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Zur Beurteilung der Situation

18. Juni 1954
Informationsdienst Nr. 2238 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Bei den politischen Diskussionen, die allgemein geringen Umfang haben, steht die Volksbefragung im Vordergrund.1 Der größte Teil der Stimmen ist positiv. Darin wird erklärt, dass man für den Frieden ist und deshalb seine Stimme dafür abgeben wird. Verschiedentlich wurden Einzel- und Kollektivverpflichtungen abgegeben, bereits bis zum 27.6.1954 früh seine Stimme abzugeben.

Verschiedentlich wird die Meinung vertreten, dass die Volksbefragung überflüssig sei, da doch jeder für den Frieden ist oder dass sie nur Zweck hat, wenn sie auch in Westdeutschland durchgeführt wird.2 Ein Kollege aus Greiz äußerte: »Die Volksbefragung wird diesmal sowieso für den Frieden ausfallen, weil alle für den Frieden sind. Den Krieg haben wir ja alle miterlebt.« Ein Brigadier aus dem Wälzlagerwerk Fraureuth, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Volksbefragung können wir bei uns durchführen, aber wie sieht es drüben im Westen aus? Da werden die fortschrittlichen Kräfte niedergeknüppelt, was nützen da unsere Stimmen.«

Vereinzelt kam es zu negativen Diskussionen, die verschiedenartig in ihren Argumentationen sind. Ein Gewerkschaftsorganisator aus dem Getriebewerk des Schlepperwerkes Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, sagte: »Die kommende Volksabstimmung ist keine freie und demokratische Wahl, da wir zur Abstimmung keine Wahlkabinen haben. Dagegen sollen wir uns wehren, hat der RIAS gesagt.« Ein Arbeiter, der in Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt, beschäftigt ist, äußerte: »Ich habe drüben mein Haus gehabt und alles verloren. Lasst mich mit Politik in Ruhe, damit will ich nichts mehr zu tun haben. Gehe ich zur Volksbefragung, erkenne ich die Oder-Neiße-Grenze an und das mache ich nicht.« In den Bezirken Frankfurt/Oder und Dresden wird des Öfteren in Verbindung mit der Volksbefragung gegen die Oder-Neiße-Friedensgrenze gehetzt.

In einer Versammlung im [Wismut-]Schacht Schmirchau,3 [Beirk] Gera, wurde über den Krieg in Vietnam gesprochen.4 Hierauf wurde der Antrag gestellt, für die gefallenen Fremdenlegionäre eine Gedenkminute einzulegen. Der Antrag wurde abgelehnt und die Versammlung darüber aufgeklärt, für wessen Interessen sie gefallen sind. In der Versammlung im [Wismut-]Schacht 12 in Oberschlema wurde versucht, durch Unruhe und Pfeifen den Referenten in seinem Referat zu stören.

Interesselosigkeit besteht bei den Kollegen des VEB Pressenwerkes Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl. In einer Versammlung zur Volksbefragung erschienen von einer 200-Mann-starken Belegschaft nur 38 Belegschaftsmitglieder. Die Versammlung wurde nicht durchgeführt.

Zum 17.6. wurden nur ganz vereinzelt Stimmen bekannt, wovon ein Teil positiv ist. Es wird darin erklärt, meist von fortschrittlichen Arbeitern, dass sie irgendwelche Putschversuche ablehnen und gegebenenfalls dagegen kämpfen werden.

