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Zur Beurteilung der Situation

19. Februar 1954
Informationsdienst Nr. 2131 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Allgemein sind durch den Verlauf und die Beendigung der Konferenz1 die Diskussionen unter den Werktätigen zurückgegangen, sodass nur noch im geringen Umfang darüber gesprochen wird. Diskussionen über betriebliche und örtliche Schwierigkeiten und Ereignisse treten allmählich mehr in den Vordergrund.2

In den Stimmen zur Konferenz wird oft Enttäuschung darüber zum Ausdruck gebracht,3 dass keine Vereinbarungen über Deutschland getroffen wurden. Ein Teil der Werktätigen folgert daraus, dass die Konferenz zwecklos war. Andere sind sich darüber im Unklaren, was nun weiter werden soll, und verhalten sich abwartend. Diskussionen, die besagen, dass von vornherein keine Einigung erwartet werden konnte, wachsen an. Ein Meister aus dem Zellwollebetrieb des Kunstfaserwerkes »Wilhelm Pieck« in Schwarza, [Bezirk] Gera: »Für mich stand von vornherein fest, dass bei der Konferenz nichts herausspringen kann.« Ähnlicher Meinung ist ein großer Teil der Belegschaft des Betriebes.

Unter einem Teil der Werktätigen des Bezirkes Potsdam wird in Diskussionen geäußert, dass man nach der Viererkonferenz »irgendetwas Besonderes« erwartet. (Wahrscheinlich sind damit feindliche Provokationen gemeint.) Zum Beispiel äußerte ein Arbeiter aus der Halle 9 des Industriewerkes Ludwigsfelde, [Bezirk] Potsdam, zu anderen Arbeitern, dass innerhalb der Sowjetarmee der Alarmzustand bestehe.

In positiven Stimmen werden von Arbeitern, im geringen Maße von Angestellten, die Vorschläge des Genossen Molotow4 begrüßt5 und wird oft gegen die ablehnende Haltung der westlichen Außenminister, besonders gegen Dulles,6 Stellung genommen. Des Weiteren wird erklärt, dass die Konferenz ein Erfolg war, da die Kriegstreiber durch die Vorschläge der SU entlarvt wurden und dass die Konferenz der Beginn für weitere Verhandlungen ist. Auch diese Diskussionen sind nicht mehr so zahlreich wie in den vergangenen Tagen.

Negative bzw. feindliche Diskussionen zur Konferenz werden weiterhin in geringen Umfang bekannt. Bei Angestellten und Angehörigen der Reichsbahn ist der Umfang größer als bei Arbeitern.7 Schwerpunkte hierfür sind die Reichsbahndirektion Schwerin und im Bezirk Frankfurt/Oder die Kreise Eberswalde und Fürstenwalde. Hierbei zeigt sich immer wieder der Einfluss der gegnerischen Hetze, vor allem durch den westlichen Rundfunk. Hauptargumente der feindlichen Stimmen sind die Forderung nach »freien Wahlen«8 sowie Hetze gegen die Vorschläge des Genossen Molotow und gegen die SU allgemein. Ein Angestellter aus dem RAW Wittenberge, [Bezirk] Schwerin: »Die Außenminister sollen alle wieder dahin gehen, wo sie hergekommen sind. Wir werden dann schon eine freie Wahl durchführen, wie wir sie haben wollen.« Ähnlich äußerten sich mehrere Arbeiter des RAW.

