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Zur Beurteilung der Situation

23. April 1954
Informationsdienst Nr. 2187 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Über den IV. Parteitag der SED1 wird nur noch ganz vereinzelt diskutiert. Der Inhalt der Diskussionen unterscheidet sich gegenüber den Vortagen nicht. Etwas stärker, jedoch noch immer in geringem Maße wird über die amerikanische Atom- und Wasserstoffbombenexperimente diskutiert.2 In den bekannt gewordenen Stimmen sprechen sich Arbeiter, Angestellte und Intelligenzler meist gegen diese Vernichtungswaffe und gegen die USA aus. In diesem Zusammenhang wird auch verschiedentlich die Stellungnahme von Dibelius3 verurteilt.4 Von mehreren Arbeitern der Werkstatt fünf des Leuna-Werkes wurde in einer Diskussion empört zum Ausdruck gebracht, dass diese Versuche direkt an Sadismus grenzen. »Man müsste solche Leute, die mit solchen Sachen spielen und die gesamte Menschheit gefährden, unschädlich machen.« Ein Arbeiter vom Kalikombinat Volkenroda, [Bezirk] Erfurt: »Durch ihre Versuche mit Wasserstoffbomben zeigen die amerikanischen Imperialisten ihre blutige Fratze vor der Weltöffentlichkeit.«

Ein Schießmeister von Schacht 78 Annaberg,5 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Äußerungen des Pastors Dibelius zeigen allen Menschen klar, was die Kirche und besonders die hohen Priester für eine Einstellung zur Erhaltung des Friedens haben.«

Anlässlich des bevorstehenden 1. Mai wurden in den Betrieben vereinzelt Selbstverpflichtungen übernommen. So wurden z. B. im »Karl-Liebknecht«-Werk Magdeburg6 von mehreren Arbeitern Selbstverpflichtungen übernommen. Die Gleisbaubrigade im Braunkohlenwerk Schipkau, [Bezirk] Cottbus, leistete eine Hochleistungsschicht und erreichte 164 Prozent.

Verschiedentlich werden die Vorschläge zur Auszeichnung von Aktivisten am 1. Mai [1954] bemängelt, wobei eine gewisse Missstimmung zum Ausdruck kommt. So bringt z. B. ein Teil der Arbeiter im VEB Elmo-Werk Wernigerode, [Bezirk] Magdeburg, zum Ausdruck, dass sie nicht verstehen könnten, warum Kollegen, die als Aktivisten vorgeschlagen wurden, abgelehnt werden. In diesem Zusammenhang wird geäußert, dass man zum 1. Mai nicht mitdemonstrieren will. Ähnlich im Fortschrittschacht Eisleben,7 [Bezirk] Halle, wo vom Flügel 3 zehn Vorschläge eingereicht, ohne Angabe des Grundes aber abgelehnt wurden.

Im VEB Maschinenbau Nordhausen, [Bezirk] Erfurt, äußerte sich ein großer Teil der Arbeiter der Abteilung Zerspanung verärgert darüber, dass die Werkleitung die Auszuzeichnenden ohne Befragen der Arbeiter bestimmt.

Einzelbeispiel: Am 20.4.1954 sprach im Industriewerk Ludwigsfelde, [Bezirk] Potsdam, in einer Versammlung Genosse Wollweber.8 Anwesend waren ca. 800 Personen, die mit Interesse den Ausführungen folgten. Während zu anderen Versammlungen 100 bis 200 Arbeiter vorzeitig den Raum verließen, waren es diesmal nur 16 Kollegen, die auf die Bahnverbindung angewiesen sind. Nach der Versammlung äußerten sich viele, wie z. B. ein Techniker: »Solche Versammlungen müssten oft stattfinden, dann würde mancher sehen, dass die Staatssicherheit nicht so ist, wie sie immer geschildert wird.«9

Negative Äußerungen wurden nur ganz vereinzelt bekannt. So sagte z. B. ein Arbeiter: »Was interessiert mich die Versammlung. Ich bin kein Agent und habe auch kein schlechtes Gewissen, dass ich Aufklärung brauchte. Mit ist mein Feierabend wichtiger.«