Von feindlichen Personen wurden folgende Einzelstimmen bekannt: Aus Schmölln, [Bezirk] Leipzig, äußerte ein Kollege: »Morgen ist wieder der 17. Juni, da müssten wir eigentlich wieder marschieren.« Ein Schmied aus dem EMW Eisenach, [Bezirk] Erfurt: »Den 17. Juni sollte man eigentlich etwas festlich begehen und daran denken, wie klein diese Herren mit der großen Klappe am 17.6.1953 waren.« Ein Einwohner aus Eisenach (SED), war zwei Jahre in amerikanischer Kriegsgefangenschaft, äußerte: »Wenn es wieder zum 17. Juni kommt, dann kracht es, aber anders als im Jahre 1953, denn es ist Zeit, dass diese Brut abgeschafft wird.«

Ein Kollege aus dem ELMO-Werk in Wernigerode, [Bezirk] Magdeburg, sagte: »Sprecht nicht über den 17. Juni, sonst kann es passieren, dass ihr eingesperrt werdet.«

Im Eisenhüttenkombinat Stalin hielt ein Arbeiter vom EKM Bitterfeld5 Hetzreden, schlug in der Barackenstadt eine Scheibe ein und äußerte: »Am 17. Juni wird nicht gearbeitet.« Bei seiner Festnahme traten ca. 15 Arbeiter für den oben Genannten ein und versuchten die Festnahme zu verhindern.

In verschiedenen Betrieben kam es zu Missstimmung über Lohn-, Normen- und Urlaubsfragen sowie über die Nachtarbeit. In dem VEB Möbelfabrik Treppun,6 [Bezirk] Potsdam, diskutieren die weiblichen Arbeiter, dass für sie die Norm gegenüber den Männern zu hoch sei, da sie meist Männerarbeit leisten müssten. Sie wollen andere Normen haben (wird noch überprüft).

Im Glaswerk Tschernitz, [Bezirk] Cottbus, fordern die Mundglasmacher eine generelle 10-prozentige Normenherabsetzung. In der Vollautomatenabteilung des Glaswerkes Haidemühl, [Bezirk] Cottbus, tritt in verstärkter Weise die Forderung auf, die Automatenführer eine Lohngruppe höher einzustufen.

Die Bahnarbeiter in Bad Bibra,7 [Bezirk] Halle, sind mit der bisherigen Entlohnung nicht einverstanden, sie fordern, dass die Ortsklassen verschwinden.8 Im Kalkwerk Bibra, [Bezirk] Halle, sind die Arbeiter im Steinbruch unzufrieden. Sie fordern 24 statt 18 Tagen Urlaub.

In den Rathenower Optischen Werken und in der Konerei des Kunstseidenwerkes Premnitz,9 [Bezirk] Potsdam, ist eine Fluktuation von Arbeitskräften zu verzeichnen, weil die Arbeiter mit dem Drei-Schichtensystem nicht einverstanden sind.

Produktionsstörungen

Am 16.6.1954 ereignete sich im Zentralschacht – Auerbach/»W«10 eine Förderstörung durch das Heißlaufen eines Lagers in der Fördermaschine.

Am 17.6.1954 entstand im Objekt 101 in Aue in der Zeche B ein Produktionsausfall von ca. sechs Stunden. Ursache: Die Druckleitungsrohre schafften die erhöhte Materialzufuhr nicht und verstopften.

Am 16.6.1954 stürzten von einem einfahrenden Abraumvollzug auf der Abraumkippe im BKW Spreetal, [Kreis] Hoyerswerda, [Bezirk] Cottbus, sechs Abraumwagen in die Fahrrinne des Absetzers. Ursache: Schlechte Beschaffenheit des Gleisoberbaues sowie Nachlässigkeit des Oberkippers. Die Abraumwagen wurden zum Teil beschädigt. Sachschaden: 5 000 DM, Produktionsausfall entstand nicht.

Im Eisenhüttenkombinat »J. W. Stalin« brach am Hochofen IV aufgrund eines Überdruckes die Schlacke durch. Circa 80 Tonnen Eisen gingen verloren. Ein Schlackekasten wurde durch den Brand vernichtet und zwei Waggons durch die Hitzeentwicklung angebrannt.