Ein Meister von der Schiffbau- und Reparaturwerft Stralsund: »Ich kann verstehen, dass die Westmächte mit dem Abzug der Besatzungstruppen nicht einverstanden waren, denn sie ziehen über den Atlantik, während die SU einige Kilometer hinter der Oder steht und bei eventuellen Unruhen eingreifen kann.«

Ein Arbeiter vom Ika Finow, [Bezirk] Frankfurt, Elektroapparatebau:9 »Auf der einen Seite schlägt Molotow Abzug der Besatzungsmächte vor, andererseits kommen aber immer mehr Russen hierher.«

Eine Arbeiterin vom VEB LOWA Waggonbau Bautzen, [Bezirk] Dresden: »Die Viererkonferenz wird an der ablehnenden Haltung Molotows scheitern. Die Annahme der sowjetischen Vorschläge wäre für die Amerikaner unmöglich, da sie dann Westeuropa verlassen müssten.«

Weiterhin werden negative Diskussionen in verschiedener Form geführt. Hierbei dominieren Hetze gegen die DDR sowie die Meinung, dass nach der Konferenz ein neuer Krieg komme. Ein Zugführer vom Bahnhof Oberwiesenthal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Mit ausländischen Staatsbürgern wie Pieck10 und Ulbricht11 verhandeln keine westlichen Politiker und die deutschdenkende Bevölkerung Deutschlands auch nicht.«12

Die Belegschaft der Steinbrüche in Haldensleben, [Bezirk] Magdeburg, vertritt die Meinung, dass man nicht alles glauben kann, was bei uns gesagt wird. »Hier sind täglich Panzer auf der Straße zu sehen, wogegen man in Westdeutschland überhaupt keinen sieht. Man darf hier nichts sagen, sonst wird man gleich eingesperrt.«

Im VEB Sachsenwerk Niedersedlitz, [Bezirk] Dresden, ist eine gewisse Unruhe vorhanden, da große Teile der Werktätigen der Annahme sind, dass es nach der Konferenz zum Kriege kommt.

Ein Schweißer aus der Elektrowerkstatt des Chemiewerkes Lauta, [Bezirk] Cottbus: »Man braucht sich nicht einzubilden, dass es nun friedlich abgeht, denn Adenauers13 Polizei ist stärker als die Volkspolizei, es wird dann zum Bruderkrieg kommen.«

Ein Arbeiter aus dem Industriewerk Ludwigsgfelde, [Bezirk] Potsdam: »Wenn die Außenministerkonferenz zu Ende ist, dann wird wieder ein neuer 17. Juni gestartet.«

Ein Rangierer vom Bahnbetriebswerk Rostock: »Wenn wir erst wieder einen 17. Juni haben, dann wird es schon besser werden. Nun, der Tag wird bald kommen.« Ähnliche Äußerungen wurden von mehreren Rangierern des Bahnhofs Rostock gemacht.

Ein Meister vom VEB Zeiss Jena, [Bezirk] Gera: »Man muss die Reden aller Außenminister veröffentlichen. Wenn man nur Molotows Reden bringt, ist das keine Pressefreiheit.«

Ein Kollege vom Schacht Schmirchau,14 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Was hier in den Zeitungen steht, darf man nicht glauben. Nur die drei westlichen Außenminister vertreten unsere Interessen. Um die Wahrheit feststellen zu können, muss man die Westsender ebenfalls hören.«

Missstimmung: Zu heftigen Auseinandersetzungen kam es im EKM Finow,15 [Bezirk] Frankfurt, da nach Ansicht der Kollegen die Jahresabschlussprämien ungerecht verteilt wurden.16 Die Kollegen äußerten sich darüber abfällig. Ein Dreher sagte, dass die Summe von 17,00 DM für den Einzelnen zu gering sei. In der Abteilung Dreherei lehnten alle Arbeiter die Prämie ab.

Die Kollegen der Baustelle Drewitz,17 [Kreis] Guben, die im Erzgebirge wohnen, sind darüber unzufrieden, dass in ihrem neuen DPA als Anschrift Drewitz eingetragen wurde.18 Dadurch benötigten sie jetzt bei Heimfahrten Einreisegenehmigungen.19

Materialmangel: Im RFT Kondensatorenwerk Gera besteht ein Mangel an Aluminium-Folie. Sollte bis zum 22.2.[1954] dieses Material nicht eingetroffen sein, so müssen 2/3 des Betriebes stillgelegt werden.

