich die Einzelbauern, dass in der BHG Mittenwalde 1 000 Ztr. Stickstoff lagern, die für die LPG bestimmt sind. Die Bauern sind nicht damit einverstanden, dass sie nur Schwefelsäure-Ammoniak erhalten, der für ihren Boden ungeeignet ist.12
Durch die Nachlässigkeit des Leiters der Versorgungsgüter der Filmfabrik Wolfen, Kreis Bitterfeld, [Bezirk] Halle, wurden ca. 200 ha statt mit Sommerraps mit Winterraps bestellt.
Bei einem Agitationseinsatz in der Gemeinde Hartmannsgrün (Wismutgebiet)13 beschwerte sich ein Bauer darüber, dass die Wismutarbeiter die Schürfgräben nicht sorgfältig genug anlegen. Die Bauern der betreffenden Grundstücke erhalten vorher keine Kenntnis und haben dadurch keine Gelegenheit, eine Schneise in das Feld zu legen. Dadurch wird viel Getreide und Futter vernichtet.
Durch eine schlechte Kaderpolitik in der Forstwirtschaft in Friedrichshall,14 [Bezirk] Halle, macht sich eine verstärkte West-Flucht bemerkbar.
In den Gemeiden Zenkendorf15 und Ragow, [Bezirk] Potsdam, nimmt die Kartoffelkäferplage zu. Die Bekämpfung wird nicht intensiv genug betrieben. Am 24.6.1954 wurden in Zossen, [Bezirk] Potsdam, auf einem Feldweg größere Mengen unbekannter Käfer aufgefunden. (Außerdem lagen welche in größeren Klumpen im Feld.)
In der Gemeinde Langenhennersdorf, [Bezirk] Dresden, wurde für ein Kinderfest gesammelt. Dabei äußerte ein Bauer: »Ich gebe nichts. Wir sollen das Zeug geben und die Schweine feiern die Feste.« Der gleiche Bauer äußerte im Gasthaus gegenüber einem Genossen: »Es wird sich bald einiges ändern, dann bist du der Erste, der am Baum hängt.«
Übrige Bevölkerung
Zu politisch-aktuellen Problemen wird unter der übrigen Bevölkerung wenig Stellung genommen. In den wenigen Diskussionen steht die Volksbefragung im Mittelpunkt, über die im Anhang berichtet wird. Vorwiegend wird über wirtschaftliche Fragen gesprochen. Zwei parteilose Hausfrauen äußerten: »Gerade für unsere Kleinstkinder brauchen wir Maizena,16 wir müssen unsere Kinder aber stattdessen mit Grieß füttern.«
Die Einwohner von Kablow, [Kreis] Königs Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam, finden es nicht richtig, dass sie nicht wissen, wie viel Einkellerungskartoffeln pro Person geliefert werden, und dass von der VEAB noch keine Bestimmungen über die Belieferung durch die Einzelbauern vorliegen.
Die Oberschüler im Kreis Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, bekommen jeden Monat am 24. Stipendium. Da die Notenbank kein Geld hat, haben die Schüler es diesen Monat noch nicht erhalten. Bei 150 Schülern macht es einen Betrag von 6 000 DM aus. Die meisten Oberschüler sind zu einem Instrukteureinsatz anlässlich der Volksbefragung eingesetzt. Durch die Nichtbezahlung des Stipendiums herrscht eine negative Stimmung unter den Jugendlichen.
Aus Rostock wurde uns berichtet, dass die Bevölkerung beim Grenzübertritt nach Westdeutschland bei Probstzella17 von der Grenzpolizei schlecht behandelt wird. So wird aus einem Bericht aus Wismar bekannt, dass am 3.6.1954 alle Grenzübergänger des Interzonenverkehrs in eine Baracke gedrängt wurden, aus welcher sie nicht herausdurften. Es entstand ein wüstes Gedränge, Kinder und alte Leute schrien auf, sogar ein Kinderwagen wurde zerdrückt.
Typhuserkrankung: In der Gemeinde Ermsleben, [Bezirk] Halle, sind zehn Typhusfälle und zwei Verdachtsfälle festgestellt worden. Von der Seuchenkommission wurden folgende Maßnahmen beschlossen: Schließung der Schulen und des Kindergartens, Verstärkung der Fliegenbekämpfung, Einstellen des Verkaufs von Speiseeis und die in Quarantäne befindlichen Personen beziehen Lebensmittel in einem bestimmten Laden.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:18 Neubrandenburg 207, Erfurt 90, Rostock 16, Karl-Marx-Stadt 7 300, Wismutgebiet 2 748, Gera 2 Pakete und 5 000, Frankfurt/Oder 2 000.
CDU-Ostbüro: Potsdam 2 000.
UFJ:19 Potsdam 250, Frankfurt/Oder 5 000.
»Deutsche in der Bundesrepublik«:20 Karl-Marx-Stadt 9 057, Wismutgebiet 2 500, Potsdam 37 000.