Feindliche Diskussionen, die aus einzelnen Betrieben bekannt wurden:

In der Autoreparaturwerkstatt des Braunkohlenwerkes Plessa, [Bezirk] Cottbus, kursieren RIAS-Parolen. So äußerte zum Beispiel ein dort beschäftigter Kollege: »Die Stärke der VP in der DDR beträgt 840 000 Mann. Aufgrund dessen ist der Westen gezwungen, Gegenmaßnahmen einzuleiten.«11 Außerdem hetzte er gegen die Sowjetunion und fragte, »wo bleibt denn die Produktion der übergebenen ehemaligen SAG-Betriebe,12 wir bekommen sie doch nicht.«

Von der Belegschaft der Papierfabrik Hohenofen, [Kreis] Kyritz, [Bezirk] Potsdam, wurde ein Arbeitseinsatz für Hackfruchtpflegearbeiten in einer LPG durchgeführt. Hierbei forderte ein Angehöriger des Betriebes fünf Kollegen auf, langsam zu arbeiten und sagte: »Die LPG zu unterstützen, hat doch keinen Zweck. Sie sind alle verschuldet und brechen im Herbst zusammen. Eine LPG hat bei uns keine Existenzmöglichkeiten.«

In der Stanzerei des VEB IFA-Werkes in Zella-Mehlis, [Kreis] Suhl, wurde von einer Kollegin gefordert, dass die Gehälter aller Kollegen des Werkes öffentlich bekannt gegeben werden und dass man die Nachtschicht abschafft. Weiterhin diskutierte sie darüber, dass ab 1. Juli [1954] die Normen wieder erhöht werden sollen. In der Nachtschicht vom 14. zum 15.6.1954, wo diese Diskussionen geführt wurden, wurde das Plansoll nur mit 33 Prozent erfüllt. In der nächsten Nacht wurde der Plan mit 133 Prozent übererfüllt.

Handel und Versorgung

Die Bezirke Magdeburg, Halle und Cottbus berichten über erneute Schwierigkeiten in der Belieferung mit HO-Fleischwaren, die sich teilweise wieder bemerkbar machen. Desgleichen über mangelhafte Versorgung mit Hülsenfrüchten. Außerdem fehlt es in den Kreisgebieten Halle, Wittenberg, Weißenfels an Käse, Fischkonserven, Eiern und Massenbedarfsartikeln, teilweise auch an Stärkemittel und Zitronen für Kleinkinder.

In Cottbus mangelt es an Hülsenfrüchten, Nährmitteln, Marmelade und Fruchtsirup, in Magdeburg an Fahrradersatzteilen und FDJ-Kleidung.

Die mangelhafte Versorgung mit Würfelzucker im Konsum Halle wird in Verbindung mit der schlechten Warenstreuung durch die Konsumgenossenschaft scharf kritisiert, da die Lager der VEB Zuckerraffinerie voll Zucker sind.

In [der] Wismut kritisiert man die Zigarettensorte »Turf«, die in der Qualität sehr nachgelassen hat, weil die guten Tabaksorten ausbleiben.

Im Bezirk Schwerin sind des Öfteren Fische dem Verderb ausgesetzt, weil zeitweise wochenlang keine geliefert werden und dann wieder in solchen Mengen, dass sie nicht rechtzeitig abgesetzt werden können. Es wurde der Vorschlag gemacht, diese Fische im Preis herabzusetzen, um den Verderb zu vermeiden.

Der Bezirk Halle hat bedeutende Mengen Schmalz aus Importen und die HO lehnen die Annahme ab, da ihre eigenen Überstände an tierischen Fetten verderbgefährdet sind.