Im VEB Bekleidungswerk Kirchberg,20 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt,21 das für Regierungsaufträge arbeitet, mussten zwei Fließbänder stillgelegt werden, wodurch 2/3 der Belegschaft zeitweilig ohne Arbeit sind. Die Ursache liegt darin, dass der gelieferte Stoff vom Ausrüstungswerk Glauchau verschiedene Farbtöne aufwies und deshalb nicht verarbeitet werden konnte.

Wegen Kohlenmangel muss der VEB Textima Leisnig, [Bezirk] Leipzig, am 19.2.1954 seine Arbeit einstellen.

Handel und Versorgung

Im Kreis Kyritz, [Bezirk] Potsdam, führen die Werktätigen Klage darüber, dass die Warenstreuung im Kreisgebiet sehr unterschiedlich ist. So beklagen sich die Bewohner der Gemeinden Bücknitz und Wusterhausen, dass sie 5 km Weg zurücklegen müssen, um ihre Einkäufe zu tätigen. In den örtlichen Verkaufsstellen gibt es kaum Käse, Fischwaren, Feingebäck, Weizenbrot, Brötchen und Wirtschaftswaren.22 In der Gemeinde Neustadt dagegen sind die angeführten Waren in ausreichendem Maße vorhanden. Auch in den Gemeinden des Kreises Bützow, [Bezirk] Schwerin, herrschen aufgrund mangelnder Warenstreuung Schwierigkeiten in der Warenbelieferung.

In den landwirtschaftlichen Gemeinden des Bezirkes Halle spricht man sich dahingehend aus, dass es zu wenig Fisch und Räucherfleisch gibt. Es wird geäußert, dass Bauern, die ihr Fleisch abgeben, auch einmal in den Genuss von Fisch kommen wollen.

Die Konsumgenossenschaft Quedlinburg ist bisher ohne Verträge mit Textilien geblieben, obwohl diese bis Mitte Februar abgeschlossen werden sollten. Es fehlen besonders Flanelle, Schürzenstoffe, Schlafanzüge, gute Kleider, Stiefel, Gardinenstoffe sowie Wirkwaren für Kinder und Kleinstkinder.

Landwirtschaft

Die Stimmung unter der Landbevölkerung hat sich gegenüber den Vortagen nicht wesentlich verändert. Unter den Landarbeitern der MTS und VEG, werktätigen Einzelbauern und Genossenschaftsbauern gibt es positive Stimmen, die zum Ausdruck bringen, dass der sowjetische Außenminister Molotow und die SU kompromisslos und konsequent die Interessen der Werktätigen Deutschlands vertreten. Fortschrittliche Kräfte betonen, dass die Zusammenkunft der Außenminister allein schon ein Erfolg war, da durch die Verhandlungen über die internationalen Probleme und die Deutschlandfrage die Westmächte gezwungen wurden, sich konkret zu diesen Fragen zu äußern und sich so vor aller Welt als Feinde des Friedens und der Einheit Deutschlands entlarvten.

Ein Genossenschaftsbauer aus Jahna, [Bezirk] Leipzig: »Wenn auch die Berliner Außenministerkonferenz uns noch nicht die Einheit Deutschlands bringt, so besteht ein Erfolg jedoch darin, dass die gesamte Welt und vor allem das deutsche Volk erkannt hat, dass die drei westlichen Außenminister unter Führung des amerikanischen Kapitals die Feinde der Einheit Deutschlands sind.«

Ein anderer nicht geringer Teil der vorgenannten Schichten der Landbevölkerung ist über die Ergebnisse der Konferenz enttäuscht. Ein Mittelbauer aus Saaten,23 [Bezirk] Rostock: »Ich habe es schon vorausgesehen, dass sich die vier Außenminister nicht einig werden. Ich bin der Meinung, die waren sich noch nie einig und werden sich auch nicht einig werden.«