In tschechischer Sprache: Karl-Marx-Stadt 1 560, Dresden 72.
Im Kreisgebiet Lobenstein, [Bezirk] Gera, wurde eine größere Anzahl Hetzzettel in Form von Stimmzetteln gefunden. Text »Ich stimme für geheime freie Wahlen und die Einheit Deutschlands und die Freiheit oder Mitteldeutschland als sowjetische Provinz und für die Verewigung des kommunistischen SED-Regimes.« Die Stimmzettel sollen an eine angegebene Adresse in Berlin-Tempelhof geschickt werden.
Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen mittels Ballons eingeschleust und sichergestellt.
Antidemokratische Tätigkeit
In den Bezirken Neubrandenburg, Erfurt, Dresden und Frankfurt/Oder wurden vereinzelt Plakate zur Volksbefragung abgerissen bzw. beschädigt.
In dem VEB Werkin Königsee, [Bezirk] Gera, wurden mehrere Hetzlosungen gegen die Volksbefragung an verschiedenen Stellen des Betriebes angebracht.
Gefälschte Schreiben
Zu den bereits gemeldeten gefälschten Schreiben traten neu auf: gefälschte Schreiben mit dem Absender des »Büros des Abstimmungsleiters der Republik«, in denen Maßnahmen gegen angeblich gefälschte Stimmzettel ergriffen werden sollen.
In Jüterbog, [Bezirk] Potsdam, erschienen zwei unbekannte FDJler bei einer Hausfrau und teilten ihr die Anschriften von Aufklärungslokalen und vom Abstimmungslokal mit. Überprüfungen ergaben, dass diese Adressen nicht stimmten.
Vor der Wohnung des Kreisdienststellenleiters des SfS in Gransee, [Bezirk] Potsdam, wurden bereits dreimal Plaketten mit dem »W« gefunden.21
Am Pfarrhaus in Bergen, Kreis Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurde folgende Losung angebracht: »Aus eigener Kraft niemals Frieden und Einheit – aus Kraft des heiligen Geistes Frieden und Einheit«. In der Mitte der Losung war ein Heiligenbild befestigt.
Auf der Strecke Straßgräbchen, Kreis Kamenz, [Bezirk] Dresden, wurde die Lok eines Güterzuges mit Steinen beworfen, sodass der Lokführer in Deckung gehen musste.
Im FDJ-Heim der Gemeinde Bützer, [Kreis] Rathenow, [Bezirk] Potsdam, wurden von unbekannten Tätern drei Fensterscheiben eingeschlagen und die Embleme der FDJ und Jungen Pioniere zertreten.
In einem von der DHZ Lebensmittel Kreis Jüterbog, [Bezirk] Potsdam, gelieferten Paket Butter, befand sich eine tief eingedrückte Patronenhülse.
Vermutliche Feindtätigkeit
Von dem VEB Schreibmaschinenwerk Dresden gelieferten Milchflaschen wurden 32 Pappverschlüsse mit Petroleum bzw. Benzin bespritzt.
Im Kreis Jüterbog, [Bezirk] Potsdam, wurden auf einem Rübenfeld drei Tablettenflaschen mit der Aufschrift »Wayor«22 mit gelben Tabletten im Abstand von je 5 cm gefunden. Die Tabletten wurden zur Überprüfung eingeschickt.
Im Kreis Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, in einem Objekt der Wismut zeigt sich eine verstärkte Tätigkeit der Kirche mit dem Bestreben, die Bürger am 27.6.[1954] von der Abstimmung abzuhalten. Zum Beispiel wollen einige Hausfrauen nicht zur Abstimmung gehen, da in Mylau23 ein großes Konfirmationsfest ist. Die Frau eines Pfarrers forderte über den Bürgermeister einen Omnibus an, um die Gemeinschaft zu einer Betstunde zu bringen.
In der Nacht vom 24. zum 25.6.[1954] brach im Dachstuhl der HO-Gaststätte in Dahme, Kreis Luckau, [Bezirk] Cottbus, ein Brand aus. Schaden ca. 30 000 DM. Vermutliche Brandstiftung durch den Objektleiter.
Anlage 1 vom 25. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2245
Äußerungen zur Päckchenkontrolle in der Deutschen Demokratischen Republik
Verschiedentlich werden Stimmen bekannt, die sich gegen die Art und Weise der Durchführung der Päckchenkontrolle aussprechen.