Wirtschaftliche, betriebliche und persönliche Fragen stehen weiterhin im Mittelpunkt der Diskussionen. Unzufriedenheit besteht unter den Arbeitern einiger Betriebe wegen Lohnfragen, Prämienverteilung und Kündigung. Im VEB Sägewerk Bredereiche, [Bezirk] Potsdam, sind die Arbeiter darüber verärgert, dass ihr Durchschnittslohn nur 280 DM beträgt, während er in anderen Sägewerken des Kreises 300 DM und mehr ausmacht, obwohl dort gleiche Arbeitsbedingungen herrschen. Auf dem Bahnhof Königsbrück, [Bezirk] Dresden, und im VEB Patent-Papierfabrik Penig, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, besteht eine starke Fluktuation von Arbeitskräften, da die Löhne zu gering seien.

Im VEB Hecho,10 [Bezirk] Gera, sind die Arbeiter darüber unzufrieden, dass die verantwortlichen Angestellten und die Intelligenzler bei jeder Prämienzahlung einbegriffen sind, während die Werktätigen nur wenig Geld oder gar nichts erhalten würden.

Im VEB Süßwarenfabrik Dresden werden infolge Auftragsmangel Entlassungen von Saison- und Facharbeitern durchgeführt. Darüber sind die Arbeiter sehr missgestimmt.

In der Warnow-Werft Warnemünde muss wegen Materialschwierigkeiten ein Teil der Facharbeiter mit Hilfsarbeiten beschäftigt werden, was große Missstimmung hervorruft. Ein Schweißer sagte dazu: »Wir sollen immer schneller arbeiten und haben doch gar keine Arbeit. Wir müssten uns als Anstreicher qualifizieren und dann nach dem Westen gehen.«

Beim VEB Kraftverkehr Plauen und Rodewisch, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, bestehen Schwierigkeiten bei der Beförderung der Arbeiter, da Reifen und Ersatzteile fehlen. Dadurch kommen die Arbeiter nicht rechtzeitig in die Betriebe, was Produktions- und Lohnausfall nach sich zieht. Darüber sind die Arbeiter sehr missgestimmt.

Produktionsschwierigkeiten traten in verschiedenen Betrieben wegen Materialmangel sowie Änderung der Produktionsauflage auf. In der Wernesgrüner Wirkwarenfabrik Karl-Marx-Stadt fehlt Perlon- und Kunstseide, wodurch der Quartalsplan nicht erfüllt werden konnte. Bei der örtlichen Industrie in Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, fehlt Grauguss, wodurch die Holzwarenfabrik Schwarzenberg kurz vor dem Betriebsstillstand steht.

Beim Bauhof Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, mangelt es an Nägeln und Leichtbauplatten, wodurch die Bautermine nicht eingehalten werden können.

Im VEB Getriebewerk Leipzig fehlen größere Mengen an Kugellagern. Dadurch fallen im Monat April für 298 000 DM Produktionen aus.

Im VEB IKA Sonneberg II,11 [Bezirk] Suhl, fehlen 27 Tonnen Messing für die Produktion. Dem Treuhandbetrieb »Andreas Birk« in Ilmenau,12 [Bezirk] Suhl, fehlen 150 Tonnen Medizinglas. Der Betrieb beliefert 800 Polikliniken, Krankenhäuser und Apotheken.

Infolge Änderung der Produktionsauflage im VEB Blema Aue,13 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sind über eine Mio. DM noch nicht auftragsgebunden. Ferner liegen für neue Maschinentypen, die im Werk gebaut werden, noch keine Kalkulationspreise vor.

Im Georgi-Dimitroff-Werk Magdeburg14 wurde im März 1954 der Plan nicht erfüllt. Trotzdem wurde die bisher höchste Lohnsumme ausgezahlt. Ferner wird bekannt, dass vom technischen Direktor oft Produktionsstücke angenommen werden, die von der Kontrolle als Ausschuss festgestellt wurden.