Die negativen Diskussionen haben an Stärke nicht zugenommen.24 Die großbäuerlichen und feindlichen Elemente versuchen durch Verbreitung der RIAS-Propaganda unter den werktätigen Schichten der Landbevölkerung Unruhe hervorzurufen. Zu welchen Auswirkungen und feindlicher Einstellung dies bei Teilen der Landbevölkerung führt, zeigt ein Beispiel aus dem Bezirk Suhl. Bei einem Aufklärungseinsatz in der ländlichen Gemeinde25 Eichenberg, [Bezirk] Suhl, konnte festgestellt werden, dass sich die Bevölkerung gegen alle Diskussionen über die Außenministerkonferenz abweisend äußerte. In den Diskussionen kam die Meinung zum Ausdruck, dass der Aufklärungseinsatz dazu diene, das Ergebnis der Aussprachen der Staatssicherheit mitzuteilen.26 Man solle sie im Übrigen mit der Politik in Ruhe lassen. Es wäre in der DDR alles Lug und Trug, es würde zu keiner Einheit kommen und daran sei die SU schuld. Einige Aufklärer wurden aus den Häusern verwiesen.

Die geführten negativen Diskussionen, auch von Teilen der werktätigen Schichten der Landbevölkerung, haben zum Inhalt, die Hetze gegen unsere Staatsordnung, gegen die Regierung der DDR, die Androhung eines neuen 17.6.[1953], die Hetze gegen die Rote Armee und die SU; des Weiteren werden die Fragen der »freien Wahlen« und der »freien Wirtschaft« behandelt. Diese Elemente lehnen die sowjetischen Vorschläge ab, machen diese verächtlich, geben dem sowjetischen Außenminister die Schuld am ergebnislosen Verlauf der Konferenz und verherrlichen den Standpunkt der Westaußenminister. Ein Traktorist aus Stölln, [Bezirk] Potsdam: »Ich ziehe die kapitalistische Ordnung unserer heutigen Entwicklung vor. Ich bin und bleibe ein Stahlhelmer.«27

Ein Mittelbauer aus Buhlendorf, [Bezirk] Magdeburg: »Die Regierung von Ost und West soll sich vereinigen und die, welche am besten arbeiten, werden von dem Volk in die richtige Regierung gewählt. Außerdem müssen die Polizei und die Streitkräfte abgeschafft werden, damit wir mal wieder richtig leben können und nicht mehr so hohes Fleischsoll abliefern brauchen. Wenn die da oben das nicht einsehen wollen, wird bald wieder ein neuer 17.6.[1953] kommen. Diesmal stehen die Städter nicht alleine da, sondern da helfen wir vom Lande auch tüchtig mit.28 Dann geht sowieso alles kaputt, das soll uns dann aber egal sein.«

Ein Mittelbauer aus Zschauitz, [Bezirk] Dresden: »Wir Bauern sind mit dem Staat nicht einverstanden. Ihr sprecht von einer kapitalistischen Ausbeutung, jetzt werden wir noch mehr ausgebeutet, Viererkonferenzen und Unterschriften sind zwecklos.29 Im Krieg kannst du nur dein Leben einbüßen, dagegen jetzt alles Eigentum und Leben. Ich habe kein Geld, aber den Arbeitern schmeißt man es hin, wir haben keine Bauernregierung, bloß eine Arbeiterregierung.«

Ein SED-Mitglied und Genossenschaftsbauer aus der LPG Pinnow, [Bezirk] Frankfurt: »Wir könnten schon längst die Einheit Deutschlands haben, aber die sowjetischen Soldaten, die uns wohl vom Faschismus befreiten, haben sich 1945 sehr schlecht in Deutschland benommen, das stößt die Menschen ab.« Dies sagte er in einer Parteiversammlung.