Eine Hausfrau aus Scharfenberg, [Bezirk] Dresden: »Von den Paketen ist eins durchwühlt worden. Kakao, Schokolade, Palmin, alles aufgemacht. Da der Kakao nur halb verschlossen war, ist die ganze Wäsche damit bestiebt worden. Hoffentlich kriegen die Herrschaften auch noch einmal ihre Strafe für ihre Gemeinheiten. Das Paket war nur halb verschnürt, so etwas ist doch furchtbar.«
Ein Angestellter aus Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die schönen eingepackten teuren Sachen waren von der DDR-Kontrolle alle aufgerissen, durchschnüffelt und mit einem Klebestreifen versehen, oder in ›Erfurter Volksstimmen‹ eingewickelt. Vielleicht hat man in einem Maggi-Suppenwürfel eine Wasserstoffbombe gesucht.«
Ein Angestellter aus Seiffen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Das Päckchen sah wieder mal grauslich aus. Alles war aufgerissen und durchwühlt. Selbst die Schokolade und der Tabak. Es ist einfach eine Schande, wie lieblos man mit den Liebesgaben umgeht. Glaubt man vielleicht durch derartige Maßnahmen, entgegen dem verbrieften Recht unserer eigenen demokratischen Verfassung, die Menschen zu gewinnen?«
Ein Arbeiter aus Karl-Marx-Stadt: »Was mich allerdings nicht erfreute, war die Tatsache, dass das Päckchen geöffnet worden war und gründlich durchwühlt war. Der Kaffee allerdings war meiner Meinung nach nicht geöffnet, weil es ja ein durchsichtiger Beutel war. Der Kakao war aber aufgemacht, der Papierbeutel durchstochen, sodass der Inhalt oben rausquoll. Es ist ein herrliches Gefühl, wenn man sich vorstellt, dass man mit sonstwas für unsauberen Geräten in den Sachen herumstochert. Die Schokolade war mitsamt der Umhüllung in drei Teile gebrochen und jedes Teil in etwas weißes Papier gewickelt. Außerdem lagen noch zwei kleine Stückchen mit drin, die gar nicht dazugehörten. Schon genug, dass es keine Postgeheimnisse mehr gibt, muss man sich gefallen lassen, dass wahrscheinlich jeder mit seinen dreckigen Händen in den Sachen herumwühlt, die man dann ungewaschen essen muss?«
Eine Hausfrau aus Erfurt: »Die Pakete sind angekommen und bis auf die Apfelsinen …24 sonderbar war, dass beide Adressen und Inhaltsverzeichnisse in Inges Paket waren. Wenn doch diese Schnüffelei endlich einmal aufhören würde. Es genügt doch, wenn es drüben durch die Zollkontrolle geht. Diesmal ist es wenigstens in anständige Hände gegangen, denn die Tafeln Schokolade sind zwar auch geöffnet worden, aber nicht wie sonst in lauter kleine Stückchen gebrochen. Man wundert sich schon gar nicht, wenn noch die Büchsen geöffnet würden. Wegen der Leute, die verbotene Sachen schicken, muss nun die ganze anständige Bevölkerung darunter leiden.«
Ein Angestellter aus Oelsnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Unser Paket aus Westdeutschland war gründlich durchschnuppert. Die Butter war, jedes Stück dreimal, durchstochen und alles Weitere aufgerissen, wie Tabak, Zigaretten und Schokolade. Es ist wirklich allerhand, was wir so über uns ergehen lassen müssen und dann sind wir das freieste Land der Welt.«
Ein Arbeiter aus Werdau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Im Paket war alles drin bis auf den Roman, den sie herausgenommen haben. Damit machen sie sich nur selbst lächerlich. Auf der einen Seite will man die Einheit Deutschlands und dann verbietet man solche Romane.«
Anlage 2 vom 26. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2245
Hetzschriften zur Volksbefragung
I. Gefälschte Schreiben
Außer den bereits gemeldeten gefälschten Schreiben vom »Nationalrat der nationalen Front« und vom »Deutschen Friedensrat« treten noch folgende gefälschte Schreiben auf:25
1) Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik, der Kreisausschüsse der Nationalen Front mit der Anweisung, für einen angegebenen Termin Veranstaltungen vorzubereiten, wo Volkskammerabgeordnete sprechen sollen. Unterschrift: Faksimile »Dieckmann«.26
2) »FDGB-Bundesvorstand« an BGL volkseigener Betriebe. Um den westlichen Kriegstreibern keine Handhabe zu der Argumentation zu geben, die Volksbefragung würde nicht freiwillig oder geheim erfolgen, wird angeordnet, dass
a) die Betriebe nicht geschlossen marschieren sollen.
b) die Wahlkabinen zu benutzen sind und jeder Wähler seinen Stimmzettel selbst in die Urne zu werfen hat, und die ehrenamtlichen Helfer einen großen Abstand von der Urne wahren müssen.
c) den Bezirksausschüssen Meldung zu machen ist, wenn diese Anweisung nicht durchgeführt wird.
3) »FDGB-Bundesvorstand« an BGL volkseigener Betriebe mit dem Betreff: »Sicherung einer wirklich freien und geheimen Entscheidung bei der Volksbefragung«.