Berichtigung: Im Bericht vom 16.6.1954, Seite 5: »Über Schwierigkeiten in der Versorgung«, 1. Zeile muss es richtig heißen: »… Schwierigkeiten in der Versorgung mit HO-Fleisch, nicht mit HO-Butter.«13

Landwirtschaft

Die Landbevölkerung diskutiert nur im geringen Umfang über die politischen Tagesfragen. MTS und LPG sind etwas stärker daran beteiligt. Mittelpunkt der Diskussionen ist die Volksbefragung. Die Mehrzahl der Stimmen ist positiv und bringt bei den werktätigen Bauern oft die Erinnerung an die vergangene Zeit, die nicht mehr herbeigewünscht wird. So erklärte z. B. ein werktätiger Bauer aus Ammelstädt, [Bezirk] Gera: »Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, für den Frieden zu stimmen, denn ich war selbst bei einem Großbauern als Landarbeiter beschäftigt und habe am eigenen Leibe verspürt, wie man uns ausgebeutet hat.«

Teilweise wird die Volksbefragung auch als überflüssig bezeichnet, mit der Begründung, dass doch alle für den Frieden sind. Ein Schmied aus Oelsnitz, [Bezirk] Dresden,14 sagte: »Diese Abstimmung für den Friedensvertrag oder EVG-Vertrag15 ist gar nicht notwendig, da doch alle für den Frieden sind.«

Vereinzelt werden negative bzw. feindliche Äußerungen gemacht, die hauptsächlich aus den Kreisen der Groß- und Mittelbauern kommen. Ein Großbauer aus Eilenburg, [Bezirk] Leipzig: »Zu was brauchen wir eine Volksbefragung, das sind ja alles nur kommunistische Machenschaften. Mit denen wollen wir nichts zu tun haben, sie sollen nur einmal eine Wahl machen, aber eine freie, dann werden wir sehen, wo sie bleiben.« Ein Mittelbauer aus Limbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Wahl im Oktober 1950 war ein Wahlbetrug.16 Alle ungültigen Stimmen wurden zugunsten der SED gültig gemacht.«

Vorwiegend befasst sich die Landbevölkerung mit wirtschaftlichen Fragen. Im Kreis Beeskow, [Bezirk] Frankfurt, z. B. sind die Bauern aufgrund der Erhöhung der Waldgrundsteuern stark verärgert und wollen nicht an der Volksbefragung teilnehmen.

Im VEG Kamenz, LPG Sebnitz, [Bezirk] Dresden, und im VEG Kleinaga, [Bezirk] Gera, besteht ein Mangel an Futtermitteln für die Schweinemast. Im VEG Kamenz sind aufgrund dessen bereits einige Schweine verendet. Die LPG Sebnitz hat nur 19 dztr Roggen seit 1. Januar [1954] für 78 Schweine erhalten. Bei den Schweinen wurden bereits Ernährungsstörungen festgestellt.

Übrige Bevölkerung

Unter der übrigen Bevölkerung kann man teilweise eine gewisse Gleichgültigkeit zu politischen Fragen feststellen. Über politische Tagesfragen diskutieren meist nur fortschrittliche Kräfte. Die Volksbefragung steht im Mittelpunkt der wenigen politischen Diskussionen. Die bekannt gewordenen Stimmen sind meist positiv. Hierzu folgendes charakteristisches Beispiel. Ein Rentner aus Sparnberg, [Bezirk] Gera: »Es muss für jeden Deutschen eine Selbstverständlichkeit sein, dass er seine Stimme für einen Friedensvertrag und den Abzug der Besatzungsmächte gibt.«

Ganz vereinzelt treten negative bzw. feindliche Diskussionen auf. Eine Hausfrau (Angehörige der Sekte »Zeugen Jehovas«17) aus Saßnitz, [Bezirk] Rostock: »Ich nehme keine Einsicht in die ausgelegten Wahllisten und werde auch nicht zur Abstimmung erscheinen. Ich bin auch für den Frieden, aber meine Stimme habe ich Jehova gegeben und deshalb kann ich nicht abstimmen.« Ein Fuhrunternehmer aus Ebershausen, [Kreis] Meiningen:18 »Von mir bekommen sie keine Stimme. Erst sollen sie die Sperrzone aufheben.«19

