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Zur Beurteilung der Situation

15. Februar 1954
Informationsdienst Nr. 2123 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Wie aus vorliegenden Berichten zu ersehen ist, hat sich die Stimmung unter den Werktätigen gegenüber den Vortagen nicht wesentlich verändert. Das Interesse an der Konferenz geht zurück,1 da keine Ergebnisse in der Deutschlandfrage mehr erwartet werden. Bei einem größeren Teil der Werktätigen, stärker bei Angestellten und Intelligenzlern, macht sich eine abwartende Haltung bemerkbar. Ein Teil der Kollegen des Schlepperwerk Brandenburg,2 [Bezirk] Potsdam, bringt zum Ausdruck: »Lasst man die Vier machen, wir werden ja sehen, was dabei herauskommt.«

Ein großer Teil der Angestellten im LOWA Dichtungswerk Staßfurt, [Bezirk] Magdeburg, nimmt eine abwartende Haltung ein und diskutiert kaum.

Ein Arbeiter vom VEB Bau im Eisenhüttenkombinat »J. W. Stalin«: »Mir ist es egal, wie die Konferenz ausläuft. Hauptsache ich habe Arbeit und kann leben.«

Von einem nicht geringen Teil der Werktätigen werden die Vorschläge des Genossen Molotow3 begrüßt,4 da er als Einziger die Interessen des deutschen Volkes vertritt, wobei meist nicht auf die einzelnen Vorschläge selbst eingegangen wird. Aus den bisher vereinzelt bekannt gewordenen Stimmen über den Vorschlag des Genossen Molotow zur Gewährung der kollektiven Sicherheit in Europa5 ist zu ersehen, dass dazu meist positiv Stellung genommen wird. Ein Teil der Kollegen der Filmfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle, bringt zum Ausdruck, dass sie die Bemühungen des Genossen Molotow anerkennen. Jedoch wäre es notwendig, dass er noch jemanden zur Unterstützung bekäme, wie z. B. China.

Der überwiegende Teil der Arbeiter im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld, [Bezirk] Halle, begrüßt den Vorschlag des sowjetischen Außenministers über einen Vertrag der kollektiven Sicherheit.

Der Kranführer aus der Elbewerft Boizenburg,6 [Bezirk] Schwerin: »Der Vorschlag Molotows über die kollektive Sicherheit in Europa ist eine Garantie für den Frieden in Europa.«

Des Weiteren wird Stellung genommen gegen die Haltung der westlichen Außenminister, gegen den EVG-Vertrag7 und gegen »freie Wahlen«.8 Ebenfalls bringt ein Teil zum Ausdruck, dass, wenn man sich über Österreich einig werden sollte,9 es ebenfalls über Deutschland möglich sein müsste.

Eine Kollegin aus dem VEB »Ernst Thälmann« in Saalfeld, [Bezirk] Gera: »Molotow hat der ganzen Welt die Aggressionspolitik der USA, Englands und Frankreichs aufgezeigt. Der französische Außenminister10 spricht sowieso nicht im Auftrage des französischen Volkes: Dem wird man noch einheizen, wenn er wieder nach Hause kommt.«

Ein parteiloser Kollege vom VEB Blechwalzwerk Olbernhau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Der Außenminister der UdSSR spricht aus unserer aller Herzen. Er zerpflückte in seinen Reden den EVG-Vertrag und zeigte die Folgen dieses Vertrages auf. Die Verträge von Bonn und Paris sind der Untergang Europas.«11

Einige Arbeiter aus den Buna-Werken in Halle: »Wenn die Westmächte immer von freien Wahlen sprechen, muss man sagen, dass dies nur Gerede ist. Wir wollen Wahlen, wo die Militaristen nichts zu bestimmen haben.«

Einige Kollegen aus der Möbelfabrik »Franz Fülle« in Greiz, [Bezirk] Gera: »Wenn über den österreichischen Staatsvertrag Einigkeit erreicht wird, dann müsste dasselbe auch für Gesamtdeutschland möglich sein.«

Von einem kleineren Teil der Werktätigen wird in negativer Art über die Viererkonferenz gesprochen, wobei Hauptargumente die Forderungen nach »freien Wahlen« und Revision der Oder-Neiße-Grenze sind. Daneben treten negative Äußerungen noch in verschiedenen Formen auf (Hetze gegen SU und DDR, die SU muss nachgeben, Ablehnung der kollektiven Sicherheit u.  Ä.).