Vereinzelt wurden negative bzw. feindliche Stimmen bekannt, die sich gegen die DDR und Sowjetunion richten. Eine Angestellte vom VEB Taxi-Verkehr Erfurt: »Man darf heute seine Meinung nicht frei äußern, denn jede dritte Person ist ein gekaufter Agent des Staatssicherheitsdienstes. Es laufen mehr solche Subjekte herum, als ehrliche Arbeiter.«

Einige Arbeiter der Isolier- und Kältetechnik der Baustelle Wismar, [Bezirk] Rostock, diskutierten darüber, dass in der nächsten Zeit die Arbeitslöhne unregelmäßig gezahlt werden und dass wir einer Inflation entgegengehen würden.

Im Konstruktionsbüro der Warnow-Werft Warnemünde, [Stadt] Rostock, diskutierten einige Angestellte darüber, dass nicht die Deutsch-Sowjetische Freundschaft, sondern die deutsch-amerikanische Freundschaft notwendig sei.

Handel und Versorgung

Im Schlachthof Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, lagern gegenwärtig ca. 90 Tonnen Schlachtfette, die nicht abgesetzt werden können, da keine Nachfrage besteht.

Im Kreis Zittau, [Bezirk] Dresden, fehlen infolge Kürzung, 7 Tonnen Frischfleisch zum Verkauf im Konsum. Da die gelieferte Menge von 21 Tonnen fast verbraucht ist, kann ab nächster Woche der Konsum keine Fleischwaren mehr verkaufen (jedoch im Schlachthof Zittau lagern Überbestände).

In den Kühlhallen von Dresden lagern 800 Tonnen Fleisch der Staatsreserve, über das nicht verfügt werden darf, da keine Anweisung dazu ergeht. Das Fleisch hat aber die höchste Lagerungsgrenze bereits überschritten. Gleichzeitig lagern dort noch 651 961 kg Schmalz, der ebenfalls den Verderb ausgesetzt ist.

Landwirtschaft

Nach wie vor wird unter der Landbevölkerung wenig über politische Tagesfragen gesprochen. Zum IV. Parteitag wurden keine Äußerungen mehr bekannt. Über die bevorstehende Genfer Konferenz15 sowie über die amerikanischen Atom- und Wasserstoffbombenexperimente werden nur ganz vereinzelt Diskussionen geführt. Ein Bauer aus Chursdorf, [Bezirk] Gera: »Nun sind sie schon wieder einmal soweit zum Verhandeln. Etwas Gescheites kommt doch nicht dabei heraus. Das hat man doch bei der Viererkonferenz gesehen.16 Nachgeben tut keiner, da müssen wir eben so weitermachen, bis es eines Tages ganz zusammenbricht.« Ein LPG-Bauer aus dem Kreis Erfurt: »Früher habe ich mich überhaupt nicht um Politik gekümmert. Jetzt bin ich aber zu der Überzeugung gekommen, dass man angesichts der Wasserstoffbombenversuche der Amerikaner nicht länger teilnahmslos zusehen kann, sondern man muss seine Stimme dagegen erheben.«

Im Mittelpunkt des Interesses stehen wirtschaftliche Belange. Deshalb werden darüber mehr Diskussionen geführt. Verschiedentlich ist zu verzeichnen, dass durch wirtschaftliche Schwierigkeiten die Forderung nach freier Wirtschaft etwas stärker in Erscheinung tritt. Ein Bauer aus Loitz, [Bezirk] Neubrandenburg: »Warum wird das Ablieferungssoll nicht abgeschafft. Es ist viel zu hoch, wir verlangen jetzt endlich, dass freie Wirtschaft eingeführt wird.«

In einer VdgB-Versammlung in Züssow, [Bezirk] Rostock, forderte ein Großbauer ebenfalls die freie Wirtschaft, indem er sagte: »Es wäre besser, wenn jeder Bauer so wirtschaften könnte wie er wollte, dann würde mehr erzeugt werden und für Bauern wäre es ein großer Ansporn.«

Durch den Mangel an Futtermittel bei der LPG Seehausen, [Bezirk] Magdeburg, verendet fast jeden zweiten Tag ein Ferkel und 20 tragende Sauen mussten verkauft werden, obwohl ein Sollrückstand von 700 dz Schweinefleisch zu verzeichnen ist.