Folgende negativen und feindlichen Stimmen wurden uns zum 17.6. bekannt. Ein Einwohner aus Eisfeld, [Bezirk] Suhl: »Meiner Meinung nach kommt der 17. Juni unweigerlich wieder, davon sind auch die VP-Angehörigen überzeugt. Der Tag wird nicht wieder ein 17.6.[1953], denn so schlau sind die Arbeiter der Ostzone auch, dass sie sich an einem anderen Tag erheben werden. Ich bin der Überzeugung, dass der 17.6.1953 nicht von westdeutscher Seite vorbereitet wurde, sondern dass es die Arbeiter der DDR waren. Ich freue mich darüber, dass der 17.6. in Westdeutschland National-Feiertag ist.«20

Ein 14-jähriger Schüler aus Stadtroda, [Bezirk] Gera, welcher mit zum II. Deutschlandtreffen war,21 äußerte: »Ich habe mit Berlinern gesprochen und diese sagten, dass die Agententätigkeit in der DDR von unseren Organen selbst inszeniert wird und dass von Westdeutschland keine Agenten eingeschleust werden.« Er forderte seine Klassenkameraden auf, am 17.6.1954 der Opfer des 17.6.1953 würdig zu gedenken.

Ein Angestellter der Taxigenossenschaft Görlitz, [Bezirk] Dresden: »Wenn voriges Jahr der 17.6. geklappt hätte, sehe es heute anders aus.«

Eine Einwohnerin aus Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte in einem Milchgeschäft: »Die müssen aber Angst haben, weil sie so viel vom 17. Juni 1953 in der Zeitung schreiben.«

Aus dem Bezirk Gera wird uns berichtet, dass in der 500-Meter-Zone über das Bierausschankverbot sehr negativ diskutiert wird, es kommt auch vor, dass die Leute sich mit den Bierflaschen auf die Straße stellen, wo die westlichen Bewohner es sehen können, dass sie das Bier auf der Straße trinken. Besonders im Kreis Schleiz macht sich dies bemerkbar.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

»Deutsche der Bundesrepublik«22: Schwerin 11 200, Dresden 67, Suhl 4 000, Karl-Marx-Stadt 278, Cottbus 600, Magdeburg 16 052, Frankfurt 9 700, Potsdam 776, Rostock 4 500, Erfurt 900, Halle 35.

SPD-Ostbüro:23 Dresden 3, Karl-Marx-Stadt 107, Suhl 200, Halle 2 372, Potsdam 206.

NTS:24 Dresden 18, Potsdam 7.

KgU:25 Dresden 3.

FDP: Gera 20.

In tschechischer Sprache: Dresden 3 114, Karl-Marx-Stadt 2 000.

In einigen Bezirken traten handgeschriebene Flugblätter auf: Eisenberg, [Bezirk] Gera: »Es lebe der 17. Juni.« Halle 29 Hetzzettel: »Jetzt wird gestreikt« und drei Flugblätter mit der Aufforderung zum Generalstreik. Weimar: »Wenn 51 Prozent für EVG stimmen, ist die Wiedervereinigung Deutschlands gesichert.«

Die Hetzschriften wurden in der Mehrzahl sichergestellt.

Am 16.6.1954 wurden in einem Hausgrundstück in Zwickau-Lichtentanne Zeitschriften der Zeugen Jehovas ausgelegt.

An Bürger der DDR wurden in fast allen Bezirken der DDR Hetzschriften des »Internationalen Bundes freier Gewerkschaften«26 mit der Post übersandt. Die Zeitung »Die Wahrheit von [A]–Z«27 enthielt die Botschaft des Generalsekretärs des IBfG zum 17. Juni und die Erklärung des DGB zum 17. Juni, deren Inhalt sich gegen Partei und Regierung richtet und eine Verdrehung der Ereignisse des 17. Juni 1953 darstellt. Außerdem enthält die Schrift eine Karte der DDR mit Einzeichnung von »Arbeitsniederlegungen, Demonstrationen, Aufruhr, erfolgter und versuchter Häftlingsbefreiung«.