»Spontane Beschlüsse, am ersten Tag 100-prozentig zu wählen …, entspricht nicht unserer Auffassung …« einer freien Wahl. In jedem Fall, wo der Wähler durch Helfer beeinflusst wird, soll eingeschritten und an den Bundesvorstand berichtet werden. Es soll Sorge getragen werden, »dass nicht wieder wie bei der letzten Wahl durch vorzeitiges Öffnen der Urnen dem Klassengegner Grund zur Anzweiflung des Wahlergebnisses gegeben wird«.
4) »MdI – Büro des Abstimmungsleiters« an die Abstimmungsleiter bei den Räten der Kreise.
Es wird angewiesen, die Stimmscheine beim Wahlgang einer genauen Kontrolle zu unterziehen, da vom Klassengegner gefälschte Stimmscheine in Umlauf gesetzt worden wären. Es heißt u. a.: »Der Paragraf Abs. 1 der Durchführungsverordnung zur Volksbefragung darf nur bedingt berührt werden.«27 Die Abstimmungsleiter sollen eng mit den Organen des SfS und den »Vertrauten der Massenorganisationen« zusammenarbeiten. Die gefälschte Anweisung ist unterschrieben: »gez. Hegen,28 Staatssekretär für innere Angelegenheiten«.
II. Hetzschriften
1) Flugzettel »Kein Deutscher will 50 Jahre Besatzung«.
Mittels Ballons oder durch die Post vom »Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen« verbreitet. Die Hetzschrift fordert auf, den Stimmzettel entweder ungezeichnet oder mit dem Kreuz bei der »EVG« abzugeben und nach Möglichkeit erst am 29.6.1954 abzustimmen. Weiterhin soll darauf geachtet werden, dass Wahlkabinen vorhanden sind, ob jeder sie benutzen kann, wer in den Wahlvorständen sitzt. Die öffentlichen Stimmenauszählungen sollen recht zahlreich besucht und die Ergebnisse der einzelnen Abstimmungslokale verglichen werden. Verstöße gegen die Wahlverordnung sollen dem UFJ gemeldet werden.
2) Schreiben an Bürgermeister mit der Drohung, dass sie sich keiner Verstöße gegen die Wahlverordnung schuldig machen sollen, »für die sie sich eines Tages verantworten müssten« (UFJ).
3) Flugzettel »Volksbefragung auf Befehl Moskaus« vom »Freiheitskomitee Bismarck« mit der Verherrlichung der EVG, um die Wähler zu beeinflussen.
4) Flugzettel »Ohne Freiheit keinen Frieden« von »Antibolschewistischer Freiheitsbewegung in der SBZ« mit den Forderungen nach
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»Absetzung der Regierung«,
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»freie, geheime und gleiche Wahlen in ganz Deutschland anstelle der Volksabstimmung über die EVG«,
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»Freiheit für die politischen Gefangenen«,
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»persönliche Freiheit eines jeden einzelnen Bürgers, unabhängig von seinem Parteibuch«,
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»Redefreiheit, Pressefreiheit, freies Handeln …«,
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»Freiheit ohne bolschewistische Tyrannei«.
Anlage 3 vom 26. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2245
Auswertung von Hetzschriften
I. Hetze gegen Einrichtungen der DDR
»Die kleine Tribüne« Nr. 5/5429 (Hetzschrift der NGO) nimmt in mehreren Artikeln zur Normenfrage Stellung. Es heißt, dass die Normenerhöhungen »nicht so brutal und provokatorisch wie voriges Jahr« durchgeführt werden. Aus diesem Grunde wird die gegenwärtige Lage als »relativ günstig« für einen Kampf gegen Normenerhöhung betrachtet. Es heißt: »Im gegenwärtigen Moment würden höchstwahrscheinlich 10 oder 20 Normenniederlagen der staatskapitalistischen und staatsgewerkschaftlichen Parasiten in entschiedenden Großbetrieben völlig dazu ausreichen, die neue Welle für viele Monate zu brechen … und zum Abblasen der Aktion zu veranlassen«. Dieser Kampf soll unter Missbrauch unserer Losungen geführt werden, die nach dem 17.6.1953 gegen administrative Lohnerhöhungen herausgegeben wurden.
In diesem Zusammenhang wird auch von Lohnrückstufungen gesprochen, z. B. in den VEB Gerätewerk Karl-Marx-Stadt, ehemaliger Maschinenbaubetrieb Rudisleben, und gegen die Auszahlung von Quartalsprämien gehetzt. Zwischenfälle wegen der Prämien habe es in dem VEB Installationswerk Annaberg, Kranbau Eberswalde, Eisenhüttenwerk Thale, Großdrehmaschinenbau »7. Oktober« in Berlin gegeben.