Die unzureichende Düngemittel- und Saatgutzuteilung führt verschiedentlich zu negativen Diskussionen. Dafür sind folgende Beispiele typisch: Ein Bauer aus Ecklingerode, [Bezirk] Erfurt: »Sie geben uns keinen Kunstdünger, weil Sie uns dadurch ruinieren wollen.« Ein Bauer aus Schwebendorf, [Bezirk] Cottbus: »Die Saatgutverteilung entspricht nicht dem Acker und den Wünschen der Bauern. Mit den ganzen Maßnahmen will man uns nur den Schlund abdrehen.«

In letzter Zeit macht sich bemerkbar, dass sich Großbauern nicht mehr ganz so zurückhalten und offen mit ihrer Meinung hervortreten. So z. B. äußerte ein Großbauer aus Memmendorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wir müssen arbeiten wie ein Stück Vieh und fallen aber unter die Klasse der Ausbeuter. Es ist eine Härte für uns, man fühlt sich in so einer Lage nicht ganz wohl.«

Ein Großbauer aus Bad Düben, [Bezirk] Leipzig: »Wenn der Tag ›X‹ nicht gekommen wäre,17 würden wir schon lange nicht mehr unseren Hof besitzen, denn vonseiten der Regierung wird alles daran gesetzt, um die Groß- und Mittelbauern zu vernichten.«18 Ein Großbauer aus Tautenhain, [Bezirk] Leipzig: »Sind wir denn Verbrecher, dass wir andere Tarife haben bei der MTS, als die Mittel- und Kleinbauern.«

Durch den Ausbruch der Schweinepest im VEG Wasserthaleben, [Bezirk] Erfurt, mussten 98 Mastschweine und 60 Sauen geschlachtet werden.

Übrige Bevölkerung

Zum IV. Parteitag wird nur noch ganz gering diskutiert. Ein NDPD-Mitglied äußerte sich zu den Ergebnissen des IV. Parteitages wie folgt: »Die Rentner und die Arbeiter, die wenig verdienen, begrüßen es, dass der IV. Parteitag der Regierung vorgeschlagen hat, die Lebensmittelkarten noch weiter zu behalten.«19

Über die amerikanischen Atom- und Wasserstoffbombenexperimente wurden uns von der übrigen Bevölkerung nur ganz vereinzelt Stimmen bekannt. Diese Stimmen richten sich meist gegen die Anwendung dieser furchtbaren Massenvernichtungsmittel und gegen die USA. Ein Sattlermeister, Mitglied der CDU aus Gera: »Wenn jetzt der ganzen Menschheit die Augen nicht aufgehen, was in der Welt vor sich geht, ist sie nur zu bedauern, denn wenn einmal die Atombomben über Deutschland gefallen sind, dann ist es mit der Einsicht zu spät, denn dann würde unserer schönes Deutschland in Schutt und Asche liegen und keine Maus könnte sich mehr bewegen.«

Ein Mitglied der LDPD aus Karl-Marx-Stadt: »Ganz gleich, wie es Bischof Dibelius gemeint haben könnte, auf jeden Fall war es schlecht von ihm, dass er nicht eine klare Stellungnahme zum Verbot der Wasserstoffbombe zum Ausdruck brachte.«

Aus den Bezirken Erfurt und Rostock wurden uns Stimmen zur Genfer Konferenz bekannt. Eine Hausfrau aus Greifswald, [Bezirk] Rostock: »Wir wollen sehen, was dabei herauskommt.« Ein Gasthausbesitzer (parteilos) aus Sollstedt, [Bezirk] Erfurt: »Warum sie nur schon wieder zusammenkommen wollen. In Genf schaffen sie genau nicht mehr, wie in Berlin, denn Molotow20 gibt doch nicht nach und da kann sich die internationale Lage auch nicht bessern.«

Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen wirtschaftliche und persönliche Belange: Wie man uns aus Berlin berichtet, wurde eine Stenotypistin, die aus Westdeutschland mit ihrem Mann übersiedelt ist, aus dem VEB Berliner Sport-Toto ganz plötzlich gekündigt, weil ihre Kinder nicht in Westdeutschland leben. Sie beschwerte sich im Berolina-Haus,21 dort wurde ihr gesagt, dass sie erst ein Jahr beweisen müsse, ob sie tatsächlich eine positive Einstellung zur DDR habe, während dieser Zeit könne sie als Reinemachefrau arbeiten. Sie brachte zum Ausdruck, dass derartige Anweisungen wohl nicht im Sinne der Regierung seien und außerdem ist sie eine perfekte Stenotypistin, die ihres Wissens überall dringend benötigt werden.