Antidemokratische Tätigkeit

In den Kreisen Görlitz, [Bezirk] Dresden, Potsdam, Magdeburg, Sonneberg, [Bezirk] Suhl, Gera und Langenau28 und Hainichen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurden insgesamt acht Schmierereien von Hetzlosungen vorwiegend gegen die Volksbefragung festgestellt.

In Bautzen, [Bezirk] Dresden, werden Hetzlosungen einer neuen Gruppe festgestellt, die sich »KdU« nennt. An DFD-Kästen und Hauswänden wurden u. a. folgende Hetzlosungen geschmiert: »KdU, Trupp der Geheimen kehrt wieder«.

In den Bezirken Potsdam, Suhl, Cottbus und Erfurt wurden in acht Fällen Plakate zur Volksbefragung abgerissen.

Schädlingstätigkeit

In einem Jugendferienlager des FDGB in Schirgiswalde, Kreis Bautzen, [Bezirk] Dresden, wurde die ca. 1-km-lange Wasserleitung zerschnitten. Im Lager befinden sich ca. 400 Jugendliche aus der DDR und aus Westdeutschland.

Zwischen den Orten Lüttichau und Ponickau, Kreis Großenhain, [Bezirk] Dresden, wurde ein Feldkabel der Sowjetarmee an drei Stellen zerschnitten.

Nach einer Versammlung der Nationalen Front29 in Lossow, [Bezirk] Frankfurt/Oder, wurde festgestellt, dass drei Reifen eines Fürstenberger Pkws und ein Reifen des Frankfurter Fahrzeuges (SED-Kreisleitung Fürstenberg und HO-Bezirksleitung Frankfurt) zerstochen waren. Zwei vermutliche Täter wurden ermittelt.

Am 17.6.1954 erklärten im Speiseraum der Baumwollspinnerei Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, fünf Arbeiter der Bau-Union Frankenberg in betrunkenem Zustand: »Heut ist Feiertag.« Rädelsführer wurden festgenommen.

An der Demarkationslinie am Kontrollpunkt Töpen werden seit dem 17.6.1954, um 17.00 Uhr vom Westdeutschen Roten Kreuz aus zwei Lkw Lebensmittelpakete an Bürger der DDR verteilt.

Agenten der Feindzentralen30 erhielten Anweisung, zur Volksbefragung die Parole zu verbreiten, dass alle Wähler den weißen Zettel ohne Kreuz wieder abgeben sollen. Gleichzeitig sollen die Agenten für einen »Wahlstreik« agitieren, das heißt, man soll Krankheit vorschützen, um nicht zur Wahl gehen zu müssen.

Vermutliche Feindtätigkeit

Ein Großbauer aus Mangelsdorf, [Bezirk] Magdeburg, welcher 1952 aus der SED ausgeschlossen wurde, hat, bevor er republikflüchtig wurde, seine Futtermittel mit Insektenvertilgungsmittel vergiftet, den Traktor und die drei Gummiwagen unbrauchbar gemacht, indem er Ersatzteile entfernte. Bisher hatte der Großbauer sein Soll immer übererfüllt. Es besteht Verdacht der Feindtätigkeit.

Am 16.6.1954, gegen 22.00 Uhr wurde bei dem Ort Wickersdorf, Kreis Saalfeld, [Bezirk] Gera, von Jugendlichen ein Feuer angebrannt [sic!].

Die Hauptverwaltung der VEAB Oschatz, [Bezirk] Leipzig, flaggte am 17.6.1954 angeblich auf Anweisung der SED-Grundorganisation auf Halbmast.

Am 16.6.1954 wurde auf der MTS Jennewitz, Kreis Doberan, [Bezirk] Rostock, festgestellt, dass aus den Reifen der drei Mähdrescher die Luft ausgelassen worden war und ein Rad in den Straßengraben gerollt wurde.