Gegen die SED wird in der von dem »Gewerkschaftlichen Aktionskomitee« herausgegebenen Hetzschrift »Stimme der Freiheit«30 gehetzt. Die SED sei keine »Einheitspartei«, da die SPD-Mitglieder aus ihr verdrängt würden, u. a. heißt es am Schluss: »Am Tage nach dem Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen aus Mitteldeutschland wird in der sowjetischen Besatzungszone die vollkommene Einheit der Arbeiter Tatsache geworden sein, denn an diesem Tag wird es in Mitteldeutschland keine Kommunisten mehr geben.«
In einem Artikel der Hetzschrift »Der Tag« Nr. 23 soll die Bevölkerung über die Versorgungslage der DDR weiterhin beunruhigt werden. Es heißt darin, dass »die Einzelhandelsumsätze in der SBZ schon wieder um 10 Prozent gefallen« sind, Fleischmangel nach wie vor bestehe und der »Handel mit den Ostblockstaaten nicht befriedige«.31
Auch in dem »Informationsbrief Nr. 51 des UFJ« wird über eine »schlechte Lage in der Fleischversorgung« berichtet.32
Die Studienarbeit an den Hochschulen der DDR wird in einem Artikel der Hetzschrift »Der Tag« Nr. 22 völlig diffamiert. Mit der Schilderung »überalteter« Professoren und »unstudierter SED-Hochschullehrer« will man unsere Jugendlichen von dem Studium abhalten. In der Unterstützung der feindlichen Einstellung einiger Professoren fordert die Hetzschrift auf, die fachlichen Fragen immer wieder in den Vordergrund zu rücken. »… Ihre Zurückhaltung und Betonung der fachlichen Notwendigkeiten ist auch eine Waffe, sogar eine sehr wirksame.«33
Über die Ausbildung der Justizangestellten berichtet der »Informationsbrief Nr. 51 des UFJ«.34 Die darin entwickelte Hetze über Gesetzesverstöße, Rechtsbeugung usw. kommt zusammengefasst in einem Satz zum Ausdruck, in dem es heißt: »Das Ziel (der Ausbildung) ist, die Richter und Staatsanwälte zu kritik- und willenlosen Werkzeugen des Systems zu machen.« In dem Artikel werden dann Hinweise erteilt, was ein Angeklagter vor Gericht nach dem StGB alles verlangen kann und soll. Der Artikel schließt mit der Drohung gegenüber Angehörigen der Justizorgane, dass »jede Unrechtsakte beim UFJ registriert« wird.35
Zur Versetzung der Angestellten der Reichsbahn meldet der »Informationsbrief Nr. 51«, dass das Sodaphesverfahren bei der Heizung der Lokomotiven gesundheitsschädlich ist.36 Arbeiter, Lokführer und Lokheizer hätten bereits Hautverbrennungen und Augenverletzungen erlitten. Arbeiter sollen [die] Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen, Frischmilch u. a. fordern. Wie bereits in den letzten Tagen von anderen Hetzschriften gemeldet, spricht auch der UFJ von einem »Chaos in der Reichsbahn und einer permanenten Transportkrise«.
Unter der Überschrift »Mädchenhandel nach bolschewistischem Muster« hetzt die KgU,37 »Widerstandsgruppe Mecklenburg«, mit Flugschriften, die durch die Post an Bürger der DDR versandt werden, gegen den Landeinsatz in Mecklenburg. Es werden darin Greuelmärchen über den »moralischen Tiefstand … der unerfahrenen Mädchen« verbereitet. Als Beispiel wird das Lager Langenfelde, Kreis Grimmen, genannt. Die Bevölkerung von Mecklenburg wird aufgefordert, sich »für diese unerfahrenen Mädchen zu interessieren und sie nicht vollkommen verwahrlosen zu lassen«. Die Eltern in Thüringen, wo der größte Teil der Mädchen herkommen soll, werden »gewarnt«.
In der Hetzschrift des UFJ für Verwaltungsangestellte »Der Umlauf« Nr. 2 wird u. a. gemeldet, dass im Rahmen »verschärfter Kaderpolitik« eine nochmalige Überprüfung der Verwaltungsangestellten nach Befehl 238 erfolge. Gleichzeitig müssten die Abteilungsleiter aller Verwaltungen »nochmals an die SED berichten, wie sich jeder einzelne Angestellte am 17. Juni 1953 verhalten habe«.39
II. Anweisungen der Feindzentralen
Mitglieder der LDP werden von der FDP aufgefordert, nicht aus der Partei auszutreten, da »die aufrechten Liberaldemokraten nach wie vor bei der Wiedervereinigung wichtigste Aufgaben zu erfüllen haben«.
Arbeit der Kampfgruppen40
In einer Sondernummer der »Roten Fahne«, die sich mit den Ereignissen des 17. Juni 1953 in der bereits bekannten Art beschäftigt, heißt es dann unter der Überschrift »Oppositionelles Forum«, dass die Arbeiter in den Kampfgruppen mitarbeiten sollen, da diese »die beste Möglichkeit bieten«, eines Tages für Feindtätigkeit ausgenutzt zu werden.