Im Kreis Riesa, [Bezirk] Dresden, können [von] ca. 400 Interessenten für den individuellen Wohnungsbau nur 30 mit dem Bau beginnen, da nur für diese Material eingeplant wurde, besondere Schwierigkeiten bestehen bei der Beschaffung von Bausteinen, Dachziegeln und Baukalk, dadurch sind die Betroffenen missgestimmt.

Die Kollegen des Postamtes Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, sind missgestimmt, weil sie keine Werkküche haben und auch keine Kaltverpflegung erhalten.

Negative Stimmen wurden uns nur ganz vereinzelt bekannt. Ein Pfarrer aus Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte: »Was die ›rote Presse‹ der Ostzone schreibt, daran glaube ich ja sowieso nicht.« Ein Arzt aus Zeulenroda, [Bezirk] Gera, äußerte sich über die Lage in der DDR wie folgt: »Es ist ja alles schön und gut, wenn man die Sache in der Zeitung liest, aber in Wirklichkeit sieht es etwas anders aus … Ich könnte noch mehr sagen, aber man darf ja die Schnauze nicht auftuen.«

Besondere Vorkommnisse

Am 17.4.1954, gegen 22.00 Uhr wurde ein VP-Angehöriger von zwei betrunkenen männlichen Personen in Eichwalde angegriffen und niedergeschlagen, nachdem es ihm gelang, sich wieder zu befreien, wurde er erneut verfolgt, daraufhin machte er von seiner Schusswaffe Gebrauch. Nach einem Warnschuss gab er zwei Schüsse auf die Täter ab, dabei wurde einer schwer verletzt, sodass er nach kurzer Zeit verstarb. In Schulzendorf und Eichwalde, [Bezirk] Potsdam, äußerten sich einige Jugendliche zu diesem Fall wie folgt: »Na wartet mal ab, bei der Beerdigung werden wir einen Aufmarsch zustande bringen. Wir vom VEB Reifenmüller in Schmöckwitz22 werden abteilungsweise antreten.«

Die Jugendlichen, die in diesem Sinne diskutierten, waren wahrscheinlich Gesinnungsgenossen der Täter, denn es ist bekannt, dass im VEB Reifenmüller, welcher zum Kreis Köpenick gehört, viele negative Elemente aus den Orten Eichwalde und Schulzendorf arbeiten. Diese Elemente sorgten auch dafür, dass dieses Geschehnis verdreht wurde. So sind Gerüchte in Umlauf gesetzt worden, dass nicht die Täter betrunken waren, sondern der Volkspolizist, und dieser habe den Täter aus Eifersucht erschossen.

Derartige Gerüchte beunruhigen die Belegschaftsmitglieder des RAW Schöneweide und die Kollegen fassen dies als einen bedauerlichen Fall auf und versuchten, eine Geldsammlung für den Erschossenen durchzuführen. Zur Klärung der Angelegenheit kam der 1. Sekretär der BPO und zwei Mitglieder der BGL des RAW Schöneweide zum VPKA und der Kreisamtsleiter sowie der Leiter der Abteilung beschlossen, selbst in das Werk zu fahren, um den Belegschaftsmitgliedern anhand von Beweismitteln den wahren Sachverhalt zu schildern.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüros:23 Potsdam 2 100, Leipzig 10 000, Magdeburg 380, Gera, Erfurt und Halle einige.

NTS:24 Potsdam 5 000, Gera 100, Dresden 35, Karl-Marx-Stadt 10.

KgU:25 Magdeburg 10 000, Halle 10.