Ein LPG-Mitglied aus Alt Rosenthal, [Bezirk] Frankfurt: »Die ganze Politik der Russen wird nur mit der Pistole in der Hand geführt, sonst würde Molotow nicht mehr leben.«

Ein Mittelbauer aus Wüstenbrand, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wenn heute nichts mehr zustande kommt, dann wird drüben die Wehrpflicht30 eingeführt und dann wird wohl auch bei uns die Aufstellung von Streitkräften beginnen.«31

Ein Buchhalter von der LPG Wiedersberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Das habe ich schon lange gewusst, die können sich nie einig werden. Man braucht sich ja nur den Rundfunk anzuhören, da hört man ja, wer die Einigung will. Wenn der Molotow mit den Vorschlägen, die die anderen Außenminister bringen, einverstanden wäre, so hätten wir schon lange die Einigkeit. Es wird nicht mehr lange dauern und wir werden alle wieder im Graben liegen. Man hat es ja am 17. Juni [1953] gesehen, wie es wirklich war. Da hat man es den Adenauer-Agenten in die Schuhe geschoben,32 aber in Wirklichkeit ging es von unseren Arbeitern aus.«

Ein Großbauer aus Langenchursdorf,33 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die westlichen Außenminister haben eine sehr gute Verhandlungstaktik. Sie haben dadurch besonders die Bauernklasse in Deutschland vor größeren Schaden bewahrt. Ich bin nach wie vor für freie Wahlen, wie wir sie von früher her gewöhnt sind.«

In der Gemeinde Zierau, [Bezirk] Magdeburg, kursiert durch Großbauern verbreitet das Gerücht, dass noch vor der Ernte die Lebensmittelkarten und freie Spitzenlieferungen34 wegfallen. Die Bauern dieses Ortes sind daran interessiert, so schnell wie möglich ihre Schweine auf freie Spitzen zu verkaufen.

MTS: In den MTS der Kreise Jüterbog und Belzig, Bezirk Potsdam, und im MTS- Bereich Moisall,35 Kreis Bützow, [Bezirk] Schwerin, bestehen große Schwierigkeiten in der Beschaffung von Ersatzteilen. Im letzteren Bereich wollen die Großbauern keine Verträge mit der MTS abschließen; sie erklären, dass die Tarife zu hoch wären. Es besteht die Gefahr, dass ein Teil ihres Landes unbestellt bleibt.36

LPG: Im Kreis Parchim, [Bezirk] Schwerin, gibt es einige LPG, die eine Unterbilanz aufzuweisen haben. Nunmehr will man hier zum Typ III37 übergehen, um vom Staat finanzielle Hilfe zu bekommen. Es fehlen jedoch überall die nötigen Stallungen dazu.

In den Kreisen Bernburg, Nebra, Querfurt, Eisleben und dem Saalkreis Halle mussten in den letzten drei Tagen ca. 750 Schweine, die an Schweinepest erkrankt waren, notgeschlachtet werden.

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Seit dem gestrigen Bericht38 hat es keine wesentlichen Veränderungen in der Stimmung der Bevölkerung gegeben. Allgemein ist man über den Ausgang der Konferenz enttäuscht,39 wobei die fortschrittlichen Teile zum Ausdruck bringen, dass die Westmächte nicht an einer Einigung interessiert waren, aber durch die Reden Molotows und ihre Stellungnahmen entlarvt worden sind. Viele meinen, dass die vier Außenminister nur zusammengekommen sind, um das deutsche Volk zu beruhigen und kein ernsthaftes Interesse gehabt hätten, die Deutschlandfrage zu lösen. Besonders die Mittelschichten äußern, dass beide Seiten hätten etwas nachgeben müssen, um eine Einigung zu ermöglichen. Auch werden Stimmen laut, besonders von Hausfrauen, die den Standpunkt vertreten, dass wir nichts gegen die ablehnende Haltung der Westmächte tun könnten oder dass es ganz gleich sei, wer regiert, Hauptsache wir könnten gut leben.