Mit dem Briefkopf »die Deutsche Aktion«41 und der Unterschrift »Hubertus Prinz zu Löwenstein«42 werden an Betriebsinhaber der DDR Briefe gesandt, die die Unterschrift zu einer beigefügten »Petition, gerichtet an den Hohen Kommissar der Vereinigten Staaten Dr. James B. Conant«,43 fordern. Die Petition beschäftigt sich mit der Forderung nach Belassung des Saargebietes bei Deutschland. Die Betriebsleiter sollen dieselbe auch von ihren Angestellten und Arbeitern unterschreiben lassen.
Aufforderung zur Mitarbeit in der KgU
Die »Widerstandsgruppe Mecklenburg« der KgU fordert Bürger der DDR mit der Hetzschrift »Was wirst du sagen …« zur Mitarbeit auf, nachdem sie diese durch Drohung wie z. B.: »… Es ist deine eigene Schuld, wenn Dein Leben einmal an dem Galgen endet« beschimpft hat.
III. Neue Hetzschriften
In zwei verschiedenen Exemplaren »Tarantel Sonderdruck« werden die Geschichte der KPdSU und der SED in übelster Weise verleumdet.44 Die Hetzschriften enthalten chronologische Darstellungen der Geschichte, die den Zweck verfolgen, Tatsachen zu verdrehen und die Funktionäre zu beschimpfen.
Von dem gleichen Verfasser wie der Hetzschrift »Tarantel« Berlin-Charlottenburg 2, Postlagerkarte 07 wird das Hetzblatt »Ganz neues Deutschland« herausgegeben, welches übelste Hetze gegen unsere führenden Genossen enthält. Ziel ist die Diffamierung und Verleumdung unserer Funktionäre und die Beeinflussung der Bevölkerung gegen dieselben.45
IV. Gefälschte Schreiben
Auf Briefbogen der »Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin« werden an führende Intelligenzler in Westberlin gefälschte Schreiben mit der Unterschrift »W. Friedrich«46 versandt, die die Wahlen neuer Mitglieder der Akademie betreffen. Über die Auswahl der neuen Mitglieder heißt es: »…, dass wir uns bei der Auswahl des Kandidaten für die Akademie von unseren politischen Führern leiten lassen sollten, die die fundamentalen Grundsätze des neuen Sozialismus verstehen … nicht unter allen Umständen die akademisch Begabtesten, sondern solche Persönlichkeiten zu wählen, die in allererster Linie die politischen Ziele unserer Republik verstehen und zu erfüllen streben«. Gleichzeitig werden Hinweise gegeben, dass nichts kritisiert werden soll.
Anlage 4 vom 26. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2245
Über die Vorbereitung zur Volksbefragung
Industrie und Verkehr
Über die Volksbefragung wird unter den Werktätigen aus der Industrie und [dem] Verkehr allgemein in etwas größerem Umfang diskutiert als an dem Vortage, was aufgrund der Aufklärungseinsätze und der Versammlungen in den Betrieben zurückzuführen ist. Jedoch ist der Teil derjenigen, die sich nicht äußern und interesselos verhalten, weiterhin umfangreich. Der überwiegende Teil der Diskussionen ist positiv. Darin wird gesagt, dass jeder anständige Mensch für den Frieden stimmen müsste und dass sich die Äußernden für den Frieden entscheiden werden. Überwiegend stammen solche Stimmen von Arbeitern und fortschrittlichen Angestellten der volkseigenen Industrie, wenige von Angehörigen des Verkehrswesens (wie z. B. Eisenbahn) und vereinzelt nur von Intelligenzlern. Ein größerer Teil der Arbeiter aus den Groß- und anderen VEB beabsichtigt, bereits am 27.6.1954 ihre Stimme abzugeben.
Ein parteiloser Arbeiter aus dem VEB EKM Feuerungsbau Greiz, [Bezirk] Gera: »Es ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass ich für den Frieden meine Stimme abgebe, denn die Schrecken des Krieges, welche ich gesehen habe, werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Wir alle können froh und zufrieden sein, dass wir für den friedlichen Aufbau arbeiten, der uns den Erfolg unserer Arbeit, die Lohnerhöhungen und Steuersenkungen einbrachte.«
Ein parteiloser Schweißermeister aus dem Reparaturwerk in Wünsdorf,47 [Bezirk] Potsdam: »Mein Entschluss zur Volksbefragung steht schon lange fest. Ich habe zwei Weltkriege mitgemacht, die nichts als Not und Elend für die Völker brachten, und habe deshalb kein Interesse, einen Dritten Weltkrieg mitzumachen. Ich gebe deshalb meine Stimme schon am 27.6.[1954] für den Frieden ab.«
Aus der Filmfabrik Wolfen, Kreis Bitterfeld, verpflichtete sich ein Arbeiter, bereits am 27.6.1954 seine Stimme für Frieden und Einheit abzugeben. Ähnliche Verpflichtungen wurden uns aus dem Simsonwerk Suhl und aus dem VEB Mewa-Lux Bad Liebenstein, [Bezirk] Suhl, bekannt.