CDU-Ostbüro: Neubrandenburg 3 000.

In Halle wurden 1 000 Flugblätter sichergestellt (Inhalt: »Was ist der Eden-Plan?«26 »Achtung, Funktionäre, die Uhr ist auf Zwölf«). Herausgeber unbekannt.

Gefälschte Briefmarken sind im Bezirk Halle im Umlauf mit der Aufschrift »Undemokratische Republik«.

Terror: In der Nacht vom 17. zum 18.4.1954 wurde in Rudolstadt, [Bezirk] Gera, ein Mitglied der SED und dessen Sohn von unbekannten Tätern niedergeschlagen. Während der Sohn nur leicht verletzt wurde, liegt der Vater mit lebensgefährlichen Verletzungen im Krankenhaus.

Diversion: Am 21.4.1954 wurde gegen 13.30 Uhr im »Martin-Hoop«-Werk in Zwickau ein Förderband durch mehrere Messerstiche von unbekanntem Täter beschädigt. Der Schaden beträgt DM 50,00.

Von der LPG Blesendorf, [Bezirk] Potsdam, wird uns berichtet, dass in der Nacht vom 21. zum 22.4.1954 eine Drillmaschine der LPG, welche auf dem Acker stand, gewaltsam beschädigt wurde. Die Speichen der Räder wurden herausgeschlagen.

Antidemokratische Schmierereien: An einem Gebäude der Dieselmotorenwerke Rostock wurden Hakenkreuze angeschmiert.

Durch Häftlinge wurden in Borkow, [Kreis] Ueckermünde,27 [Bezirk] Rostock, in einem mit Kali beladenen Güterwagen faschistische Abzeichen gefunden.

Hetzbriefe wurden im Bezirk Dresden an den VEB Entwurfsbüro für Industriebau gesammelt. Herausgeber UFJ.28

Gefälschte Rundschreiben wurden an den Kreisfriedensrat29 in Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, versandt. Darin wird geschrieben, dass im III. Quartal nur noch halbtagsweise Kräfte beschäftigt werden. Den 1. Sekretär wird bei Nichteinhaltung dieses Rundschreibens mit Entlassung gedroht.

In den Bezirken Halle, Cottbus, Magdeburg und Schwerin erhielten die Staatlichen Kontors für landwirtschaftlichen Bedarf gefälschte Schreiben, in welchen sie aufgefordert werden, die noch fehlenden Mengen an Düngemittel zu melden, da die Kontingente um 20 Prozent erhöht worden seien. Angeblicher Absender: Deutsche Handelszentrale Chemie, Düngemittel und Pflanzenschutz – gez. Hager.30

Vermutliche Brandstiftungen

Am 21.4.1954 brach in Limbach-Oberfrohna, [Kreis] Karl-Marx-Stadt, ein Scheunenbrand aus. Betroffen wurde ein Altbauer. Der Schaden beträgt ca. 3 000 DM. Ferner geriet die Scheune eines Einzelbauern aus Zwirtzschen, [Kreis] Werdau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, aus bisher unbekannter Ursache in Brand. Es befanden sich darin Stroh sowie verschiedene landwirtschaftliche Maschinen. Der Schaden beträgt ca. 8 000 bis 10 000 DM.

Westberlin

»Der Kurier« vom 22.4.1954 führte unter der Überschrift: »Berlin fordert Schutz vor Menschenraub«31 Folgendes aus: »Die Erregung über den an Dr. Truschnowitsch vollzogenen Menschenraub ist … im Steigen begriffen.32 Aus diesem Grunde erwarten politische Kreise, dass der Senat im Zusammenwirken mit den Alliierten geeignete vorbeugende Maßnahmen ergreift, um einer Wiederholung von Entführungsversuchen von vornherein Schranken zu setzen.