Ein Angestellter beim Rat des Kreises Geithain, [Bezirk] Leipzig: »Mir kommt es so vor, als wenn man diese Konferenz nur einberufen hat, um das deutsche Volk wieder einmal zu beruhigen. Wenn man vonseiten der Außenminister die Absicht gehabt hätte, eine Entscheidung über die Deutschlandfrage zu treffen, dann wäre man auch zu einem Erfolg gekommen.«

Ein Kaufmann aus Parchim, [Bezirk] Schwerin: »Nun geht die Viererkonferenz zu Ende und man ist doch nicht über die deutsche Frage einig geworden. Ich bin der Meinung, wenn jeder der vier Außenminister etwas nachgegeben hätte, wären bestimmt einige strittige Fragen gelöst worden.«

Ein Arzt aus Rostock: »Wir Ärzte sind der Meinung, wenn der Außenminister Molotow und Dulles etwas mehr nachgegeben hätten, wäre es zu einer Einigung gekommen. Die Lage ist aber auch so zu sehen, dass Dulles mit der festen Absicht kam, die Vorschläge von Molotow abzulehnen.«

Eine Hausfrau aus Halberstadt, [Bezirk] Magdeburg: »Uns ist es gleich, wer regiert, die Hauptsache ist, unsere Männer verdienen ihr Geld und wir haben unser Auskommen, damit wir sorglos leben können.«

Eine Hausfrau aus Konschak,40 [Bezirk] Frankfurt: »Mir ist es gleich, unter welchem Regime ich lebe. Solange ich zu essen habe und wir gut leben können, spielt es keine Rolle, ob die Russen oder die Amis hier sind. Von mir aus können sie noch ein paar Jahre bleiben.«

Vereinzelt wird befürchtet, dass sich nach der Konferenz die Kriegsgefahr verschärfe. Ein Rentner aus Frankfurt/Oder: »Hoffentlich wirkt sich der Ausgang der Konferenz nicht zum Unglück Deutschlands aus. Wenn es nämlich zu einem Kriege kommt, geht alles vor die Hunde.«

Ein Angestellter, DBD, beim Rat des Kreises Bergen, [Bezirk] Rostock: »Heute geht die Konferenz zu Ende und über die Zukunft Deutschlands ist noch keine Einigung erzielt. Trotz aller Hoffnungen und Erwartungen sind alle Bemühungen fehlgeschlagen. Das ist eine ernste Gefahr für uns, denn jetzt wird man im Westen mit Gewalt rüsten.«

Ein parteiloser Religionslehrer aus Grabow, [Bezirk] Schwerin: »Weil die Menschen nicht an Gott glauben, wird eine Strafe über uns kommen. Wir werden kein einheitliches Deutschland bekommen. Wir werden wieder einen Krieg mitmachen müssen, worunter die Jugendlichen besonders leiden müssen.«

Ein Teil bringt zum Ausdruck, dass die SU nicht die Einheit Deutschlands wolle, weil sie dann nichts mehr aus Deutschland herausschleppen könne. Eine Hausfrau aus Frankfurt/Oder: »Die Außenminister konnten sich nicht einig werden. Molotow will ja nicht, dass die Einheit Deutschlands hergestellt wird, denn dann können die Russen nichts mehr aus Deutschland herausschleppen.«

Ein Angestellter aus Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt: »Alles ist zur Sprache gebracht worden und wurde verhandelt und verdreht und trotzdem stehen wir wieder an gleicher Stelle. Unser schönes deutsches Vaterland ist so arm und ausgesaugt von der Besatzungsmacht. Noch nie hat ein Staat uns so viel Schaden zugefügt. Jetzt sind wieder viele Gefangene zurückgekommen,41 aber täglich erfolgen ja neue Verhaftungen. Bald wird wohl die Zeit reif genug sein.«