Ein geringerer Teil der Werktätigen bringt zum Ausdruck, dass die Volksbefragung zwecklos sei, da sie im Westen nicht anerkannt wird. Andere sagen, dass die Volksbefragung nutzlos sei, da sich Adenauer48 von seinen Kriegsplänen doch nicht abbringen lässt. Solche Meinungen stammen meist von unaufgeklärten Arbeitern und kleinbürgerlich eingestellten Menschen, die an die Kraft des Friedenslagers nicht glauben. Ein Arbeiter aus dem VEB Galvanotechnik Leipzig: »Die Volksbefragung kann nur einen Erfolg bringen, wenn sie in ganz Deutschland durchgeführt wird.« Ein Angestellter von der Reichsbahndirektion Berlin: »Die Wahlen sind doch Quatsch. Wenn die hier glauben, dass die Wahlen von Adenauer anerkannt werden, dann sind sie im Irrtum.«
Feindliche Stimmen sind nur im geringen Umfange vorhanden. Darin wenden sich feindliche Elemente gegen die Volksbefragung mit den verschiedensten Argumenten. Ein Lehrausbilder vom VEB Kranbau Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Man sollte einmal die Frage nach einer anderen Regierung stellen, dann könnte man die wirkliche Meinung der Bevölkerung erfahren. Aber die haben ja hier Angst.«
Ein Schießbrigadier vom Wismut-Schacht 250 in Aue: »Wir brauchen keine Volksbefragung über den EVG-Vertrag, denn der wurde doch nicht mit uns abgeschlossen. Außerdem gibt es bei uns auch Besatzungstruppen und wie lange die bleiben, wissen wir auch nicht.« Ein Angestellter vom Postamt Melchendorfer Straße [Erfurt]:49 »Wir sind eher für einen Krieg, denn wenn wir viele ›Ja‹-Stimmen abgeben für den Frieden, werden wir die Russen nicht los.«
Ein Brigadier aus dem Gaswerk Wismar (SED) äußerte, als er aufgefordert wurde, eine Hausversammlung durchzuführen: »Was soll ich dahin gehen. Die Leute glauben mir ja doch nicht. Außerdem habe ich auch gar kein Interesse dafür.« Eine Weberin aus einem Privatbetrieb in Walddorf, [Bezirk] Dresden: »Warum sollen wir gegen die EVG sein? Die Amerikaner wollen doch keinen Krieg. Nur die Russen beuten uns aus.«
Landwirtschaft
Im Verhältnis zu den Diskussionen in der Industrie wird unter der Landbevölkerung wesentlich geringer über die Volksbefragung gesprochen. Die bekannt gewordenen Stimmen sind überwiegend positiv. Darin kommt zum Ausdruck, dass sie an der Erhaltung des Friedens stark interessiert sind und deshalb gern ihre Stimme für den Frieden geben. Ein LPG-Bauer aus Wüst Eldena, [Bezirk] Rostock: »Wenn das ganze deutsche Volk geschlossen für einen Friedensvertrag und die Einheit Deutschlands stimmt, wird es nicht mehr lange dauern und Adenauer muss abtreten.« Ein Bauer aus Madsow, [Bezirk] Rostock: »Ich werde für den Frieden stimmen, weil ich lange genug im Krieg war und die Schrecken miterlebt habe. Ich will nicht, dass unsere Kinder einen Krieg erleben müssen, denn dieser würde furchtbar sein und von uns würde nicht viel übrig bleiben.«
Von einem Teil wird der Sinn und Zweck der Volksbefragung nicht erkannt und es kommt zu Äußerungen wie zum Beispiel: »Die Durchführung der Volksbefragung ist nicht notwendig, weil doch alle Menschen für den Frieden sind.« (ein Bauer aus Dassow, [Bezirk] Rostock)
Auch unter der Landbevölkerung kommt es anlässlich der Volksbefragung zu Verpflichtungen. Sämtliche Kollegen der MTS Neupetershain, [Bezirk] Cottbus, verpflichteten sich, am ersten Tag bis 12.00 Uhr ihre Stimme für den Abschluss eines Friedensvertrages und gegen die EVG abzugeben. Außerdem verpflichtete sich ein Traktorist, 35 ha Roggen in der Gemeinde Lindchen in vier Tagen zu mähen. Die LPG-Mitglieder der LPG in Hindenburg, [Bezirk] Neubrandenburg, verpflichteten sich, am ersten Tag der Volksabstimmung bis 9.00 Uhr ihre Stimme für den Frieden abzugeben und darüber hinaus wollen sie 1 000 kg Fleisch, 500 kg Milch über den Plan liefern.