Abgeordnete aller Parteien haben uns gegenüber geäußert, es sei zur Aufklärung des empörenden Falles notwendig, eine hohe Belohnung für jeden auszusetzen, der die Hintergründe des Menschenraubes aufhellen kann. Ebenso sei es unerlässlich, die Sicherheitsorgane und Gerichte zu ermächtigen, gegen alle aktiv an Entführungsversuchen Beteiligten und deren Helfer mit den schärfsten, dem Gesetz nach, zulässigen Repressalien vorzugehen. In diesem Zusammenhang ist auch die Erwartung ausgesprochen worden, dass die Alliierten den deutschen Polizeiorganen eine größere Handlungsfreiheit in der Sicherung der Westberliner Grenzen einräumen.

Westberliner Sicherheitsorgane erklären hierzu ergänzend, dass zum besseren Schutz der Bevölkerung die Schaffung einer demokratischen politischen Polizei ebenso unumgänglich sei, wie eine weitgehende Entlastung der Westsektoren von nichtanerkannten Flüchtlingen, unter denen zahlreiche, im Auftrage Pankows33 und den Sowjets handelnde Elemente zu vermuten seien.«

Einschätzung der Situation

Augenblicklich wird in allen Schichten der Bevölkerung sehr wenig über politische Fragen diskutiert. Am häufigsten spricht man noch, vorwiegend in Betrieben, über die Massenvernichtungsmittel der USA und fordert verstärkt das Verbot der Atomwaffen.

Hauptsächlich stehen betriebliche und wirtschaftliche Fragen im Mittelpunkt, wobei die örtlich auftretenden verschiedensten Mängel, häufiger besonders von feindlichen Elementen auf dem Lande, zu negativen Diskussionen ausgenutzt werden.

Die Verbreitung feindlicher Flugblätter hält verstärkt an.

Anlage (o. D.) zum Informationsdienst Nr. 2187

Landwirtschaft

Nachfolgend einige Beispiele über bestehende Mängel und Schwierigkeiten in der Landwirtschaft.

In den Kreisen Lobenstein, [Bezirk] Gera, und Rochlitz, [Bezirk] K[arl-]M[arx-]St[adt] (westlicher Teil), ist eine starke Auswinterung des Ölfruchtanbaus zu verzeichnen34 (zum Teil bis zu 50 Prozent). Es macht sich deshalb notwendig, größere Flächen umzubrechen, es fehlt aber an Sommerrapssaatgut. Des Weiteren tritt im Kreis Rochlitz (westliches Gebiet) der Rapsrüsselkäfer auf, der Schaden beträgt bis zu 20 Prozent.

Im Kreis Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, und in einigen Kreisen des Bezirkes Karl-Marx-Stadt sind Bauern verärgert, weil zu wenig gegen die Wildschweinplage getan wird. Dazu äußerte ein Bauer aus Sosa, [Bezirk] K[arl-]M[arx-]St[adt]: »Mir ist es unverständlich, dass sich trotz mehrfacher Mahnung niemand mehr vom Jagdkommando sehen lässt, um in dieser Angelegenheit Abhilfe zu schaffen.«35

Von den VEG und LPG

Im VEG »August Bebel« im Kreis Aschersleben,36 [Bezirk] Magdeburg, bestehen ernste Schwierigkeiten in der Futterversorgung (nur noch für wenige Tage Futter vorrätig).

In einigen LPG des Bezirkes Karl-Marx-Stadt besteht ein großer Mangel an Stroh, sodass der Jungviehaufzuchtsplan nicht vollauf gewährleistet ist.

Aus Klötze, [Bezirk] Magdeburg, wird berichtet, dass ein Mangel an Koppeldraht besteht, sodass die LPG, die fast alle an der Demarkationslinie liegen, ihre Koppel nicht richtig einzäunen können.

Auf dem Domgut Dehmen, [Bezirk] Schwerin, lehnen die SED-Genossen die Parteiarbeit ab (es wird auch kein Parteilehrjahr durchgeführt), u. a. wurde die Äußerung getan: »Wenn ihr etwas von uns wollt, dann könnt ihr unser Parteidokument bekommen.« Sie führen einen Kampf um Lohnfragen (sie werden von der Kirche nicht so bezahlt wie die Arbeiter in den VEG). Die Kreisleitung der SED und der Vorsitzende des Rates des Kreises versprachen Hilfe, haben sich aber bis jetzt noch nicht auf dem Gut sehen lassen.

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