Weitere negative und feindliche Stimmen, besonders aus kleinbürgerlichen Kreisen, bringen die westlichen »Argumente« über »freie Wahlen«, »Pressefreiheit« u. dgl. Zu bemerken ist, dass diese Argumente auch oft von Jugendlichen und in FDJ-Versammlungen sowie besonders an Oberschulen zum Ausdruck gebracht werden. Ein Jugendlicher aus Crussow, [Bezirk] Frankfurt: »Sind die Volkswahlen 1950 freie Wahlen gewesen.42 Ich bin der Meinung, dass man solche Wahlen, wo die Gegenstimmen hinter Gitter kommen, nicht mehr durchführen kann.«

Der Chefarzt des Krankenhauses Kölleda, [Bezirk] Erfurt: »Wenn unsere Regierung von freien Wahlen gesprochen hat, wie ist es dann möglich, dass Otto Grotewohl43 die freien Wahlen ablehnt. Hier wird wohl von Pressefreiheit gesprochen, aber wo haben wir Pressefreiheit. Die Reden von Molotow werden bis ins Kleinste veröffentlicht, aber die Vorschläge der drei anderen Außenminister werden nur noch mal am Ende erwähnt. Wir wollen alle Meinungen hören und lesen und wenn wir nicht die Möglichkeit dazu haben, müssen wir eben Westsender hören.«

Ein Kreissekretär der CDU aus dem Bezirk Dresden: »Wenn solche Wahlen wie 1950 in der DDR wieder durchgeführt werden sollen, machen die CDU-Abgeordneten nicht mehr mit.«

Ein Drechsler und ein Stellmacher aus dem Bezirk Karl-Marx-Stadt: »Die Westmächte wollen doch freie Wahlen. Warum ist man damit nicht einverstanden. Die Wahlen, die bei uns durchgeführt wurden, waren ja auch keine freien Wahlen, da gab es Kabinen, wo man hätte zwar hineingehen können, aber da stand vorn am Tisch einer und hat alle aufgeschrieben, die reingegangen sind. Ich werde, wenn wiederum eine Wahl auf dieser Grundlage durchgeführt würde, nicht zu dieser gehen.«

Ein parteiloser Rentner aus Neubrandenburg: »Es geht nicht, dass man uns eine Meinung aufzwingt, die auch nicht richtig zu sein braucht. Über die Vorschläge der drei westlichen Außenminister wurden wir auch nicht richtig orientiert.44 Es braucht sich keiner zu wundern, wenn ein neuer 17. Juni [1953] zustande kommt.«

Vereinzelt wird besonders von Geschäftsleuten gegen unsere Regierung und Partei gehetzt, sowie auf den 17. Juni [1953] angespielt. Der Inhaber eines Baugeschäftes in Niesky, [Bezirk] Dresden: »Unsere Regierung will die Einheit Deutschlands nicht. Sie will, dass die Bevölkerung uneinig ist. Das beste Beispiel dafür ist die Lohnpolitik. Der eine erhält mehr und der andere weniger, damit sie sich nie einig werden.«

Der Inhaber einer Privatfirma in Halberstadt, [Bezirk] Magdeburg: »Tragbare Funktionäre der SED sollen Waffen erhalten, um irgendwelche Unruhen mit Waffengewalt erdrücken zu können. Man darf jetzt kein Wort mehr sagen, denn wenn man dem Richtigen in die Finger fällt, hält er einem gleich die Pistole vor.«

Parteiloser Tischlermeister aus Putbus, [Bezirk] Rostock: »Alles verhandeln hat ja doch keinen Zweck gehabt, so wie ich es immer vorausgesehen habe. Hätte der 17. Juni [1953] acht Tage länger gedauert, dann hätten wir heute schon die Einheit Deutschlands.«

Organisierte Feindtätigkeit

Einzelne Flugblattfunde und Postwurfsendungen melden die Bezirke Leipzig, Halle, Potsdam und Karl-Marx-Stadt sowie mit Matrizen hergestellte Hetzzettel in Cottbus.45

Einzelne Plakatbeschädigungen und Schmierereien wurden in Potsdam, Gera und Rostock festgestellt.