Ein Arbeiter aus dem VEB Injekta in Steinach, [Bezirk] Suhl: »Ich bin für freie Wahlen, aber sie müssen unter Kontrolle der Staaten durchgeführt werden, welche nicht am Zweiten Weltkrieg beteiligt waren.« Ähnlicher Meinung ist ein großer Teil der Arbeiter dieses Betriebes.

Ein Werkmeister vom Bau 143 der Buna-Werke in Merseburg, [Bezirk] Halle: »Über die Oder-Neiße-Grenze sind bei uns alle Umsiedler der gleichen Meinung, lieber sterben als auf die alte Heimat verzichten. Schlesien war deutsch und muss deutsch bleiben. Wer uns dann dort regiert, ist uns vollständig schnuppe.«

Von verschiedenen Arbeitern des VEB Zellwolle Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, wurde erklärt: »Was hat es für einen Zweck zu reden, denn solange die Russen da sind, können wir nichts ändern.«

Einige Arbeiter der Warnow-Werft in Warnemünde, [Bezirk] Rostock:12 »Der Russe hätte mehr nachgeben müssen und auf die Vorschläge der westlichen Außenminister über die Wahlen eingehen. Dieses kann er sich aber nicht erlauben, denn die Masse des deutschen Volkes steht nicht hinter den Russen.«

Ein Arbeiter vom VEB IKA Annaberg,13 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Molotow behandelt jetzt mit seinem Vorschlag zur kollektiven Sicherheit Deutschland als geteilt und macht keine Vorschläge mehr zur Wiedervereinigung. Sein neuer Vorschlag ist als ein Zurückweichen vor den Westmächten zu betrachten.«

Ein Arbeiter aus der Gerberei der VEB Lederwerke Neustadt, [Bezirk] Schwerin: »Die SU kann Vorschläge machen wie sie will. Die Westmächte gehen ja doch nicht darauf ein. Wenn die Konferenz beendet ist, kommt ein neuer 17. Juni.«

Die Gefahr einer zeitweiligen Produktionseinstellung besteht für den VEB Gummiwerk Riesa, [Bezirk] Dresden, da die Cordlieferung von der Baumwollspinnerei Leipzig ausgeblieben ist.

Empörung besteht unter einem Teil der Arbeiter des Kunstseidenwerkes Premnitz, [Bezirk] Potsdam, da ein Angebot von 500 000 Strumpfwickeln aus dem Kunstseidenwerk »Siegfried Rädel« in Pirna für die weitere Produktion unbrauchbar ist.14

Handel und Versorgung

Im demokratischen Sektor von Berlin und auch im Bezirk Potsdam gibt es unter einem Teil der Bevölkerung Diskussionen, die besagen, dass nach der Außenministerkonferenz die gute Versorgung mit Lebensmitteln und Konsumgütern nachlassen wird. Ein Arbeiter aus Wildau, [Bezirk] Potsdam: »Jetzt ist augenblicklich alles zu haben, aber wenn die Außenministerkonferenz vorbei ist, werden die Schaufenster der Geschäfte auch wieder leer sein. Man täuscht nur einen Wohlstand vor.«15

Landwirtschaft

Auf dem Lande gibt es in der Stimmung keine Veränderungen. Unter breiten Kreisen der Landarbeiter, werktätigen Einzelbauern und Genossenschaftsbauern macht sich immer mehr eine gleichgültige Haltung bemerkbar.16 In den Diskussionen dieser Teile der Landbevölkerung wird betont, dass man an keinen günstigen Ausgang der Konferenz in der Deutschlandfrage glaubt, da die Westaußenminister alle konstruktiven Vorschläge des Genossen Molotow ablehnen, die einzig und allein eine Basis für die Bildung eines friedliebenden, demokratischen Deutschlands bieten. So sagt ein Mittelbauer aus Gerdshagen, [Bezirk] Potsdam: »Durch die Sturheit der westlichen Außenminister sehe ich die Konferenz schon scheitern.«

Die negativen Stimmen der großbäuerlichen und feindlichen Elemente haben nicht nachgelassen, sondern finden aufgrund des jetzigen Standes der Konferenz bei den zweifelnden und schwankenden Kreisen mehr Gehör. Die Probleme, die von diesen Kräften diskutiert werden, sind die des RIAS und der anderen Westsender: Die Frage der »freien Wahlen«, der »freien Wirtschaft« und der Oder-Neiße-Grenze.17 Diese Elemente versuchen hervorzuheben, dass nicht die Westmächte, sondern die SU Schuld am ergebnislosen Verlauf der Konferenz in der Deutschlandfrage trägt. Bei diesen Diskussionen treten die Großbauern weniger in Erscheinung, obwohl sie die treibenden Kräfte sind.