Anlage vom 17. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2238

[ohne Titel]

Missstimmung und Missstände, die in einzelnen Betrieben bestehen

Unter der Belegschaft der Buna-Werke31 ist eine Missstimmung über die Beförderungsmöglichkeiten der Arbeiter zur Arbeitsstelle und zurück zum Wohngebiet vorhanden. Die Besprechungen mit den verantwortlichen Stellen des Rates des Bezirkes Halle verliefen bisher ergebnislos. Vom Rat der Stadt Halle wurde zum Ausdruck gebracht, dass keine finanziellen Mittel dafür frei sind.

Von den Schweißern der Neptunwerft Rostock haben sich seit einigen Tagen schon 11 Prozent der Kollegen krankgemeldet. Die Ursache liegt darin, dass sie keine unqualifizierten Arbeiten verrichten wollen.

Im Kaliwerk in Bad Salzungen äußern sich die Arbeiter zu politischen Fragen kaum, weil sie sich terrorisiert fühlen von dem Werkleiter.

Produktionsschwierigkeiten wegen Material- und Arbeitskräftemangel

Im VEB Schott–Jena,32 [Bezirk] Gera, erfolgt eine schlechte Papierbelieferung für die Wellpappenerzeugung. Dadurch können die zzt. in der Geräte- bzw. Zylinderhütte lagernden 35 000 fertigen Gläser, 5 000 Backschüsseln und zehn Teekannen nicht verpackt werden. Die Kollegen äußern dazu, dass es nicht nötig ist, allein in einer Woche 2 080 satirische Bilderbogen im Betrieb zu verteilen und man könne auch Papier ersparen, wenn man nicht so viele Plakate der gleichen Art nebeneinander kleben würde.

Im VEB Großbreitenbach,33 [Bezirk] Suhl, konnte der Produktionsplan für Mai nur mit 65 Prozent erfüllt werden. Der Grund hierfür ist das Fehlen an Automatenstahl und Metallschutzschlauch für die Bremsseile.

Im VEB Keradenta Radeberg, [Kreis] Dresden, reicht die Belieferung mit Gold, welches für die Stifte der Zähne benötigt wird, nicht aus. Planerfüllung nur 73 Prozent. Die schlechte Normenerfüllung wirkt sich ungünstig auf die Arbeiter aus.

Im VEB IFA-Karosseriewerk Radeberg, [Kreis] Dresden, fehlen Chassis, welche von den Firmen EMW Eisenach34 und Phänomen Zittau35 geliefert werden. Die durchschnittliche Planerfüllung liegt bei 80 Prozent.

Im VEB Nähmaschinenwerk Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, ist die Materialversorgung in Bezug auf Automatenstahl noch immer ein Engpass.

Im VEB Zellwolle Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, ist ein großer Mangel an Arbeitskräften, besonders in den Produktionsabteilungen, zu verzeichnen.

Das Entwurfsbüro für Rohbau Schwerin hat angeblich wegen Arbeitskräftemangel die Berechnungen vom Bau des Kindergartens des VEG Boldebuck sowie für die Fundamentarbeiten des Pädagogischen Instituts in Güstrow noch nicht in Angriff genommen.

In dem VEB Harzer Likörfabrik Quedlinburg, [Bezirk] Halle, müssen wegen Absatzschwierigkeiten ca. 20 Arbeitskräfte noch vor der Volksbefragung entlassen werden.

Feindliche Diskussionen

In der Bezirksbau-Union Neubrandenburg erhielten die Arbeiter des Betriebes die Lebensmittelkarte C.36 Ein Baukaufmann dieses Betriebes argumentierte mit den Arbeitern, dass sie die Lebensmittelkarte A bekommen müssten. Er sagte: »Das haben wir in Torgelow erreicht und werden es auch hier schaffen. In Torgelow haben wir 14 Tage die Annahme der Lebensmittelkarte C verweigert und haben dann die Lebensmittelkarte A erhalten.«

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