Vereinzelt wurden negative bzw. feindliche Stimmen bekannt, die meist von großbäuerlichen Elementen stammen. In einer Diskussion über die Volksbefragung äußerte ein Großbauer aus Bredenfelde, [Bezirk] Neubrandenburg: »Solange eine Arbeiterregierung am Ruder ist, haben wir Bauern nichts zu erhoffen. Wir bekommen ja nicht einmal Stroh. Bei einer ›freien Wirtschaft‹ ging es uns besser.«
In der Gemeinde Bresewitz, [Bezirk] Neubrandenburg, fragte ein Großbauer den Bürgermeister, wann das Soll herabgesetzt würde. Dieser antwortete darauf, dass das Soll festgesetzt ist und keine Herablassung erfolgen kann. Darauf erwiderte der Großbauer: »Dann darf sich keiner wundern, wenn die Volksbefragung dementsprechend ausfallen wird.« Ein Großbauer aus Wickersdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Volksbefragung geht mich nichts an, das ist eine kommunistische Angelegenheit.«
In der Gemeinde Erdmannsdorf, [Bezirk] Gera, äußerte ein Einzelbauer (Vorsitzender der BHG) im angetrunkenen Zustand, als ein Lautsprecherwagen durch das Dorf fuhr und zur Teilnahme an der Volksbefragung aufrief: »Die Regierung muss weg, die Wildschweinplage ist nicht so groß, wie die Plage mit der Regierung.«
Übrige Bevölkerung
Unter der übrigen Bevölkerung wird im Allgemeinen wenig über politische Fragen gesprochen. Demzufolge sind auch die Diskussionen zur Volksbefragung gering. Die bekannt gewordenen Stimmen sind meist von Hausfrauen und Angestellten und überwiegend positiv. Darin wird die Volksbefragung begrüßt und man will die Stimme für einen Friedensvertrag und gegen EVG abgeben. Eine Hausfrau aus Woddow, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich weiß, warum ich zur Abstimmung gehe, ich möchte nicht noch einmal ein 1945 erleben. Deshalb gebe ich meine Stimme bereits am 27.6.1954 für den Frieden.«
Ein Einwohner aus Oederan, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich begrüße die Volksbefragung, denn gerade als Neubürger50 habe ich so viel Leid und Not ertragen müssen, deshalb setze ich mich aktiv gegen jede Kriegsvorbereitung ein.« Ein Angestellter der DHZ aus Marienberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Alle friedliebenden Menschen blicken zur Volksbefragung am 27.6.1954 auf uns. Ich werde sie nicht enttäuschen. Deshalb gebe ich meine Stimme für einen Friedensvertrag.« Eine Rentnerin aus Sonneberg, [Bezirk] Suhl: »Ich bin eine alte Frau, habe zwei Weltkriege erlebt und einen Sohn verloren. Ich will deshalb in meinen alten Tagen im Frieden leben, darum gebe ich meine Stimme für einen Friedensvertrag ab.«
Teilweise tritt die Meinung auf, dass es zwecklos sei, sich an der Volksbefragung zu beteiligen. Ein CDU-Bürgermeister aus Brunow, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Die Volksbefragung hat keinen Zweck. Es ist vollkommen egal, welches Ergebnis sie hat, denn nicht die EVG ist entscheidend, sondern die verschiedenen Welten, die sich gegenüberstehen. Diese internationalen Spannungen zwischen Amerika und Russland lassen sich nur durch Waffengewalt beseitigen.« Ein Mitglied der CDU sagte zu einem Bauarbeiter in Lauterbach, [Bezirk] Dresden: »Es hat ja doch keinen Zweck, dass sie die Löcher graben, die machen bald andere, denn es kommt ja bald ein neuer Krieg, die Volksbefragung hat ja doch keinen Zweck.«
Vereinzelt wurden uns feindliche Stimmen bekannt. Diese stammen teilweise von Pfarrern und Mitgliedern der bürgerlichen Parteien. Ein Pfarrer aus Tragnitz, [Bezirk] Leipzig: »Zur Volksbefragung gebe ich meine Stimme nicht ab, weil die Stimme des Volkes schon mehrmals missbraucht wurde.« Einige Anhänger der »Zeugen Jehovas«51 in Dessau, [Bezirk] Halle, brachten zum Ausdruck, dass sie nicht zur Volksbefragung gehen werden, denn ihnen kann nur »Jehova« helfen.
Ein Pfarrer aus Kummerow, [Bezirk] Frankfurt: »Der EVG-Vertrag ist kein Angriff, sondern nur ein Schutzpakt. Die dahinterstehenden Mächte wollen keinen Krieg, da es genügend Christliche gibt, die das verhindern wollen. Allerdings hat die EVG auch die Aufgabe, eine passende Regelung der Frage der Oder-Neiße-Friedensgrenze zu erreichen und Deutschland zu einigen.«
Der BGL-Vorsitzende des Konservatoriums Rostock erklärte in einer Hausversammlung: »Der neue Kurs52 ist doch nur ein Täuschungsmanöver der SED und die Volksbefragung ist ebenfalls eine Täuschung der Massen vor der Wirklichkeit.«
Eine Hausfrau aus Rodewisch, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich weiß nicht, was ich wählen soll. Ich habe auch für die ganze Partei nichts übrig, das kommt mir alles wie Zwang vor.«