Der Bürgermeister der Gemeinde Großbeuthen, [Bezirk] Potsdam: »Als die vier zusammengetreten sind, stand von vornherein fest, dass keine Einigung erzielt wird, denn die Anschauungen der beiden Parteien sind zu verschieden, also wird keiner von seiner Meinung abweichen und nachgeben. Die Vorschläge Molotows wird der Westen nicht annehmen, genauso nimmt der Osten die Vorschläge des Westens nicht an, bloß damit keiner den Rückzieher machen muss.«

Ein werktätiger Bauer aus Vogelsberg, Bezirk Erfurt äußert: »Die Forderungen Molotows wären nicht vollständig, er hätte noch nicht über das Umsiedlerproblem gesprochen. Alle diejenigen, welche die Deutschen aus der ČSR ausgewiesen haben, sind Verbrecher.«

Ein Brigadeschlosser von der MTS Tanna, [Bezirk] Gera: »Die westlichen Außenminister sprechen von freien Wahlen und der sowjetische Außenminister spricht ebenfalls von freien Wahlen. Was sind nun eigentlich freie Wahlen. Bei der Bildung einer provisorischen Regierung sollte man ruhig Vertreter des Stahlhelms18 und des Kapitals mit hineinnehmen. Bei der Wahl würde sich dann schon herausstellen, wen das Volk wählt. Es muss also von beiden Seiten ein Kompromiss erzielt werden.«

Ein Kleinbauer aus Finkenbrück,19 [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich höre den Hamburger Sender.20 Was bei uns in der Zeitung steht, ist mir zu schwarz gedruckt, das kann ich nicht lesen. Heute lebt man ja nur von unseren Knochen. Warum können wir nicht wie früher frei handeln. Molotows Reden interessieren mich nicht, ich informiere mich über den Hamburger Sender.«

Bauern des Kreises Aschersleben, [Bezirk] Halle, die zur »grünen Woche« in Berlin21 waren äußerten, dass dort keine Propaganda über die Viererkonferenz getrieben wird und dass man zur freien Wirtschaft übergehen müsse.

Ein Landarbeiter, beschäftigt in der Molkerei Klötze, [Bezirk] Magdeburg, erklärte: »Drüben stehen schon die Panzer bereit und ich mache mit, wenn es losgeht. Zuerst werden die aufgesucht, die einen gewissen [Name] eingesperrt haben.«

Schweinepest: Aus den Bezirken Erfurt und Dresden wird berichtet, dass die Schweinepest, die in allen Bezirken der DDR an Ausdehnung zunimmt, hier in einigen Betrieben besonderen Schaden angerichtet hat. So mussten im VEG Strausfurt, Kreis Sömmerda, [Bezirk] Erfurt, von 1 505 Tieren 713 notgeschlachtet werden. Die Ursache wird von einer aus Tierärzten zusammengestellten Kommission auf die durch Anweisung des Ministeriums für Land- und Forstwirtschaft gebauten Stallungen zurückgeführt,22 da diese nicht sachgemäß ausgebaut wurden. In den Ställen herrschte während der Kälteperiode eine Temperatur von minus 12 Grad. In der LPG Dörschnitz, Kreis Meißen, [Bezirk] Dresden, wurde der gesamte Schweinebestand von 450 Stück abgeschlachtet. 40 Tiere wurden der Kadaververwertung zugeführt, die anderen als Freibankfleisch verkauft.23

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Wie bereits berichtet, ist auch heute wieder festzustellen, dass die Diskussionen zur Viererkonferenz nicht mehr im gleichen Umfange wie bisher geführt werden. Nur ein geringer Teil hofft noch auf positive Ergebnisse der Konferenz, wobei zugleich auch der Vorschlag Molotows über einen Europavertrag unterstützt wird. Ein Angestellter der VEAB in Frankfurt/Oder: »Ich stehe fest hinter der Forderung unserer Regierung, Deutsche zu den Verhandlungen zuzulassen und hoffe,24 dass die Konferenz doch noch ein für Deutschland günstiges Ergebnis bringt.«