Während eines Maskenballes der VdgB (BHG) in Niederkrossen, [Bezirk] Gera, wurde ein Genosse Werkmeister vom VEB Zeiss Jena von einem 17-jährigen niedergeschlagen. (V)

In einem Lokal in Dahlewitz, [Bezirk] Potsdam, forderte ein Arbeiter einen Genossen der MTS Dahlewitz auf, sein Parteiabzeichen abzumachen. Als dieser das nicht ausführte, schlug ihn der Arbeiter mit der Faust ins Gesicht.

Unter der sorbischen Bevölkerung verbreitet sich das Gerücht, dass die Eintragung ihrer Nationalität im Personalausweis ihnen Schwierigkeiten bereiten könnte.46 Hierbei weist man auf die Möglichkeit des Erscheinens der Amerikaner hin. In der Gemeinde Piskowitz,47 Kreis Kamenz, weigerten sich mehrere Personen die Nationalität »Sorbe« in ihren DPA eintragen zu lassen.

Einschätzung

In den Diskussionen, die jetzt in geringerem Umfang über die Konferenz geführt werden, zeigt sich bei Vielen Enttäuschung. Die fortschrittlichen Kräfte erkennen das Positive in der Entlarvung der gegen den Frieden gerichteten Politik der Westmächte. Die negativen Diskussionen halten weiterhin etwa im gleichen Umfang (verhältnismäßig gering) wie in den letzten Tagen an.

Anlage (o. D.) zum Informationsdienst Nr. 2131

Anhang über die Demonstration im demokratischen Sektor von Berlin48

Ergänzend zum 20-Uhr-Bericht vom 18.2.195449 berichten wir weitere Stimmungsbeispiele von der Demonstration.

Beim Kreis Pankow belebten Marschgruppen der FDJ und Gruppen von Betriebsarbeitern durch Lieder und Sprechchöre den Demonstrationszug. Hier gab es aber auch nicht wenige, die auf eine günstige Gelegenheit warteten, um nach Hause gehen zu können.

Beim Kreis Lichtenberg sorgten vier Musikkapellen für eine frohe und aufgeschlossene Stimmung.

Vom VEB »7. Oktober«50 nahmen 700 Werktätige teil, davon mehrere, die sonst nicht an Demonstrationen teilnahmen. Allerdings war die Beteiligung der Lehrlinge aus dem Lehrkombinat schlecht. Trotzdem herrschte in der Marschgruppe des Betriebes eine gute Stimmung. Ein Arbeiter meinte: »Ich hätte nie gedacht, dass bei dieser Kälte so viele Menschen zusammenkommen.« Ihm antwortete ein anderer Arbeiter: »Bei dieser Demonstration geht es auch um mehr. Wir wollen schließlich nicht wieder das Gewehr auf die Schulter nehmen.« Ein Jugendlicher sagte: »In Westberlin kann man natürlich nur einen Schweigemarsch machen.51 So viele Menschen wie hier würden die niemals auf die Beine bringen.«52

Kurz nach Beginn des Referats von Otto Nuschke53 entstand ca. 20 m vor der Tribüne eine vorübergehende Unruhe. 20 Mädchen im Alter von 18 Jahren drangen plötzlich aus dem Zug nach außen, weil es ihnen zu kalt geworden wäre. Die anderen Demonstranten waren darüber sehr ungehalten und mahnten die Mädchen empört und zuweilen mit recht derben Worten zur Ruhe.

Am besten war die Stimmung beim Vorbeimarsch vor der sowjetischen Botschaft. Dort gab es viele Hochrufe auf die Genossen Malenkow,54 Molotow, Wilhelm Pieck u. a. Ähnlich gestaltete sich auch der Abschluss der Demonstration, so wird von den Kreisen Köpenick und Lichtenberg berichtet.

Mängel in der Organisation gab es in den Kreisen Pankow, Lichtenberg, Weißensee und Köpenick durch ungenügende Auswahl und Kennzeichnung der Stellplätze.

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