Ein parteiloser Angestellter aus Schwallungen, [Bezirk] Suhl: »Ich erkläre mich mit den Vorschlägen der SU einverstanden, die eine Entspannung der internationalen Lage herbeiführen können, besonders den letzten Vorschlag von Molotow über den Europavertrag, damit wir in Ruhe und Frieden in eine glückliche Zukunft blicken können.«

Sehr oft werden Zweifel an einem Erfolg der Konferenz geäußert und häufig kommt zum Ausdruck, dass überhaupt keine Hoffnung auf einen Erfolg für uns Deutsche besteht. Dabei betrachtet man die Konferenz auch als Zirkus oder Propaganda, wie es in nachfolgenden Beispielen zum Ausdruck kommt.

Eine parteilose Krankenschwester aus dem Krankenhaus Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Was soll man zu der ganzen Sache sagen. Es ist ja doch bloß alles Propaganda. Die sind sich schon einig und wissen ganz genau, was sie machen. Wir werden von allen verkauft.«

Ein Angestellter der staatlichen Forstverwaltung Bischofswald, [Bezirk] Magdeburg: »Es ist ja doch alles nur Zirkus, was die machen. Es kommt ja nie zu einer Einigung.«

Aus kleinbürgerlichen Kreisen werden überwiegend zweifelnde, häufig negative Äußerungen bekannt. Bei diesen negativen Äußerungen sind am weitesten verbreitet die westlichen »Argumente« über »freie Wahlen« und bei Umsiedlern die Hoffnung auf eine Revision der Oder-Neiße-Grenze.

Ein parteiloser Bäckermeister aus Mühltroff, [Bezirk] Gera: »Bist du überhaupt noch normal, an die Einheit Deutschlands zu denken? Die Einheit kommt erst, wenn wir freie Wahlen haben, aber nicht solche nach dem Ostzonenmuster, denn das ist ja keine Wahl, was die deutschen Russen hier schon durchgeführt haben.«25

Eine Hausfrau aus Wernigerode: »Die Wahlen, wie sie Herr Molotow haben will, kommen überhaupt nicht infrage. Auch nicht solche, wie sie bei uns waren, denn die waren ja unter Zwang.«

Ein Angestellter (NDP) aus Marienberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Eine provisorische Regierung, dem Vorschlag Molotows entsprechend, ist nicht das Richtige. Die durchgeführten Bundestagswahlen sind wirklich geheime Wahlen gewesen.26 Ich habe mit westdeutschen Besuchern diskutiert, die mir dies bestätigten.«

Eine Einwohnerin aus Leuna [Bezirk] Halle: »Wenn die Verhandlungen für uns so ausfallen, dass wir die Hoffnung hätten, wieder einmal in unsere Heimat zurückzukehren, so wäre das ein großes Plus für uns.«

Organisierte Feindtätigkeit

Flugblattfunde in geringer Anzahl melden die Bezirke Potsdam, Leipzig und Halle.

In der Nacht vom 13. zum 14.2.1954 wurden in Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, 15 Fahnenmasten, welche anlässlich der Kreisdelegiertenkonferenz in der Marktstraße aufgestellt waren, von bisher unbekannten Tätern herausgerissen und in den Rinnstein geworfen. Außerdem wurden zwei DDR-Fahnen gestohlen.27

In Hennickendorf, [Bezirk] Frankfurt/Oder, geriet das Stallgebäude eines republikflüchtigen Bauern in Brand. Durch schnelles Eingreifen konnte der Brand sofort gelöscht und größerer Schaden verhütet werden. Eine aufgefundene Essigflasche, in der Benzin enthalten war, weißt auf Brandstiftung hin.

Einschätzung

Das Interesse an der Konferenz hat stark nachgelassen. Ein großer Teil aller Schichten der Bevölkerung ist pessimistisch, hauptsächlich wegen der ablehnenden Haltung der westlichen Außenminister, gegen deren Verhalten und [den] Eden-Plan28 vielfach besonders von Arbeitern Stellung genommen wird. Die Vorschläge Molotows werden zum großen Teil besonders von Arbeitern unterstützt. Feindliche Argumente werden weiterhin von einem kleinen Teil der Bevölkerung vertreten, wobei jetzt besonders der SU die Schuld zugeschoben wird, dass keine Einigung in der Deutschlandfrage erzielt worden ist. Der überwiegende Teil der negativen Diskussionen zeigt den starken Einfluss der westlichen Sender.

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